Fortsetzung

Böcklin, Marées und Feuerbach teilen das Schicksal, von ihrer Zeit nicht verstanden und erst nach ihrem Tode (wovor den erstgenannten nur sein hohes Alter bewahrte) anerkannt worden zu sein. Alle drei haben sich nach Italien zurückgezogen, wo sie ganz auf sich gestellt nur im Verkehr mit der schönen Natur und der großen Kunst der Vergangenheit des Landes ihre Werke schufen. Gewannen diese auch durch die Ruhe inneren Ausreifens, so behielten sie doch etwas von der Unkraft schöner Treibhausblüten, die nicht in Licht und Luft des freien Tages sich erschlossen. Man kann sich nicht denken, dass einer der führenden Meister der französischen Malerei das geworden wäre, was er ist, wenn er fern von der Heimat, losgelöst von den lebendigen Kräften der Gegenwart und ohne die Stütze und Stärkung durch gleichgesinnte Weggenossen sein Werk vollbracht hätte. Nie oder fast nie wurden diese drei Künstler vor Aufgaben gestellt, die ihrem Wesen entsprachen. Während sich Jahr für Jahr in Deutschland die Wände der öffentlichen Gebäude mit den Leistungen des schlimmsten Akademismus bedeckten, waren diese genötigt, ihre großen Formgedanken in den engen Rahmen des Staffeleibildes zu zwängen.

Am schwersten litt Marées darunter, am leichtesten hat sich Böcklin damit abgefunden, der von den Dreien am wenigsten Stilgefühl, aber vor ihnen voraus die leicht quellende Erfindungsgabe und unerschöpfliche Gestaltungskraft hatte. Er ist durch alle Phasen seiner Tätigkeit, von der frühesten Zeit bis zum Anfang der achtziger Jahre, durch gute, zum Teil durch seine besten Bilder vertreten. [i]Der Bacchantenzug[/i, ein köstliches Werk von frischester Bewegung und leuchtend-warmen Tönen steht noch unter dem Einfluss seines Lehrers J. W. Schirmer. Von großem Charakter bei wahrer Naturempfindung ist eine Landschaft aus der ersten römischen Zeit. Von den Porträts ragen durch die Harmonie matter, raffiniert zusammengestellter Farben dasjenige der Donna Clara und durch die pleinairistische (das Pleinair des Piero della Francesca) Auffassung, das des Bildhauers A. Kopf hervor. Aus diesen selben sechziger Jahren, in denen sich als Reaktion gegen den altmeisterlichen Ton der vorhergehenden römischen Zeit seine Palette zusehends aufhellt und seine Landschaften in sonnigem Schimmer leuchten, stammen das reizende Bildchen mit den vor einem goldenen Kornfeld im blauen Schatten eines Gebüsches badenden Nymphen, der große duftige Frühlingsreigen und die in strahlender Klarheit aus dem lichtblauen Meer auftauchende Venus anadyomene. Um 1870 etwa, gerade als in Frankreich die Freilichtmalerei ihre ersten programmatischen Werke schafft, vollzieht sich bei Böcklin die Umwandlung zu einer „Luft und Licht" ignorierenden tiefen Lokalfarbigkeit, deren starke, manchmal gewaltsamen Kontraste, getragen von einer in diesem Sinne erfundenen phantastischen oder religiösen Staffage eine besondere poetische Stimmung auslösen sollen. Die klassischen Beispiele für diese Entwicklungsstufe sind die große Kreuzabnahme und das Meeresidyll. Ihnen reihen sich die beiden Selbstporträts an, das mit dem fiedelnden Tod und das andere, wo hinter dem dunkeln Kopf des Künstlers die Säule und der Lorbeer sich gegen den hellen Himmel absetzen.


Nach gerade entgegengesetzten Zielen entwickelte sich die Kunst Hans von Marées'. Er begann als Schüler Steffecks in Berlin und kam dann nach München in den Kreis Pilotys. In den Bildern aus dieser Zeit spielt das Pferd eine große Rolle. Er malt eine Reiterattacke, die Schwemme in der Schackgalerie, die rastenden Kürassiere und Pferde, die zur Tränke geführt werden, beide Bilder in der Ausstellung. Namentlich die drei letztgenannten sind nicht ohne koloristische Feinheit in den etwas verschleierten Tönen und zeigen einen Sinn für Weiträumigkeit. An gleichzeitige Münchnerische Sachen erinnern sie nicht, man möchte eher an Einflüsse der Schule von Barbizon denken. Hier entsteht auch das lebendig modellierte, in der Farbe sehr geschmackvolle Porträt Haegers.

Seit 1864 lebte Marées beinahe ununterbrochen in Rom. Bilder aus den ersten Jahren scheinen nicht erhalten zu sein. Vielleicht gehört hierher das in der Schönheit seiner Malerei unübertreffliche Doppelporträt von Marées und Lenbach, das Porträt Hildebrands ist von 1867 — 1868, das Doppelporträt Hildebrands und Grants von 1871, von etwa 1872 die Bildnisgruppe für die Neapeler Fresken. Diese Arbeiten stehen in der stillen Geschlossenheit ihrer Wirkung in der deutschen Kunst jener Tage ohne Rivalen da. Aus derselben Zeit stammen die Römische Landschaft und die Römische Vigna, die einzigen noch dem modernen Leben angehörenden Kompositionen (mit Ausnahme des einen Freskos in Neapel). Doch denkt man nicht daran, dass sie moderne Gegenstände behandeln, so aller Erfahrung entrückt erscheint die tiefe mysteriöse Färbung, aus der bleiches Fleisch und leuchtend rote Gewandstücke aufblitzen. Ähnliche koloristische Tendenzen herrschen in den religiösen Darstellungen: Philippus mit dem Kämmerer, dem hl. Martin, dem hl. Georg.

Dazwischen treten Entwürfe auf, die immer sichtbarer zu dem überleiten, in dem Marées den eigentlichen Ausdruck seines künstlerischen Verhältnisses zur Natur sieht. Was nicht rein künstlerischer, formaler Inhalt ist, verliert jegliches Interesse für ihn. Er vermeidet jeden auch nur entfernt novellistischen oder historischen Stoff. Nackte Menschen, die sich in Hainen bewegen, oder ruhen, oder Früchte pflücken, sind jetzt der stets wiederkehrende Vorwurf. Aus diesen Elementen, den Vertikalen der Bäume, zu denen sich oft als belebendes Motiv noch architektonische Formen gesellen, den Horizontallinien der Landschaft und den mit diesen Hauptrichtungen sich kreuzenden und schneidenden Formen des bewegten menschlichen Körpers sucht er eine zugleich klare und reiche räumliche Vorstellung der Natur zu entwickeln. Der künstlerische Genuss besteht in der Erkenntnis der einfachen Gesetzmäßigkeit dieser Bildungen. Dagegen verliert bei ihm die Farbe alle Bedeutung als raumgestaltendes Element, zu der sie sich im Pleinairismus eben im höchsten Maße gesteigert hatte. Das altmeisterliche Kolorit dient ihm bloß zum Schmuck und trägt, wie die farblose Reproduktion zeigt, in keiner Weise zur Verdeutlichung der Vorstellung bei.

Es war Marées nicht gegeben, eine seiner Kompositionen zur Vollendung zu bringen. Die Absicht, die Raumillusion durch äußerste Formdurchbildung auf die höchste Höhe zu treiben, und das Ungenügen an dem Erreichten verhinderten ihn stets an einem befriedigenden Abschluss der Arbeit. Doch können wir auch der fragmentarischen Form seiner Werke unsere Bewunderung nicht versagen.

Zur selben Zeit etwa wie Manet saß auch Anselm Feuerbach in Paris in Coutures Atelier (doch ist es vielleicht ungerecht, zu verschweigen, dass er mit der Düsseldorfer Akademie anfing). Mit Dank hat er sich zu dem bekannt, was er in Paris gelernt. Sein Vorbild ist noch deutlich in den Werken, die hier entstanden, dem Hafis vor der Schenke und dem Tod Aretinos, geschickten Arbeiten, die eine große Beherrschung des Metiers zeigen, aber sich nicht wesentlich über die „Décadence des Romains" erheben. Was er hier gelernt, lehrt am deutlichsten ein Vergleich des vor dem Pariser Aufenthalt entstandenen weichlichen Porträts Cannstadts und dem 1853 in Heidelberg gemalten des Professors Umbreit mit dem prachtvoll monumentalen, wie aus Stein gehauenen Gelehrtenkopf. Die Jahre in Venedig (1854 und 1855) vergehen ihm mit Kopieren nach Tizian und anderen. Aber hier zum erstenmal findet man in den Landschaftsstudien, die er bei einem Ausflug nach Castel Toblino malte, und bei der gewaltigen, in ihrem Stil gewaltigen, Ansicht aus den Bergen von Carrara die eigentümlich gedämpfte wie verstaubte Farbenharmonie Feuerbachs. Aus den ersten römischen Jahren stammen die noch unter dem Eindruck der venezianischen Meister geschaffenen Kinderbilder und die schöne Madonna.

Ein Jahr später datieren die ersten Bilder, zu denen ihm Nana, die Schustersfrau, die sein Modell wurde, gesessen ist. Überraschend tritt es auf der Ausstellung zutage, wie nun die stolze Schönheit dieses römischen Weibes seine Phantasie erfüllte. Sie erlöst ihn aus der Abhängigkeit von der alten Kunst, und stellt ihn auf seine eigenen Füße. An ihr entwickelt sich sein Formenideal zu jener plastischen Einfachheit, die nun ganz den Bildgedanken bestimmt, die Farbe erhält den besonderen Charakter kühler vornehmer Zurückhaltung und die Landschaft wird zur Hintergrundkulisse. Neben Bildnissen der Nana, die nichts als solche sein wollen und in ihrer stillen Größe an Sebastiano del Piombo gemahnen, treffen wir sie in der Verkleidung als Virginia, als Lesbia, als Mirjam, auf dem Familienidyll „der Mandolinenspieler" als glückliche Mutter, dem Selbstporträt des Künstlers gesellt, und endlich inspirierten ihre königlichen Formen Feuerbach zu den Iphigenien und Medeen, in denen seine Kunst vielleicht ihren reinsten und reifsten Ausdruck findet. Hier auch wird es besonders deutlich, welche Kluft sein Gestaltungsprinzip, in dem eine, wenn man so sagen kann, reliefartige Herausarbeitung der Körper angestrebt wird, von den Schöpfungen Marées' trennt, für den die menschliche Gestalt nur eines der Elemente zur Verdeutlichung der allgemeinen Raumvorstellung ist. Wie merkwürdig, dass die drei Deutschen, die gleichzeitig auf italienischem Boden weilten und sich kannten, sich gegenseitig fast gar nichts gaben.

Einem kurzen Besuch in Heidelberg danken die beiden Frühlingsbilder, Damen im Freien musizierend, ihre Anregung und es gibt zu denken, dass aus seiner Berührung mit dem modernen Leben Werke entstehen, deren Verwandtschaft mit der Kunst Manets nicht zu verkennen ist.

Von seinen späteren Schöpfungen fanden sich das Urteil des Paris, die riesenhafte, in der Bewegung wie erstarrte Amazonenschlacht, zu der die Nationalgalerie die lebensvolle Skizze besitzt, das Gastmahl des Plato, dessen stimmungsvollere Karlsruher Fassung leider nicht dem allzureichen Berliner Bild gegenübergestellt werden konnte, der Entwurf zu der Gigantomachie, der gewaltigsten Schöpfung des Meisters, der nur zögernd der Plafond in der Aula der Wiener Akademie, für die sie bestimmt war, eingeräumt wurde, und als letztes das Konzert, ein monumentaler Bellini, das infolge des plötzlichen Unterganges der venezianischen Sängerinnen, die ihm als Modell dienten, unvollendet blieb. Zwei Jahre vor seinem Tode malte Feuerbach das wundervolle Bildnis seiner Stiefmutter mit dem früh gebleichten Haar, des guten Genius dieses tragischen Künstlerlebens, dem Unverstand und Missgunst der Mitwelt fast jede dieser Schöpfungen, der wir heute edelsten Genuss verdanken, zu einer Quelle des Kummers oder der Verzweiflung werden ließ.

Es erschien den Veranstaltern der Ausstellung eine schöne Pflicht, von der Größe dieses Schaffens, das in dem Jahrhundert einzig dasteht, der Gegenwart eine Vorstellung zu ermöglichen.