Thal Ehrenbreitstein

Thal Ehrenbreitstein, 23. Sept.

Heute morgen bestieg ich den Berg, auf welchem die vor etwa zwanzig Jahren gesprengte Festung Rheinfels liegt, deren Trümmer weit pittoresker sind, als man es nach dieser kurzen Zeit ihrer Zerstörung erwarten sollte. Ich ergötzte mich an der herrlichen Aussicht auf den Rhein und in die kleinen grünen Thäler zwischen den benachbarten Felsen, und nahm dann das freundliche Sankt Goar selbst ein wenig in Augenschein. Es war eben ein Festtag und alle Einwohner im sonntäglichen Schmuck. Nie in meinem Leben sah ich so viel wunderschöne junge Frauen und Mädchen, als hier; ich glaube, daß im ganzen Ort keine einzige recht häßliche zu finden ist. Eins dieser Mädchen, mit einem Gesicht, wie Raphael sie seinen Madonnen giebt, trat mir aus einem Laden neben unserm Gasthofe entgegen, und blendete mich wirklich durch ihre aufallende Schönheit, die der anmuthige Kopfputz der Bürgermädchen in diesen Gegenden noch erhöhte. Sie tragen ein kleines enganschließendes goldnes Mützchen, welches den Hinterkopf kaum bedeckt, und dem glattgescheitelten oder gelockten Haar über der Stirne und um die blühenden Wangen freien Spielraum läßt. Im Nacken quellen die langen, zierlich geflochtenen Zöpfe unter dem Häubchen hervor und werden dort, in einen griechischen Knoten geschlungen, mit einer goldnen breiten Nadel befestigt. Man kann nichts Hübscheres sehen, als diesen wahrscheinlich sehr alten Kopfputz, den in früheren leiten vielleicht nur Fürstinnen trugen.


Handel und Gewerbe machen die Einwohner von Sankt Goar wohlhabend; anders ist es mit dem dieser Stadt gegenüber liegenden Dörfchen Sankt Goarshausen. Mit wahrem Schmerz erfuhr ich heute, daß die Lampen, deren Schein mich gestern erfreute, nur das Elend und den Jammer der ärmsten Menschen in dieser ganzen Gegend beleuchten. Sie haben zu ihrer Erhaltung nichts als den Wein, welchen sie mit unsäglicher Mühe auf den sie eng umschließenden Bergen bauen, und dieser ist seit einigen Jahren völlig mißrathen. Um nun für den Augenblick Brod zu erhalten, sahen sie sich gezwungen, den Ertrag künftiger Aerndten auf mehren Jahre hinaus für wenige Gulden an unbarmherzige Wucherer zu verkaufen. Diese durchziehen hier immer das Land, auf solche Spekulazionen bedacht, und werden reich dabei, während die Armen verhungern. Selbst Gottes reichster Segen in kommenden Jahren kann diesen Unglücklichen kaum mehr helfen, weil sie in die Hände von Menschen gefallen sind, die weder Recht noch Erbarmen kennen.

Nachmittags schifften wir uns wieder ein, um den Abend Koblenz zu erreichen. Der Ruine gegenüber, die über Sankt Goarshausen sich erhebt, und die Katze heißt, liegt auf der nämlichen Seite des Rheins eine andere, sehr schöne alte Burg, auf einem hohen Felsen, die Thurmburg. Sie wird aber im Gegensatz mit der Katze gewöhnlich die Maus genannt. Ein hübscher kleiner Ort mit einem sehr schönen alten Thurm schmiegt sich um den Fuß dieses Felsen; überhaupt wird die Gegend hier freundlicher und offner; Wiesen und Gärtchen finden Raum, sich am Ufer auszubreiten, hier, wo der Strom um eine große grüne Insel einen weiten silbernen Bogen zieht. Malerische Ruinen krönen immerfort die Gipfel der hohen Felsen; die schönsten sind die beiden nahe an einander liegenden Burgen Liebenstein und Sternfels. Man nennt diese auch die ,,Brüder“, und die Sage erzählt von einer blutigen Fehde zwischen zwei Brüdern, die in grauer Vorzeit diese Burgen bewohnten, in welcher einer von ihnen den Tod fand. Weiter hin bildet der Rhein wieder einen großen See, den die mit Reben bepflanzten Felsen ringsum dermaßen einzuschließen scheinen, daß man keinen Ausgang gewahr wird. Grau und düster breitet sich die alte Stadt Boppart an seinen Ufern aus, auf der Höhe und im Thal blicken Thürme ehemaliger Klöster aus üppigem Grün hervor, und das reiche Land umher prangt mit allem Segen der Natur.

Gleich hinter diesem See wendet sich der Rhein plötzlich, als wolle er wieder zurück, aber ein mächtig vortretender Fels zwingt ihn bald wieder vorwärts. So geht es in ewiger Abwechselung fort, und die ganze Gegend, durch welche wir heute kamen, gleicht der gestrigen an mannigfaltiger erhabner Schönheit. Der Strom trug uns bald durch enge dunkle Thäler, bald lachenden Fluren vorüber, auch vielen Städten und Dörfern, zerstörten Klöstern und Burgen, bis wir der Mündung der Lahn uns näherten, die aus einem engen Felsenthal bei Niederlahnstein sich in den Rhein ergießt.

Jetzt überblickten wir mit einem Male das weite herrliche Thal, in welchem Koblenz hart am Ufer des Rheins liegt. Gegenüber am andern Ufer erheben sich auf einem hohen schroffen Felsen die kolossalen Trümmer der Festung Ehrenbreitstein, an dessen Fuß Thal-Ehrenbreitstein, einer kleinen Stadt ähnlich, sich ebenfalls dicht am Wasser hinzieht. Ueber Koblenz thronen auf einer bedeutenden Anhöhe die Ueberreste eines ehemaligen Karthäuser Klosters. Die reiche, mit ionischen Säulen geschmückte Fasade des dicht am Wasser erbauten neuen Schlosses spiegelt sich in den vorübereilenden Wellen. Leider ist diese ehemals prächtige Residenz der Kurfürsten von Trier von den Franzosen im Innern auf alle Weise zerstört. Weiterhin verliert sich der Blick anf der breiten silbernen Fläche des Rheins, welchen dicht hinter Koblenz die Mosel aufnimmt. Dörfer und Gärten und Weinberge kränzen die Ufer, so weit das Auge reicht, bis zu den blauen Bergen, die bei Andernach und fernerhin den Rhein umgeben. Entzückt über den herrlichen Anblick dieser wunderbar reichen Landschaft wanden wir uns durch alle die Nachen und Schiffe, die hier den Strom beleben, und landeten an dem sehr vorzüglichen Gasthofe zum weißen Ross, in Thal-Ehrenbreitstein. Nur der hier sehr breite Rhein trennt uns von Koblenz. Die fliegende Brücke, welche dicht unter unserm Fenster immerfort hinüber und herber geht, macht uns diese Kluft als solche kaum merklich, und gewährt uns obendrein ein höchst lebendiges, immer wechselndes Schauspiel. Es ist unglaublich, was alles auf dieser, einer schwimmenden Insel ähnlichen Brücke Platz findet, wie viele Pferde und Wagen. Dennoch bleibt noch Raum zum Hin- und Herspazieren und zum Sitzen auf den Seitenbänken. Obstverkäuferinnen haben ihren Handelstisch auf der Brücke aufgeschlagen; eine Kajüte bietet Schutz beim Regenwetter. Diese Brücke ist wirklich eine kleine Welt, auf der es mitunter eben so bunt und lustig hergeht, als auf der großen.

So währe denn mein lang' gehegter Wunsch erfüllt, ich habe den schönsten Theil des Rheinthals gesehen. Den Gedanken, bis Kölln zu gehen, gebe ich auf; das ewig wechselnde Wetter und die Kürze der Tage bestimmen mich, diesen Genuß zu verschieben, bis uns etwa ein Komet wieder einmal einen wirklichen Sommer bescheert. Freilich verliere ich viel, die Gegend von Koblenz bis Bonn wird allgemein gepriesen, und auch das alte Kölln mit seinen Kunstschätzen zieht mich mächtig an. Wenn ich alle die vielen Gegenstände mir ins Gedächtniß zurückrufe, die in den letzten Tagen an mir vorüberschwebten, so dünken sie mir fast wie Traumgebilde. Nicht nur Tage oder Wochen, Monate wenigstens müßte man auf der Rheinreise zubringen, um ein vollkommendes Bild von ihr mit heim zu nehmen.

Von Mainz bis Bingen gleicht die Gegend einer wunderlieblichen Idylle, voll Anmuth und ländlicher Schönheit. Auch möchte ich diesen Theil der Reise der fröhlichen Jugend vergleichen, die unter Scherz und Lachen vorüberzieht. Von Bingen bis Koblenz hingegen gleicht alles einer ernsten wehmüthigen Elegie, die über längst versunkenen Gräbern melodische Klagen aushaucht. Oder soll ich diese Gegend, meinem zweiten Bilde folgend, dem spätern ernsteren Alter vergleichen? dann wäre Koblenz das Paradies, das uns am Ende erwartet. Und dies ist es gewissermaßen auch, denn es vereint alles auf einen Punkt, was auf dem Wege bis dahin entzückte, und jeder findet gerade das hier wieder, was dort vor allem andern ihn erfreut; Fels und Thal, Wald, Reben, Gärten, freundliche Dörfer, eine große lebensreiche Stadt, und ehrwürdige Trümmer der Vorzeit, am Ufer des schönsten Stroms wie hingezaubert, so daß man alle diese mannigfaltigen Gegenstände mit einem Blicke übersehen kann. Bei alle dem gebe ich doch Bingen den Vorzug, wenn es darauf ankäme, längere Zeit in diesen Gegenden zu verweilen, um aller ihrer Schönheit recht froh zu werden. Ich bin sogar meinem lieben Weinheim um Bingens willen untreu geworden und habe mein Lustschloß einstweilen hieher verlegt. Der Ort liegt so recht im Mittelpunkt zwischen der Idylle und der Elegie, dem Alter und der Jugend. Vergleichen Sie ihn mir nur aber deshalb nicht mit den sogenannten besten Jahren, die wahrlich bei weitem nicht die besten sind.

Von Bingen aus kann ich in einem halben Tage in Mainz oder Koblenz seyn, und wie viel Herrliches liegt noch in dem Nahe-Thal und der ganzen Gegend umher verborgen, dessen Daseyn ich auf diesem Durchfluge nur ahnen konnte! Die Stadt, so klein sie ist, bietet alles, was man zum Leben braucht; das täglich ankommende Postschiff bringt Mannigfaltigkeit und vielleicht manches unverhoffte Wiedersehen alter Freunde und Bekannten. Selbst in geselliger Hinsicht glaube ich, daß die Stadt und die Umgegend viele Bewohner zählt, mit denen sich leicht und bald ein ungezwungner erfreulicher Verkehr anknüpfen ließe.

Thal-Ehrenbreitstein, 25. Sept.

Koblenz ist eine bedeutend große Stadt, die aber noch größer scheint, als sie ist, weil sie sich auf der Erdzunge lang und schmal hindehnt, an deren Spitze der Rhein und die Mosel zusammenströmen. Der Anblick der Gegend von der schönen steinernen Moselbrücke am Ende der Stadt ist bezaubernd schön. Nicht weit von dieser Brücke liegt hart am Rhein die sehr alte Castorkirche, die schon beim Hereinschiffen uns durch ihre einfache edle Bauart anzog. Wir haben ihr jetzt einen Besuch gemacht und uns an dem hohen, von schönen korinthischen Säulen getragenen kühnen Gewölbe erfreut. Schade, daß der gutgemeinte letzte Wille eines reichen Bürgers von Koblenz ihrer Außenseite das alterthümliche ehrwürdige Ansehen raubte, indem er eine bedeutende Summe bestimmte, um sie und ihren sehr schönen Thurm recht bunt und wunderlich neu anstreichen zu lassen. Nahe an dieser Kirche sah ich auch mit großem Vergnügen den bekannten Brunnen mit der groß-prahlerischen Inschrift von Bonaparte und darunter das vu etapprouvé eines russischen Generals. Nie hat wohl jemand einen glücklichern witzigen Einfall gehabt, als diesen; halb Europa muß sich noch in vielen kommenden Generationen daran ergötzen, und die Weltgeschichte selbst darf ihn nicht sinken lassen.

Die Straßen in Koblenz sind größtentheils schmal und haben hohe Häuser; doch giebt es hier einige große, mit Lindenbäumen besetzte Plätze, an denen es sich recht angenehm wohnen muß. Das ewig mit Regen drohende Wetter verhindert uns manches zu sehen, was wohl unsrer Aufmerksamkeit werth wäre. Aber wir müssen jede sonnige Stunde benutzen, um die Umgegend zu genießen, und deshalb den Anblick manches Kunstwerks aufopfern, das hier in Privatsammlungen sich befindet. Oeffentliche Sammlungen giebt es in Koblenz nicht.

Die Einwohner könnte man in zwei Klassen theilen, in wirkliche Koblenzer und in Fremde, welche von der gegenwärtigen Lage der Zeiten aus allen übrigen Theilen Deutschlands herbei gezogen wurden und hier leben. Beide scheinen mit einander nur in den nothwendigsten Berührungspunkten zu stehen. Koblenz ward schon beim Anfange der französischen Revoluzion, also seit beinahe dreißig Jahren, der Sammelpunkt der aus Frankreich Ausgewanderten, und blieb nachher fortwährend in französischen Händen, kein Wunder daher, daß die jetzige Generazion sich eben so wenig, als die Mainzer, sogleich in die neue Ordnung der Dinge zu finden weiß. Man muß ihr Zeit lassen, sich auch an das bessere zu gewöhnen; jetzt sieht noch alles ziemlich französisch hier aus, wie in Mainz, nur fröhlicher scheinen mir im Ganzen die Leute zu seyn und auch schöner. Sie glauben es nicht, wie viel hübschen Mädchen und Frauen man täglich nur allein auf der fliegenden Brücke begegnen kann.

Eine Hauptfreude sowohl der ächten Koblenzer, als der hier wohnenden Fremden-Familien gewähren die vielen Gärten in den nahen wunderschönen Umgebungen der Stadt. Der Weg nach der Karthause führt Anfangs zwischen lauter solchen Gärten hin, aus denen allen wir fröhliche Stimmen lachen und sprechen und singen hörten, bis der Berg dicht vor uns lag, den wir zu besteigen hatten. Oben ist wenig mehr von der alten Karthause zu sehen, nur noch die in der Nähe sehr unschönen Trümmer neuern Gebäude stehen auf der Höhe, aber die Ausssicht auf den gegenüber liegenden Felsen Ehrenbreitstein, auf die Stadt, die Lahn, den Rhein, die Mosel und das ganze herrliche Thal von Niederlahnstein bis zu den Felsen bei Andernach, ist eine der schönsten in der Welt.

Den Ehrenbreitstein selbst können wir leider nicht besteigen. Viele hundert Arbeiter sind immerwährend bemüht, die Festung wieder herzustellen, daher darf niemand ohne besondre Erlaubniß hinauf. Diese zu erhalten, würde mir nicht schwer werden, aber die nähern Wege, welche hinaufführen, sind durch die stets hinabrollenden Felsstücke gefährlich, so daß niemand sie zu betreten wagt, während oben gearbeitet wird. Den weitern gefahrlosern Weg aber hat der viele Regen unwegsam gemacht. Die Aussicht von dem Gipfel der Felsen soll eine der reichsten und ausgebreiteten seyn, die es giebt.

Aber das überaus anmuthige Pfaffendorf, dicht am Rhein, habe ich besucht. Es ist das Lieblingsziel der Spaziergänger von Koblenz, die, besonders an jedem schönen Sonntage, zu Wasser und zu Lande schaarenweise hinziehen, um sich in den Weingärten dicht am Strom zu ergötzen. Die schönste Zier des freundlichen Dörfchens ist der Garten des Kanonikus Umbscheiden. Zwischen Reben, Blumen und Bäumen aller Art wandelten wir hier von einer Terrasse zur andern, immer höher und höher bis zum Gipfel des Hügels, an dem er liegt. Ein einfaches Gartenhäuschen gewahrte hier, im Purpurglanze der eben sinkenden Sonne, einen Ueberblick der ganzen himmlischen Gegend viele Meilen weit umher. Es war ein Schauspiel, das ich nie vergessen werde.

Außer diesem Gartenhäuschen bietet der ziemlich weitläuftige Garten noch viele höchst reizende Ansichten und ist voll angenehmer einzelner Parthien. Ich sah hier unter andern die größte schönste Trauerweide, so vielleicht in Deutschland zu finden ist. Von allen Seiten senkt der schöne hohe Baum seine schlanken Zweige bis zur Erde nieder, und bildet ein dichtes grünes Zelt, unter welchem wohl zwanzig Personen Raum finden könnten. Vom Golde der Abendsonne durchfunkelt, glänzte das dichte hellgrüne Laub in einem überirdischen Glanzes wie ihn kein reicher persischer Teppich nachahmen kann.

Morgen schiffen wir noch nach Neuwied, dann kehre ich zu Lande zurück, weil ich überhaupt ungern gegen den Strom schwimme.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer