Mannheim

Mannheim, 4. Oct.

Hier bin ich nun am letzten Ziel meiner Reise angelangt, von dem ich in wenigen Wochen heimzukehren gedenke. Wir fuhren zu Lande von Koblenz nach Mainz zurück, wo wir unsern Wagen während der Rheinreise hatten stehen lassen. Leider war der Tag unsrer Abreise sehr trübe und regnig, nur zuweilen belebten einige Sonnenblicke die unaussprechlich herrliche Gegend, und gaben uns eine Ahnung von dem, was diese Fahrt an einem schönen Tage seyn muß.


Der Weg führt, längs dem linken Rheinufer, durch alle die Orte, denen wir an dieser Seite vorübergeschifft waren, und es wird mir schwer, zu entscheiden, ob ich diese Fahrt zu Wasser oder zu Lande vorzüglicher finde. Allen den vielen am linken Ufer liegenden Städten und Dörfern, allen den Burgen, Klöstern und Kirchen kamen wir jetzt ganz nahe vorüber. Der Rhein und dessen rechtes Ufer blieben uns immerwährend im Gesicht. Von einem höhern Standpunkt, als auf dem Wasser, zeigten sich die Gegenstände jenseit des Stroms nicht minder malerisch und schön. Auch waren wir zu Lande den Bewohnern dieser Gegenden näher, deren naiv-treuherziges Wesen und Sprache für mich viel Anziehendes haben.

Die Kunststraße war durch den vielen Regen verdorben; an einigen Stellen ist sie so schmal, daß die uns begegnenden Frachtwagen mir manche Herzensangst erregten. Die Nacht blieben wir in Bacharach. Mit großer Freude erblickte ich am andern Morgen aus einem Fenster des Gasthofes die schöne Ruine der Kirche hoch über der Stadt, welche mir schon vom Wasser aus so wunderbar entgegen geleuchtet hatten Sie funkelte jetzt im hellen Strahl der Morgensonne, aber leider waren alle Pfade so nass und schlüpfrig geworden, daß ich nicht zu ihr hinauf zeigen konnte. In Mainz ruhten wir aus und eilten dann so schnell als möglich durch die uns schon bekannten Gegenden, die uns, nach allem, was wir in den letzten Tagen gesehen hatten, noch reizloser erschienen, als das erste Mal.

Mannheim, 15. Oct.

Alle Welt ist darüber einig, daß Mannheim eine sehr schöne, große, durchaus regelmäßig erbaute Stadt sey. Weil sich aber immer Leute finden, denen der Honig zu süß, die Rose zu duftend, die Sonne zu warm ist, kurz, die überall Fehler aufspüren, und sollten sie auch nur in der zu großen Vollkommenheit des zu tadelnden Gegenstandes sie suchen; so wird auch hin und wieder behauptet, diese Stadt sey zu regelmäßig und werde dadurch langweilig.

Ich bin nicht dieser Meinung. Mich freut der Anblick der schnurgeraden breiten Straßen, die alle in bestimmter Entfernung einander durchkreuzen, und die Stadt in lauter regelmäßige Vierecke eintheilen; ich wandle gern auf den bequemen Fußpfaden, längs den zum Teil sehr schönen großen Häusern, die. bei aller vorherrschenden Symmetrie doch nicht ermüdend gleichförmig erbaut sind, sondern sich gar wohl von einander unterscheiden lassen.

Fast keine einzige der Straßen hat hier einen bestimmten eignen Namen, wie in andern Städten. Die Nummer des Quadrats und die Nähe irgend eines bekannten Gebäudes sind der einzige Leitfaden auf dem Wege zu dem Orte, wohin man will; deshalb wird es besonders dem Fremden nicht leicht, sich hier zurecht zu finden. Dennoch ist dies minder schwer, als man auf den ersten Anblick es glauben sollte, wenn man nur auf die Richtung achtet, in welcher das Schloß, das Theater, oder irgend eine Kirche mit dem uns vorgesteckten Ziele liegen. Auf diese Weise verirre ich mich hier fast nie, oder doch nur um wenige Schritte, weil ich gewiß bin, daß die Straße, die ich links einschlage, mich nicht am Ende etwa unversehens rechts führt, was in andern, weniger regelmäßig gebauten Städten oft genug geschiet.

Nur etwas mehr Leben möchte ich herwünschen, denn die Stadt ist zu groß für etwa achtzehn tausend Einwohner, die jetzt in Mannheim leben, und die größten Straßen und Plätze haben daher ein etwas verödetes Ansehen. Man findet hier überall wenig, Spuren von Handel und Gewerbe, dafür aber ent-schädigen, mich wenigstens, die Stille und Ruhe um mich her. Ich möchte fast sagen, Mannheim sieht vornehm aus, so, als ob nur Leute darin wohnen, die ohne eigentliche andere Bestimmung ihre Renten angenehm und bequemlich verzehren. Alle Welt hat hier Zeit zu Allem, an emsiges Laufen, Drängen, Stoßen und Treiben denkt niemand, deshalb ist es mir hier auch recht behaglich zu Mute, und es scheint, als ob es den Andern, die hier leben auch so wäre. Spuren drückender Armut sind mir, bis jetzt wenigstens, hier nicht sichtbar geworden, und Alles hat ein zufriednes Ansehen.

Eine lange, mit Lindenbäumen besetzte Straße durchschneidet Mannheim der Breite nach, und theilt es in zwei, vielleicht etwas ungleiche Teile. Diese Straße heißt die Planken; ihr jenseits wohnt die ärmere, von ihrer Hände Arbeit sich nährende Klasse der Einwohner; auch sind die Häuser weit kleiner und unansehnlicher. Im schönern Teile der Stadt, nach dem Schlosse zu, wohnen die reicheren Familien. Hier steht auch das Kaufhaus, ein großes schönes Gebäude. Auf Säulen ruhende Arkaden umgeben es, unter denen eine Menge glänzender und nützlicher Dinge in Magazinen feil gehalten werden. Mehrere Kirchen, große, Pallästen ähnliche Wohnungen adliger Familien vom ersten Range, auch das Schauspielhaus und andere öffentliche und Privatgebäude schmücken diesen Teil der Stadt durch edlen Stil der Bauart, durch Pracht und Eleganz. Am imposantesten aber erscheint das nahe am Rhein erbaute Schloß, diese leider jetzt verödete, ehemals prächtige Residenz der Kurfürsten, und gewährt einen wahrhaft großen Anblick, besonders von der Gartenseite. Der westliche Flügel trägt leider noch Spuren der während der Belagerung Mannheims erlittenen Zerstörung, die aber dennoch dem grandiosen Effekt des Ganzen wenig Schaden tun, da sie nur in der Nähe recht sichtbar werden.

Der schöne, zur öffentlichen Promenade Schloßgarten erstreckt sich bis dicht an den breiten Rhein. Auch in ihm haben Ueberschwemmungen gewütet, herrliche Baumgruppen, schöne Grasplätze stehen noch unter Wasser und sinken allmählich zum gänzlichen Untergang hin. Der Anblick ist traurig, noch trauriger der der ganzen Umgegend, die, unter dem nämlichen Mißgeschick erliegend, vielleicht in vielen Jahren sich nicht wieder völlig erholen wird. In günstigern Zeiten müssen die Umgebungen Mannheims sehr angenehm seyn, ungeachtet ihrer vollkommenen Fläche. Die Vegetazion in diesem milden Klima ist reich; Obstgärten und schöne Alleen ziehen sich um die Stadt; die Vogesen und die malerischen Berge bei Heidelberg und an der Bergstraße gewähren einen schönen Blick in die Ferne, und sowohl der breite Rhein mit seynen schönen Ufern, als der hier ihm zuströmende Neckar bieten ein immer neues, mit jeder Tagesstunde wechselndes Schauspiel. Ich erfreue mich daran täglich bei meinen gewöhnlichen Spaziergängen auf dem sich an den Schloßgarten anschließenden Damm, der sich längs den Rheinufern hinzieht.

Die Einwohner der Stadt wallfahrten am häufigsten nach der Mühlau, einer etwa eine Viertelstunde von ihr entfernten Insel im Rhein. An jedem schönen Tage strömt alles dorthin, zu Wasser und zu Lande, gehend, fahrend und reitend; auch ist diese Insel ein gar grünes, schattiges Plätzchen, von dem man sich der anmuthigsten Aussichten auf den Rhein und Neckar erfreuen kann. Umgeben von einem hübschen Gehölze, steht mitten auf ihr ein kleines Lustschloß, welches jetzt zu einem sehr vorzüglichen Gasthofe eingerichtet ist. Hier werden den Sommer über wöchentliche Konzerte und Bälle gegeben, zu welchen die ersten adligen und bürgerlichen Familien unterzeichnen und sich fleißig und zahlreich einfinden. Leider haben sie mit dem Michaelistage aufgehört, daher fanden wir sie nicht mehr, und sehen nur das sehr elegante und geräumige Lokal der jetzt vor dem Herbste flüchtig gewordenen Freuden.

Im Vergleich mit andern Städten von dieser Bedeutung ist das Leben in Mannheim noch immer sehr wohlfeil, und obendrein alles, was man für sein Geld erhält, in seiner Art vortrefflich. Auch die Wohnungen sind schön, bequem, und verhältnißmäßig nicht teuer.

Es herrscht ein froher, geselliger Geist über die Mannheimer, sie lieben die Freuden des Lebens und theilen sie gern mit andern, ohne sich doch zu sehr dem blos rauschenden Vergnügen zu ergeben. Sie sind zuvorkommend gegen Fremde, ohne ihnen durch zu großen Aufwand bei kostbaren Gastereien den Muth zu nehmen, sie oft zu besuchen. Daher ist es hier im Durchschnitt den Fremden so wohl zu Muthe, daß viele gar nicht mehr an das Weggehen denken, sobald sie nur erst in der Gesellschaft recht bekannt geworden sind, obgleich manche bei ihrer Ankunft entschlossen waren, nur einige Wochen oder Monate zn verweilen.

Viele angesehene adlige und bürgerliche Familien leben auf diese Weise nun schon seit Jahren in Mannheim. Aus England und Holland, aus den Niederlanden, aus ganz Deutschland, von der Donau bis zu den fernen Gestaden der Ostsee haben sie sich auf diesem freundlichen Punkt der Erde versammelt. Daher ist auch der gesellige Ton hier weit liberaler und entfernt von jener, die Freude verscheuchenden langweiligen Monotonie, welche man so oft in nicht kleineren Städten antrifft.

Mannheim ist nicht mehr die prächtige glänzende Residenz, die es war. Die Zeitumstände haben auch hier alle Klassen der Einwohner um einen Teil ihres Vermögens gebracht, und sie gezwungen, sich auf alle Weise in ihren Ausgaben zu beschränken. Aber wenn gleich wenig eigentlicher Lurus hier noch zu finden ist, so blieben doch eine gewisse Eleganz, welche das Leben verschönt, und alle feinere Genüsse des häuslich geselligen Lebens unter gebildeten Menschen, die an allem wahrhaft Schönen und Guten lebhaften Anteil nehmen.

Mit dem Hofe schwand auch die höfische Etikette und die zu strenge Absonderung der Stände, letztere wenigstens in so weit, daß vorzüglich geistreich Gebildete bürgerlichen Standes mit denen vom höchsten, ja sogar fürstlichen Adel Umgang haben, ohne je vom Ahnenstolz verletzt oder zurückgesetzt sich zu fühlen. Dies habe ich selbst in vielen adligen und bürgerlichen Häusern, in welchen ich eingeführt bin, gesehen und erfahren. Daher tut es mir weh, wenn man mein mir so liebes Mannheim sogar in öffentlichen Blättern in dieser Hinsicht verleumdet. Freilich ist nicht aller Unterschied der Stände aufgehoben, dies wäre ja sogar kein Gewinn, sondern Zerstörung der einmal im zivilisierten Leben eingeführten Ordnung, die sich immer an ihren Vernichtern von selbst rächt. Aber nur bei öffentlichen feierlichen Gelegenheiten, die selten vorkommen, wird man etwas von Rangordnung gewahr; in das gesellige Leben mischt sich keine störende Etikette, auch äußert sie sich nicht bei öffentlichen Vergnügungen, bei Bällen und Konzerten. Ich habe deren mehreren beigewohnt und keine Spur davon gefunden, obgleich man sich öffentlich im Auslande die lächerlichsten Mährchen davon erzählt, so daß mir anfange selbst bange davor ward.

Alle Abende sind hier Privatzirkel, oft von fünfzig und mehr Personen, in vier bis fünf verschiedenen Häusern, zu welchen gebildeten Fremden der Zutritt sehr leicht gemacht wird .

Fast alle Welt belohnt hier ein hübsches Lokal, man versammelt sich zum Thee, der Ton ist leicht, das Gespräch lebhaft. Kartenspiel kommt selten in die Reihe der Unterhaltungen, aber Musik fehlt fast nie. Die Mannheimer alle lieben diese schöne Kunst, und viele Dilettanten haben es in ihr bis zur Meisterschaft gebracht. Niemand denkt daran, durch das oft gewöhnliche, wirklich sündhafte Weigern dasVergnügen der Gesellschaft zu schmälern, oder wenigstens zu erschweren, sondern jeder, der dazu fähig ist, trägt gern und anspruchlos zur allgemeinen Freude bei, und deren sind hier viele. Verstummt der Gesang, so tritt oft ein Walzer auf dem Klavier an dessen Stelle, nach welchem der jüngere Theil der Gesellschaft sich ein Theilchen lustig herumdreht, oder es werden Charaden und ähnliche Spiele vorgenommen, die den fröhlichen Abend beschließen.

Außer diesen Privatzirkeln giebt es noch wöchentliche Subseriptions-Bälle. Im Sommer, wie ich früher erwähnte, werden diese auf der Mühlau gegeben, im Winter im Schauspielhause, in einem sehr schönen großen Saal, an welchen einige Nebenzimmer stoßen. Während des Karnevals sind die, wie ich höre, recht hübschen Maskenbälle häufig besucht, auch fehlt es nicht an kleinen Bällen in Privatzirkeln.

Sie sehen aus allem diesem, lieber Freund, daß auch der Lebenslustigste in Mannheim seyne Zeit recht angenehm hinbringen kann, und daß kein Gebilderter, selbst mit höheren Ansprüchen, als die auf bloßes fröhliches Zusammenseyn, hier irgend etwas vermißt, was sein Leben verschönert.

Manchen genußreichen Abend gewährt mir der Besuch des hiesigen Theaters.

Es war einst die Pflanzschule, aus welcher fast alle die bedeutendsten Küstler hervorgingen, deren unser Vaterland sich bis auf unsere Zeiten erfreute. Was es war, ist es nicht mehr, und konnte es auch nicht bleiben, seit Mannheim aufhörte, die glänzende Residenz eines prachtliebenden Fürsten zu seyn, denn vor allen andern Künsten bedarf die Schauspielkunst eines mächtigen Schutzes und kräftiger Unterstützung. Aber die den Mannheimern eigne Kunstliebe erhält diese Bühne noch immer über der langweiligen Mittelmäßigkeit empor. Das Orchester bleibt seines alten Ruhmes wert, ungeachtet des ungünstigen Zeitenzustandes; viele Mitglieder desselben erheben sich auf ihrem Instrument zur wirklichen Virtuosität, auch die Direktion des Ganzen ist so vortrefflich, daß es zur wahren Freude wird, hier die Begleitung einer großen Oper anzuhören

Mehrere unter den Schauspielern zeichnen sich durch regen Kunsteifer aus und würden jede Bühne zieren; unter den jungen Schauspielerinnen wenigstens manches im Entwickln begriffene Talent recht angenehme Hoffnungen für die Zukunft.

Das Schauspielhaus ist groß, schön, prächtig sogar, eine wahre Zierde dieser schönen Stadt durch seine, im großen Stil erbaute, mit Säulen geschmückte Außenseite. Im Innern hat man durch viele große und bequeme Ausgänge, durch schöne Treppen und Koridors dafür gesorgt, daß auch bei überfülltem Hause nie die mindeste Unordnung entstehen kann.

Die Dekorationen sind freilich nicht alle ganz neu mehr, aber doch anständig und viele von ausgezeichneter Schönheit; die Kostüms der Schauspieler, wie fast bei allen Theatern, zuweilen glänzend, aber nicht immer richtig gewählt. Man rühmt sehr die Einrichtung der Maschinerien bei Verwandlungen und ähnlichen Theater-Kunststücken; ich habe aber nicht Gelegenheit gehabte mich selbst durch den Augenschein davon zu überzeugen.

Alle Einwohner Mannheims, die es vermögen, beeifern sich, durch Abonnements für die Erhaltung ihres Theaters zu sorgen. Daher sind von allen den vielen Logen nur sehr wenige für Durchreisende frei geblieben, im Notfall aber bietet diesen das Parkett Raum genug. Durch das allgemeine Abonnieren ist übrigens auch dem traurigen Anblick eines leeren Schauspielhauses vorgebeugt; ich sah es immer von wohlgekleideten Zuschauern angefüllt, selbst bei sehr bekannten Darstellungen älterer Stücke.

Das Theater selbst erscheint mir, so lange ich hier bin, fast wie eine Musterkarte aller übrigen Bühnen, besonders der benachbarten. Durchreisende Künstler empfängt man in Mannheim sehr freundlich, und da unsere Schauspieler setzt alle gewaltig mobil sind, so sehen wir fast an jedem Abend Gastrollen, oft sogar drei bis vier zugleich, von Fremden gespielt.

Es fällt mir auf, daß diese Art von Kunstreisen in unsern Tagen so gar sehr häufig werden, und ich zweifle, ob die Kunst selbst dadurch so viel gewinnen kann, daß der Nachtheil, den sie, ihrer jetzigen Einrichtung nach, bringen, dadurch überwogen werde. Wahr ist es, nur wer viel sieht, kann viel lernen, er treibe welche Kunst er wolle, und in dieser Hinsicht mögen solche Reisen für den angehenden talentvollen Schauspieler von unbestrittenem Nutzen sein, besonders wenn er als müßiger Zuschauer das Spiel anderer beobachtete. Auf diese Weise könnte er am besten einsehen lernen, was ihm noch mangelt, was er zu vermeiden hat, und mancher gute Gedanke über die verschiedenen Ansichten einer und derselben Rolle müßte in seinem Innern ihm klar werden. So aber reisen unsre Künstler nicht, und können es auch nicht, denn schwerlich möchte sich irgend eine Direktion entschließen, sie mit dem dazu nöthigen Reisegeld zu versehen. Die Kunst selbst muß es also dem Schauspieler möglich machen, eine Reise zu unternehmen, und durch sein eignes Auftreten auf fremden Bühnen geht fast aller Vortheil verloren, den er für seine Bildung aus ihr ziehen könnte; denn der Wunsch, selbst vortheilhaft zu erscheinen, erschwert das Beobachten anderer, die sich auch ohnehin in einem von dem seinen verschiedenen Rollenfach zeigen. Die Theater, auf welchen das Auftreten fremder Künster zu oft erlaubt wird, verlieren am Ende dadurch. Bestochen durch den mächtigen Reiz der Neuheit erheben die Zuschauer das fremde Verdienst, besonders durch das jetzt zur Gewohnheit gewordene Hervorrufen, und vergessen darüber ihre einheimischen, vielleicht eben so preiswürdigen Künstler. Diese werden dadurch mutlos und lässig in der Ausübung des, ihrer Meinung nach, nicht genug anerkannten Talentes, und sinken in der Kunst, anstatt vorwärts zu streben. Sie ergreifen die erste beste Gelegenheit, um ihrerseits auch auf andern Bühnen zu gläzen. Dadurch vermehren sich die Künstlerwanderungen, aus denen denn zuletzt Auswanderungen entstehend Diese aber zerstören alle Hoffnung, jemals auf einer deutschen Bühne ein harmonisches Ganze gegründet zu sehen, das alle einzelne Teile einer Darstellung zur erfreulichen Einheit verbindet, die wir jetzt leider überall vermissen..

In Mannheim habe ich bis jetzt mehrere Opern, Trauerspiele und Komödien gesehen; keine dieser Darstellungen war ganz verfehlt, und manche ergötzte mich sehr, ungeachtet die vielen Gastrollen manches fremdartige, zum Ganzen nicht stimmende hineinbrachten. Auch auf die Wahl der Stücke hatten diese nicht den günstigsten Einfluß, manches ward augenscheinlich blos deshalb gegeben, weil irgend ein fremder Künstler darin vorzüglich zu glänzen gedachte. So kam denn auch das Ifflandische Stück, die Mündel, einmal an die Reihe, in welchem ein Schauspieler aus Karlsruhe den Kaufmann Drawe so natürlich spielte, daß mir selbst bei aller der Angst und Not ganz jämmerlich zu Mute ward. Sie versetzte mir fast den Atem, obgleich ich wohl einsah, daß sowohl ihre Existenz, als ihre endliche Auslösung, durch die gegen den wirklichen Gang des Lebens anstrebende Erfindung völlig in das Reich der Unmöglichkeiten gehören. Ueberdies macht das leidige Geld uns Plage genug im Leben, besonders auf Reisen; daher könnten wir füglich vom Theater her mit solchen unästhetischen Leiden verschont werden.

Don Juan, diese Oper aller Opern, habe ich zweimal, besonders von Seiten des Orchesters, vortrefflich aufführen sehen. In der zweiten dieser Darstellungen entzückte uns die junge Künstlerin Eunike aus Berlin, als ein ganz allerliebstes Zerlinchen. In der ersten machte ein hannoverischer Hof- und Kammer-Sänger aus dem vornehmen jungen Spanier einen lustigen, etwas verruchten Bruder Studiosus, ward aber, dem Herkommen gemäß, am Ende doch hervorgerufen, obgleich auch sein Gesang uns nicht für den argen Mißgriff seiner Rolle entschädigt hatte.

Doch ich will Sie nicht durch Aufzählung aller der theatralischen Vorstellungen, welchen ich in Mannheim beiwohnte, ermüden. Nur einer erwähne ich noch, die der Schuld von Müllner, weil mir das meisterhafte Spiel eines ganz jungen Mädchens, der kleinen lieblichen Sofie Müller, gar zu viel Freude gemacht hat. Sie gab den Knaben Otto so unübertrefflich schön, daß ich dem Dichter wohl die Freude wünschen möchte, es anzusehen. Diese Kinderrolle, vielleicht die schwerste unter allen, wird durch die gewöhnliche Art, sie darzustellen, oft unerträglich. Der Dichter bezeichnete sie mit starken, hin und wieder etwas scharfen Zügen, die, zu grell herausgehoben, aus dem Kinde ein vorlautes absprechendes Wesen machen, welches wenigstens keine Mutter ohne innern Ärger ansehen kann. Ganz anders erschien dieser Otto in der Gestalt der anmuthigen Sofie. Mit dem zartesten Gefühl milderte diese alles, was der Milderung Bedarf, um nicht im Munde eines Kindes zu empören, ohne deshalb dem Karakter des Knaben sein Eigenthümliches zu rauben; meisterlich drückte sie seine Anhänglichkeit an sein schönes Vaterland aus, und vermied doch jede Uebertreibung spanischer Grandezza. Die treffliche Beschreibung des Stiergefechts sprach sie wie ein Kind, das sich freute, dem Großvater ein merkwürdiges Ereigniß zu erzählen, von dem es Augenzeuge war, und das vom Strome seiner eignen Rede fortgerissen wird, während andere, die diese Rolle spielen, sie mit affektirtem rednerischem Pathos herdeklamiren und sich dabei ordentlich gegen das Parterre hinstellen. Aus allen Bewegungen dieser sehr jungen Schauspielerin sprach die reinste Kindernatur. Wie sie vom Anblick des Vaters im Sarge erzählte, stieg die schmerzliche Rührung in ihrem Innern mit jedem Worte, bis sie den schauerlichen Umstand erwähnte, daß man seine Brust geöffnet habe, um ihn köstlich einzubalsamiren, denn dieser Gedanke muß für jedes Kind etwas höchst furchtbares haben; auch überwältigte sie hier das Gefühl, ihre Stimme brach, und weinend verhüllte sie am Schluß der Rede ihr Gesicht in das Gewand der Mutter.

Sie wissen, wie jedes erblühende und ausgezeichnete Talent mich interessiert, und nach dieser Darstellung muß ich Sofie Müller für ein mit natürlichen Anlagen reich ausgestattetes Kind halten, das, zweckmäßig gebildet, vielleicht in wenig Jahren als sehr ausgezeichnete Schauspielerin die Zierde unsrer deutschen Bühnen werden kann; daher verargen Sie es mir nicht, daß ich in meinem Briefe so lange bei ihr verweilte.

Unter die erfreulichsten Erscheinungen für die Kunst zähle ich die sehr bedeutende und allbekannte Kunsthandlung der Herren Artaria. Dort findet man altes und neues in ewig wechselnder Ebbe und Flut, man schreitet mit der Zeit fort, keine bedeutende neue Erscheinung am Kunsthimmel kann uns unbeachtet entgehen, während die Werke berühmter alter Meister uns immer aufs neue erfreuen. Denn die Eigner dieser Handlung lassen sich keine Gelegenheit entschlüpfen, um alles Schöne habhaft zu werden, was sie nur erreichen können, und besonders waren ihnen die letzt verfloßnen Jahre in dieser Hinsicht sehr günstig. Mit der größten Liberalität öffnen sie ihre Schätze nicht nur dem Käufer, auch dem, welchen bloß rege Theilnahme und Freude am Schönen zu ihnen führt, wie es bei mir der Fall war, ja sie erlauben es gern, daß man lange verweilt und oft wiederkehrt. Dies scheint ihnen sogar Freude zu machen. Durch lange Uebung ihres Geschäfts haben sie sich große Kunstkenntniß erworben, und scheinen es jetzt mehr aus Liebe zu ihr, als zum Gewinn zu treiben.

Unter einer Menge von schönen Gemälden, welche ich bei ihnen sah, sind drei mir unvergeßlich geblieben, zu denen ich immer wiederkehren muß. Eins ist von Metzu, ein herrliches heiteres Bild voll Wahrheit und von hoher Vollendung. Es stellt einen Fürsten von Uranien vor, der, von seinen Dienern begleitet, auf die Jagd reitet. Die Pferde, die Hunde, die ganze Anordnung des trefflichen Bildes sind von der höchsten Schönheit. Der einfache edle Ausdruck im trefflichen Kopfe des Prinzen, und die Mannigfaligkeit der Stellungen ohne alle Verworrenheit, können nicht genug gepriesen werden.

Die beiden andern Gemälde sind von Tizian. Eins davon stellt eine kleine Prinzessin vor, ein gar liebliches Kind von etwa fünf Jahren, dessen anmuthige Naivität mit dem reichen schweren Sammtkleide und dem Juwelenschmuck einen wirklich rührenden Kontrast bildet. Sie schmiegt das allerliebste Köpfchen an einen großen Pudel, der sie mit klugen Augen anschauet, so daß man nichts Freundlicheres sehen kann, als dieses Gemälde.

Ernster und erhabener ist das zweite, aber auch von viel höherer Schönheit.

Unter einem großen Baum, mitten in einer anmuthigen Landschaft, unter dunkelblauem italienischen Himmel, sitzt die Madonna mit ihrem Kinde, so einfach und so ädel, dabei so lieblich, als man es sich nur denken kann. Ihr dienend, knien zu beiden Seiten zwei Engel in Jünglingsgestalt, mit herrlich großen purpur- und azurfarbnen Flügeln, in schimmernden Gewändern, deren Falten weit umher den Boden bedecken, und mit dem frömmsten heiligsten Abdruck in den wunderschönen Köpfen. Es ist ein Bild, von dem man sich gar nicht wieder wegwenden kann, und dabei trefflich erhalten.

Eine Kunsthandlung, wie diese, in meiner Nähe wäre mir fast noch lieber, als eine Bildergallerie. Diese hier ist wirklich eine, nur daß die Gemälde darin wechseln, und das vortreffliche nach und nach an uns vorüber zieht, doch immer langsam genug, um es, recht aufgefaßt, im Gemüth fest halten zu können. Und dabei hat man noch den Vorzug, jedes einzeln zu sehen, und nicht durch die Menge geblendet zu werden.

Die Zeit, die Allem ein Ende macht, der Freude wie dem Leid, führt auch das meines hiesigen Aufenthaltes herbei.

Noch ist der Himmel blau, und die Sonne sendet Mittags noch warme Strahlen herab, aber die düstern Nebel, welche Abends die gegenüberstehenden Häuser uns oft unsichtbar machen, die goldgefärbten Blätter, welche langsam an den Bäumen sinken, ohne daß ein Hauch sie berührt, alles ruft mir zu, daß die letzten Tage des Octobers da sind, und ich die Heimreise antreten muß.

So wäre denn nun auch diese Reise beendet, auf die ich mich Jahre lang freute, wo ich alles, was ich von ihr hoffte, fand: Gesundheit, Erholung nach langen Stürmen, frohes Gefühl der wieder gewonnenen Freiheit und Stoff zu tausendfacher Erinnerung.

Nie vergesse ich der mannigfachen Freuden, welche mir Natur und Kunst an den schönen Ufern des Mains, des Rheins und des Neckars in diesen vier Monaten gewährten. War gleich der Himmel mir nicht immer günstig und freundlich, waren es doch die Menschen überall, wo ich verweilte.

Manche schöne Stunde des Wiedersehens älterer Freunde habe ich gefeiert, manche neue gefunden, die mich ein gleiches frohes Wiedersehen hoffen lassen, wenn späterhin mein Lebensweg mich wieder in ihre Nähe bringen sollte. Darum, ich bekenne es Ihnen, wird mir der Abschied recht schwer.

Gewiß, ich freue mich herzlich auf das Wiedersehen meiner Freunde in Weimar, auf das Leben mit ihnen Allen im gewohnten traulichen Kreise, sogar auf meine Wohnung und meine durch eine Reihe von Jahren mir liebgewordenen Umgebungen. Aber immer ergriff mich ein trübes, wehmüthiges Gefühl, wenn ich am letzten Ziele einer Reise die Deichsel meines Wagens zum ersten Male wieder dem Rückweg zugewendet sah, und heut bemächtigt es sich meiner unwiderstehlich. Denn nicht nur von meinen Mannheimer Freunden nehme ich Abschied, auch von allen, die mir auf diesem Wege begegneten und mich freundlich unter sich aufnahmen. Alle glaube ich in diesem Augenblicke um mich versammelt zu sehen und Allen rufe ich ein herzlich gemeintes Lebewohl zu; auch dem Rheine und den ihm befreundeten Ströhmen, die mich auf silbernen Wogen so oft dahin trugen durch paradiesische Gegenden, blühenden Ufern entlang und herrlichen Felsen, zu freundlichen Städten.

Und nun wollte ich, es wäre schon eingespannt und ginge rasch vorwärts, der Heimath zu, damit die Nähe derselben mir bald tröstlich erschiene.

Uebrigens ist die Mannheimer Bühne noch an vorzüglich guten Komikern besonders reich, und den Herren Kaibel, Thürnagel, Müller verdanke ich manche fröhliche Stunde, manches recht herzliche Lachen, das sie durch ihr treffliches Spiel zu erregen wissen, ohne doch weder den Anstand, noch die Wahrscheinlichkeit zu verletzen.

Nicht nur Schauspiel und Musik, auch die bildenden Künste finden in Mannheim Schutz und rege Theilnahme. Außer der bedeutenden Bibliothek und einem Naturalienkabinet werden im Schloß noch mehrere Kunstsammlungen bewahrt, die ohne alle Schwierigkeit dem Künstler und dem Kunstfreunde offen stehen. Eine reiche Sammlung vortrefflicher Abgüsse der vorzüglichsten antiken Statuen und Büsten, eine von Kupferstichen, und eine Gemälde-Gallerie füllen mehrere Zimmer an.

Die Mappen der Kupferstichsammlung betrachtete ich auch hier nur von außen; sie genau durchzusehen, würde mehr Zeit erfordern, als ich in diesen kurzen Tagen darauf verwenden kann, aber Kenner versichern mich, daß sie viele treffliche und seltene Blätter enthalte.

Die Gemäldegallerie gehört zwar nicht zu den bedeutendsten in Deutschland, enthält aber doch manches treffliche Bild, besonders aus der niederländischen Schule.

Ich würde gewiß viele Morgen in ihr mit Vergnügen verweilen, wenn ich hier wohnte; auch fällt es Lehrlingen in der Kunst nicht schwer, die Erlaubniß zu erhalten, nach den Abgüssen zeichnen oder ein Gemälde kopiren zu dürfen. Ich bemerkte hier besonders einige ganz vortreffliche Bilder von Tennier, von Netschen, von Rubens, von Kerburg und andern berühmten Meistern, ein Paar sehr schöne Landschaften von Ruisdael, auch sonst noch so manches Vorzügliche, und das nur im Vorübereilen. Bei näherer Bekanntschaft würde ich gewiß noch vieles entdecken, das mich anzöge.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ausflucht an den Rhein von Johanna Schopenhauer