Aus dem Schweriner Museum - Über Nikolaus Knüpfer, und einige seiner Gemälde

besonders über seine „Jagd nach dem Glück“ (sog. Contento) in München und Schwerin. Zugleich ein Beitrag zur Elsheimer Frage. Von Friedrich Schlie
Autor: Schlie, Friedrich Dr. (1839-1902) Professor, Archäologe und Kunsthistoriker, Direktor der Großherzoglich-Schwerinschen Kunstsammlungen, Erscheinungsjahr: 1896

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Enthaltene Themen: Mecklenburg, Kunst, Friedrich Schlie, Nikolaus Knüpfer, Elsheimer, Malerei, Schweriner Museum, Galerie zu Schwerin und München
Wie wenig der Meister Nikolaus Knüpfer noch vor Kurzem bekannt war, wird am besten dadurch bewiesen, dass im Jahre 1891 ein zweifelloses Werk seiner Hand, das für eine Arbeit des Ferdinand Bol angesehen wurde, dazu dienen sollte, die Grundlage zu einem Neubau der holländischen Kunstgeschichte zu bilden und keinen Geringeren als Rembrandt von seinem Thron zu stoßen.

Der Fall Lautner, auf den ich mit diesen Worten hinweise, hat heute nur noch ein pathologisches Interesse: erstens zeigt er, wie blind und wagehalsig in der trefflichen Stadt Breslau diejenigen waren, welche dem unglücklichen Buche „Wer ist Rembrandt“ zu Licht und Leben verhalfen, zweitens dient er für immer zur Warnung.

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Doch ergibt sich aus dem Breslauer Vorgang eine für uns nicht ganz wertlose Schlussfolgerung, die nämlich, dass ein Gemälde, welches unter der Aegide einer Excellenz zu einem schön gedruckten Buche Anlass geben und einen ganzen Geschichtsbau über den Haufen werfen sollte, kein unbedeutendes Werk sein könne, sondern immerhin ein gewisses Maß von Stoßkraft und vielleicht auch noch etwas in sich haben möge, das es mit der Kunst großer Meister, wie Rembrandt und Bol, in irgend einer Weise verbinde.

In der Tat bewährte das Bild seine Kraft aufs Nachdrücklichste, nur stieß es nicht den um, auf welchen es abgesehen war, sondern den, der es als Waffe gebrauchen wollte. Und viel fehlte nicht, dann wären auch Andere, die vorschnell dem Autor ihre Sympathie kundzugeben bereit waren, in den tragikomischen Sturz mithineingezogen worden.

Doch die Götter hatten ein Einsehen.

Wer aber ist der, dessen Verkennung soviel Unheil nach sich ziehen sollte? Ist es wirklich ein Meister, dessen Werke dazu verführen können, ihn mit Rembrandt und Bol zu verwechseln?

Nun, Nikolaus Knüpfer ist keiner jener großen Maler ersten Ranges, deren Name genügt, um eine ganze Flut angenehmer Empfindungen und Vorstellungen in die Seele zu rufen, doch hat er seine Vorzüge und Eigenarten. Er ist ein Meister zweiten Ranges, aber er ist ein Mann, dem man, sobald es sich in der Kunstgeschichte um Darlegung des Wechselspiels von Ursachen und Wirkungen handelt, nicht ungestraft vorbeigeht, und den man schätzen lernt, je länger man sich mit ihm beschäftigt. Ja, er ist einer, der viel mehr bedeutet als wofür er heute noch angesehen wird.

In der kunstgeschichtlichen Literatur des XVII. und XVIII. Jahrhunderts, bei den Biographen und in den Auktionskatalogen, begegnen wir seinem Namen und seinen Werken oft genug. Dem Nachdruck, der nicht selten darauf gelegt ist, lässt sich entnehmen, dass er in seiner Zeit sogar ein sehr geschätzter Meister war. Das XIX. Jahrhundert aber ist ihm bis in unsere Tage hinein nicht gerecht geworden, es hat ihn ohne Grund vernachlässigt, ja es gab Dezennien, in denen er beinahe vergessen war. Das kann man behaupten, wenn man sieht, wie ihn Waagen in seinem bekannten Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen nur beiläufig mit einer halben Druckzeile streift. Das tritt noch mehr in die Augen, wenn man wahrnimmt, dass Bode, dessen Vorzug es sonst ist, die Kleineren und Kleinsten an seinem Wege mit Liebe aufzuspüren, in seinen zweimal herausgegebenen Elsheimer-Studien, in denen gerade für Knüpfer ausreichender Raum hätte übrig sein sollen, gar keinen Platz für ihn hat. 1) Weniger auffällig dagegen mag es erscheinen, wenn ein Mann wie Janitscheck, dessen Spezialstudien auf anderen Gebieten lagen, ihn in seiner Geschichte der deutschen Malerei kurzer Hand unter die Holländer weist und Anderen, die es weit weniger verdient hätten, einen viel größeren Raum gewährt.

Der Einzige, der in neuerer Zeit dem Knüpfer das gegeben hat; was ihm in einem Handbuch der Malerschulen als Wenigstes zukommt, ist Wörmann. Nach einer Aufzählung seiner Werke wirft er am Schluss einen Blick auf das bekannte schöne Familienbild in der Königlichen Gemäldegalerie zu Dresden und spricht ein Urteil aus, das man sich gefallen lassen kann: er nennt ihn einen deutschen Künstler, der den besten gleichzeitigen Holländern ebenbürtig erscheine.

Dennoch ist es unsere Meinung, dass der Meister mehr als bisher beachtet werden muss und dass das kunstgeschichtliche Urteil über Knüpfer eine andere Fassung erfordert. Vielleicht lässt sich, um ihn richtig zu charakterisieren, ein Ausdruck finden, der ihn aus seiner Zeitgenossenschaft in besonderer Weise heraushebt, und wir haben ferner, wie es hier schon gesagt und nachher noch näher dargetan werden soll, die Überzeugung gewonnen, dass sein Verhältnis zu Elsheimers Kunst ein anderes ist als dasjenige, welches in neuerer Zeit auf Grund der Darlegungen im Schweriner Katalog von 1882 Geltung erhalten hat und von Anderen vertreten worden ist.

Zunächst mögen seine Lebensdaten beleuchtet werden.

Die Primärquellen (Urkunden, Akten, notarielle Beglaubigungen aus seiner Zeit, eigenhändig bezeichnete Gemälde mit Daten) ergeben bis heute für seine Biographie nur wenige unumstößliche Fixpunkte: es sind die Jahre 1637, 1649, 1651 und 1654.

Das Datum 1637 stammt aus den Akten der Lukas-Gilde zu Utrecht. Dort heißt es, dass Nikolaus Knüpfer im Jahre 1637 als Passant, also nicht als ordentliches Mitglied, in die Genossenschaft der Maler aufgenommen wurde.

Das Wort „Passant“ fällt auf, es lässt sofort vermuten, dass er von Geburt kein Holländer war, sondern aus der Fremde kam.

Was das Jahr 1649 betrifft, so ist es das Jahr einer kunstgeschichtlich bekannt gewordenen Lotterie, nämlich der Lotterie des Jan de Bondt. Unter den im Juli dieses Jahres auf dem Castell Wyck-by-Duurstede verloosten Gemälden finden sich drei Bilder von unserem Knüpfer: 2) eine Sophonisbe, ein Diogenes und ein Addalonibus (sic!!!). Von diesen wird der Diogenes als ein Hauptwerk bezeichnet und erlangt neben einem de Heem, J. B. Weenix und Munstert (?) den vierthöchsten Preis. 3)

Diese Tatsache beweist, dass er um die Mitte des XVII. Jahrhunderts ein Mann war, der den besten holländischen Malern an die Seite gesetzt wurde. Das Jahr 1649 aber hat noch eine weitere Bedeutung für Feststellungen in Knüpfers Lebensgange. Es ist das Jahr, in dem die später von C. de Bie benutzte Meyssens'sche Bildnis-Sammlung erschien, welche unter anderen den Jode'schen Stich nach Knüpfers Selbstporträt mit längerer Unterschrift enthält. 4)

Die anderen beiden Data, welche als Fixpunkte Bedeutung haben, 1651 und 1654, hat Knüpfer auf zwei Bildern seinem eigenhändig hingesetzten Namen hinzugefügt. Das eine Bild ist die „Jagd nach dem Glück“ im Großherzoglichen Museum zu Schwerin, das andere ist das „Gebet des Tobias an seinem Hochzeitsbett“, das sich im Museum zu Utrecht befindet.

Beide Bilder zeigen den Künstler auf der Höhe seines Schaffens und nehmen sehr für ihn ein.

Weitere feste Data sollte man aus den sächsischen Archiven, besonders denen der Stadt Leipzig, erwarten, welche von den Primär- und Sekundärquellen als seine Heimat bezeichnet wird. Allein die Durchsuchung der Taufregister, Leichenbücher, Notariatsinstrumente, Bürger- und Steuerrollen hat kein Ergebnis gehabt. 5)

Darf man sich aber daraufhin das Recht anmaßen, die Angaben von nicht weniger als vier Zeitgenossen, der Holländer Cornelis de Bie, Jan Meyssens und Petrus de Jode im Gulden Cabinet (1661) und des Amsterdamer Stats-Doctors Jan Sysmus in seinem Schilderregister (1669 oder 1678) 6) sowie des Deutschen Joachim Sandrart in seiner Akademie (1675) für falsch zu halten, welche alle den Nicolaus Knüpfer einen Leipziger nennen?

Gewiss nicht ohne Weiteres. Denn es sind allerlei, keiner weiteren Ausführung bedürfende Möglichkeiten denkbar, dass Knüpfer in Leipzig oder in einer Vorstadt von Leipzig geboren und sein Name dennoch in keines der Kirchen- und Stadtregister eingetragen wurde.

Oder er nannte sich im Auslande vielleicht schon deshalb einen Leipziger, weil er aus der Nachbarschaft von Leipzig oder überhaupt aus Sachsen stammte: was ja schließlich keinen großen Unterschied macht.

Immer bleibt es zu beachten, dass Knüpfer im Utrechter Gildenbuch nur als „Passant“ verzeichnet ist, was, wie bereits bemerkt, darauf hinweist, dass er kein Utrechter war, sondern aus der Fremde kam.

Es ist ferner zu beachten, dass er einen hochdeutschen Handwerksnamen (Knüpfer, soviel als Posamentier) trägt, der das plattdeutsche Land als Herkunftsland der Familie ausschließt und in Sachsen, speziell in Leipzig, noch heute mehrmals nachgewiesen werden kann.

Es ist endlich sehr wohl anzunehmen, dass Knüpfer selber und zeitgenössische Holländer dagegen aufgetreten sein würden, wenn der Niederländer de Bie, der sein Buch höchst wahrscheinlich noch bei Lebzeiten Knüpfers verfasste, ihn fälschlicherweise zu einem Deutschen gemacht hätte.

Wir haben deshalb keinen Grund, den Erzählungen der de Bie, Meyssens, Sysmus und Sandrart, die sehr wohl auf das Beste über ihn unterrichtet sein konnten, mit Misstrauen zu begegnen. Wir haben um so weniger Grund dazu, als sie mit den zuerst genannten, aus untrüglichen Quellen gewonnenen Lebensdaten des Künstlers im Einklänge sind.

Cornelis de Bie erzählt, dass Nikolaus Knüpfer im Jahre 1603 in Leipzig von ehrlichen Eltern (van eerlyke ouders) geboren wurde, dass er schon als Knabe eine Szene aus der Odyssee an die Wand seiner Kammer malte und zuletzt mit Einwilligung des Vaters den Beruf des Künstlers erwählte. Zwei Jahre hindurch sei er darauf von einem Leipziger Maler Emanuel Nyfsen unterwiesen worden, der ihn aber zu den gewöhnlichsten Verrichtungen missbraucht habe. Dann sei er nach Magdeburg gekommen und hier bis zu seinem 27. Lebensjahr geblieben. 1630 sei er nach Utrecht gelangt und in das Atelier Abraham Bloemaarts eingetreten. Bei diesem Meister habe er seine künstlerische Vollendung erhalten. Zuletzt sei die Aufmerksamkeit des Königs von Dänemark auf ihn gelenkt worden, für den er drei kunstreiche Bilder gemalt habe. 7) Aber auch in Amsterdam, Utrecht und an anderen berühmten Orten seien merkwürdige und sehenswerte Malereien von ihm vorhanden.

Vierzehn Jahre später bestätigt der alte Sandrart, der ein weitgereister und gelehrter Mann war und, gleich dem Cornelis de Bie, den Nikolaus Knupfer recht gut gekannt haben kann, diese Nachrichten, macht aber einen Zusatz, der nicht übersehen werden darf, weil er für die Beurteilung des Meisters wichtig ist.

Er sagt nämlich, dass Knüpfer besonderen Ruhm gehabt habe „wegen der mit Ölfarben gemahlten zierlichen Historien, als die er meistens in klein, aber sehr ingeniös gebildet, defshalben sie sehr gesucht und bey Monarchen und grossen Herren wol beliebt waren, wie dann absonderlich Ihro Mayest. dem König in Dennemark viel zugesandt worden, dem Lob an allen Orten erschollen, dahero ich auch Willens gewesen, dieselben eigentlich zu beschreiben, bin aber wegen meiner beschleunigten Abreifs von dannen, selbige zu sehen, verkürzet worden“. 8)

Was endlich die späteren holländischen Quellenschriften über Knüpfer berichten, geht auf die ebengenannten zurück und bedarf keiner Erwähnung. Hie und da findet man besten Falles eine Angabe über das eine und andere seiner Bilder hinzugefügt. So nennt Campo Weyermann, Levens-Beschryvingen II (1729), S. 13, ein Liebespaar (Hirt und Hirtin) und rühmt daran die sittsame Auffassung. Descamps, Vie des peintres etc. II, (1754), S. 74, zählt drei Bilder auf, die er bei M. Fayel (alias Fagel) im Haag gesehen habe: „une jolie femme qui est en prière, tableau très fin; im autre, l'assemblée des Dieux, et im troisième, des Enfants au milieu des fleurs.“ Füssli, in seinem Lexikon (1779 und 1806), erwähnt eine Radierung von C. G. Geyser nach einem Gemälde mit der Darstellung des Rosen- oder Johannis-Festes, das sich im Winkler' schen Kabinett befand. Immerzeel, De levens en werken etc. (1843) sagt: „Wij zaagen vor verscheiden jaren te Utrecht van dezen meester een historieel schilderstuk met verscheiden juist geteekende en keurig geschilderde figuren, heerlijk van koloriet en effect“ — gibt aber den Gegenstand nicht an. Kramm, De levens en werken etc. (1857) erzählt ohne Angabe der Quelle: „Hij heeft lang te 'sHage gewoond, waar hij zeer veel aanmoediging genoot. Als een zijner vornaamste werken Staat vermeld: Eene offerhande aan de Fortuin, dewelke op bevel van den Goden door Merkurius naar den Hemel wordt getrokken. Dit is een zeer schoon stuk, deftig in zyn bywerk, gansch aardig den voorleden Actietydt met deszelfs uitkomst verbeeidende; zynde zeer opmerkelyk en vol gewoel, door Knupfer; hoog 1 vt. 5 d., br. 1 vt. 9 d.“ Zie Catalogus der Verkooping van Jaques Meyer, Rotterdam, 1722, waar het, in dien flaauwen tijd, de som van F. 556 opbragt, en welk stuk later het kabinet van wijlen den griffier Fagel, te s'Hage, versierd heeft.“ Die Beschreibung des Bildes stammt aus dem Katalog von Gerard Hoet I (1752), S. 281. Dass es kein anderes als das Schweriner Bild vom Jahre 1651 ist, meine ich schon 1882 im größeren Katalog der Großherzoglichen Galerie, S. 320, ebenso wahrscheinlich gemacht zu haben wie die Verkehrtheit seiner Benennung bei Hoet und Kramm. Vielleicht ist es auch identisch mit der Assemblée des Dieux bei Descamps, wie andererseits „une jolie femme qui est en priere“ möglicherweise mit dem Tobias -Bilde von 1654 ein und dasselbe Bild ist. Ungenauigkeiten in der Bezeichnung und Beschreibung von Bildern sind in älterer Zeit bekanntlich nichts Seltenes.

Außer den bisher angegebenen sind zuletzt noch zwei in späterer Zeit erst auftretende Nachrichten anzuführen, die eine, dass Jan Steen, und die andere, dass Ary de Vois Knüpfers Schüler war. Diese stammt aus Houbrakens Schauburg (1718) II, S. 162, jene aus Campo Weyermans Levensbeschryvingen (1729) II, S. 348. Houbraken erzählt: „Ary de Vois is geboren te Leyden in't jaar 1641. Zijn Vader, die orgelist tot Leyden was, bespeurende dat zyne genegentheid tot het leeren van de Schilderkonst overhelde, bestelde hem eerst tot Utrecht by Kniffert“ .... Weyermann erzählt von Jan Steen: „Is geboren tot Leyden, in den jaare duyzentfeshondertfesendertig .... (wahrscheinlicher 1626). Zyn Vaders naam was Havik Janfze Steen, een Brouwer tot Leyden, die gewaarschouwt zynde dat er geeft ftak in den Jongen (zelfs kon Havik zo diep niet zien), zo beftelde hy hem eerst by Knuffer, tot Utrecht....“

Beiden Nachrichten entnehmen wir die Ansässigkeit Knüpfers zu Utrecht, auf die auch sonst alles hinweist. Da uns ferner in den Werken dieser Schüler Züge begegnen, die der Art des Meisters verwandt sind und in ihr ihren Ursprung haben können, so haben wir ausreichende Veranlassung, sie nicht zu übersehen.

Damit sind nun im Vorstehenden alle Daten zusammengestellt, aus denen auf seine Zeit und seinen Lebenslauf geschlossen werden kann. Wollen wir aber seine Kunst kennen lernen, so müssen wir die Bilder prüfen, die er gemalt hat.

Die Basis dafür kann selbstverständlich nur in den von ihm selbst beglaubigten Gemälden gefunden werden. Sie sind es, die die Kriterien auch für solche Bilder ergeben müssen, auf denen sein Name verwischt worden, und die ihn doch einmal mit Recht geführt haben.

Es bedarf also zu einer Feststellung seines Werkes einer eingehenden Betrachtung und Analyse jener ersteren. Am besten aber machen wir den Anfang mit einer Besprechung des figurenreichen Schweriner Bildes, das einer der wichtigsten Ausgangspunkte für die Beurteilung Knüpfers ist.

Der erste Eindruck ist der eines fast unentwirrbar erscheinenden Menschen-Gewimmels. Dann sieht man, dass Himmel und Erde mit einander verbunden sind. Die Wolken haben sich aufgetan, und die olympischen Götter sind sichtbar geworden.

Sie haben ihren Boten, den Gott Hermes oder Merkurius, auf einer Wolke hernieder gesandt, um eine Frauengestalt emporzuholen, die die Menschen auf Erden nicht fahren lassen wollen.

Der Gott hat große Mühe, sie zu heben. Die Menschen reißen ihr buchstäblich die Gewänder vom Leibe.

Durch dieses ungewöhnliche Ereignis ist nun eine Feier gestört worden, die links in einem Tempelgemäuer des Vordergrundes vor sich geht. Es handelt sich um eine heilige Handlung vor der Statue eines Zeus, der oberhalb eines Altars in einer Nische sitzt.

Jederseits, rechts und links vom Altar, ein Knabe, der eine kranzumwundene brennende Fackel hält. Auf dem Altar selbst eine Tafel mit hebräischen Lettern. An den Stufen des Altars viele lorbeerbekränzte Ministranten: ein ganzer Sängerchor, in Kostümen, welche an den katholischen Cultus erinnern. Knaben mit Weihrauchfässern. Betende, Kniende. Ein Opferzug mit bekränzten Stieren, Schafen und Lämmern : alles das in altrömischem Stil.

Aber es ist zu beachten, dass die heilige Handlung durch die Himmlischen selber gestört worden ist.

Sie scheinen auf den Dienst der Menschen nicht mehr zu geben. Erschreckt, erzürnt, und vielleicht auch scheltend, wendet sich der Oberpriester am Altar an die tobende Menge.

Aber sie hört nicht auf ihn.

Neben ihm steht ein zweiter Priester, der ein junges Ehepaar einsegnet. Der Priester und der junge Mann lassen sich nicht stören, aber die junge Frau sieht entsetzt auf den Diebstahl oder Menschenraub, den Merkur im Auftrage der Himmlischen begeht. Auch die Trauzeugen werden dadurch in Aufregung versetzt. Ebenso die Zuschauer in einer Säulengalerie des Heiligtums.

Zu dem ganzen Lärm gesellt sich Posaunen- und Trompeten-Musik von einer oberen Galerie, die, wie der ganze Bau, unter freiem Himmel ist.

Am tollsten ist das Gedränge unmittelbar unter der emporgetragenen Gestalt. Man sieht alle Stände, Vornehm und Gering, Jung und Alt, Männer und Frauen, ehrliche und unehrliche Leute, einen Ritter zu Pferde, ja zuletzt, hoch zu Ross, den Kaiser und den Papst, beide mit vielem Gefolge. Sie kommen alle heran, sie wenden alle ihren Blick zu der fortgetragenen Gestalt empor, die uns mittlerweile, d. h. bei dieser Art von Betrachtung, ihr Wesen enthüllt.

Es ist die Glücksgöttin, die Fortuna, um die sich Alles reißt. Alle wollen etwas von ihr haben, und wenn es zuletzt auch nur ein Zipfel ihres Gewandes ist. Nur Wenige giebt es, die nicht mit Leidenschaft für sie erfüllt sind.

Da ist zuerst eine Gruppe von Kindern. Sie lassen einen Drachen steigen. Und ihr Drache führt auf jedem Seitenflügel die bezeichnende Aufschrift „Content“. Kinder sind mit Wenigem zufrieden. Mit Wenigem ist auch der am Wege kauernde Bettler zufrieden. Mit Wenigem vielleicht auch der ernst und ruhig seines Weges schreitende Nachkomme Muhameds in grünem Turban. Auch der stämmige Austernfischer, der eben vom Fange kommt und seine Leckerbissen für Geld und gute Worte gerne Anderen überlässt. Vielleicht auch das Liebespaar, das, weiter zurück, auf dem Wege wandelt, und vorläufig noch nichts anderes im Sinne hat, als wie es für sich sein und bleiben möge.

Ob auch alle Übrigen im Mittelgrunde und Hintergrunde zu den zufriedenen Leuten gerechnet werden sollen, müssen wir dahin gestellt sein lassen. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

Da sieht man auf einem Wasser den Vorgang eines Fischfanges, im Freien ein Piknik, weiterhin ein Wettrennen von Pferden und Menschen, auch sonst allerlei Kurzweil, Schaubuden, ein Treiben wie auf dem Jahrmarkt.

Dahinter römische Gebäude, Rundtürme, zwischendurch die weitere Landschaft, und zuletzt das Meer, das mit hochmastigen Schiffen bedeckt ist.

Nur einer erscheint rechts im Bilde, dem man es gleich ansieht, dass er mit dem ganzen Spektakel nichts zu tun haben will.

Es ist der Maler selber, in der Tracht seiner Zeit. Er steht, stemmt beide Hände in die Seiten und lacht aus vollem Halse, den Kopf zurückgebogen und die Knie etwas vorgestreckt. Er lacht über die Torheit der Menschen: „O, ihr Narren, die ihr glaubt, mit Singen, Beten, Opfern, mit Erlangung von Würden und Ehren, mit erlaubten und unerlaubten Genüssen und Freuden der Welt das Glück zu erjagen — in was für einem Irrtum befindet ihr euch! Seht ihr denn nicht, dass ihr mit dem Neide der Götter zu kämpfen habt? Sie gönnen euch nichts von eurem Glück, sie nehmen es euch, sie brauchen es selber, sie sind nicht besser und nicht klüger als ihr.“

So ruft er mit lachendem Munde.

Diese offenbare Geringschätzung der Götter gibt der Künstler auch in ihrer Auffassung und Behandlung zu erkennen. Nichts von himmlischer Würde und Majestät! Der Merkur ist weit entfernt von der Schönheit und Feinheit des griechischen Götterjünglings. Er ist ein derber Geselle, nicht die Spur von Grazie in seinen Bewegungen, keuchend und hohnlachend schleppt er seine Last zum Zeus hinauf. Zeus aber gleicht ihm an Würdelosigkeit, er unterscheidet sich um nichts von den Männern auf der Erde, die an den Gewändern der Göttin zerren.

Die himmlischen Frauen, die um ihn versammelt sind und der Ankunft der Glücksgöttin entgegensehen, die auch nichts weniger als ein bezauberndes Antlitz hat, rufen, schreien und gestikulieren ebenso wie ihre irdischen Schwestern.

Der ganze Olymp sieht aus wie eine heruntergekommene Gesellschaft; die zur Aufbesserung ihrer Verhältnisse der Glücksgöttin ebenso zu bedürfen scheint wie die menschliche Gesellschaft auf Erden. Will man einen Vergleich machen, so bietet sich fast von selbst der mit den Göttergesprächen des Lukian, oder auch der mit den Operetten Offenbachs. Der Geist, der diesen Hexen Sabbath geschaffen hat, ist der zersetzende Spöttergeist jenes Schriftstellers, der die alten Götter nicht mehr ehrt, oder der jenes leichten Musikers, der für die Himmlischen nichts weiter übrig hat als eine Art burlesken Katzenjammers in den Tönen geschickt behandelter moderner Melodien.

Der höchste Grad von Verachtung der Jagd der Menschen nach dem Glück kommt hier zum Ausdruck. Und zwar in geistvoller Weise, mit einer künstlerischen Beherrschung der Massen, mit einer Tüchtigkeit des Zeichnens und Modellierens in Licht und Luft, mit einer Feinheit von Farben -Akkorden, mit einem Gefühl für Ton und Schönheit: dass der Vergleich mit den besten Meistern der Vergangenheit und Gegenwart gerechtfertigt ist.

Das ist in der Tat nicht zuviel gesagt.

Legen wir uns einmal mit Ernst die Frage vor: Verstehen Menzel und Pradilla so etwas in ihren kleinfigurigen, die Massen beherrschenden Bildern irgend wie besser? Wir möchten das nicht behaupten.

Aber dies Werk ist unserm Knüpfer nicht in den Schoß gefallen wie eine plötzliche Offenbarung. Es hat seine Vorstufen, anscheinend sogar gar nicht eine, sondern mehrere, es ist das Ergebnis einer langsam gereiften, immer wieder aufgenommenen Arbeit, die dadurch nichts von ihrem Werte verliert.

Eine dieser Vorstufen nun ist das kleinere Bild in München.

Es ist derselbe Vorwurf, dieselbe Sache, wenngleich, für sich allein, nicht so schnell verständlich wie auf dem größeren Bilde. Es fehlt aber der sich öffnende Himmel der Olympischen, Papst und Kaiser sind nicht mit in der Menge, sondern erscheinen nur als Bilder auf einem Teppich der Tempelhalle.

Dafür macht es aber den Eindruck, als wenn die Statue des Zeus, vor welcher das Opfer vollzogen werden soll, lebendig geworden wäre. Zeus ist unzufrieden mit dem Getobe der Menschen, er trampelt mit Händen und Füssen, er wirft seinen Blitz. Er hat buchstäblich seine statuarische Ruhe verloren.

Also auch hier dieselbe, fast noch ärgere Würdelosigkeit des Gottes wie auf dem größeren Bilde. „In den Hades, ihr unsinnigen Menschen — ruft er wollt ihr meine Tochter Fortuna endlich einmal in Ruhe lassen! Auf mein Sohn Hermes, entführe sie von der Erde fort in den Olymp.“

Diese Deutung hat nun freilich das Münchener Bild bisher nicht gehabt. Man hat sich den Kopf darüber zerbrochen, was dieser Vorgang sei und bedeute. Erst das größere Bild in Schwerin verbreitet das richtige Licht darüber.

Die Akten über das Schweriner Bild, das im Wesentlichen stets richtig gedeutet worden, gehen bis 1722 zurück.

Damals ging es, wie wir gesehen haben, von einer Privatsammlung des Haag 9) in die andere über und brachte bei dieser Gelegenheit einen Preis, der für jene Zeit sehr hoch zu nennen war: 556 Gulden.

Wahrscheinlich kam es direkt aus dem Hause Fagel in die Galerie des Herzogs von Mecklenburg, der schon frühe zu sammeln begann und bis zu seinem Tode im Jahre 1756 seine Agenten wiederholt nach Holland schickte. Wir haben aber bis heute nichts Näheres hierüber ermitteln können.

Von 1792 an figuriert es in den gedruckten Katalogen der Schweriner Galerie. Vgl. Kat. S. 320.

Der gelehrte alte Sandrart beschreibt nun in seiner bereits genannten Akademie ein ganz ähnliches Bild, das er im Jahre 1666 bei einem Herrn Du Fay in Frankfurt sah, und nennt als Urheber desselben den Adam Elzheimer.

Aber seine Beschreibung leidet an Unklarheiten und beweist schon damit eine gewisse Mangelhaftigkeit der Überlieferung über dieses Bild. So nennt er z. B. die Gruppe in der Luft nicht Merkur und Fortuna, sondern sagt: „In der Luft schwebet das Verlangen oder Contento in zweien anmutigen Bildern vorgestellet.“

Das sind unstatthafte Verschwommenheiten und Widersprüche. Verlangen ist ja das Gegenteil von Zufriedenheit und Contento.

Vergleicht man im Übrigen seine Beschreibung, so stimmt sie zu dem Münchener Bilde besser als zu jedem andern.

Er könnte also immerhin gerade dieses Bild vor sich gehabt haben.

Dann aber irrt er in der Zuteilung an Elsheimer.

Und woher der Name Contento?

Der kommt ja nur auf dem Schweriner Bilde vor und passt hier sehr gut zu der Stelle wo er steht. Die Kinder, die den Drachen steigen lassen, sind ja eigentlich die einzigen, die zweifellos das Bild der Zufriedenheit darstellen. Wie das Rätsel lösen? Es gäbe eine Möglichkeit. Elsheimer könnte irgend ein Mal ein ähnliches Bild gemalt haben.

Ja es gibt sogar Spuren, welche auf ein solches Bild hinweisen. Es hängt nämlich in einem Zimmer der Residenz zu München ein Bild mit der Jahreszahl 1617 von einem Schüler und Nachahmer Elsheimers, dem Johannes König, das dem Contento ähnlich ist und eine zweifellose Vorstufe von ihm darstellt, sich aber in vielen Einzelheiten, besonders in der Behandlung des Vordergrundes, von dem Bilde in der Pinakothek unterscheidet. Das könnte, wie gesagt, vermuten lassen, dass Elsheimer der Vater des Gedankens wäre. Dann hätte Knüpfer, ebenso wie König, in späteren Jahren diesen Gedanken aufgenommen, ihn umgestaltet und zwar von Grund aus, nachher noch auf verschiedene Art variiert und zuletzt im Schweriner Bilde zum Abschluss gebracht. 10 )

Aber wo ist dies Elsheimer'sche Bild? Niemand weiß davon.

Dass das Contento der Pinakothek kein Elsheimer ist, sondern von demselben Meister herstammt, der der Urheber des beglaubigten Schweriner Bildes ist, beweist die Vergleichung.

Prüft man im Münchener Bilde den Strich und die Führung der Hand, die Typisierung der Figuren, die Farbenakkorde und den zusammenhaltenden Grund- und Generalton, so sieht man sofort den durch die holländische Schule hindurchgegangenen Meister, speziell den in Bloemaarts Schule erzogenen Künstler. Man sieht einen gewissen naturalistischen Zug, den man in der Kunstgeschichte als holländischen Caravaggismus bezeichnet, und der besonders die Utrechter Schule kennzeichnet. Man sieht bei aller Vorliebe für ein buntes kräftiges Farben-Bouquet einen mit Grau gemischten ockerfarbigen Lehmton, wie er bei vielen Utrechter Meistern nachzuweisen ist.

Eine ganz besonders charakteristische Figur, eine ächte Utrechter Caravaggistengestalt, nur in kleinerem Format und mit feinerer Behandlung, ist die Venusdienerin rechts am Ende. Man braucht sich nur ähnliche Gestalten auf den großen caravaggistischen Bildern der Honthorst, Bronchorst, Bylaert, Terbrügghen und Anderer in die Erinnerung zu rufen, um zu wissen, wess Geistes Kind das Bild ist. Eine solche Figur z. B. würde Elsheimer niemals gemalt haben.

Ferner zeigen die Photographien beider Bilder, des kleineren wie des größeren, in ihren auf die Farbenakkorde schliessen lassenden Schatten- und Licht-Werten soviel Verwandtschaft, dass es kaum nötig ist, noch auf weitere Übereinstimmungen einzugehen.

Nichtsdestoweniger mögen einige Einzelheiten noch hervorgehoben werden.

Abgesehen von den übereinstimmenden Bewegungen und den vielen nach oben zur Glücksgöttin emporschauenden und deshalb perspektivisch verkürzten Gesichtern, wie wir sie in beiden Bildern sehen und wie sie durch den gleichen Vorgang bedingt sind, fallen auch die Typen der Männer und Frauen beider Darstellungen als gleichartig auf. Das oft vorkommende rundlich gebildete Frauenantlitz ist immer dasselbe, ebenso das derbe und sinnlich gebildete Untergesicht der Männer mit offenem rufenden oder schreienden Munde.

Der reitende Ritter rechts auf dem Schweriner Bilde ist dem auf dem Münchener Bilde ähnlich. Oder besser gesagt: er ist hervorgegangen aus einer Zusammenschweißung des Münchener Ritters mit dem hinter der nackten Frauengestalt auf demselben Bilde einhereilenden jugendlichen Manne, der den Arm an den Kopf legt. Die lorbeerbekränzten Köpfe, welche im Vordergrunde des Schweriner Bildes sichtbar sind, erscheinen ebenso links vorne auf dem Münchener Bilde. Ja, bis in den Hintergrund hinein finden wir frappierende Übereinstimmungen, wie die wettrennenden Pferde und Männer, welche an griechische und römische Spiele erinnern. Auch in Nebensachen ließe sich noch manches Ähnliche und Verwandte aufzählen, z. B. die Flechtung der Guirlanden, die ins Ziegelrot fallende Tönung der Gesichtswangen usw. usw. Prüfen wir aber das gegenseitige Verhältnis beider Bilder im Punkte der Anordnung des Ganzen, dann finden wir bald, dass das größere Bild als das vollkommnere das kleinere bedeutend überragt.

Auf dem kleineren gibt es Kompositionsschwächen, welche auffallen. 11)

Die den Vordergrund füllende Menschenmenge bildet eine dichte, schwere, eng zusammengekeilte Masse, welche sich von rechts nach links durch das ganze Bild schiebt. Die Masse ermangelt der natürlichen Verbindung mit den Spielen im Hintergrunde. Auch hebt sich die Gruppe des Merkur mit der Glücksgöttin nicht klar und verständlich genug aus dem Gedränge heraus.

Alles das ist auf dem größeren Bilde anders und besser.

Das Volksgewoge des Vordergrundes ist hier lichtvoll und übersichtlich in Gruppen geordnet, die Opferstiere, welche im kleineren Bilde der Länge nach erscheinen, sind hier schräge gestellt und tragen somit zu der gelösten Erscheinung des Ganzen wesentlich bei. Eine Verbindung dieses Vordergrundes mit dem Hintergründe ist dadurch in wirksamer Weise herbeigeführt, dass Kaiser und Papst, welche auf dem kleineren Bilde als eine Teppich Darstellung an der Wand des Tempels erscheinen, auf dem größeren Bilde in Wirklichkeit mit ihrem ganzen Gefolge von hinten her herangeritten kommen und somit die Menschenmassen nach dem Mittelund Hintergrunde hin bedeutend ausdehnen.

Dasselbe Prinzip des Lösens und Leichtermachens herrscht auf dem größeren Bilde in der Gestaltung der Architektur links und des Terrains rechts.

Kurzum, man sieht auf dem größeren Bilde überall das Bestreben, die Komposition in jedem Punkte der des kleineren Bildes gegenüber zu heben. Und zwar so, wie es einem Meister einfällt, wenn ihm das Werk als sein eigenes am Herzen liegt.

Das kleinere Bild ist eine Vorstudie zum größeren gewesen.

Als der Meister das kleinere fertig hatte, gefiel es ihm nicht mehr. Aber der Gegenstand war ihm zu interessant, um ihn fallen zu lassen. Er nahm ihn wieder auf. Zuletzt gelang er ihm in dem größeren Bilde zu seiner und, sagen wir, auch zu unserer vollen Zufriedenheit. Der Name „Contento“ aber wird durch irgend Jemand, der für die Grundabsicht des Künstlers kein Verständnis hatte (also gewiss nicht durch Knüpfer selber), von der Drachen-Inschrift des größeren Bildes auf die ganze Komposition beider Bilder übertragen worden sein.

Ja, es gibt noch andere Bilder mit Glücksjagden, die als Vorstufen zum Schweriner Bilde anzusprechen sind.

Eine besitzt das Museum in Basel. Da ist der Gegenstand wieder etwas anders behandelt. Es ist weniger gut als die beiden, welche wir eingehender betrachtet haben. Aber es ist vielleicht das erste unter allen, früher noch als das Bild von Johannes König, viel früher also als die beiden Bilder von Knüpfer. Ja, so fragen wir, sollte es vielleicht das gesuchte Bild Elsheimers sein und als solches zu seinen unreiferen Jugendwerken gehören? (S. Nachtrag.)

Diese Mehrheit gleichartiger Bilder eines und desselben Vorwurfes kann uns nicht Wunder nehmen. Wir haben auch in neuerer Zeit Beispiele davon, dass Künstler einen und denselben Gegenstand immer wieder vornehmen, bis er ihnen endlich so gelingt, wie sie es wollen. Wie viele Stadien fast fertiger Bilder hat z. B. die Medea von Anton Feuerbach durchlaufen, bis sie das wurde, was sie in dem Bilde der neuen Pinakothek geworden ist, einem der größten und ergreifendsten Werke unseres Jahrhunderts?

Ähnlich erging es unserm Knüpfer. Es war ein schweres Thema, erst zu allerletzt wurde etwas aus der Sache.

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Außer den vorerwähnten Bildern kennt man jetzt noch ungefähr zwanzig Werke von Knüpfer, die entweder durch eigenhändige Aufschrift des Meisters beglaubigt, oder durch vergleichende Studien sichergestellt sind.

So klein nun diese Zahl im Vergleich zu den Werken Anderer ist, so wird doch die Art des Meisters daran ausreichend offenbar.

Wohl die Hälfte ist biblischen Inhalts, es sind größtenteils Werke mit geschlossenem Licht im Innenraum, z. B. Salomo mit der Königin von Saba (Privatbesitz in Breslau), Salomo mit fremden Weibern Götzen anbetend (Braunschweig, Herzogliches Museum).

Außerdem kennen wir aus der Bibel die Bilder: Traumdeutung Josephs im Kerker, bei ihm der Mundschenk und der Bäcker Pharaos (Schwerin, Großherzogliches Museum); Tobias und seine junge Gattin (Utrecht, Museum); Esther vor Ahasverus (Petersburg, Eremitage); der arme Lazarus vor der Tür des Reichen (Lüttich, Städtisches Museum, dort unter dem Namen von J. B. Weenix, nach Mitteilung von Hofstede de Groot); Fußwaschung des Herrn, also Christus und die zwölf Apostel (Schwerin, Großherzogliches Museum); die Predigt des Paulus vor Festus in Gegenwart des Agrippa und der Berenike (Kopenhagen, Königliche Galerie).

Ein besonderes charakteristisches Bild unter diesen ebengenannten ist das des jungen Tobias und seiner Gattin vom Jahre 1654. Beide beginnen ihre Ehe mit Gebet. Aber die junge Gattin scheint nicht recht aufmerksam zu sein. Die Gruppe erinnert an die Einsegnung des jungen Paares auf dem Schweriner Bilde (s. o.). Sie erinnert auch an den Ehekontrakt in der Galerie zu Braunschweig, eins der berühmtesten Werke des Jan Steen, der, wie bereits bemerkt, ein Schüler des Knüpfer war.

In ihrem Triebe, die Szenen schalkhaft und mit Humor zu behandeln, begegnen sich beide, Meister und Schüler. Aber bei Knüpfer finden wir bisweilen einen Zug schärferen Spottes, bei Steen mehr Harmlosigkeit. Knüpfer muss herbere Lebenserfahrungen gemacht haben.

Werfen wir einen Blick auf seine übrigen Werke.

Das in seiner Art allein dastehende Bild in der Universitäts-Galerie zu Stockholm zeigt den Tod eines Europäers, der auf eine Insel gerathen ist, die von Wilden bewohnt wird. Wahrscheinlich wird ein Ereignis aus dem Seeleben der Holländer den Anlass dazu gegeben haben.

Auch Geschichtsbilder des Altertums gibt es von Knüpfers Hand: in der ehemaligen Sierpstorffer Galerie ein Bild, wie Crösus dem Solon seine Schätze zeigt, so recht ein Vorwurf für einen Künstler, der die Pracht der Farben liebt; im Ryksmuseum zu Amsterdam einen Cincinnatus, den die Römer vom Pfluge weg zum Diktator holen.

Ebenso übte das alltägliche Leben seine Reize auf ihn.

So zeigt das zweite Bild in Schweden (Sammlung Ugglas) das oft von holländischen Malern behandelte Thema des Arztes, der die Diagnose stellt. Einen solchen finden wir auch auf dem Kassler Bilde, das eine ganze Folge von Szenen aus dem täglichen Leben behandelt: die Werke der Barmherzigkeit. Hier ist ferner anzureihen das Bild in der Großherzoglichen Galerie zu Oldenburg: „Venus auf dem Bett“, nicht die himmlische, sondern eine irdische mit Liebesgott und Hauswirt.

Das reizendste Sittenbild aber ist das in Dresden, welches uns das Familienglück des Meisters in anmutigster Weise vor Augen führt. Sein Portrait stimmt aufs Beste mit dem des Schweriner Bildes und mit dem bekannten Stich des Petrus de Jode von 1649 im Gulden-Cabinet, nur etwas jünger noch erscheint der Meister auf dem Dresdener Bilde. In seinem Gesicht fällt das Hervortreten der Backenknochen auf. Seine ganze Gestalt macht den Eindruck von Kraft und Gesundheit. Sein Blick hat Schärfe.

Den rundlichen Gesichtern seiner Kinder begegnen wir oft in seinen Bildern Auch seine Gattin, wahrscheinlich eine frische frohe Holländerin, macht einen vorteilhaften Eindruck. Wir meinen ihr u. a. auf dem Kassler Bilde zu begegnen, auf der Estrade, oberhalb des Mannes mit den Krücken.

Das Bild in Prag (Sammlung Nostiz), auch ein wohlerhaltenes farbenprächtiges Werk, zeigt Diana und ihre Nymphen im Bade.

Ein Bild seiner Jugendzeit, Odysseus und Nausikaa, hat er später in einer von ihm selbst mit seiner bekannten, auf allen gezeichneten Bildern sich gleichbleibenden charaktervollen Schrift beglaubigten Zeichnung des Berliner Kupferstich-Kabinetts wieder aufgenommen.

Auch die Allegorie, als welche wir die Jagd nach dem Glück in Schwerin, München, Basel und anderswo ansprechen dürfen, hat er sonst noch gepflegt, so z. B. in dem zweiten Bilde der Königlichen Galerie zu Kopenhagen. Der Katalog beschreibt es folgendermaßen: „Der Gott Merkur hat Psyche umfasst und trägt sie zum Olymp empor. Aber die Gestalten des Ehrgeizes, der Verschwendung und der Wohllust suchen sie auf Erden zurückzuhalten.“ Ist das richtig? fragen wir. Haben wir nicht auch hier statt der Psyche vielmehr die Glücksgöttin vor uns? Dieses zweite Kopenhagener Bild ist ebenso wie das Schweriner durch eigenhändige Aufschrift des Meisters beglaubigt, nur fehlt das Datum.

Hierher gehört ferner das schön erhaltene Rotterdamer Bild im Privatbesitz des Herrn Joseph de Knyper, das als eine Verherrlichung aller Gaben des Weingottes oder auch als Lobpreisung von Weib, Wein und Gesang aufzufassen ist und eine Reihe leicht verständlicher schalkhafter Züge enthält. Zum „Vivat Bachus“, das von allen Dargestellten in verschiedener Art zum Ausdruck gebracht wird, erschallt Musik, die ein vor einem orgelartigen Instrument sitzender Mann hervorbringt. Im Hintergrunde erscheinen Bock und Schwein, letzteres als Säulenheiliger.

Wir schließen hiermit die Reihe seiner Bilder, behalten uns aber vor, im Nachtrag noch auf einige andere einzugehen.

Hoffen wir, dass das Glück, welches die Utrechter Ausstellung mit der Hervorbringung eines bis dahin ganz unbekannten ausgezeichneten Werkes des Meisters hatte, sich bei anderen Gelegenheiten wiederhole.

Es bliebe nun noch die Frage übrig, ob und wie viel Anlass zur Gliederung seiner Werke nach Perioden gegeben sei. Allerdings haben wir einige Anhaltspunkte für einen Versuch in dieser Richtung, aber, wie wir schon sahen, nur äußerst wenige, und wir wollen es gleich sagen, dass es uns ferne liegt, mit Hypothesen von Bild zu Bild eine Stufenleiter aufzubauen. Was uns gewiss erscheint, ist dies, dass die Kunstanschauungen Rembrandts, dessen großartige und erfolgreiche Behandlung von Problemen des geschlossenen Lichtes in der ganzen Kunstwelt eine Art von Aufruhr verursachten, ihn nicht unberührt Hessen, und was wir glauben möchten, ist dies, dass die breiter und weicher gemalten, in der Regel auch mit größeren und wenigeren Figuren ausgestatteten Bibelbilder, in denen dieser Einfluss Rembrandts zu Tage tritt, der Mehrzahl nach den ersten anderthalb Dezennien seiner Tätigkeit, etwa von 1630 bis 1645 hin, angehört, die feiner und zierlicher gemalten „Historien“ aber — um den Sandrart’schen Ausdruck zu gebrauchen — , nach Maßgabe des Schweriner Bildes von 1651 mit seinen Vorstufen und des Utrechter Bildes von 1654, wesentlich in die letzten anderthalb Dezennien seines Lebens zu setzen sind. Diese letzten Werke sind es, in denen die Kunstrichtungen, die sein Leben nach einander beherrscht haben: die blühende Vielfarbigkeit der Bloemaart’schen Schule, die Neigung der Caravaggisten, schwierige zeichnerische Probleme perspektivischer Verkürzung zu überwinden, und Rembrandt’sches Helldunkel, womit er die Bloemaart’schen Farbenakkorde zusammenstimmt und oft, weit über Bloemaart hinaus, in anziehendster Weise verfeinert — zu harmonischer Verschmelzung mit einander gelangen.

Um nun näher auf die hier vorgeführten Bilder einzugehen, so möchten wir z. B. das Dresdener Familienbild zeitlich nicht weit von dem figurenreichen Kassler Bilde entfernen, finden wir doch in diesem die Verwendung von Studien an seiner Frau und seinen Kindern in der Gruppe auf der Estrade. Nun ist aber Knüpfer auf dem Familienbilde offenbar ein Mann im Alter von 35 bis 40 Jahren; darnach könnten beide Bilder um 1640 herum entstanden sein. Die beiden Schweriner Bibelbilder und das Breslauer Bild aus dem Leben Salomos dagegen möchten wir etwas später setzen, die Fußwaschung z. B. nicht weit ab von dem Opfer Salomos, und letzteres wiederum nicht allzu weit vom Schweriner großen Contento entfernt, also nicht allzu viel vor 1651. Man vergleiche nur die Kopfstellung des Petrus, welchem Jesus die Füße wäscht mit der Kopfstellung des knienden Salomo, der das Räucherfass schwingt, und den mit einer Art Pelzmütze bedeckten Jünger, der hinter dem Tisch das eine Bein auf einen Stuhl gestellt hat und damit beschäftigt ist, es zu entkleiden, mit einem der Begleiter Salomos, der auch eine Pelzmütze trägt, sowie andererseits die Gestalten der beiden Priester auf dem Bilde des Salomo mit zwei Gestalten des Schweriner Bildes von 1651, dem Priester, der das Ehepaar einsegnet, und dem, der zwischen den Opferstieren und Lämmern vom Rücken gesehen wird, und dessen Haupt bekränzt ist.

Wie nahe wiederum dem Schweriner Bilde die Allegorien in Rotterdam und Kopenhagen stehen, zeigt allein schon das weibliche Modell der Bacchantin des Rotterdamer Bildes, welches mit dem der Glücksgöttin auf dem Kopenhagener und Schweriner Bilde und wahrscheinlich auch mit dem der Venusdienerin auf dem Münchener Bilde identisch ist.

Endlich hat das Utrechter Tobias-Bild von 1654 wieder Manches, das es mit den vorgenannten verbindet. Man vergleiche nur den Tobias und seine Gattin mit dem Ehepaar auf dem Schweriner Bilde, das vom Priester eingesegnet wird, sowie die Engelgruppe dort mit den geflügelten Putten des Kopenhagener Bildes.

So fügt sich eins zum andern.

Die Anreihung weiterer Bilder aber unterlassen wir hier absichtlich. Mit Notizen, die schon Jahre lang in den Kollektaneen aufgespeichert liegen, baut es sich unsicher: alles Einzelne aber wieder und wieder zu sehen und zu vergleichen ist nicht immer möglich. Wir hoffen aber, mit den hier gegebenen Werken einen Grundstock geschaffen zu haben, an den sich Weiteres in Zukunft leicht anreihen lassen wird.

Fassen wir am Schluss das Urtheil über Knüpfer kurz zusammen, so scheint uns Folgendes gesagt werden zu können: Knüpfer verdankt seine künstlerische Ausbildung und Bedeutung den Holländern, dem Bloemaart und dessen Caravaggistenschule, sowie dem mächtigen Einfluss der Rembrandtschen Werke. Aber neben lustiger Schalkhaftigkeit treten uns Züge von Spott und Bitterkeit entgegen, die sich möglicherweise aus seinen Erlebnissen als Deutscher und seinem Verhältnis als Fremder am Orte, wo er lebte, erklären, und die schwerwiegend genug erscheinen, um ihm Stellung eines eigenartigen Künstlers unter seinen Zeitgenossen zuzuweisen.

Von dieser Sinnesart mag immerhin etwas in die Werke seiner Schüler Jan Steen und Ary de Vois 12) übergegangen sein, denn wir begegnen bei ihnen bisweilen einer ähnlichen Launenhaftigkeit. Im Übrigen aber ist Knüpfer von einer so eigenartigen Erscheinung, dass wir keinen einzigen unter den Holländern wüssten, den wir als ähnlichen oder gleichartigen Meister neben ihn zu stellen hätten. Wie viel kunstverwandte Meister hat z. B. sein Utrechter Zeitgenosse Poelenburg neben sich! Wie viele gleichartige Schüler zählen die Moreelse, Honthorst usw. usw.

Knüpfer steht neben allen diesen als ein fremdartiger, nicht immer, aber oft überraschend ansprechender Meister da, der überall das eingehendste Naturstudium verrät, die Einzelfigur mit größter Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit behandelt und in der Anordnung und Verteilung der Massen sehr viel Geschick und Geschmack verrät. Unter glücklicheren Sternen würde sich sein großes Talent gewiss noch glücklicher entwickelt haben. Seine Anerkennung in der Kunstgeschichte ist aber teilweise dadurch beeinträchtigt worden, dass Werke, die ihm gehören, Anderen zugeschrieben worden sind. Er verdient daher unsere Aufmerksamkeit in hohem Grade, und die Kunstgeschichte hat ihm ohne Frage mehr Interesse zu beweisen als bisher.

Schlie, Friedrich (1839-1902) Archäologe und Kunsthistoriker, Direktor der Großherzoglich-Schwerinschen Kunstsammlungen

Schlie, Friedrich (1839-1902) Archäologe und Kunsthistoriker, Direktor der Großherzoglich-Schwerinschen Kunstsammlungen

000 Knüpfer, Nikolaus (1603-1655) vortrefflicher Maler der holländischen Schule

000 Knüpfer, Nikolaus (1603-1655) vortrefflicher Maler der holländischen Schule

001. Nikolaus Knüpfer mit seiner Familie. Königl. Galerie zu Dresden. Nach Photographie

001. Nikolaus Knüpfer mit seiner Familie. Königl. Galerie zu Dresden. Nach Photographie

002. Jagd nach dem Glück. 1651. Großh. Galerie zu Schwerin. Nach dem Original

002. Jagd nach dem Glück. 1651. Großh. Galerie zu Schwerin. Nach dem Original

003. Entführung der Fortuna. Königl. Galerie zu Kopenhagen. Nach Photographie

003. Entführung der Fortuna. Königl. Galerie zu Kopenhagen. Nach Photographie

004. Entführung der Glücksgöttin. Königl. Museum zu Dresden. Nach der Original Pinselzeichnung

004. Entführung der Glücksgöttin. Königl. Museum zu Dresden. Nach der Original Pinselzeichnung

005. Jagd nach dem Glück. Königl. A. Pinakothek zu München. Nach Photographie

005. Jagd nach dem Glück. Königl. A. Pinakothek zu München. Nach Photographie

006. Jagd nach dem Glück von A. Elsheimer. Galerie des Museums zu Basel. Nach Photographie

006. Jagd nach dem Glück von A. Elsheimer. Galerie des Museums zu Basel. Nach Photographie

007. Opfer zu Lystra von A. Elsheimer. Städelsches Institut zu Frankfurt a. M. Nach Photographie

007. Opfer zu Lystra von A. Elsheimer. Städelsches Institut zu Frankfurt a. M. Nach Photographie

008. Salomos Opfer. Privatbesitz von Frl. M. Ritter zu Breslau. Nach Photogravure

008. Salomos Opfer. Privatbesitz von Frl. M. Ritter zu Breslau. Nach Photogravure

009. Fußwaschung der Jünger. Großh. Galerie zu Schwerin. Nach dem Original

009. Fußwaschung der Jünger. Großh. Galerie zu Schwerin. Nach dem Original

010. Josephs Traumdeutung. Großh. Galerie zu Schwerin. Nach dem Original

010. Josephs Traumdeutung. Großh. Galerie zu Schwerin. Nach dem Original

011. Gebet des Tobias und der Sarah. 1654. Museum in Utrecht. Nach Photographie

011. Gebet des Tobias und der Sarah. 1654. Museum in Utrecht. Nach Photographie

012. Wein, Weib und Gesang. Privatbesitz des Herrn J. de Knyper, Rotterdam. Nach dem Original

012. Wein, Weib und Gesang. Privatbesitz des Herrn J. de Knyper, Rotterdam. Nach dem Original

 013. Werke der Barmherzigkeit. Gemälde -Galerie zu Kassel. Nach Photographie

013. Werke der Barmherzigkeit. Gemälde -Galerie zu Kassel. Nach Photographie