Nachtrag

Eine am 15. Mai des Jahres aufs Neue in Basel vorgenommene Prüfung des Gemäldes Nr. 113 in der Galerie des dortigen Museums hat dem Verfasser die Überzeugung gegeben, dass es tatsächlich das gesuchte Originalwerk Elsheimers ist und dass jeder Gedanke an einen anderen Meister als Urheber, besonders auch der an Knüpfer, wie er zuerst dem Verfasser nahegelegt wurde, unbedingt aufzugeben ist. Die Überzeugung von der Autorschaft Elsheimers wird zur Gewissheit, wenn man das Bild zu Basel mit dem Elsheimer'schen „Opfer zu Lystra“ im Städel'schen Institut zu Frankfurt vergleicht. Es kann gar kein Zweifel darüber sein, dass beide von einer Hand herstammen und zeitlich nicht weit von einander entfernt sind. Ja, man möchte behaupten, dass die eine Komposition die andere veranlasst habe, nur dürfte es nicht mit voller Gewissheit zu sagen sein, welche die erste war. Man prüfe nur die Gesichtstypen, die Männer mit Turbanen und langen Gewändern, die breitnackigen Stiere mit kleinen Köpfen, welche am Altar geopfert werden sollen, die Altäre selber, die beiden sich über den Vorgang unterhaltenden Reiter, welche auf dem Baseler Bilde einmal, auf dem Frankfurter aber sogar zweimal vorkommen, die Säulen im Hintergrunde u. a. m. Die Hauptsache aber ist, dass auch die ganze Technik im Baseler Bilde bereits mit Bestimmtheit als eine Vorstufe jener bekannten reizvollen Technik der Werke kleineren Formates aus Elsheimers Blütezeit mit ihren satten liefen Farben und ihrem feinen und dennoch so kräftig erscheinenden Impasto zu erkennen ist. In dieser Beziehung ist besonders auf das Liebespaar links im Vordergrunde und auf das köstlich behandelte Laubwerk der Tempelguirlanden des Baseler Bildes aufmerksam zu machen. Auch die Kronen der Bäume, die zwischen den Tempelsäulen vom Hintergrunde her sichtbar werden, haben schon ganz den Charakter des bekannten Elsheimer'schen Impasto. In dieser Beziehung wird sogar das Frankfurter Bild von dem zu Basel übertroffen, sodass man dieses für das jüngere und jenes für das ältere halten möchte. Dabei muss, und zwar im Gedanken an die Eigenschaften des Malers und Zeichners Knüpfer, auf eins aufmerksam gemacht werden. Die in perspektivischer Verkürzung gezeichneten Gesichter der Figuren des Hintergrundes, welche zu der von Merkur fortgetragenen Glücksgöttin emporschauen und bei denen man zuerst in Versuchung geraten könnte, an Knüpfer zu denken, offenbaren die Schwäche Elsheimer'scher Kunst, welche Schwierigkeiten dieser Art nicht zu überwinden versteht. Mit derartigen Problemen würde der bei den Utrechter Caravaggisten als gründlicher Figurenzeichner aufs Beste geschulte Knüpfer ganz anders umgesprungen sein. Welches Meisterstück ist nicht in dieser Beziehung die sterbende Mutter in der Ecke rechts auf dem großen Bilde in Kassel, bei der auch seine eigenartige Kunst des Modellierens mit der Farbe, die er freilich gelegentlich vernachlässigte, in vollendetster Weise in die Erscheinung tritt? Diese Figur ragt überhaupt so merkwürdig aus dem Werk hervor, dass man anzunehmen geneigt sein könnte, um ihretwillen sei die ganze Komposition entworfen. Gewiss aber findet ein ähnliches Verhältnis auf einem von Hofstede de Groot in der Brera zu Mailand aufgefundenen kleineren, weniger ansprechenden Bilde von Knüpfer statt, das den armen Lazarus vor der Tür des Reichen darstellt. *) Hier tritt es deutlich hervor, dass der nackte arme Lazarus dem Maler als Problem perspektivischer Verkürzung die Hauptsache war, alles andere Figurenwerk aber, wie der Zwerg neben dem Lazarus und die Loggia des Hintergrundes mit dem reichen Mann und der Tischgesellschaft, als Nebenwerk behandelt und — es kann nicht anders ausgedrückt werden — vernachlässigt wurde. Von solchen absichtlichen Vernachlässigungen ist auch das hochinteressante Kasseler Gemälde nicht frei, es sind Partieen darin, die wie unfertig erscheinen. Doch, um auf Elsheimers „Jagd nach dem Glück“ in Basel zurückzukommen, so müssen wir gestehen, dass gerade hierzu, nicht zu der Knüpfer'schen „Jagd nach dem Glück“ in München, mehrere jener kleinen Elsheimer'schen Handzeichnungen passen, bei denen das Tertium comparationis in der Darstellung einer horizontal sich fortschiebenden Menge von Personen und einem darüber hinausragenden Reiter-Paar liegt. Das gilt besonders von Nr. 47 (5811) im Frankfurter Sammelband. Dort findet sich ja auch eine aus der Menge heraus in die Luft emporgetragene Figur. Hierher gehören ferner zwei Blätter in der Albertina zu Wien, die Inventar-Nummern 3350 und 9555, welche demnächst in einer besonderen Publikation erscheinen werden, es sind Prozessionen von Männern, Frauen und Kindern, die eine, wie die genannte Frankfurter Zeichnung, mit einem Reiter-Paar. Ähnliche kleine Blättchen von Elsheimer sollen auch noch im Besitz des Grafen Lanzkoransky sein.

*) Sammlung Oggioni in der Brera, Sala F. Nr. 58, Scuola Fiamminga. — Ein weiteres Werk von Knüpfer hat Hofstede de Groot in der Accademia Albertina zu Turin gefunden, Nr. 120 (Unbekannt). Es ist eine arkadische Hirtenlandschaft: „Auf Ruinen sitzt eine Frauengestalt in gelber Gewandung; vor ihr sieht man zwei Männer, links Vieh und noch drei Personen.“ Dass das Bild in der Brera ein richtiger Knüpfer ist, kann ich aus eigener Anschauung bestätigen. Das Turiner Bild habe ich leider übersehen. Auch bei Sir Francis Cook-Richmond soll noch ein Bild von Knüpfer sein.


Dagegen sind als Elsheimer-Zeichnungen unbedingt abzuweisen jene beiden Zeichnungen der Wiener Albertina, die, bisher dafür geltend, als Beweis für das Münchener Contento verwandt wurden, nämlich die Inventarnummern 3348 und 3349. Beide Zeichnungen sind, wie mir dies bei einer eingehenderen Betrachtung zur Gewissheit geworden ist, tote geistlose Arbeiten voll grober Schnitzer und Fehler, wie sie kein Meister macht, beide von verschiedenen Händen, beide das Münchener Bild zur Voraussetzung habend. Nr. 3348 ist eine simple massige Kopie, Nr. 3349 dagegen eine in einigen Stücken vom Münchener Bilde abweichende Komposition, im Übrigen aber vollkommen hiervon abhängig. So befindet sich z. B. der die Arme nach der Glücksgöttin ausbreitende Mann auf der Wiener Zeichnung hinter, nicht vor der nackten Venusdienerin. Auch kommt hier der Zeus scheltend vom Himmel heruntergeflogen, unter ihm der Adler. Merkur und Fortuna sind schlecht verstanden, die Tiere sind Stümpereien, die Mittel- und Hintergründe des Münchener Bildes fehlen völlig. Das Ganze sieht wie ein Versuch aus, mit Hilfe der Münchener Komposition eine zweite abgeänderte Komposition zu schaffen, bei der der Zeichner erlahmte. Auch hier kein Meister wie Elsheimer oder Knüpfer, sondern ein viel geringerer, der nur langweilige Gesichtstypen zur Verfügung hat.

Ein Vergleich der beglaubigten Dresdener Zeichnung mit der dem Knüpfer zugeschriebenen einzigen Zeichnung im Berliner Kupferstich-Kabinett „Odysseus und Nausikaa“ (s. o. S. 5 und 18) lässt auch diese Zeichnung, die wir früher für acht zu halten geneigt waren (s. o. S. 18), trotz der Aufschrift, die Anfangs etwas Bestechendes hat, zweifelhaft erscheinen. Im Vordergrunde rechts der nackte Odysseus, links, auf etwas höherem Mittelgrunde, Nausikaa mit vier Begleiterinnen, über denen ein großer Sonnenschirm erscheint, der ebenso wie der Wagen und die Pferde, welche weiter zurück angebracht sind, an die Rembrandt'sche Taufe des Kämmerers aus dem Morgenlande erinnern. Auf Knüpfer führt nichts weiter als die Angabe des Cornelis de Bie, dass er als Knabe den Odysseus „Die Nausikaa“ gezeichnet habe. Dies könnte irgend Jemand, der nicht erwog, dass die Zeichnung von der Hand eines Knaben und nicht von der eines reiferen Künstlers stamme, dazu veranlasst haben, sie fälschlich mit dem Namen des N. Knüpfer zu versehen.

Fassen wir nun noch einmal das Ergebnis unserer ganzen Darlegung zusammen, so ist es folgendes:

Ungefähr zur selben Zeit, als Elsheimer das Opfer zu Lystra malte, das im Städel’schen Institut aufbewahrt wird, malte er auch die „Entführung der Fortuna durch den Merkur“ oder die „Jagd der Menschen nach dem Glück“ in der Galerie zu Basel. Beide Kompositionen sind in so hohem Grade mit einander verwandt, dass unter den Elsheimer'schen Zeichnungen, mit denen die Kritik noch nicht fertig ist, mehrere als Vorstudien auf beide Bilder in gleicher Weise bezogen werden können. Wie Elsheimer auf den Gedanken kam, den Raub der Glücksgöttin durch den Merkur darzustellen, vermögen wir freilich nicht zu sagen. Einen in den Lüften fliegenden Merkur finden wir u. a. auch auf einem seiner feinsten Bilder in den Offizien in Florenz (Nr. 793), das die zum Tempel wandernden Töchter der Aglaïa darstellt. Vielleicht war es die herrliche Gruppe Raphaels aus dem Märchen des Apulejus, die vom Merkur durch die Lüfte getragene Psyche, die sich seiner bemächtigt hatte und ihn nicht wieder losließ. Das sei, wie es wolle, das Baseler Bild ist ein zweifelloses Werk aus Elsheimers Frühzeit, wenngleich es bis jetzt noch nirgends in den bisher bekannt gewordenen Zusammenstellungen seiner Arbeiten aufgeführt worden ist.

Einige Jahre später, vielleicht eine ganze Reihe von Jahren, nämlich im Jahr 1617, nimmt Elsheimers Schüler, Johannes König, den Gedanken seines Lehrers wieder auf und malte eine ähnliche Komposition. Es ist das jenes in der Residenz zu München hängende Bild (s. o. S. 25 fr.). König ist der erste, der den Gedanken an die Tiara und die Kaiserkrone in die Komposition bringt (s. o. S. 25).

Wieder vergeht eine Reihe von Jahren, da malt Knüpfer — durch welche Verkettung von Verhältnissen dazu angeregt, vermögen wir nicht mehr zu ermitteln — denselben Gegenstand. Es ist dies das fälschlich unter Elsheimers Namen gehende Bild der alten Pinakothek in München Kat. 1389 (772). Aus den beiden schlichten Reitern des Hintergrundes bei Elsheimer und aus der Tiara und der Kaiserkrone im Stillleben des Vordergrundes auf dem Bilde des Johannes König werden Kaiser und Papst zu Ross, zuerst freilich nur als Teppich -Figuren und somit als Bild im Bilde. Aber Knüpfer ist mit dieser seiner ersten Komposition, die ihm offenbar noch viel zu sehr unter dem Bann der etwas steifen Elsheimer'schen Ausführung steht, nicht zufrieden. Das beweisen besonders die beiden Variationen der Mittelgruppe auf der Zeichnung im Kabinett zu Dresden und auf dem Bilde in Kopenhagen. Er nimmt daher im Jahre 1651 die ganze Arbeit noch einmal wieder auf und bringt sie im Schweriner Bilde zu einem ihn vollständig befriedigenden Abschluss. Vielleicht hat er deshalb sein „content“ zweimal auf den Drachen geschrieben, den die Kinder im Bilde steigen lassen. Jedenfalls entstammt dem Schweriner Bilde der Name Contento, der bis in unsere Zeit soviel unnützes Kopfzerbrechen verursacht hat. Hier finden wir auch weitere Züge des Elsheimer'schen Bildes, wie das Liebespaar links, das als -Brautpaar in Ehren« jenem anderen Paar rechts im Vordergrunde gegenüber gestellt ist, dem eine weniger erfreuliche Deutung beigelegt werden kann. Man möchte es für gewiss halten, dass Knüpfer in der Zeit vor 1651, also vor der Anfertigung des Schweriner „Contento“, das jetzt in Basel sich befindende Elsheimer'sche Bild gesehen haben müsse. Zugleich aber verschmelzen irgend wie und wo um die Mitte des XVII. Jahrhunderts dieser Name und die Elsheimer'sche Vaterschaft des Gedankens. Wahrscheinlich verliert sich auch das Elsheimer'sche Original im Privatbesitz, aus dem es in unserm Jahrhundert zu Basel wieder glücklich in die Öffentlichkeit gelangt ist, während das nicht mit Namen bezeichnete erste Knüpfer'sche Bild nach Frankfurt und dort im Kabinett des Herrn Du Fay unter Elsheimers Namen gerät.

Und nun beginnt jene Reihe von Irrtümern, mit denen die Sandrart'sche Beschreibung des Du Fay'schen Bildes den Anfang gemacht hat und die vorstehende Abhandlung nunmehr endgültig aufzuräumen versucht. Der Name Elsheimers überträgt sich auch auf die Nachzeichnungen, bzw. Umzeichnungen des ersten Knüpfer'schen Bildes in der Albertina zu Wien sowie auf die von Martini gestochene Ölkopie des Münchener Bildes im Poullain'schen Kabinett und fasst damit zugleich feste Wurzeln in allen kunstgeschichtlichen Essais über Elsheimer bis in die jüngste Gegenwart hinein.

Interessant wäre es, wenn sich Weiteres über den Besitzwechsel feststellen Hesse. Dass das Münchener Bild schon vor der Anfertigung des Mannheimer Inventars im Jahre 1799 in der Mannheimer Galerie war, wird durch die „Pfälzischen Merkwürdigkeiten“ bewiesen, die, wie Professor Seibt dem Verfasser mitteilt, das genannte Gemälde als „Merkur und Iphigenia“ von Elsheimer aufführen. Man möchte aber wissen, ob das Bild direkt aus der Du Fay'schen in die Churfürstliche Sammlung gelangte, oder nicht. Von noch viel größerem Interesse wäre es, über Herkunft und Verbleib des Baseler Bildes in früheren Zeiten irgend etwas zu erfahren. Ich muss aber diesen Teil der Forschung meinen Kollegen, besonders denen in München und Basel, überlassen. Hoffen wir, dass glückliche Umstände auch hierüber noch weiteres Licht ausgießen.