Abschnitt 6

01 Jugendjahre.


Den Winter und das ganze Frühjahr 1806 blieb ich noch in meinen ärmlichen, aber mir dennoch sehr behaglichen Verhältnissen in Nürnberg unter rastlosem Streben, in der Kunst vorwärts zu kommen, verdiente mir in den Nebenstunden, besonders des Abends, das Wenige, was ich zu meinem Unterhalte brauchte, und legte sogar etwas Geld zurück, um mein Glück weiter versuchen zu können. Auch meinen Eltern konnte ich zu Weihnachten eine kleine Freude bereiten, indem ich aus Tragant allerlei künstliche Conditorwaaren verfertigte, die als Zierden für den Christbaum dienen sollten. Ich schickte ihnen von dieser Waare, da dieselbe in Nördlingen sehr beliebt ist, ein ganzes Kistchen voll, die sie sehr gut verkauften. In Nördlingen hat man nicht den düstern Tannenbaum für die Christbescherung, sondern man setzt schon Monate lang vorher den jungen Stamm von einem Kirsch- oder Weichselbaume in einer Zimmerecke in einen großen Topf. Gewöhnlich stehen diese Bäume bis Weihnachten in voller Blüthe und dehnen sich weit an der Zimmerdecke hin aus, was man als eine große Zierde betrachtet und was auch in der That zur Feier des Christfestes sehr viel beiträgt. Eine Familie wetteifert hierin mit der andern, und die, welche den schönst blühenden Baum hat, ist sehr stolz darauf.


Während meines Aufenthaltes in Nürnberg war mein Vater in Beziehung auf meinen Beruf auf andere Gesinnungen gekommen und begann, an meiner künstlerischen Entwickelung Wohlgefallen zu finden. Im Mai 1806 entschloß ich mich zu einer Reise nach Nördlingen, um meine Eltern nach anderthalb Jahren zu besuchen.

Nürnberg mit seinen altreichsstädtischen Sitten und Gebräuchen, von denen sich noch manches bis auf den heutigen Tag erhielt, war mir lieb geworden. Ich hatte dort warme Freunde gewonnen, von denen mir die Trennung schwer fiel, besonders von der Familie Zwinger. Es war mir, als schiede auf ich auf lange Zeit, obwohl ich hoffte, wiederkehren zu können.

An einem herrlichen Maitage trat ich meine Wanderschaft zu Fuße an, einige Stunden von meinem Freunde Gustav Zwinger begleitet. In Nördlingen traf ich wieder ein französisches Hauptquartier und eine nicht unbedeutende Concentrirung von Truppen in der Umgegend. Es gab deßhalb für mich vieles zu sehen, so auch einige ernste Executionen mit Pulver und Blei, denn die Franzosen hielten strenge Mannszucht.

Ein unerwartetes Ereigniß, welches auf meine weitere Laufbahn nicht ohne Einfluß blieb, nahm mich in Anspruch und bot mir erwünschten Stoff zu neuer Beschäftigung.

Das Fürstenthum Oettingen-Wallerstein, welches um Nördlingen herum ein ausgedehntes Gebiet und besonders große Waldungen hatte, hegte in diesen ein ausgezeichnet schönes Hochwild. Wie nun die Franzosen immer geschickt waren, alles ausfindig zu machen, was sie auf französischen Boden verpflanzen konnten, so wurde dem Fürsten im Namen des großen Kaisers der Wunsch ausgedrückt (soll wohl heißen der Befehl,) eine beträchtliche Anzahl Hirsche lebendig einzufangen, um sie in Kästen nach Paris zu führen. Bei diesem Einfangen war ein großes Jagdpersonal betheiligt, zu Pferd und zu Fuß, mit vielen Wagen, welche das Jagdzeug und sonstige Bedürfnisse führten, sammt Treibern u.s.w., im ganzen eine malerische Wirthschaft, wobei alle Tage etwas Neues zu sehen war. Ich zog mit den Jägern mehrere Wochen in den schönen Waldungen herum, befand mich ganz heimisch unter ihnen und zeichnete vieles. Von allen Seiten wurde ich angegangen, meine Jagdscenen zu vervielfältigen. Ich hatte mir nämlich schon damals eine besondere Geschicklichkeit im Zeichnen kleiner Figuren erworben, so daß man in Figuren von kaum anderthalb Zoll Größe Portraitähnlichkeit fand, was natürlicher Weise bei diesen Leuten den Wunsch rege machte, sich vervielfältigt zu sehen. Die Lithographie kannte man damals noch nicht; ich machte mich daher, sobald das Einfangen zu Ende ging, daran, sechs Platten von den interessantesten Momenten dieses Jagdwesens in Kupfer zu radiren, was ich mit vieler Liebe und nicht ohne Erfolg that; denn diese Blätter gehören zu dem Besten, was ich mit der Radirnadel machte; sie haben etwas Scharfes und Originelles in der Auffassung. 10)

Während meines Aufenthaltes in Nördlingen radir te ich übrigens noch andere kleine Blätter. 11) Mit diesen Arbeiten war ich beschäftigt, bis der Spätherbst hereinbrach.

Bevor ich meine Vaterstadt zum zweiten Male verließ, sammelte ich Subscriptionen auf das soeben erwähnte Unternehmen, welches mir einigen Erfolg versprach. Ich nahm sodann meine Platten unter den Arm und wanderte zu Anfang November bei einem ganz abscheulichen Wetter zu Fuße nach Augsburg, um sie dort drucken zu lassen. Mein Vater meinte freilich, es wäre gar nicht nothwendig, daß ich mich selbst nach Augsburg bemühe; man könne sie getrost dorthin senden. Er hatte auch nicht ganz Unrecht, aber mir war es um einen schicklichen Vorwand zu thun, von Nördlingen wieder los zu kommen; denn daß hier meines Bleibens nicht sein könne, hatte ich längst gefühlt.

An Beschwerden und Entbehrungen gewöhnt, nahm ich mir diese eben nicht sehr angenehme Fußreise, bei welcher ich auch meinen Bündel etwas schwerer gemacht hatte, nicht besonders zu Herzen; ich kam zwar sehr ermüdet, aber wohlbehalten in Augsburg an. Damit begann ein neuer Abschnitt meines Künstlerlebens: einige glückliche Jahre meiner Jugend, an welche ich mich stets mit Freuden erinnere.

Es war früher in Nördlingen ein Rektor an der la teinischen Schule mit Namen Beyschlag, 12) mit dessen Familie ich als Kind heranwuchs; der älteste Sohn, Christoph Friedrich, war ganz gleichen Alters mit mir. Der Vater wurde später als Stadtbibliothekar und Rektor des Gymnasiums bei St. Anna nach Augsburg berufen, wo er eine höchst geachtete Stellung einnahm. Vor allem richtete ich meine Schritte nach seinem Hause. Ich fand eine liebevolle Aufnahme. Beyschlag bot mir sogar bei sich Wohnung an, was ich mit Dank annahm, denn ich war ja in Augsburg völlig Fremdling und durch jenes Anerbieten für das Erste geborgen.

Gewohnt, nicht lange müßig zu sein, malte ich, nachdem ich das Geschäft mit dem Drucke meiner Platten eingeleitet hatte, das Portrait meines lieben Wirthes, des Rektors, in einer ziemlich vollendeten Aquarellzeichnung. Es wurde sprechend ähnlich, da mich hiebei Pietät und Verehrung gegen diesen Ehrenmann leitete.

Beyschlag zeigte dasselbe in einer Gesellschaft vor, welche sich um einen Pfarrer schaarte, der für einen Kunstkenner galt. Als dieser das Portrait erblickte, rief er laut aus: „Herr, das hat ein Meister gemacht!“ Von da an war mein Ruf als Portraitmaler in Augsburg gegründet, und ich bekam Aufträge über Aufträge; man nahm den Ausspruch des Pfarrers als Orakel. Ob er wirklich ein großer Kunstkenner war, will ich nicht untersuchen. Er schätzte Chodowiecky’s Radirungen, welche er sammelte, und besaß sonst noch einige Kunstsachen. Nachdem man erfahren, daß dieses so betitelte Meisterwerk von einem ganz jungen Künstler sei, welcher ohne besondere Anleitung und auch ohne alle Subsistenzmittel von Hause die Kunst gepflegt, stieg meine unbedeutende Leistung im Werthe, und man machte es sich zur Aufgabe, mich zu heben und zu ermuntern, wo man konnte.

Die gewöhnliche Portraitmalerei, welche sich auf den bloßen Kopf beschränkt, langweilte mich bald; ich verlegte mich ernstlich auf die Oelmalerei und machte Familienbilder in Gruppen mit ganzen Figuren von neun bis zwölf Zoll Größe, gewöhnlich mit Beiwerk von Lokalitäten, Geräthschaften und dergleichen. Diese Bilder gefielen sehr, weil die Figuren in Gestalt und Charakterisirung immer sehr ähnlich waren; und jetzt noch nach mehr als fünfzig Jahren finden sich hie und da in Familien solche Portraits, welche um der Aehnlichkeit willen in Ehren gehalten werden, so schlecht sie auch gemalt waren.




10) Diese Radirungen verzeichnet Julius Meyer: Künstler-Lexicon. Leipzig 1872, I. 67, Nr. 26: Der Auszug zur Jagd, mit vielen Figuren. Leicht radirt. Gr. Qu. Fol. Nr. 27–34: Die Folge des Hirschfanges, 8 Bl. mit Hirschjagden. Albrecht Adam fec. Aug. V. Kl. Qu. Fol. Nr. 35. Zwei Hirschjagden auf einem Bl. Qu. Fol.
11) Vgl. ebendas. Nr. 1–6: Militär- und Reiterscenen, 6 Bl. in Umrissen leicht schattirt. Nr. 7–10: Soldaten zu Fuß und zu Pferd, im Freien und bei Gebäuden. 1806. Qu. 8. Nr. 11: Ein Bl. mit vier Motiven: Pferde am Brunnen, Ackernder Bauer etc. 1806. Gr. Qu.
12) Daniel Eberhard Beyschlag, geb. 1759 zu Nördlingen, starb 1835 zu Augsburg als Hofrath, Rektor und Bibliothekar des Gymnasiums daselbst. Vgl. die Biographie und das Verzeichniß seiner Schriften in Nr. 13. Bayerische Annalen vom 24. März 1835.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers