Abschnitt 5

01 Jugendjahre.


Allmählig wurde es still und immer stiller, bis man zuletzt nur noch das Auf- und Abgehen der Wachtposten und ausnahmsweise das komische Geschrei irgend eines Pferdes hörte, welches einen unverträglichen Nachbarn hatte. Alles schlummerte. Endlich legte auch ich mich unter einen Baum nieder und ruhte einige Stunden. Nach Hause zu gehen und das Bett zu suchen, fiel mir gar nicht ein; ich mußte auch das Aufbrechen des Lagers sehen. Die Aufregung, in der ich mich befand, ließ mich lange nicht schlafen und bei dem ersten Trompetenstoße war ich wieder auf den Beinen; ich wollte alles hören und sehen, was hier vorging, bis aufgesessen wurde und die Truppe sich zum Abmarsche in Bewegung setzte.


Ich begleitete sie bis an das Thor und sah ihr sehnsüchtig nach. Hätte ich ein Pferd gehabt, ich wäre am liebsten selbst mit fortgezogen. Ich war damals wieder ganz Soldat!

Es verstrichen nur wenige Tage, so folgte auf diese heiteren Lagerscenen ein Ereigniß der traurigsten Art.

Napoleon war mit seinem sieggewohnten Heere in Schwaben vorgedrungen, die Festung Ulm in seine Hände gefallen. Die Besatzung streckte das Gewehr. Von den Truppen, welche dort gelegen, kam ein namhafter Theil, von der französischen Reiterei verfolgt, zu Anfang Oktober in wilder Flucht an Nürnberg vorüber.

Wer je einen, in regellose Flucht ausartenden Rückzug gesehen, weiß, daß es eine garstige Sache ist. Dieser aber war entsetzlich anzuschauen: die Straßen von anhaltendem Regenwetter erweicht und fast grundlos; die Truppen in zerrissenen Schuhen, oft selbst ohne solche, von unten bis oben mit Koth bespritzt, bis zum Zusammensinken ermattet, schleppten sich, alles durch einander, Infanterie, Cavallerie, Artillerie und Fuhrwesen, mühsam auf der schlechten Straße fort. Offiziere und Soldaten aller Waffen liefen in Unordnung durch einander, jeder wo und so gut er konnte. Hie und da sprengte ein Offizier, der noch ein brauchbares Pferd besaß, mitten durch und bespritzte alles mit Koth. Was sich an die Kanonen anhängen konnte, hing sich an oder saß darauf, wodurch das Fortbringen derselben bei den ohnehin schon ermatteten Pferden noch mehr erschwert wurde. Es war ein Bild des Jammer, das zu dem kurz zuvor gesehenen Durchmarsche der wohlgeordneten bayerischen Truppen einen entsetzlichen Contrast bildete.

Als eine sehr auffallende Erscheinung marschirte ein Häuflein französischer Gefangener zwischen den Oesterreichern. War es, daß sie nichts zu tragen hatten, denn ihre Bürde hatte man ihnen leicht gemacht, oder war es die nicht unwahrscheinliche Erwartung, daß sie bald aus der Gefangenschaft befreit werden: sie trugen den Kopf höher, sahen nichts weniger als gebeugt aus und marschirten mit ziemlich kräftigen Schritten einher.

Natürlicher Weise strömten aus Nürnbergs Mauern viele Menschen hinaus, um dieses traurige Schauspiel mit anzusehen, und dies um so mehr, als es Sonntag war. Hiebei gab sich viel Wohlthätigkeitssinn kund. Wer es nur immer thun konnte, reichte den armen Vorüberziehenden Brod und Labung; ich sah eine wohlgekleidete Dame am Boden knieen und einem Soldaten seine wunden Füße mit leinenen Tüchern verbinden. Ueberhaupt boten sich so viele interessante, höchst malerische Gruppen, daß ein Künstler hier allein für seine halbe Lebenszeit den Stoff zu Bildern hätte finden können.

Der Grund dieser ängstlichen Flucht erklärte sich bald dadurch, daß die französische Cavallerie den Oesterreichern auf der Ferse folgte; mag es sein, daß ihr die lange Verfolgung selbst sehr lästig wurde und sie zum Zorne reizte, – sie behandelte die Gefangenen sehr übel, oft unmenschlich. Mit Schaudern sah ich, wie ein französischer Dragoner einem armen Oesterreicher, welcher sich am Wege für einige Kreuzer Pflaumen kaufen wollte, von rückwärts einen scharfen Hieb über den Kopf versetzte, so daß dieser blutend in den Korb der Frau fiel, welche am Wege saß, ihre Waare zu verkaufen.

Gegen Abend kamen größere Abtheilungen franzö sischer Cavallerie; auch diese sah eben nicht aus, als wenn sie von der Parade käme. Sie war ziemlich verwildert; aus allem konnte man auf den langen beschwerlichen Marsch schließen, welchen sie zurückgelegt hatte, was zum Theil ihren Unmuth, welchen sie an den armen Gefangenen ausließ, erklärlich macht, keineswegs aber rechtfertigt.

Um das gewaltige Schauspiel dieses Tages zu vervollständigen, erschien bei einbrechender Dämmerung noch das preußische Infanterieregiment Tauenzin vor Nürnberg, das aus dem Ansbachischen nach Preußen marschirte, wo man sich schon für den unglücklichen Feldzug des Jahres 1806 rüstete. Dieses Regiment zog mitten durch die Franzosen, so daß zuletzt Franzosen, Oesterreicher, Preußen bunt durcheinander wimmelten.

Die Preußen sahen übrigens allen Andern gegenüber sehr gut aus; es waren schöne große Leute, sehr hübsch uniformirt und hatten eine gute, wenn auch etwas steife Haltung, welche stark an den Gamaschendienst erinnerte. Zu den Franzosen bildeten sie einen recht wunderlichen Contrast.

Am nächsten Tage, einem feuchtkalten Herbstmorgen, wechselte die Scene. Leichte französische Infanterie und einige Cavallerie lagerte vor der Stadt. Diese Truppe, meist kleine, aber ungemein bewegliche Leute, war in ihrer Kleidung gerade nicht sehr zum Bivouakiren auf einer feuchten Wiese während einer kalten Oktobernacht eingerichtet. Sie sah auch ziemlich erfroren und ausgehungert aus. Trotzdem aber herrschte in diesem Lager das rührigste Leben. Die Juden aus dem nahe gelegenen Fürth kamen herbei, um allerlei Geschäftchen zu machen. Die Franzosen hatten nämlich bei Verfolgung der Oesterreicher ziemliche Beute erjagt, und das Kleinste achtet der Jude nicht gering, wenn ein Gewinn in Aussicht steht. Auch mehrere erbeutete ungarische Pferde wurden verhandelt. Hier gab es nun wieder ganz eigene, neue Bilder für mich zu sehen. Nachmittags steigerte sich die Scene.

Murat kam mit großen Cavalleriemassen nach Nürnberg. Jetzt aber war von Aufrechthaltung der Neutralität keine Rede mehr. Die Thore standen offen und in festgeschlossenen Colonnen, die ganze Breite der Straße ausfüllend, zogen die Franzosen ein. Ein Piquet mit den Karabinern oder Pistolen in der Hand, mit gespanntem Hahn immer den Zug eröffnend, machte einen gewaltigen, moralischen Eindruck. Man fühlte die Unüberwindlichkeit dieser Truppen, wenn man sie in ernster, martialischer Haltung stumm einherziehen sah. In der That waren sie auch lange genug unüberwindlich; es mußten die Elemente der menschlichen Kraft zu Hilfe kommen, um sie zu vernichten.

Diese Durchmärsche dauerten nur wenige Tage, der Kriegsschauplatz rückte immer ferner gegen Oesterreich, und in kurzer Zeit war in dem altehrwürdigen industriösen Nürnberg alles wieder in dem gewohnten Geleise.

Ich hatte jetzt vieles zu verarbeiten. Der Kopf war ganz voll von dem, was ich in dieser kurzen Zeit gesehen, allein meine Kraft zu schwach; was ich machte, ließ mich unbefriedigt, es blieb weit hinter den Bildern zurück, welche meine lebhafte Einbildungskraft sich schuf.

Unter anderem versuchte ich, die oben erwähnte Sängergruppe bayerischer Chevauxlegers, welche ich im Lager auf der Schütt gezeichnet hatte, zu malen und in Wirkung zu setzen; aber ich fand in der Beleuchtung des Feuers von unten große Schwierigkeiten. Endlich entschloß ich mich, die ganze Gruppe in Thon zu modelliren, setzte sie auf ein Brett mit einem runden Loche, in welches ich eine Lampe stellte, und machte nach diesem Modelle eine recht saubere Sepiazeichnung, die ich noch besitze. 9) Mit demselben Eifer, Ernst und unbeschreiblicher Liebe, womit ich diese Arbeit vollendete, behandelte ich überhaupt alles.




9) Davon auch eine Radirung. Vgl. Jul. Meyer Nr. 21. Cavallerie-Lager. Mit dem Namen. Qu. 4.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus dem Leben eines Schlachtenmalers