Sechzehntes Kapitel. - Der König war aus dem Bade zurückgekehrt, ...

Der König war aus dem Bade zurückgekehrt; er wurde festlich empfangen, aber er zog sich bald mit seiner Gemahlin zurück und kam mit ihr in die Gemächer des Kronprinzen. Die Gatten standen an der Wiege des schlafenden Kindes, hielten sich an der Hand, schauten einander an und wieder auf das Kind.
„Gibt es ein Höheres, als so mit einem Blick das gemeinsame Leben zu schauen?“ hauchte die Königin leise.
Der König umarmte sie.
Das Kind erwachte, seine Wangen glühten und sein Auge war hell.
Walpurga saß währenddessen in einer Ecke und weinte still vor sich hin. Jetzt mußte sie zu dem Kinde; der König ging weg, die Königin blieb bei ihr.
„Du hast geweint?“ fragte die Königin.
„Nur aus Freude, aus lauter Herzfreude. Kann’s denn was Schöneres geben, als wie Sie da miteinander gestanden?“
„Ich will dir auch deinen Mann kommen lassen,“ erwiderte die Königin. „Schreib’ ihm, er soll kommen, und dein Kind und deine Mutter können auch mitkommen.“
„Ja, Frau Königin, das war’ freilich schön; aber das kostet viel Geld.“
Die Königin schaute betroffen auf, daß man sich eine höchste Freude versagen muß, weil es Geld kostet. Sie sagte:
„Laß dir nur vom Zahlmeister geben, so viel die Reise der Deinigen kostet. Ist hundert Gulden wohl genug?“
„O mehr als genug; wenn aber die Königin mir das Geld schenken will, können wir es schon besser anwenden.“
Die Königin sah Walpurga erschreckt an – die Geldgier zerstört doch die tiefsten Regungen auch in den einfachen Herzen.
Walpurga merkte, daß sich das glückselige Gesicht der Königin verlängerte, und begann:
„Ich will ehrlich sagen, warum ich’s nicht will, auch wenn’s nichts kostet. Frau Königin, mein Mann ist ein braver Mann, aber er ist eben ein bißchen ungelenk, und es thät mich ins Herz hinein verdrießen, wenn ihn eines hier auslachen thäte. Und meine Mutter, Frau Königin, der darf man das nicht anthun, sie ist jetzt sechzig vorbei, und ist seit ihrer Hochzeit nicht aus dem Ort gekommen, nicht weiter als ein paarmal nach Hohenheiligen zur Wallfahrt, drei Stunden von uns; nicht einmal heim ist sie seitdem gekommen, von wo sie her ist, nur eine Tagreise von uns, drüben über dem See, von der Grenze her; und da mein’ ich, könnte man der Mutter am Leben schaden, wenn man sie wo anders hin thät’, nur auf ein paar Tage. Das beste wäre, wenn man’s so macht, daß wir ganz in der Nähe von der Königin bleiben, alle miteinander; wir wollten gewiß die Meierei gut versehen, und mein Mann versteht das Vieh gut, er ist viele Jahre Handbub und nachher Ochsner gewesen auf der Alm.“
Walpurga redete, als müßte die Königin schon von dem Plan wissen, aber die Königin hörte nicht, was sie sagte; sie war ganz versunken in das Bewußtsein ihres neu aufgegangenen Familienglückes.
Tage vergingen und Walpurga erhielt nichts von dem Reisegeld, das ihr die Königin geschenkt hatte, und sie wagte nicht, den Hofzahlmeister darum anzusprechen. Sie wollte Baum ein Zeichen geben, daß sie gut Freund mit ihm sei, und erzählte ihm den Hergang.
„Es ist besser,“ sagte er mit kluger Miene, „du nimmst ein so kleines Geschenk gar nicht. Sie meinen dann, sie hätten dich abgespeist. Geh du immer auf die Hauptsache los, auf die Meierei.“
Walpurga war herzlich dankbar gegen Baum. Es ist doch gar gut, wenn man im Schlosse solch einen Freund hat; der ist mit dem König, als er noch Prinz war, in Italien und Frankreich gewesen, der weiß, wie man mit solchen Herrschaften fahren muß.
Im Schlosse ging es nicht mehr so ruhig her, wie in den letzten Wochen. Das war vom Morgen bis zum Abend ein Rennen und Fahren, und bis in die tiefe Nacht hinein wurde gelacht, gesungen, gescherzt; an den Bäumen hingen bunte Lampen, und weit hinaus in der Ebene und im Gebirge schimmerte die Sommerburg wie ein Zauberschloß.
Schon früh am Morgen fuhren die Küchenwagen bald da bald dort hin; heute wird auf einer Anhöhe im Walde, morgen in einer Thalschlucht oder bei einem Wasserfall getafelt.
In den Räumen, die Walpurga mit Mamsell Kramer bewohnte, hörte man nichts von dem Lärm; es hieß nur: heute ist wieder alles ausgeflogen.
Der König war voll zarter Aufmerksamkeit gegen seine Gemahlin, und schöner erschien die Königin nie als jetzt, gehoben von Mutterglück und Gattenliebe.
Oft am Morgen, wenn der Tag noch frisch war, und am Abend, wenn milder Tau sich niedersenkte, sah man den König ganz ohne Begleitung mit seiner Gemahlin am Arm im Park lustwandeln, der Hof hielt sich dann in der Nähe des Schlosses.
Eines Abends als der König mit seiner Gemahlin im traulichen Gespräch dahinwandelte, sagte die Königin:
„So an deinem Arm ist mir’s ein Wonnegefühl, die Augen zu schließen und von dir geführt zu werden, du kannst dir nicht denken, wie wohl das thut.“
Der König sprach sein Glück aus über diese Hingebung, aber tief innen zuckte etwas und nannte diese Empfindungsweise unköniglich. Wie ganz anders wäre –
Nein, das wollte er nicht denken.
Die Königin erzählte viel von den allmählichen Sinneswahrnehmungen des Prinzen; der König hörte ihr aufmerksam zu, aber seine Aufmerksamkeit war mehr Höflichkeit. Schon nach der ersten Woche zog sich die Königin von den vielen Ausfahrten zurück und blieb im Schlosse, sie hatte keine rechte Freude an der Unruhe.
Die Königin ließ Walpurga mit dem Kinde bald da bald dort hin in den Park und auf die Anhöhe hinter dem Schlosse kommen, wo sie Baumgruppen, die Umgebung des Teiches mit den Schwänen, das Schloß, die Kapelle und einzelne Fernsichten zeichnete.
Eines Morgens saß man im Gartensalon beim Frühstück, da sagte der König:
„Es war ein schöner Wetteifer, als du mit Gräfin Irma gemeinschaftlich zeichnetest. Eure beiden Naturen zeigten sich ganz in der Art, wie ihr dieselben Gegenstände aufnahmt.“
„Ja, wir haben das auch oft bemerkt. Ich zeichne vielleicht die Details genauer und schärfer, aber Gräfin Irma hat mehr Freiheit im gesamten Aufriß. Ich vermisse die gute Gräfin sehr.“
„So wollen wir ihr schreiben, daß sie wieder kommen muß, und zwar sofort. Wir wollen ihr eine Kollektivnote zugehen lassen. Meine Herren und Damen, wir alle schreiben jetzt einen Brief an die Gräfin Irma!“
„Lassen Sie Schreibzeug hergeben!“ rief er einem Kammerherrn zu. Es war schnell zur Hand und der König schrieb:
„Holde Gräfin! flüchtiger Vogel! Endlich weiß ich, welch ein Vogel Sie sind: eine wilde Taube. Entspricht Ihnen dieser Gegensatz? Wild und doch eine Taube! – Kommen Sie, die ganze Schar Ihrer Waldgefährten läßt den Kopf hängen, bis Sie wieder hier sind. Eilen Sie zu uns auf Flügeln des Gesanges.“
Der König reichte der Königin das Blatt und sagte: „Nun schreib du.“
„Ich kann nicht schreiben, wenn jemand dabei ist,“ erwiderte die Königin, „ich bringe kein Wort heraus. Ich werde ihr ein besonderes Briefchen schreiben.“
Ueber die Mienen des Königs zuckte eine rasche, kaum merkbare Verstimmung; er bemeisterte sie.
„Wie du willst,“ sagte er in verbindlichem Tone; aber innerlich war er tief ärgerlich über diese ewige Empfindsamkeit.
Die Kavaliere und Hofdamen schrieben alle, jeder einige Zeilen, jeder einen flüchtigen Scherz.
Die Oberhofmeisterin aber hatte sich davongeschlichen.
Unter Lachen und Scherzen wurde der ganze Bogen vollgeschrieben, und jetzt sagte der König:
„Es fehlt noch die Hauptperson, die Walpurga muß der Gräfin auch noch schreiben. Das ist die Stimme des Volks, die am meisten auf sie wirkt. Lassen Sie die Walpurga herabkommen!“
Baum wurde sofort nach Walpurga geschickt.
Unterwegs erklärte er ihr, um was es sich handle.
Walpurga war gar nicht scheu unter dem versammelten Hofe.
„Willst du lieber allein auf deinem Zimmer schreiben?“ fragte der König, und gab damit doch eine Gereiztheit gegen seine Frau kund.
„Ich schreib’, wo man’s verlangt, aber schön kann ich’s eben nicht.“
Walpurga setzte sich und schrieb:
„Wenn’s der Herr Vater erlaubt, wird mich’s rechtschaffen freuen, wenn meine Gräfin Irma wieder da ist. Ich hab’ im Herzen Heimweh nach ihr.
Walpurga Andermatten.“
Der König las und sagte: „Schreib auch noch hierher: Es wird mir und dem Prinzen gut thun, wenn Sie wieder da sind, Sie machen uns beide fröhlicher.“
„Herr König,“ sagte Walpurga, „Sie sind aber gescheit! Das ist ja ganz wahr, was Sie da sagen; jetzt thun Sie mir den Gefallen und diktieren Sie mir’s, ich kann’s nicht so gut setzen, aber ich kann ganz gut Diktat schreiben, ich hab’s bei der Mamsell Krämer gelernt, ich hab’s auch früher in der Schule gekonnt, aber später wieder vergessen.“
„Nein,“ erwiderte der König, „schreib du nur, wie’s dir im Sinne ist. Meine Damen und Herren! Lassen wir die Walpurga allein, und gehen wir nach der Veranda.“
Walpurga saß allein im großen Frühstückssaal und biß auf die Feder, sie konnte die Worte nicht mehr finden. Da hörte sie ein Geräusch, sie schaute um, Baum stand unter der Thüre.
„Komm her,“ rief sie, „du kannst mir helfen, du hast doch alles gehört?“
„Jawohl,“ entgegnete Baum und diktierte Walpurga die Worte des Königs, Sie ging hinaus und übergab den Brief dem König.
Er lobte sie, daß sie die Worte so gut gesetzt. Sie wollte sagen, daß ihr Baum geholfen, aber man muß nicht alles sagen, warum sollte man nicht ein Lob hinnehmen für etwas, was auch so hätte sein können?
Walpurga lächelte über ihre Klugheit, als sie nach ihrem Zimmer zurückging. Der König wird ihr gewiß die Meierei geben. Er hat’s gesehen, sie kann alles gut aufschreiben und gut Buch führen.
Die Königin brachte ihren schnell hingeworfenen Brief in den Garten, es war ein fliegendes Siegel darauf; sie übergab ihn dem König und sagte: „Willst du ihn lesen?“
„Ist nicht nötig,“ sagte der König und schloß das fliegende Siegel.
Nachdem der Brief geschrieben, war unter den Hofdamen ein endloses Kichern; das zwitschert und schwatzt durcheinander und neckt sich, und hüpft wie ein Trupp Sperlinge, die irgendwo einen aufgesprungenen Kornsack entdeckt haben. Bald zerstreuen sie sich, und Damen, die sich sonst gar nicht leiden mochten, sind überaus gute Freundinnen, gehen Arm in Arm im Park auf und ab, und andre stehen zusammen, man kann sich heute nicht trennen, man hat sich so viel zu sagen; noch sprechen alle gut von Irma, noch ist jede ihre beste Freundin, aber durch eine kleine Seitenbewegung hält man sich die Wege offen, es kann auch anders werden.
In wenigen Tagen hatten sich Leben und Stimmung auf dem Sommerschlosse verändert. Der König und die Königin hatten sich beim Wiedersehen begrüßt, als wären sie neu vermählt, es war eine Glückseligkeit ohnegleichen; bald aber trat wieder, oder jetzt eigentlich zum erstenmal scharf, eine Unzuträglichkeit heraus, die unumwunden mit einem Worte bezeichnet ist: die Königin war ihrem Gemahl langweilig. – Er erkannte mit gerechter Würdigung ihre erhabene und edle Erscheinung, jedes ihrer Worte, jeder ihrer Gedanken ist Erguß der reinsten Empfindung; aber diese Gehobenheit, die im Alltäglichen immer etwas Besonderes hat, das sich gar nicht bemessen ließ, dies Bestreben, immer alles innig und tief bis in den letzten Grund durchzudenken, immer Aufmerksamkeit für die besondere Empfindungsweise heischt, nichts von leichtem, neckischem, selbstgefälligem, spielendem Wesen, diese Tempelstille des Naturells, dies ewige Thronen auf der Höhe der Dinge – das war wohl schön und zuzeiten auch anmutend, aber in solcher unausgesetzten Beständigkeit für den König langweilig; die Königin hatte keine Schaumperlen, die sich rasch schlürfen ließen und für einen Moment belebten.
Der König aber liebte die Abwechselung, das heiter Spielende, das Scherzhafte, Rätselvolle, Launische, über Hindernisse hinweg zu Erobernde.
Und was er an der Königin vermißte, das alles fand er in der Erinnerung an Irma. Gewiß, er war sich bewußt, seine Gattin treu zu lieben; er ehrte das freie, schöne Naturell Irmas, und warum sollte man sich nicht ihres Umganges erfreuen?
Sie kommt, sie bleibt bei uns, sie bringt neues, frisches Leben! dachte er, als er den Kurier, der das Schreiben an Irma beförderte, die Landstraße im raschen Trabe dahinreiten sah.
Am Mittag fuhr der König ganz allein mit der Königin spazieren; er selber lenkte die Pferde und saß neben ihr, nur zwei Reiter folgten hinterdrein.
Der König war überaus liebreich und die Königin glücklich. Der König war sich innerlich einer leisen Abirrung bewußt, und nun doppelt liebevoll. Er sah seiner schönen Frau hellen Blickes in die strahlenden Augen.
So soll es immer sein, so rein und frei mußt du ihr immer in die Augen schauen können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Auf der Höhe - Band 1