Drittes Kapitel. - Still ward es nun an dem Fluß, auf der Wiese, auf dem Hügelweg. Die lachenden, schwatzenden Mädchen waren samt dem Wagen in dem breiten Thore des Vorrathauses ...

Still ward es nun an dem Fluß, auf der Wiese, auf dem Hügelweg. Die lachenden, schwatzenden Mädchen waren samt dem Wagen in dem breiten Thore des Vorrathauses neben der Wohnhalle auf der Krone der Anhöhe verschwunden.

Ildicho und ihre beiden Genossinnen wandelten unter den Buchen am Waldessaum, der sich im Westen neben der Wiese hinzog; die Sonne stieg; schon suchten sie gerne den Schatten. Es war gar lieblich unter den hochstämmigen, schlanken Buchen; sie standen nicht allzu gedrängt: das Dachgegitter ihrer lichtgrünen Blätter war nicht so dicht, daß es nicht ein goldig-grün Gezitter der Sonnenstrahlen hätte hindurchfallen lassen auf den dunkeln, samtweichen Moosgrund des Waldwegs: das gab dann oft gar seltsame, spielende, durchbrochene Schatten, mit goldgelbem Lichte wechselnd. Das Königskind brach von den niedrigeren Ästen der Buchen dünne Zweige, pflückte die Blätter und fügte diese mit den zähen Stielchen ineinander, so allmählich ein zierlich Kranzgewinde flechtend. Aus dem Innern der sanft hügelansteigenden Waldung drang eine klare, ziemlich breite Quelle: leise, melodisch rieselnd suchte sie rasch den kürzesten Weg durch den Wiesengrund hin zu dem Flüßchen. Wie dunkle Pfeile schossen, flohen, aufgescheucht sogar durch den so leichten Schritt der nahenden Mädchen und durch den Schatten ihrer Gestalten, über den hell-kieseligen Grund des Quells die huschigen Schmerlen dahin. Eine zierliche Libelle aber – mit langen, schmalen tiefblauen Gitterflügeln – kam geflogen und ließ sich zutraulich nieder auf Ildichos leuchtendem Haar, den zarten Duft einsaugend: lange blieb sie sitzen, obwohl das Mädchen weiterschritt. „Friggas Botin!“ rief Albrun. „Sie brachte dir der Göttin Gruß, du Liebling von Asgardh,“ stimmte Ganna bei. Aber die Fürstin hemmte nun plötzlich den Schritt und wies schweigend mit dem Finger nach oben. Da scholl aus den dichten Wipfellauben der hochstämmigen Buchen ein kosendes Gurren und Girren hernieder.


„Die Wildtaube!“ flüsterte Albrun mit freudeglänzenden Augen. „Du, Herrin, hast sie zuerst gehört,“ sprach Ganna. – „Das bedeutet ...“ „Hochzeit, Vermählung,“ lächelte Ganna, sich an den weißen Arm der Herrin schmiegend. „Höre, wie tönt es so zärtlich! Auch Freia befreundet dich merkbar: – denn es ist der Liebesgöttin Vogel.“

Ildicho errötete bis unter die Haare der lichten Stirn; sie senkte die langen, dunkelblonden Wimpern und schritt rascher aus. „Horch!“ rief sie dann, wie um die Gedanken der Genossinnen abzulenken. „Das war ein andrer Ruf. Weither, weither, aus tiefstem Grund des Waldes! Hört nur! Da wieder! Kurz, aber zaubersüß, geheimnisschwer.“ „Das ist der Amselkönig, mit der gelben Brust,“ erklärte Albrun. – „Der Goldvogel! Der Bürolf! Der sich und sein Nest unsichtbar machen kann.“ – „Freilich! Ist’s doch ein verwunschner Königssohn! Verwunschen, weil er die schöne Göttin Ostara im tiefsten Waldesgrund im Bade belauscht hat.“ – „Er sollte nicht ausplaudern können von dem, was er geschaut!“ – „Doch ein geheim Entzücken klingt noch nach in seinem Ruf.“

„Eine Jungfrau aber, die am Wodanstag geboren, kann ihn erlösen aus seinem Sehnen ... –“

„Küßt sie ihn herzhaft auf den goldnen Scheitel ...“ – „Dreimal!“ „Einen Vogel! Das dürfte doch auch die strengste Jungfrau thun, nicht, Ildicho?“ fragte die schwarzbraune Altrun. „Ja, dir wär’ es aber nicht um den Vogel,“ meinte Ganna lachend. „Wann er die Federn und den Schnabel abgestreift ...“ – „Nun, dann käme die Reihe, zu küssen, an ihn.“

„Ihr zungenkecken Kinder,“ schalt Ildicho. „Was sprecht ihr da so laut von küssen und geküßt werden? Mich wundert, daß ihr euch nicht schämt!“ – „Ei, so lang man vom küssen im Scherze spricht ...“ – „Denkt man noch nicht im Ernst an Kuß des Einen ...“ – „Von dem man nicht spricht!“ – „Jawohl! Und an einen solchen Königssohn, der in Vogelfedern steckt, wird man doch noch denken dürfen und ...“

Ildicho furchte die weiße Stirn und drückte die vollen üppigen Lippen des nicht kleinen Mundes zusammen – beides nur ganz leicht: aber Ganna bemerkte es doch; sie zupfte verwarnend die Neckerin an dem schwarzen wirrkrausen Gelock.

„Wartet hier,“ sprach die Königstochter, „hier auf der Moosbank. Mein Gewinde von Buchenblättern ist fertig. Ich gehe, aufs neue den Ursprink des Waldquells zu bekränzen. Ich hatte es gelobt.“

„Er ist Frigga geweiht“ – sprach Ganna ernst – „und tiefer Weissagung reich. – Laß sie allein gehen – und unbelauscht!“ schloß sie und zog Albrun, die der Herrin nachspähen wollte, an dem hellroten Mantel zu sich nieder auf die Bank.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Attila