Zweites Kapitel. - Rugiland, das Gebiet des Königs Wisigast, erstreckte sich von dem rechten Ufer der Donau westlich bis an die Höhenzüge, aus welchen die Krems und der Kamp entspringen. ...

Rugiland, das Gebiet des Königs Wisigast, erstreckte sich von dem rechten Ufer der Donau westlich bis an die Höhenzüge, aus welchen die Krems und der Kamp entspringen.

Einen scharfen Tagesritt von der Donau entfernt lag, umgeben von zahlreichen niedrigen Nebengebäuden, die stattliche Halle des Königs auf einer sanften Höhe. Die Halde hinan zogen sich Eichen und Buchen, ausreichend gelichtet, den Blick freizugeben von dem Fürstenhaus im Norden in das Thal; hier unten schlängelte sich ein breiter, schönflutiger Bach – fast ein Flüßlein zu nennen – um den Hügel her von Süden nach Nordosten durch üppigen Wiesgrund.


An jenem Bache wogte, im hellen Morgenlicht des Sommertags, rühriges, fröhliches Leben: eine Schar von jungen Mädchen war auf dem grünen Ufer eifrig beschäftigt, allerlei wollene und linnene Gewande in dem rasch fließenden Wasser von klarer lichtgrüner Farbe zu waschen. Es war ein heiteres Bild, reich an wechselnder, freier, anmutvoller Bewegung.

Denn mit Hast oder Last der Arbeit schienen es die Lustigen nicht allzustreng zu nehmen: lautes Schäkern, mutwilliges Lachen scholl gar oft aus dem durcheinander wimmelnden Rudel, deren rote, gelbe, blaue, weiße Röcke sich leuchtend abhoben von dem saftigen Grün der im Morgentau glitzernden Wiese. Die Mädchen hatten den Rock des langen hemdartigen Kleides aufgeschlagen und den Zipfel in den breiten Gürtel gesteckt, rühriger schaffen zu können: die weißen Füße waren unbeschuht und die vollen, runden Arme leuchteten wiederstrahlend im Morgenlicht; die eine oder andere hatte wohl einen breiten, aus braunem Schilf geflochtenen, ganz flachen Sonnenhut unter dem Kinne zusammengebunden, die meisten aber ließen das beinah ausnahmslos blonde Haar frei flattern. Zuweilen sprang eine der Arbeitenden, über den Bach Gebeugten, auf, hoch die schlanke, jugendliche Gestalt reckend, die nackten Arme in die Hüften stemmend und das durch die gebückte Stellung gerötete Antlitz im frischen Frühwind kühlend.

Denn etwa zwölf der Mädchen knieten nebeneinander auf dem gelben, ganz kleinkörnigen Ufersande, spülten die Linnen- oder Wollenstücke wiederholt in dem lebhaft flutenden, lustigen, lockenden Gerinne, hoben sie dann heraus, legten sie auf große, flache, saubere Steine, welche zu diesem Behuf hier zusammengetragen worden waren, und schlugen und klopften mit glatten Scheiben von weichem, weißem Birkenholz eifrig darauf los, patschten auch wohl einmal herzhaft daneben auf die Fläche des Bachs, daß das Wasser hoch aufspritzte und der aufschreienden Nachbarin zur Seite Haupt, Hals und Busen tüchtig durchnäßte.

Dann rangen sie die gesäuberten Stücke – jedes siebenmal, so verlangte, nach Friggas Gebot, der altvererbte Brauch – mit aller Kraft der jungen Arme aus, das Wasser sorglich auf den Ufersand – nicht wieder in den Bach – abtriefen lassend, und warfen die erledigten Gewande hinter sich auf den dichten Rasen, neue Arbeit greifend aus den zierlichen, von Weiden geflochtenen, hohen Körben, die jede zur Rechten neben sich stehen hatte.

Hinter den knieenden Spülerinnen und Klopferinnen aber gingen, schnellfüßig, auf und nieder die Spreiterinnen, lasen die von jenen abgelegten Stücke auf und trugen sie auf breiten, wenig vertieften Mulden von Lindenholz ein paar Schritte weiter von dem Fluß hinweg auf die Mitte der im hellsten Sonnenlicht badenden Wiese: denn hier war der Tau bereits aufgesogen, der nah’ am Bach und dann auch auf der entgegengesetzten Seite, unter den Büschen und Wipfeln des Waldes an der Westseite des Angers, noch reichlich glitzerte.

Sie spreiteten Stück um Stück, sorgfältig die Fältlein auseinander ziehend, reihenweise aus. Die Wiese trug die holdesten Blumen: Ehrenpreis und Frauenschuh, Tausendschön und Erdraute duckten gar gern und willig die nickenden Köpflein unter den feuchten, den kühlenden Schutz vor der sengenden Sonne. Und manchmal kam zutraulich ein Tagfalter geflogen, das bunte Pfauenauge oder die zarte Aurora, welche die warmen, lichtbestrahlten Waldwiesen liebt, oder der schöne, langsam, wie feierlich, schwebende Schillerfalter ließ sich nieder auf der anlockenden Fläche der weißen Wolle und legte die breiten Flügel voll auseinander, in süßem Behagen sich sonnend.

Nahe vor der reichblumigen Wiese gabelte sich der breite Fahrweg, der von der Königshalle den Hügel herab gen Süden führte: nach Westen zu wandte er sich in den Wald, nach rechts, nach Osten, verlief er in jener Matte.

An der Stelle der Gabelung hielt im Schatten dichtästiger, breitblätteriger Haselbüsche ein langer Leiterwagen, bespannt mit drei ganz weißen Rossen, eines voraus, zwei nebeneinander; an sechs halbkreisförmigen Reifen war über den Wagen ein Dach aus starkem Segeltuch gespannt; zahlreiche, säuberlich nebeneinander auf dem Grunde des Wagens aufgereihte Körbe, gefüllt mit bereits getrockneter Wäsche, bezeugten, daß die Arbeit schon geraume Zeit gewährt habe.

Vorn, an dem Querbrett des Wagens, lehnte, hochaufgerichtet, ein Mädchen; das war schön über alle Maßen. Um Hauptes Höhe überragte die schlankhüftige, aber an Nacken, Schultern und Busen in stolzer Fülle prangende, die herrliche Gestalt ihre beiden Gefährtinnen, die doch ebenfalls das Mittelmaß überstiegen. Ein einziges weißes Gewand flutete in langen Falten um die jungfräulichen Glieder; den lichtblauen Mantel hatte sie abgelegt und über das Wagengeländer gehängt. So waren der Hals und die wunderschönen, feingerundeten Arme sichtbar: das Weiß ihres Fleisches schimmerte, ohne zu blitzen, wie mattweißer Marmor. Ein handbreiter Gürtel von seinem, mit Weid blau gefärbtem Leder hielt das wallende Wollhemd um die Hüften zusammen; die feinen Knöchel wurden nicht mehr von dem blauen Saum erreicht; zierlich aus Stroh geflochtene Sohlen schützten den Fuß, über dem hochgeschwungenen Rist mit roten Riemen verschnürt.

Die königliche Jungfrau trug kein Gold als nur ihr Haar; das aber war an diesem wunderreichen Geschöpf ein Wunder für sich: das Satte, Warme, Tiefgoldige der Farbe, die seidenzarte Feinheit jedes einzelnen Härleins und die erstaunliche Fülle. Drei ihrer schmalen, langen Finger breit erhob sich auf ihrer weißen Stirn die Flechte, die, ein unvergleichlich Diadem, sie schmückte: und hinter dieser Stirnflechte teilte sich erst auf dem vollendet edel gebildeten Haupt die überquillende Menge in zwei prachtvolle, dreisträngige Zöpfe, die, an den Enden mit blauen Bändern zusammengehalten, ihr bis unter die Kniekehlen reichten.

So lehnte sie, aufgerichtet zu ihrer vollen Höhe, an dem Wagen, den rechten Arm ruhend über den Rücken des weißen Hengstes des Zwiegespanns vorgelegt, während sie die Knöchel der linken Hand oberhalb der Augen hielt, die Sonnenstrahlen auszuschließen. Denn wachsam blickte sie aus nach der Arbeit der Mädchen an dem Flüßchen und auf der Wiese. Ihre großen runden Augen, goldbraun, ähnlich an Farbe dem Auge des Adlers, leuchteten: scharf, fest, kühn war der Blick; manchmal hob sie stolz die starke, gerade Nase und die schön geschwungenen, tief dunkelblonden Brauen.

Plötzlich ward der schwere Wagen in jäher Bewegung nach rückwärts gerissen: das vorderste Roß stieß nicht ein Wiehern, einen Schrei tödlichen Schreckens aus, fuhr zurück auf die beiden anderen, bäumte sich, stieg – – : Wagen und Rosse schienen von der erhöhten Straße in den Thalgrund herunter stürzen zu müssen. Kreischend rannten die beiden Gefährtinnen nach rückwärts, den Hügel hinauf.

Aber die hohe Maid sprang vor, riß den steigenden Hengst am Zaume nieder mit kraftvollem Arm, schaute einen Augenblick, das schöne Haupt beugend, scharf spähend, auf die Erde und trat dann mit dem rechten Fuß fest und sicher zu.

„Kommt nur wieder,“ sprach sie nun ruhig, mit der Spitze des Fußes auf der Straße etwas zur Seite schiebend, das sich zuckend im Staube wand. „Er ist tot.?? „Was war es?“ forschte ängstlich eine der Gefährtinnen, neben dem Wagen wieder auftauchend: neugierig und furchtsam zugleich steckte sie das braunlockige Köpflein vor, den dunkelgrünen Mantel wie zum Schutze vorhaltend.

„Ein Kupferwurm, Ganna; die Pferde fürchten ihn sehr.“ „Mit Recht,“ meinte die zweite der geflüchteten Gesellinnen, auf der andern Seite des Wagens sich wieder heranwagend. „Und die Menschen! Hätt’ ich’s gewußt, – noch rascher wär’ ich gelaufen. Mein Vetter starb an dem Biß.“ – „Man muß sie zertreten, ehe sie beißen können. Seht ihr – gerade hinter dem Kopf – am Hals – zertrat ich sie.“

„Aber Ildicho!“ rief Ganna entsetzt, beide Arme erhebend. „Oh Herrin! Wenn du fehl tratst!“ klagte die zweite. „Ich trete nicht fehl, Albrun. Und mich beschützt Frigga, die freudige Frau.“ „Ja freilich! Ohne deren Hilfe ... !“ rief Albrun. „Weißt du noch, Ganna, wie ich – im vorigen Frühling war’s – da unten beim Waschen kopfüber in das Wasser gefallen war? Du schrieest: und du und alle die zwanzig andern – ihr liefet an dem Ufer hin mir nach, wie ich dahin schoß im wirbelnden Wasser – –“ „Gewiß! Aber sie schrie nicht. Hinein sprang sie und haschte dich am roten Mantel – dieser war es, derselbe – den du stets so gerne trägst, du weißt, er läßt dir gut! – haschte dich mit der Linken und mächtig rudernd mit dem starken rechten Arme zog sie dich ans Land.“

„Und als ich,“ lächelte das Königskind, „mir das triefende Haar ausstreifte ...“

„Da hatte sich darin festgeklemmt die Muschel, die wir Friggas Spange nennen ...“ „Die Perlen tragende,“ fuhr Albrun fort. „Und da wir die Schalen auseinander zwängten ...“ – „Da lag darin die schönste, größte Edelperle, die je Mädchenauge entzückt hat.“ – „Ja, gewiß“ sprach Ildicho ernst, leicht mit der Linken über die Braue streichend, „ich stehe in Friggas Schutz und Frieden. Wie hätt’ ich sonst, da mir die Mutter starb, sobald sie mich geboren, an Leib, Seele und Sitte doch ganz leidlich gedeihen mögen? Frau Frigga hat – an Mutter Statt – der Vater mich befohlen: ist sie doch unsrer Sippe lichte Ahnfrau! Abendelang hat mir der treue Vater in der Halle, am glimmenden Herdfeuer, vorerzählt von ihr, von aller Frauen fraulichster und hehrster. Und oft und oft, wann ich dann einschlief, sah ich die blonde, die schöne Frau an meinem Lager stehn, und ich spürte, wie sie mir hinstrich mit der weißen Hand – hier – über Stirn und Braue hin. Und ich erwachte wohl auch: – dann war mir, ich sähe noch ihr weiß Gewand entschweben und Funken sprühte dann, fuhr ich süß erschrocken darein, mein knisternd Haar. Unsichtbar allüberall begleitet mich, behütet mich, befriedet mich die weiße Frau. – Aber nun genug der müß’gen Mädchenworte! Zur Arbeit wieder!“

„Nein, Herrin,“ erwiderte Albrun, die schwarzbraunen Flechten schüttelnd und Ildicho in den Arm fallend, – „du hast dein Maß von Arbeit schon vielfach überschritten.“ „Wer hat,“ fuhr Ganna fort, „all diese schweren Körbe, die wir zu zweit nur mit Mühe hertrugen von der nahen Wiese, auf den hohen Wagen gehoben – allein –?“ – „Wir durften nicht einmal dabei auflüpfen helfen. Warum nicht?“ „Weil ihr zu zierlich seid, ihr konntet mir dabei zerbrechen,“ lachte das Königskind, hoch sich reckend, „alle beide. Ihr seid müde? So mag es genug sein für diesmal. Sie breiten ja auch schon da unten den letzten Wusch aus auf der Wiese. Wir drei bleiben, bis er getrocknet, daneben im Buchenhag. Die andern sollen mit dem Wagen zurück in die Halle; sie werden hungrig sein, und die Kühe sind bereits gemolken: – die Frühmilch steht bereit. Kommt, wir rufen sie ab von der Arbeit.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Attila