Sechste Fortsetzung

Von allem Diesem hatte man in dem Kloster, welches dem ehemaligen Kirchenfürsten von Rostow zum Gewahrsam diente, denn doch mancherlei Kunde erhalten. Diese Dinge wurden des Weiteren erörtert. Dabei fiel denn namentlich von Seiten Arssenij's manch hartes Wort über Katharina. Er tadelte die Absicht der Kaiserin, sich mit Grigorij Orlow zu vermählen, behauptete, Mirowitsch müsse bei seiner Verschwörung unter dem hohen Adel Genossen und Helfershelfer gehabt haben, bemerkte, dass die Wächter, welche den unglücklichen Schlüsselburger Gefangenen erstochen hätten, des Todes Würdig seien, weil „kaiserliches Blut geflossen sei“. Ferner hatte er prophezeit, es würde bald eine bessere Zeit anbrechen, die Türken würden verjagt, Griechenland von den Russen erobert werden, es würden dann in Russland zwei Herrscher sein: der Großfürst Paul und der Prinz Peter von Braunschweig, welcher nun schon 15 Jahre lang als Bruder des ehemaligen Kaisers Iwan Antonowitsch im Gefängnis zu Cholmogory lebte. Als einst die Nachricht kam, der Großfürst Paul sei krank, bemerkte Arssenij, man vernachlässige den Thronerben geflissentlich. Mit besonderer Ausführlichkeit aber hatte er die Frage von den Kirchengütern erörtert, darüber geklagt, dass die Klöster jetzt nicht einmal die Mittel hätten, Bier zu brauen, dass man in Russland mit dem Kirchengute schlimmer umgehe als in der Türkei; es sei ein wahres Sodom und Gomorrha. Er tadelte die Haltung anderer Kirchenfürsten, insbesondere des Erzbischofs von Nowgorod, Dimitrij Ssjetschenow, schmähte den Adel, welcher gern auch seinerseits die Kirche plündere, bedauerte, dass die Kaiserin nicht fest im Glauben und mit den Lehren der russischen Kirche unbekannt sei; sich selbst verglich er mit Chrysostomos, welcher gleichfalls für die Wahrheit habe leiden müssen u. dgl. m.

Katharina nahm persönlichen Anteil an der Untersuchung; sie ließ sich die Verhörprotokolle vorlegen, machte ergänzende Bemerkungen zu denselben und gab Instruktionen in Betreff derjenigen Punkte, welche bei späteren Verhören besonders berücksichtigt werden mussten. Viel mehr als durch die in Betreff der Säkularisation der geistlichen Güter gemachten Äußerungen Arssenijs war sie verletzt in Betreff der Thronrechte. Dass der ehemalige Erzbischof gesagt hatte, ihr hätte nur die Rolle einer Regentin gebührt, dass er gemeint hatte, sie hätte wohlgetan, Iwan Antonowitsch zu heiraten, dass er die Äußerung gewagt hatte, Elisabeth habe nicht ihren Neffen Peter, sondern dem ehemaligen Kaiser Iwan die Krone hinterlassen wollen, brachte sie in Harnisch.


Der Prozess Arssenijs wurde in aller Stille und Heimlichkeit betrieben. Nur ein Paar Würdenträger, wie Panin und Orlow, waren in das Geheimnis eingeweiht. Der Generalprocureur Schechkowskij leitete die Untersuchung und arbeitete rastlos an der Durchsicht und Ordnung der Akten und der Feststellung aller Einzelheiten. Die Kaiserin selbst widmete der Angelegenheit viel Zeit und Arbeitskraft. Sie war erschüttert beim Anblick der Gefahr, welche darin lag, dass Persönlichkeiten wie der gestürzte Kirchenfürst auf die öffentliche Meinung zu wirken, Maß und Verachtung gegen die bestehende Staatsgewalt zu verbreiten suchten. In ihrem Zorn nannte sie wohl Arssenij „ein Ungeheuer des Menschengeschlechts“.

Die Angeber wurden belohnt, diejenigen Personen, welche Arssenijs Reden gehört hatten, ohne davon Anzeige zu machen, bestraft. Er selbst wurde, obgleich er, wie es im Urteilsspruche hieß, der qualifizierten Todesstrafe würdig sei, zur Einsperrung verurteilt. Seine Name sollte geändert werden, vermutlich, um für den Fall, dass er mit irgend Jemand in Berührung kam, ihm den Nimbus des ehemaligen Prälaten zu nehmen. Er sollte „Alexander“ heißen, aber Katharina änderte diese Bestimmung ab, indem sie befahl, ihn fortan nicht anders als „Andrej Wrelj“ (der Lügner) zu nennen.

Nun wurden durch den Fürsten Wjäsemskij drei Instruktionen entworfen — Katharina hat an denselben noch mancherlei geändert — die eine für denjenigen Offizier, welcher den Staatsverbrecher von Archangel nach Wologda, eine zweite für den Offizier, welcher ihn von Wologda nach Reval bringen sollte, eine dritte endlich für den Kommandanten von Reval, Tiesenhausen, welcher den Gefangenen in engem Gewahrsam halten und überwachen sollte. In diesen Instruktionen heißt Arssenij bald „der unbekannte Gefangene“, bald „der Bauer Andrej Wrelj“, bald „Brodjagin“ (Vagabund). Die Bewahrung des Geheimnisses in Betreff der Persönlichkeit des Gefangenen stand in diesen Instruktionen im Vordergrunde. Die Begleiter Arssenijs durften nie mit ihm sprechen; sollten sie doch einmal irgend eine Äußerung von ihm hören, so durften sie nie, in ihrem ganzen Leben davon reden und nur etwa dem Fürsten Wjäsemskij davon Mitteilung machen. Um den Gefangenen am Reden zu verhindern, sollte ihm, falls er sprechen wollte, ein stets bereit zu haltender Knebel gezeigt werden.

Offenbar fürchtete die Regierung den Einfluss des Staatsgefangenen auf das Volk, welches ohnehin gern für die Verfolgten Partei nahm und in dem vorliegenden Fall leicht dazu kommen konnte, in dem gestürzten Kirchenfürsten einen Heiligen zu verehren. So erklärt es sich, dass die Reise Arssenijs von Archangcl nach Reval in aller Stille und Heimlichkeit bewerkstelligt wurde, so zwar, dass D. A. der Offizier, Nolcken, welcher in Wologda den Gefangenen von dem Offizier Tousokow empfing, womöglich im Ungewissen darüber bleiben sollte, wen er geleite. Auch scheint die Regierung Mittel gebraucht zu haben, um die Zeitgenossen, welche etwa das Schicksal Arssenijs verfolgten, glauben zu machen, er werde nach Sibirien gebracht. Daraus sind dann Legenden in Betreff der Todesart Arssenijs entstanden, deren wir sogleich, weiter unten, erwähnen werden.

Mit welchem Geheimnis der Staatsgefangene auch in Reval um geben werden sollte, ist aus den, dem Kommandanten Tiesenhausen erteilten Instruktionen zu ersehen. Hiernach sollte u. A. der Geistliche, welcher bei etwa eintretendem Tode des Gefangenen ihn bestatte, oder ihm vor dem Tode geistlichen Beistand leiste, einen Revers unterschreiben, dass er sich bei Todesstrafe verpflichte, keinem Menschen ein Wort davon zu sagen. In der Arssenij betreffenden Korrespondenz zwischen der Zentralgewalt und der Behörde in Reval sollte der Name des Gefangenen nie genannt werden, sondern nur von „der geheimen Angelegenheit“ die Rede sein. Seine Effekten, welche ihm in Archangel abgenommen worden waren, sollten verkauft werden, ohne dass die Käufer erfahren sollten, wessen Eigentum diese Gegenstände gewesen seien. Bücher durfte er in seiner Zelle haben, aber durchaus kein Schreibmaterial. Im Übrigen schrieb Katharina vor, sollte man mit Arssenij nicht roh umgehen und es ihn an nichts fehlen lassen.

Bald nachdem Arssenij (am 8. Januar 1768) in Reval eingetroffen war, erkrankte er. Der herbeigeholte Arzt, ein Deutscher, musste einen Revers unterschreiben, dass ersich bei Todesstrafe verpflichte, den Kranken nicht nach seinem Namen oder Stande zu fragen und dass er lebenslänglich unverbrüchliches Schweigen über den Patienten beobachten werde.

Es geschah oft, dass die Ostseeprovinzen als Verbannungsort dienten. Auf eine von dem Generalprocureur an den Generalingenieur gerichtete Frage, wo etwa in den Ostseeprovinzen ein ganz sicheres Gefängnis für einen wichtigen Verbrecher zu finden sei, hatte der Letztere mit einem Hinweis auf Reval geantwortet und eine Zeichnung der Zelle entworfen, in welcher der Gefangene untergebracht werden sollte. Man verfügte, dass die wachthabenden Soldaten womöglich Esten seien, die kein Russisch könnten. Ähnliche Instruktionen wie der Kommandant Tiesenhausen erhielten dessen Nachfolger Benckendorff und Kochius. Zu dem Unterhalte des Gefangenen waren zuerst 10, dann 15 Kopeken täglich angewiesen. Als Tiesenhausen durch Benckendorff ersetzt wurde, schärfte Katharina dem Fürsten Wjäsemskij ein, er solle doch dem neuen Kommandanten die äußerste Wachsamkeit in Betreff des „Lügners“ empfehlen, weil dieser sonst allerlei schöne Dinge anrichten könne; werde die Aufsicht über dieses „Tierchen“ geringer, so könne wieder allerlei Unbequemlichkeit durch ihn entstehen.

Mündlichen Traditionen in Reval zu Folge soll die deutsche Bevölkerung der Stadt kein Interesse für den Gefangenen gezeigt haben, welcher eine Zelle über der „Schmiedepforte“ bewohnte. Es wurde erzählt, dass Russen einfachen Standes, namentlich Gemüsebauern, den Gefangenen bisweilen besucht hätten und dass er die Freiheit gehabt habe, unter Bewachung in Bauernkleidung in der Stadt umherzugehen. (?) Es gingen ferner Gerüchte darüber, als habe Arssenij auf einem englischen Kauffartheischiffe entrinnen wollen. Ferneren mündlichen Erzählungen zu Folge sollte der Unglückliche während der letzten Jahre seines Lebens seine Zelle nicht haben verlassen dürfen und die Vorübergehenden um Hilfe gegen Kälte und Hunger angefleht haben, so dass mancher Rechtgläubige sich seiner angenommen und ihm in einem Korbe an einer Schnur Brod, Wäsche, Kleider, sogar Holz und Wasser an das kleine Fensterchen der Zelle hinaufgesandt hätte. (??)

Alle diese Traditionen sind als durchaus unzuverlässig zu bezeichnen. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, dass, als Arssenij 1772 starb, sowohl der dabei fungirende Geistliche als die diensthabende Bewachung einen Revers ausstellen mussten, dass sie bei Todesstrafe nie eine Mitteilung von dem Vorgefallenen machen würden.

Im Publikum scheint man das Andenken Arssenijs geehrt zu haben. So erklärt sich der Umstand, dass eine Legende über seinen in Sibirien erfolgten Tod in zahlreichen Abschriften in Privatkreisen zirkulierte und Glauben fand. Diese Erzählung hatte die Form eines Schreibens des Offiziers, welcher angeblich den Gefangenen nach Werchneudinsk, in den äußersten Nordosten Sibiriens, zu eskortieren hatte und Augenzeuge des unterwegs von allerlei fabelhaften Umständen begleiteten Todes des Kirchenfürsten gewesen war. Hiernach sollte der Staatsgefangene durch ein Wunder, in vollem Ornat und von einem Heiligenschein umgeben, in einer Dorfkirche erschienen und dann dort tot gefunden worden sein u.dgl. m. Diese Erzählung, welche natürlich in allen Stücken ersonnen ist und keinem Tatbestande entspricht, scheint u. A. auch dadurch veranlasst gewesen zu sein, dass allerdings um jene Zeit ein Mönch, Namens Arssenij, nach Werchneudinsk gebracht wurde und dort starb: aber derselbe war natürlich nicht identisch mit dem ehemaligen Erzbischof von Rostow und stammte aus einem Kloster bei Nishnij-Nowgorod. Die Regierung selbst hatte durch die Heimlichkeit, mit welcher sie den Transport des Gefangenen bewerkstelligen Hess, der Erfindung solcher Märchen Vorschub geleistet.

Arssenij vertrat nicht eigentlich eine wohlorganisierte Partei. Es geschah wohl, dass im Jahre 1771 ein gewisser Ssmolin den Mut hatte, öffentlich zu erklären, Arssenij habe in seiner Verteidigung der Rechte der Kirche ganz korrekt gehandelt, es geschah wohl, dass ein Mystiker, J. W. Lopuchin, dem ehemaligen Kirchenfürsten auf seinem Gute im Gouvernement Orel ein Denkmal errichten ließ, aber im Ganzen war das Ansehen, welches er beim Volke genoss, ein abstraktes, unklares, nicht irgendwie formuliertes. Insofern mochte selbst die Besorgnis, welche Katharina bei Gelegenheit der Prozesse Arssenijs empfunden hatte, übertrieben gewesen sein. Dass man damals auf das rebellische Auftreten des Kirchenfürsten soviel Gewicht legte, ihn in eine Art Märtyrerrolle hineindrängte, dass man seine allerdings sehr kecken Äußerungen im Koralischen Nikolaikloster zu so gewaltigen und gefährlichen Staatsverbrechen aufbauschte, erklärt sich durch die Unsicherheit der Zeitverhältnisse, durch die Gefahren, welche der Regierung Katharinas von verschiedenen Seiten drohte.

Man wird jedenfalls den aufgeklärten Forschern, wie Professor Ikonnikow und der verstorbene P. Pekarskij, Recht geben müssen, welche in Anknüpfung an die Geschichte Arssenij Mazejewitschs dartun, dass Persönlichkeiten wie dieser, als Vertreter einer klerikalen Partei, eine gefährliche Macht repräsentierten, dass von den Zeiten des Patriarchen Nikon bis zur Regierung Katharinas der Kampf zwischen Staat und Kirche zu den wichtigsten Erscheinungen zählt und dass Prinzipien, wie Arssenij Mazejewitsch dieselben vertrat, so energisch bekämpft werden mussten, wie Peter dies mit seinem „Geistlichen Reglement“ in für alle Folgezeit entscheidender Weise getan hatte.

A. Brückner.