Griechische und Römische Porträts

Wenn wir jetzt zur Betrachtung der griechischen und römischen Porträts übergehen, so ist wieder erst zu fragen, bei welchen Gelegenheiten sie entstanden und welchen Zweck sie hatten. Da hierbei eine weite Gebiete umfassende und vom 6. vorchristlichen bis zum 6. nachchristlichen Jahrhundert reichende Entwicklung kurz zu charakterisieren ist, müssen manche örtlichen und zeitlichen Unterschiede zurücktreten.

Die Anlässe, bei denen Porträts hergestellt wurden, waren in der klassischen Welt etwas mannigfaltiger als in Ägypten. — Zunächst enthielt wenigstens in Rom ein jedes große Haus Bildnisse der Besitzer. Einmal waren es wächserne Totenmasken, die als Ahnenbilder aufbewahrt und bei der Beisetzung eines Familienmitgliedes von Schauspielern im Leichenzuge getragen wurden; einen unmittelbaren magischen Zweck hatten sie wohl nicht. Dann stand auch oft das Bildnis des lebenden Hausherrn im Atrium oder war im Tablinum gemalt, z. B. das Eheporträt des Pompejaners Proculus und seiner Frau auf unserer Tafel 38 ; es fand sich ferner auf seinem Geschirr und Körperschmuck, beispielsweise an Silberschalen und Siegelringen (vgl. Taf. 58 f). Die Siegelporträts hatten etwa den Zweck wie bei uns die Unterschrift, daher wurden gelegentlich beim Tode des Besitzers die Steine zerbrochen und ihm ins Grab gelegt.


Zweitens findet sich, wie in Ägypten das Sepulcralporträt. An den Grabmälern erscheinen Bildnisse des Verstorbenen, auch wohl in Begleitung der überlebenden Familie oder der Ahnen; es sind Statuen, Büsten, Reliefs, Bilder — je nach Größe, Gestalt und Ausstattung des Grabmales. Porträtähnlich werden sie erst im Hellenismus und sind z. B. selbst an den berühmten attischen Grabreliefs noch ganz typisch. Das mag damit zusammenhängen, dass sie nicht mehr, wie in Ägypten, einen magischen Zweck zu erfüllen hatten, der eine gewisse Aehnlichkeit erheischte, sondern nur noch zu pietätvoller Erinnerung für die Überlebenden dienten, auch wohl zur Repräsentation der Familie an den Gräberstrassen der Städte; denn zum Unterschied von den ägyptischen Sepulcralporträts sind die griechischen und viele römischen öffentlich aufgestellt, nicht in den Grüften und Totentempeln verborgen. — Eine besondere Klasse unter den Sepulcralporträts bilden die plastischen Masken und gemalten Bilder, die über die Gesichter der Mumien gelegt wurden; manchmal sind sie entschieden nach der Natur gefertigt — sicher zu Lebzeiten — und anscheinend ähnlich; wir geben als Beispiel das auf Leinen gemalte Bildnis der Aline (Taf. 43 b). —

Weiter erscheinen Votivporträts, die wir ebenfalls schon aus Ägypten kennen. Sie hatten ursprünglich wohl auch in der klassischen Welt den Zweck, die dargestellte Persönlichkeit bildlich, d. h. faktisch in den Schutz einer Gottheit zu stellen. Aber diese erste Bedeutung ist besonders in der kunstübenden und aufgeklärten Oberschicht der Bevölkerung sehr schnell verblasst; Votive sind meist nur Gaben dankbarer Erinnerung. Sie standen zu Tausenden in den Heiligtümern; selten und nur bei sehr hervorragenden Persönlichkeiten in der Cella des Tempels, die auch das Kultbild enthielt, meist vielmehr unter seiner Ringhalle oder auf der Fläche des Bezirkes. Je nach dem Anlass der Gabe und dem Vermögen des Stifters waren es Statuen aus Bronze oder Marmor, selbst aus Edelmetall, Gemälde, Hermen, Büsten, Rundbilder in einem Rahmen, Statuetten u. a. m. Die weihenden Personen waren Priester oder Fromme, die der Gottheit eine Schuld entrichten wollten ; unter diesen sind besonders zu nennen die athletischen Sieger in den Spielen, welche bei den großen Nationalheiligtümern abgehalten wurden, etwa in Olympia. Auch an den Votivporträts blieb die Darstellung sehr häufig und besonders während der früheren Zeit noch rein typisch, ohne Beimischung persönlicher Züge; die klassischen Athletenstatuen stellen z. B. größtenteils bestimmte Sieger dar, was man aber nur an den Inschriften auf ihren Basen erkennen konnte. — Als etwas ausschliesslich Europäisches sind ferner die Ehrenstatuen zu erwähnen, die der alte Orient m. W. nicht kannte. Sie wurden an der Wirkungsstätte berühmter und verdienter Männer errichtet, schon zu Lebzeiten oder nach dem Tode, um ihr Andenken durch das Bild ihrer Züge wach zu erhalten. Ob sie außerdem noch den vermutlich ursprünglichen Zweck bewahrten, den Geist des Toten zu bannen, seine Dienste der Gemeinschaft dauernd zu sichern, entzieht sich der Beurteilung. Die Städte der griechisch zivilisierten Länder waren voll von solchen Ehrenbildnissen. Zahlreich standen sie auf dem Markte als dem geistigen Mittelpunkt der kleinen Stadtstaaten; ferner .sah man in den Rathäusern Bildnisse von Staatsmännern und Feldherrn; in den Theatern und Odeien von Dichtern und Musikern, in den Gymnasien von ihren Stiftern und den aufsichtsführenden Kosmeten, in der Akademie zu Athen von den Häuptern der philosophischen Schulen, u. a. m. Auch diese Ehrenbildnisse waren zunächst von t3'pischer athletischer Schönheit, z. B. die beiden Tyrannenmörder auf dem Markte in Athen, und wurden später naturalistisch aufgefasst.

Eine besondere Art von Bildnissen sind endlich die hellenistisch-römischen Herrscherporträts, seit Alexander. Die Könige und Kaiser hatten Grabstatuen an ihren Mausoleen; sie weihten Votivporträts in die Tempel; mehr oder wenige untertänige Gemeinden, die sich doch den Schein der Freiheit wahren wollten, errichteten Ehrenbildnisse ihrer mächtigen Freunde auf dem Markt. So weit schloss sich das Monarchenbildnis an das Privatbildnis an. — Eine neue Auffassung entstand durch den öffentlichen und privaten Kultus der Herrscher. Zu den Heiligtümern des Alexander, des Seleukos Nikator, des Ptolemaios Soter und späterhin vieler hellenistischer Fürsten und römischer Kaiser gehörten Kultstatuen in göttlicher Auffassung; zum Teil waren sie auch bestimmten Göttern angeglichen, wie schon die Kultnamen zeigen z. B. Zeus Seleukos Nikator. Vielfach hatten sie . kolossalen Maßstab. — Da die Herrscher nun in den Kreis der Götter eingetreten waren, setzten sie, wie oben erwähnt, auch ihre Porträts auf die Münzen, anstatt der bisher fast allein üblichen Götterköpfe; in Persien hatte man allerdings schon früher mit dem Bildnis der Großkönige oder Satrapen geprägt, was ebenfalls die hellenistische Sitte mitbestimmt haben mag. Durch die Verwendung auf den Münzen bekam das Herrscherbildnis in den einzelnen hellenistischen Staaten die Bedeutung etwa eines Reichswappens. Nicht immer wechselte übrigens mit jedem neuen Herrscher auch das Münzbildnis; z. B. in Pergamon und in Ägypten erscheint dauernd das Porträt des Dynastiegründers. — Das Gesagte gilt zunächst mehr für die hellenistischen Könige, passt aber im ganzen auch auf die römischen Kaiser. Den Kaiserkult übten alle Völker des Reiches, und das Kaiserporträt war das Zeichen ihrer politischen und kulturellen Zusammengehörigkeit. Als geheiligtes Reichssymbol erschien es in Kaisertempeln und Staatsgebäuden, auf Straßenbögen und Märkten, an den Feldzeichen des Heeres, auf den Münzen. Es diente ferner als Marke an kostbaren Waren, die aus staatlichen Manufakturen hervorgingen, z. B. Seidengeweben und Luxuswaffen; auch das Silber des Palastes in Konstantinopel trug z. B. unter Justinian dessen Bildnis als Eigentumszeichen, was gewiss keine vereinzelte Neuerung war. Da endlich der Herrscherkult tief in die Privatreligion eingedrungen war, enthielt fast jedes Haus und jeder Laden ein kleines Bild oder eine Büste des Kaisers. — An der politischreligiösen Stellung der Herrscher nahmen in steigendem Masse ihre Verwandten teil, auch die weiblichen, seit die Lage der Frauen in den hellenistischen Monarchien und dann besonders in Rom eine freiere und angesehenere geworden war; daher findet man häufig Bildnisse von Prinzen, Kaiserinnen, Königinnen, Prinzessinnen, selbst kleinen Kindern. Es ist begreiflich, dass bei einer derartigen Verbreitung dynastische Bildnisse geradezu als Schmuck angewandt wurden, z. B. an Gemmen und Siegelsteinen, an Prunkgerät, ohne dass sich hier in jedem Falle noch ein bestimmter Grund für ihre Anbringung finden ließe (vgl. Taf. 58 ff.). Unter den hier kurz dargestellten Umständen mussten Herrscherporträts von sehr verschiedenartiger Auffassung entstehen. Einmal erscheinen ähnliche Bildnisse; sie sind in dem erhaltenen Material sogar entschieden die Mehrzahl. Dann finden sich, wie schon erwähnt, idealisierte Bildnisse von heroisch-athletischer Schönheit und häufig bestimmten Göttertypen angeglichen, wie etwa auf Tafel 36 Nero mit der Strahlenkrone des Helios. Weiter lässt sich die bereits in Ägypten beobachtete Tatsache feststellen, dass das Porträt einer überragenden Persönlichkeit als Typus die Auffassung anderer Bildnisse bestimmt. Besonders Alexander der Grosse ist von seinen Nachfolgern im Leben und in der Kunst nachgeahmt worden bis an das Ende des Altertums. Ihm ähneln die Diadochen und Epigonen, so dass man oft kaum ermitteln kann, wer eigentlich dargestellt ist — z. B. auf dem Kameo Tafel 58, 15 — und noch die späteren römischen Kaiser, etwa Caracalla auf dem Goldmedaillon von Abukir (Taf. 60, 4).

Es bleiben noch einige rein künstlerische Voraussetzungen des griechisch-römischen Porträts kurz zu erwähnen. In Griechenland, wo die Entwicklung einsetzt, beginnen ähnliche Bildnisse erst spät, nämlich im 5. Jahrhundert v. Chr., als die griechische Kunst, soweit Kenntnis des menschlichen Körpers in Betracht kommt, die ägyptische schon sehr weit hinter sich gelassen hatte. Ihr spätes Erscheinen hängt damit zusammen, dass sie nicht mehr einen unmittelbaren Zweck hatten, wie in Ägypten. Häufiger werden sie dann , nachdem die Sophistik das Individuum aus der Gemeinschaft gelöst und zum Gegenstand selbständigen Interesses gemacht hatte. — Als das Porträt beginnt, ist die griechische Anschauungsweise in der Kunst noch von Typen beherrscht, die aber schon stärk differenziert und auch in den einzelnen Schulen verschieden sind. Sie beruhen meist auf den fast abnorm durchgebildeten und entwickelten Körpern athletischer Sieger in der Lebensblüte; doch kommen alternde und selbst greisenhafte Gestalten schon öfters vor, und werden die verschiedenen Phasen in der Entwicklung, besonders der männlichen Jugend, bereits genau beobachtet und geschieden, zum Teil wohl aus erotischem Interesse. Weiber und Kinder sind den männlichen Typen stark angeglichen. Die durch den griechischen Sport entstandene Körperkenntnis ist sehr gründlich und erstreckt sich auch auf die Bewegungen, welche richtig und mit zusammengezogenen oder gedehnten Muskeln dargestellt werden. Gemäß dem athletisch-anatomischen Charakter der Kunst steht das psychologische Interesse etwas zurück; der Ausdruck beruht mehr auf der sprechenden Haltung des Körpers als auf der Suggestion durch das Antlitz. Im Gesicht angegeben werden zunächst nur momentane Gemütserschütterungen, bei denen die Züge sich verzerren, z. B. Wut und Schmerz. Besonders an den Masken der Schauspieler, die für eine weitreichende Fernwirkung berechnet sind, sieht man solche Affekte übertreibend formuliert. Seit dem 4. Jahrhundert sind dann die Gesichter häufig in atmender Bewegung aufgefasst.

Der skizzierte Zustand hatte für die Bildniskunst bestimmte Folgen, von denen einige erwähnt sein mögen. Zunächst wird mit dem ganzen Körper auch der Hals in Bewegung dargestellt; daher erscheint der Kopf fast nie mehr frontal, sondern verschiedenartig gedreht und geneigt, in der Regel im Dreiviertelprofil, so dass man den Schädel etwas mitsieht und die abgewandte Seite verkürzt ist. Die verschiedene Haltung des Kopfes ist vermutlich oft als charakteristisch beabsichtigt. Die Formgebung im einzelnen geht vom Typus aus und endet beim ähnlichen Porträt; es ist dieselbe Entwicklung wie in Ägypten, nur dass sie bei der fortschrittlichen Gesinnung und hochentwickelten Körperkenntnis der Griechen viel schneller verlief. Förderlich wirkte unter anderem, dass man, wie erwähnt, schon verschiedene Altersstufen darzustellen gewöhnt war. In der Psychologie fehlt die unbefangene Auffassung der Ägypter, weil das anatomische Interesse an den Muskeln des Antlitzes ablenkend wirkt. Dafür wird, wie die körperliche, auch die geistige Bewegung beobachtet und festgehalten, der Affekt. Die Griechen sind die „Erfinder“ des Affektporträts, das in einer für uns oft maskenhaften Übertreibung erscheint, auch vielleicht wirklich von den Theatermasken beeinflusst ist. Unter den Affekten, die zur Darstellung kamen, ist der geschichtlich wichtigste die athletischheroische Erregung Alexanders und seiner Nachfolger; sie ist der sozusagen bühnenmäßige Ausdruck für das körperliche und geistige Kämpfen und Siegen des Welteroberers. Dass seit dem Ende des 4. Jahrhunderts die Gesichter, wie oben gesagt, oft atmend dargestellt werden, bestimmt ebenfalls den Ausdruck mit, der häufig etwas körperlich Unruhiges bekommt.

Nun zu den einzelnen hier abgebildeten Stücken. Analog dem ägyptischen Porträt beginnt, wie wir sagten, das griechische mit der individuellen Abwandlung typischer Züge. Als Beispiel für diese frühe Phase, die im 5. Jahrhundert liegt, dient hier das Bildnis des Perikles in London (Taf. 13). Ein schönes Antlitz, das kaum durch die etwas volleren Lippen persönlich erscheint und in der Charakteristik über würdige Eleganz nicht hinausgeht. Wie die meisten auf uns gekommenen griechischen Porträts ist es eine Kopie, die zwar im ganzen getreu zu sein scheint, aber doch nicht mehr den Reiz des Vorbildes in der Behandlung der Oberfläche besitzt. Das Original stand vermutlich als privates Weihgeschenk auf der Burg in Athen. Das Porträt des Perikles war aber zu seiner Zeit — um 430 v. Chr. — schon überholt, soweit die Naturwahrheit in Betracht kommt. Ebenso alt ist nämlich der auf Tafel 58, I, vergrößert abgebildete Siegelstein, ein Werk des Künstlers Dexamonos aus Chios; er zeigt einen viel weiter gehenden Naturalismus in der freien Auffassung der Gesamtform, in individuellen Einzelzügen — der kahlen Stirn, den tiefliegenden Augen, der lang hinaushängenden Nase — und nicht zum wenigsten in der unbefangenen Charakteristik. Ein zweites, derselben Periode angehöriges Bildnis von ähnlich naturalistischer Art ist die Statue des Philosophen Heraklit auf Tafel 14; leider wieder eine Kopie, und zwar in vom Original sehr verschiedenem Stil, aber man sieht doch, wie weit die Abweichung vom T3'pus geht, in dem breiten kräftigen und etwas trüben Antlitz des ernsten Philosophen mit seinem langen Haar und Bart. Benannt ist die Statue durch kleine Bilder auf Münzen seiner Heimat Ephesos; dort wird ihr Vorbild gestanden haben. — Ein wenig jünger und dabei doch wieder mehr typisch ist das Porträt des Sophokles auf Tafel 16; vermutlich Kopie einer kurz nach seinem Tode in Athen errichteten Statue — ein ehrwürdiger Greis mit gefurchter Stirne.

Dann erscheint in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts eine Gruppe von Bildnissen, die sich durch ihren planmäßigen Naturalismus zusammenschließen. Er zeigt sich in einer fast unbefangenen Auffassung der Gesamtform und in sorgfältiger Registrierung individueller Einzelheiten und Äußerlichkeiten, besonders an Haut und Haar. Man kennt hier auch einen Meister, Silanion. Als Beispiel geben wir sein Platobildnis (Taf. 15). Persönliche Stimmung besitzt es nicht, soweit die Kopien erkennen lassen, und die Stärke des Silanion lag wohl mehr in genauer Beobachtung des Fassbaren. Allerdings wird gerade von ihm auch das erste Affektporträt genannt, ein Bildhauer Apollodoros, der zornig aussah.

Jünger als das Bildnis des Piaton sind vermutlich die des Aristoteles (Taf. 19) und Menander (Taf. 20), von denen wenigstens der Menander auch in guten Kopien da ist. Beide geben einen lebhaften Eindruck von großstädtischer Eleganz, von Feinheit, Leichtigkeit und Nervosität, von dem hohen geistigen Ernst sehr gebildeter Menschen, haben aber eigentlich keine persönliche Stimmung. In dieselbe Zeit fallen einige Idealbildnisse verstorbener Dichter, die im Theater von Athen errichtet wurden, Sophokles und Euripides. Sophokles — in der lateranischen Statue (Taf. 16B) — als der schöne, heiter normale Weltmann, Euripides fein, stolz und bitter, mit langem Haar (Taf. 17). Wie .schon beim Perikles wird auch hier wieder eine hochgesteigerte Schönheit verschmolzen mit persönlichen Zügen. Gab es doch in Griechenland immer Kunstrichter, die es rühmten, wenn die Künstler edle Männer noch edler darstellten. Die historische Entwicklung ging freilich hinweg über diese hemmende Schönheit, dem Naturalismus zu.

Kaum jünger als die letztgenannten Porträts ist ein Bildnis des Königs Archidamos von Sparta, das in anscheinend vortrefflicher Kopie vorliegt (Taf. i8). Zweifellos ein äußerliches Werk; aber es Hegt darin ein fanatisches Naturstudium. Dann das überaus schöne Bildnis einer alten Frau (Taf. 21, „Lysimache“), nicht fest benannt oder datiert, schlicht, klar und unbefangen. Wieder sah man der Natur ins Antlitz. — Wir hören auch noch aus dieser Zeit, dem 4. Jahrhundert, von einem wichtigen Werk des prinzipiellen Naturalismus, das nicht erhalten ist. Es war ein Bildnis des korinthischen Feldhauptmanns Pelichos, dickbäuchig, kahlköpfig mit heraustretenden Adern; der Meister hieß Demetrios von Alopeke und lebte in Athen; er könnte der Meister der „Lysimache“ und des Archidamos sein.

Dieser eindringliche und erschöpfende Naturalismus hielt sich in der griechischrömischen Welt bis zur Mitte der Kaiserzeit; das letzte große Werk der Art ist der kolossale Marmorkopf des Vespasian in Neapel (Taf. 39 a). Die vorliegende Auswahl umfasst eine Reihe von verbindenden Zwischengliedern, unter denen jetzt die vorrömischen aufgezählt werden sollen. — Aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. und wieder aus Athen stammen die Bildnisse der Philosophen Epikur und Hermarch (Taf. 25 und 26). Hermarch, ein dozierender Professor von ziemlich unathletischer Körperbildung — er ist das erste unbefangene Körperporträt unserer Sammlung — mit nachlässig umgenommenem Mantel. Epikur, ein Denker voll geistiger Intensität; eingehendes Naturstudium verbindet sich hier mit einer Spannung und Steigerung mancher Einzelformen, wodurch das Bildnis angestrengt und über seinen Maßstab hinaus gewaltig wirkt. Dann folgt zeitlich der König Euthjdemos von Baktrien (Taf. 29), eine unbefangene eindringende Arbeit, die der alten Frau auf Tafel 21 in ihrer Art nahesteht, nur leider etwas verdorben und übrigens auch skizzenhafter ist. Am Schlüsse dieser Gruppe erscheint ein fast einziges Stück aus Kyme, die Tonbüste Tafel 31, eine kaum ins Reine geschriebene „Naturstudie“ — vielleicht nach einer Totenmaske — mit allen Formen und Falten, selbst einer ungeheilten Wunde auf der Stirn. Von mechanisch hergestellten Porträts weiß aus dem Hellenismus übrigens auch die Überlieferung; sie berichtet, dass schon Lysistratos, der Bruder des Lysippos, mit Naturabgüssen gearbeitet hat.

Oben wurde auseinandergesetzt, wie und warum die hellenistischen Herrscherporträts sich häufig näher an Typen anschliessen, als an die Wirklichkeit, und wie hierbei außer verklärten Athletenkörpern und bestimmten Göttergestalten nach dem Tode Alexanders auch dessen Bildnis vorbildlich einwirkte. Wir kommen jetzt zu diesen mehr oder weniger idealisierten Herrscherporträts. Von Alexander sind es Münzbilder auf Tetradrachmen des Lysimachos (Taf. 61, 5) und auf Goldmedaillons, welche im 3. Jahrhundert n. Chr. in Makedonien als Kampfpreise zur Verteilung kamen (Taf. 60, i f.); die Bildnisse der letzteren sind zwar nur Kopien, aber getreue. — Von den Diadochen erscheint zunächst Seleukos Nikator, den ein Bronzekopf in Neapel darstellt (Taf. 22), und wahrscheinlich auch der bisher Attalos genannte Marmorkopf in Berlin (Taf. 27). Trifft diese neue Benennung zu, so hätten wir Seleukos in zwei Auffassungen, die verschiedenen Schönheitsidealen folgen ; das Alexanderartige ist aber an beiden unverkennbar, besonders im Ausdruck. Dann der ruhiger gehaltene Marmorkopf des Ptolemaios Soter (Taf. 23); in heroischer Erregung zeigt denselben Herrscher ein antiker Gipsabguss nach einem Silberrelief auf Tafel 60, 5. Weiter Amastris, eine der vornehmen Perserinnen, die von Alexander mit seinen Generälen verheiratet wurden (Taf. 24). Sicher scheint die Deutung hier nicht, wie denn überhaupt bei starker Idealisierung häufig nicht entschieden werden kann, ob überhaupt ein Porträt vorliegt und wen es darstellt. Ist der Kopf wirklich Amastris, so stammt er wegen der trauernd geneigten Haltung wahrscheinlich von ihrem Grabmal.

In spätere Zeit gehört Berenike II. von Ägypten (Taf. 28); ein weiches, damenhaft verschlossenes Gesicht, umrahmt von der starren ägyptischen Perücke; dazu kam noch ein hoher Kopfputz. Ihre levantinische Lieblichkeit ist wohl ebenfalls ägyptisch; die Damen der Eroberer übernahmen sie von der einheimischen Aristokratie. Ziemlich typisch ist endlich noch das Porträt Demetrios II. von Syrien, den eine überlebensgroße Bronzestatue im Thermenmuseum darstellen dürfte; man denkt an einen lysippischen Heros, selbst wenn man den gewaltigen Athletenkörper nicht mit sieht. — Die Benennungen beruhen bei allen diesen hellenistischen Herrschern auf Münzbildern (vgl. Tafel 6i). Weitere hellenistische Fürstenbildnisse in bald naturalistischer, bald idealer Auffassung auf Münzen und geschnittenen Steinen voreinigen die Tafeln 58 und 61; am hervorragendsten ist darunter der große Wiener Cameo mit Ptolemaios II. Philadelphos und seiner Gemahlin Arsinoe (Taf. 58, 15).

Wir kommen zur römischen Kaiserzeit. — Kunstgeschichtlich bezeichnet sie keinen tieferen Abschnitt in der Geschichte des Porträts, denn die Formensprache bleibt vorerst noch hellenistisch. Doch finden sich einige Unterschiede. Einmal sind niemals in der alten Welt Porträts so häufig wie in der Kaiserzeit, und zwar besonders in Rom, weniger in den übrigen Ländern des Reiches; sie zeigen auch nie eine durchschnittlich so hohe Qualität. Sozial genommen, sind sie verbreiteter als jemals, besonders auch bei den kleinen Leuten und Freigelassenen, in deren Grabstätten ein gutes Teil der erhaltenen Stücke gefunden ist. Dabei herrscht stets eine unbefangene, trockene Auffassung; die oft vulgären Gesichter werden augenscheinlich wiedergegeben, wie man sie sah, ohne jene Verklärung und Steigerung der Formen, die in der hellenistischen Kunst häufig war; idealisierte Bildnisse sind sogar geradezu selten; in unserer Auswahl vertritt sie der Basaltkopf des Nero in Florenz (Taf. 36). Von der Bevorzugung einer bestimmten Lebensstufe ist nichts mehr zu fühlen. — Die Entwicklung verlief im einzelnen ziemlich kompliziert schon deshalb, weil in der frühen Kaiserzeit alle Stile der näheren Vergangenheit noch lebendig waren und Künstler aller hellenistischen Länder in Rom arbeiteten. So scheint es, als wären am Hofe des Augustus vielleicht alexandrinische Bildhauer maßgebend gewesen, späterhin wieder kleinasiatische; unter Hadrian erscheint z. B. eine Bildhauerschule aus Aphrodisias in Karien, die sich an die zweite pergamenische Schule anschließt. Für uns wichtiger als die Herkunft dieser Schulen im einzelnen, die hier auch nicht untersucht werden kann , ist die Tatsache des modehaften Wechsels der Stile überhaupt.

Unsere Beispiele beginnen am Ende der Republik, mit dem Porträt des Pompejus in Kopenhagen (Taf. 32). Es bezeichnet den Ausgangspunkt der römischen Bildniskunst, einen späthellenistischen Stil, vollständig und etwas überdeutlich. Im Stil etwa ähnlich sind die beiden Siegelsteine Tafel 59, 1, 2. Von Augustus hat man dann eine lange Reihe verschiedener Bildnisse, bald prosaischer aufgefasst, bald idealer. Wir geben hier einige davon; den Cameo Blacas im Britischen Museum (Taf. 5g, 3), der den Kaiser in feiner heroischer Schönheit zeigt, als orientalisch-hellenistischen Herrscher, mit Aegis und Diadem; dann den bürgerlich schlichten Kopf im Capitolinischen Museum (Taf. 33), endlich das vielleicht persönlichste Bildnis, den Stein des Herophilos in Wien (Taf. 59, 4). Die Kaiserin Livia stellt ein lebensgroßer Marmorkopf in Kopenhagen dar, noch mit leichten Spuren der Polychromie (Taf. 34); eine jüngere Prinzessin der kaiserlichen Familie, Antonia, zeigt die Gemme Tafel 59, 7, einen Prinzen (?) 59, 6. Alle diese Werke sind knapp, gehalten, sehr elegant, gewissenhaft naturalistisch, gerade auch in den feinen und kleinen Formen, z. B. beim Haar, und augenscheinlich treu im Ausdruck. Die bewusste Ruhe des Augustus, die etwas aggressive Grandezza der alten Kaiserin wirken sehr verschieden von der Selbststeigerung des Weltbezwingers Alexander oder der tragischen Amastris.

In die frühe Kaiserzeit gehört auch noch die Büste eines kleinen Knaben in Berlin, der sogenannte Marcellus, ein hübsches, etwas blödes Kind (Taf. 37 a). Etwas später ist ein frisches, offenes Knabenporträt mit langen Haaren in Kopenhagen, vielleicht Nero, in harmloser Jugend (Taf. 37 b). Seit Claudius kehrt, wie oben berührt wurde, die bewegtere und wärmere Formensprache und die lebhaftere Psychologie der hellenistischen Periode zurück, wenn auch eine besondere Tonart es gestattet, claudisch-flavische von hellenistischen Werken zu unterscheiden. In unserer Sammlung vertreten diese Periode zunächst zwei Bildnisse des Nero, der jugendliche Marmorkopf des Thermenmuseums und sein idealisiertes, höchst monumentales Gegenstück, der Basaltkopf mit der Strahlenkrone in Florenz , der wieder an die gewaltigen, erregt agierenden Götter und Könige der Diadochenzeit erinnert (Taf. 35 und 36). In den folgenden Generationen steigert sich noch die Bewegung der Formensprache, so an dem kolossalen marmornen Vespasian in Neapel mit seiner Fülle kräftiger und doch überaus sorgfältig harmonisierter Formen, die in großen und kleinen Wellen über das mächtige Antlitz spielen (Taf. 39 a). Etwa gleichzeitig ist eine Gemme mit dem Bildnis der Julia, Tochter des Titus (Taf. 5g, 9). Endlich schließt sich hier eine schon etwas nachflavische Frauenbüste im Capitolinischen Museum an, mit dünnem Hälschen in kindlich lebhafter Wendung, über dem jungen herben Gesicht eine mächtige Stirntour aus schwebenden Löckchen (Taf. 39 b).

Nach dem Falle der flavischen Dynastie verliert sich der flavische Stil, wie eine Mode nach einer politischen Katastrophe. Die folgende Generation bevorzugte eine sachliche, harte Darstellungsweise ; als Beleg geben wir zunächst die Büste des Trajan im Capitol, ein korrektes, reizloses Stück (Taf. 41). Was aber diese reaktionär kühle Kunst leistete, wo das Thema ihr lag, zeigt das Porträt der Kaiserin Plotina in demselben Museum (Taf. 42), ein Kopf von einer Statue, voll anspruchsloser und ungekünstelter Würde, ein wenig kummervoll; man sieht, dass das trajanische Porträt nicht allein schlichter, sondern auch schon innerlicher war, als das flavische. — Unter Hadrian setzt wieder eine neue, allerdings weniger verschiedene Mode ein; eine Bildhauerschule aus Aphrodisias in Karlen beherrscht den römischen Markt; ihre Meister bedienen sich — wie erwähnt — der späthellenistischen Formensprache Kleinasiens, die sie mit größter Virtuosität und tadellosem Geschmack handhaben, ohne Spur von Talent oder Eigenart. Unser Beispiel ist eine wohlerhaltene Büste von Zenas, dem Sohne des Alexander, im Capitolinischen Museum (Taf. 45); eine leere, vollendete Arbeit, die erkennen lässt, welch eingehende Naturkenntnis damals lernbar war. Eigenartig ist die Schule von Aphrodisias jedoch in dem Porträt des Antinous, das sie geschaffen zu haben scheint. Auf dem Relief, das wir geben (Taf. 44), steht der Geliebte des Hadrian als Gott da, in einem reinen, stark attisch beeinflussten Stil von gebildeter Anmut; auf dem Altar die Signatur des Künstlers, Antonianos. — Einigermassen nahe ist wohl der Schule von Aphrodisias auch noch der Kolossalkopf des Hadrian in der vatikanischen Rotunde, ein vollkommen erhaltenes, sehr korrektes Stück (Taf. 43 a).

Im ganzen geben wir hier des knappen Raumes wegen nicht gern Porträts aus tieferen sozialen Schichten, die meist weniger gut sind. Doch wurden zwei Gemälde als Vertreter ihrer Gattung aufgenommen. Das eine ist ein flavisches Wandbild aus dem Hause eines reichen Bäckers in Pompeji, Paquius Proculus, und stellt ihn selbst mit seiner Frau dar (Taf. 38). Zwei hübsche Leute, sonntäglich gekleidet und wohl frisiert; er hat eine Schriftrolle, als beflisse er sich der Philosophie, und sie scheint in ein Diptychon zu dichten : es war eine Zeit, wo man vor der Bildung nirgends sicher sein konnte. Das zweite Porträt ist ein Tafelbild, wie sie auf Leinwand oder Holz gemalt in Ägypten über die Gesichter der Mumien gebunden wurden; die Dame heißt Aline (Taf. 43); sie befindet sich mit 35 Jahren, wo sie starb, noch im Besitze ihrer wohlgenährten Schönheit. Hunderte solcher Mumienbilder haben sich in den Gräbern des Fayum gefunden und beweisen die damals sehr große Verbreitung des Porträts; sie bilden daneben eine wahre Musterkarte für die bunte Zusammensetzung der kleinbürgerlichen Klasse.

Seit Antoninus Pius macht sich eine oben schon erwähnte Wandlung der Formensprache bemerkbar, die durch das zunehmende psychische Interesse der Zeit veranlasst wird. Noch die Künstler von Aphrodisias erstrebten genaue und vollständige Nachbildung der Naturformen, außer wenn sie sich idealen Typen anschlössen. Hingegen betont die spätrömische Porträtkunst die Ausdruck vermittelnden Züge im Antlitz, besonders um Augen und Mund; das geschieht durch schärferen Schnitt der Formen und schwarze Schattenlinien; im Auge selbst werden Iris und Pupille auch plastisch angegeben, anstatt wie bisher nur durch Malerei. Die übrigen, nicht suggestiven Gesichtsformen erscheinen verallgemeinert, jedoch nicht unter Anschluss an einen Typus, sondern durch knappe und zusammenschließende Wiedergabe des Modells. Die Haut ist entweder körnig matt oder spiegelnd poliert. Einen Kontrast gegen die Haut bildet das sehr durchgearbeitete, stark aufgelockerte und von Schatten durchsetzte Haar. Hier konnte ja der Naturalismus dem Ausdruck nichts schaden.

Als Beispiele für diese neue, psychologische Richtung enthält unsere Auswahl drei schöne Stücke; Faustina die Jüngere im Thermenmuseum (Taf. 47), mit matter Haut, fein graviertem, reizvollem Haar im Ausdruck schlau, sinnlich, indolent. Dann der exotisch langhaarige, südrussische Fürst Rhoimetalkes (Taf. 46), eine Büste in Athen; mit polierter Haut, langem Haar in eingehend ausgeführten Strähnen, voll sanfter Erhabenheit und etwas rauschender Würde. Endlich das harte, hübsche Gesicht des jungen Commodus, auf seiner wohlerhaltenen Büste im Capitolinischen Museum (Taf. 48 f.). Eine wieder etwas rückläufige Kunstweise zeigt der Caracalla in Berlin (Taf. 50). Die Formensprache ist ausführlicher und vielleicht gleichmäßiger; sie geht an manchen Stellen ungewöhnlich ins einzelne, z. B. an der zornigen Stirn; das Haar liegt wieder dicht am Schädel. Auch der grimmige Unmut des raubtierschönen Mannes weicht ab von der leiseren Psychologie der Marc-Aurelischcn Zeit und erinnert an die schwungvolle Erregung der Diadochen; hätte doch Caracalla gern dem Alexander geglichen. Ein archaistisches Werk ist sein Bildnis deshalb nicht; es hat die minutiöse Feinheit der Formensprache und die Ehrlichkeit des Ausdrucks, die der Kaiserzeit eignen. Als jungen Helden und diesmal entschieden hellenistisch im Stil zeigt Caracalla in unserer Sammlung noch das Goldmedaillon von Abukir, Tafel 60, 4.

Die Entlastung der Formensprache von dem anatomischen Wissen der Vergangenheit schreitet im dritten Jahrhundert schnell fort. Die Behandlung des Haares wird einfach; oft ist es kurz geschnitten, als geschlossene Masse, die nicht mehr zerlegt und nur auf der Oberfläche graviert wird. Die Vereinfachung der Gesamtform nimmt noch zu, dabei ist die Betonung der Ausdruck gebenden Züge härter; das Porträt wird zur monumentalen Skizze. Wir geben als Beispiel den Bronzekopf des Kaisers Maximinus Thrax in München (Taf. 52); hier passt der Stil noch besonders zu der Persönlichkeit, dem schlauen, gewaltigen Bauern und Soldaten. Dann Gallienus (Taf. 53), ein südlich schöner Mann von kluger Ruhe und erzogener Grandezza, wieder mit dem Bhck der Diadochen ; auch sein Haar hängt ausnahmsweise in weichen Strähnen. Einige wirkungsvolle Porträts dieser Zeit geben auch noch die geschnittenen Steine auf Tafel 59, 11 — 14; 13 ist wohl der Kaiser Traianus Decius, 14 die Gemahlin des Gallienus, Salonina.

Das dritte Jahrhundert ist die Zeit der höchsten Selbständigkeit im römischen Porträt, gemessen an der klassischen Kunst. Seit Konstantin beginnt dann die typische Schönheit wieder die Auffassung zu bestimmen, auch kehrt eine vollständigere Darstellung der Anatomie zurück, jetzt verbunden mit vorher kaum je erreichter wirkungssicherer Monumentalität und stärkerem Streben nach ornamentaler Geschlossenheit. Diese Veränderungen sind überall im Reiche zu beobachten und beruhen vermutlich darauf, dass die auf archaischer Stufe verbliebene Kunst der vorderasiatischen Länder in das Mittelmeergebiet zurückwirkte. Von diesem vorderasiatischen Stil gibt die Gemme des Schapur eine Vorstellung (Taf. 59, 15).

Als Beispiel Konstantinischer Kunst aus Rom enthält unsere Sammlung den kolossalen Marmorkopf von einer sitzenden Statue des Kaisers aus seiner Basilika am römischen Forum, jetzt im Capitolinischen Museum (Taf. 55). Wie die damals vermutlich für Rom maßgebende Entwicklung der orientalischen Provinzen näher verlief, steht noch nicht im einzelnen fest. Man neigte jedenfalls zur maskenhaften Vereinfachung und Verschärfung des Ausdrucks bei ornamentaler Strenge im Stil; das zeigt z. B. die Porphyrbüste aus Kairo Tafel 54; wahrscheinlich stellt sie Maximinus Daza dar, den Mitregenten Diocletians.

Später als Konstantin, vielleicht um ein halbes Jahrhundert, ist die Statue eines unbenannten Konsuls im Konservatorenpalast, Tafel 50 ; der Kopf hat die sanfte, zermoniöse Würde und reine, feste Stilisierung frühbyzantinischer Porträts. — Was die Psychologie anlangt, so ist sie ja in dieser Spätzeit nicht mehr wie im 3. Jahrhundert der äußeren Form übergeordnet. Aber die Kunst, bei aller ornamentalen Gebundenheit mit wenigen Strichen sehr viel zu sagen, bleibt unvergessen. Das zeigt noch das letzte der hier veröffentlichten Bildnisse, ein Katakombengemälde (Taf. 57); es ist die Witwe Turtura, gestorben anno Domini 528, eine fromme, strenge Frau.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Antike Porträts