Ägyptische Porträts

Von den Kulturvölkern in der außergriechischen Welt, in Vorderasien und Ägypten, haben die Ägypter von früh an eine besondere Neigung und Anlage für das Porträt besessen, wie oben schon erwähnt wurde. Was man hingegen von babylonischen, assyrischen, hettitischen Und mykenischen Bildnissen hat, kann hier ruhig beiseite bleiben, so verhältnismäßig gering ist seine Bedeutung; dass Vorderasien, mit Ausnahme der griechischen Küstenstriche, für das Porträt überhaupt dauernd wenig produktiv ist, ist ja ein Zustand, der sogar bis auf die Gegenwart dauert. — In Ägypten also besitzen wir mehr oder weniger ähnliche Bildnisse vom alten Reich im 3. Jahrtausend an bis zum Ende des Altertums; aber nur bis Alexander dauert die ungestörte, konsequente Entwicklung; seit seiner Zeit sind die herrschenden Schichten der Bevölkerung Griechen mit griechischer Formensprache und gedeiht die eigentlich ägyptische Porträtkunst nicht weiter, abgesehen von einigen an sich interessanten Ausläufern, die aber für unsere kurz orientierende Darstellung nicht von Wichtigkeit sind.

Das ägyptische Porträt, soweit wir es hier betrachten wollen, hat wohl immer einen ausgesprochenen Zweck. Es dient zunächst der Seele als Ersatzleib. Mit dieser Bestimmung findet es sich in den Grabmälern, den majestätischen Totentempeln der Könige — aus solchen stammen z. B. die Statuen des Mykerinos und Amenemhêt III. (Taf. 1 u. 4 a) oder den immer noch sehr stattlichen Mastabas der Vornehmen; manchmal ist es auch kein ganzer Leib, sondern nur ein Kopf, wie der des Nofer auf unserer Tafel 3, der in seiner Grabkammer verborgen war. Mit der Bestimmung der Sepulcralporträts hängt zusammen, dass sie häufig in sehr dauerhaftem Material ausgeführt sind, gerade den härtesten Steinsorten Ägyptens, wie Granit und Basalt, die nicht verwittern. Ferner erforderte, wie oben gesagt wurde, der Zweck eine gewisse Ähnlichkeit. Aber abgesehen von dem typischen Charakter der Kunst, führte eben dieser Zweck auch wieder dazu, den Verstorbenen beschönigenderweise in der Lebensblüte abzubilden, damit er sie mittels eines jungen Leibes genießen könnte. Alter und frühe Jugend wurden also wenigstens zunächst nicht dargestellt, außer einzelnen Knabenbildnissen, wie Tafel 2; diese sind aber keine eigentlichen Totenporträts, sondern vielmehr Beigaben, Abbilder der überlebenden Familie, die dem Toten als magischer Ersatz ins Grab folgten, wie auch sein Hausrat ihm mitgegeben wurde. Und gerade an seinem kleinen Sohn und Stammhalter hing ein ägyptischer Vater der patriarchalischen Zeit am meisten. — Oft sieht man Ehepaare, entsprechend der hohen Stellung der Frau im ägyptischen Altertum und der Bedeutung der Familie und des Geschlechtes für das damalige Leben, vgl. Tafel 1. — Neben den Sepulcralbildnissen erscheinen die Votivporträts, durch welche man sich bildlich, also nach primitiver Empfindung faktisch, in den Schutz einer Gottheit begab. Hier wäre an sich kein Anlass gewesen, Porträts nur in der Lebensblüte darzustellen, aber die einmal vorhandene Gewohnheit wirkte naturgemäß bestimmend fort; freilich kann man nicht wissen, ob etwa Abweichungen von der herkömmlichen Regel gerade in der Votivkunst zuerst hervorgetreten sind; möglich wäre das immerhin. Auch in den Häusern und Palästen fanden sich wohl Bildnisse der Eigentümer, nur ist davon kaum etwas erhalten. — Die Bildnisse sind entweder Statuen oder Reliefs und Gemälde, doch wurden die letzteren Denkmälerklassen in dieser Auswahl wenig berücksichtigt.


Über den Verlauf der kunstgeschichtlichen Entwicklung des Porträts in Ägypten sind wir unterrichtet. Sie beginnt mit typischen Darstellungen; dann werden eigentliche Bildnisse aus dem Typus heraus entwickelt, durch Angabe einzelner Abweichungen und Merkmale, die das Individuum bezeichnen, beinahe wie eine Inschrift. Frühzeitig erscheint auch ein persönlicher Ausdruck. Wie stark er ist und wie verschiedenartig, empfindet man erst, wenn man sich länger in Ägypten aufhält und täglich die Fellachen sieht, denen die alten Bildnisse gleichen. Von dieser frühen Stufe aus erfolgt nun eine steigende naturalistische Entwicklung; der Typus erscheint immer stärker abgeändert und schließlich durch eine Nachbildung des Modells ersetzt, mag sie auch in Einzelheiten dauernd konventionell sein; die Psychologie wird dabei freier. Doch fehlt dem ägyptischen Porträt stets der momentane Ausdruck, die Erregung der Züge; es bleibt auch geistig unbewegt, wie ja bekanntlich alle ägyptischen Bildwerke, mit verschwindenden Ausnahmen, schematische Körperhaltung haben. — Neben dem zunehmend naturalistischen Porträt ist stets auch das typische noch üblich, besonders für das Königsbildnis; einmal sah ja der Künstler den König weniger, dachte ihn sich also typisch, dann war wohl diese Auffassung historisch geweiht, und endlich brachte die göttliche Würde der Könige auch eine den Göttern ähnliche Darstellung mit sich; diese aber blieben in Ägypten immer schön und jung, seit sie menschlich dargestellt wurden. Wegen ihrer übermenschlichen Natur erscheinen die Könige häufig in kolossaler Größe, was ebenfalls vom Realismus abführte.

Wir haben nun noch mit kurzen Worten die ägyptischen Porträts unserer Sammlung einzeln zu berühren; es sind freilich nur Proben, die eine vollständige Vorstellung nicht geben sollen und können.

Bildnisse des alten Reiches zeigen die Tafeln 1 — 3. Tafel 1 ist Mykerinos mit seiner Gemahlin, der König, der sich die dritte Pyramide bei Kairo als Grabmal erbaute; die Gruppe wurde in dem Totentempel vor der Pyramide gefunden. Das Material ist besonders hart, schwarzer Schiefer, daher bleibt die Modellierung etwas summarisch; sie war vielfach durch Malerei verdeutlicht, die die Ägypter auch auf kostbaren Steinen anwendeten. Die Tracht des Mannes enthält königliche Abzeichen, die Haube und den Schurz; benannt werden die Porträts durch den Fundort und andere inschriftlich beglaubigte Bildnisse des Mykerinos, z. B. Abb. 2. — Tafel 2 zeigt seinen kleinen Sohn und späteren Nachfolger Schepseskaf; es ist ein schöner Alabasterkopf von einer Statue aus demselben Totentempel. — Diese frühen Königsbildnisse sind etwas schwere, kräftige Gestalten, von prachtvoller Gesundheit und einer gewissen animalischen Majestät; die Gesichtszüge bleiben typisch ebenmäßig und unbewegt und sind nicht weitgehend ausgeführt. Individualisiert wird durch schwache Abweichungen vom Typus und persönliche Stimmung; die Altersstufe ist die Lebensblüte. — In dieselbe Zeit gehört noch das stärker individualisierte Bildnis eines hohen Beamten, des Nofer. Tafel 3, ein Kopf aus seiner Grabkammer, den wir oben schon erwähnten; wieder war vieles durch Bestückung und Malerei ergänzt und verdeutlicht. Man sieht hier gut, wie eine individuelle Nase in ein typisches Gesicht eingesetzt wurde. — Wir überspringen vorläufig einen weiten Zeitraum. Das dauernde Fortbestehen des im alten Reiche formulierten Körpertypus als historisch geheiligte Schönheit zeigt nach Jahrtausenden im 7. Jahrhundert v. Chr. die Bronzestatuette der Priesterin Takuschit in Athen (Taf. 10), mit ihrem schlanken und doch vollen Körper, den etwas großen Füssen und Händen, dem runden und kräftigen Kindergesicht. Auch die Perücke, wie sie Takuschit trägt, war in ihrer Zeit altertümlich und inzwischen wohl aus der Mode gekommen. Genauer wollen wir auf das Weiterleben der typischen Formen des alten Reiches durch die ägyptische Kunst hindurch nicht eingehen und kehren zum Ausgangspunkte zurück.

Es scheint, dass die herrschenden Klassen der Bevölkerung allmählich etwas von ihrer unbefangenen Wertschätzung des Leibes, ja wohl von der alten bäurischen Körperkraft und naiven Zufriedenheit einbüssten und die Eigenschaften der Kultur dafür gewannen. In der nun folgenden Periode, dem mittleren Reiche, erscheint ein etwas anderer Typus, mit schmaleren und strafferen Formen, gespannten und feinfühligen Gesichtern, von oft düsterem Ausdruck. Dabei geht die Modellierung weiter ins einzelne, und finden sich stärkere Abweichungen vom Typus, in den anatomischen Formen und der Stimmung. Unter den jugendlich aufgefassten Bildnissen ist der schönste Vertreter dieser neuen Kunstphase die Sitzstatue Amenemhêts III. aus seinem Totentempel in Hawara, jetzt in Kairo, Taf. 4 a und Abb. 3. Der König trägt die Haube mit der Uräusschlange und den Königsschurz. Das Material ist Kalkstein, was die freiere Ausführung der Formen erleichterte. — Der Naturalismus befindet sich nun im Steigen, der magische Zweck der Bildwerke tritt zurück neben den Natureindrücken , die zur Nachbildung drängen. So kommt es, dass außer der Jugend auch das spätere Alter bildnisfähig wird. Die hageren und gefurchten, düster geistigen Köpfe der alten gewaltigen Könige seit Sesostris drängten die typischen Formvorstellungen beiseite und bemächtigten sich des Bewusstseins. Dabei ist zu beobachten, wie diese an sich in ihrer Zeit ziemlich naturalistischen Porträts dann wieder als Typen wirken, von denen bei der künstlerischen Arbeit ausgegangen wird, wenn das Bildnis eines physisch oder auch nur sozial ähnlichen Menschen herzustellen war. Wir zeigen hier als Beispiel einen unbenannten, nach dem Stil datierten Königskopf des Berliner Museums aus hartem Stein, von einer Statuette (Taf. 4 b). Dass er ein König ist, sieht man am Kopftuch mit der Uräusschlange.

Ebenso wie die Formen des alten Reiches in der Spätzeit wenig verändert wieder aufgenommen werden, durch ein bewusstes Zurückgreifen auf den Anfang der eigenen Entwicklung, einen Versuch der Selbstverjüngung, so wirken auch die gealterten Köpfe des mittleren Reiches auf die spätere Entwicklung ein. Das Bildnis des Mentemhêt, auf das wir noch zurückkommen, lehnt sich im 8. Jahrhundert sichtlich an solche Porträts an, wie der Berliner König (vgl. Taf. 9). Und zwar ist in diesem Falle das Zurückgreifen folgenreich geworden; von dem bewusst in der Vergangenheit eingenommenen Standpunkt aus begann eine naturalistische Entwicklung, die zu den vollkommen naturalistischen, saitischen Bildnissen der Tafeln 11 und 12 hinführte.

Die folgende große Periode der ägyptischen Geschichte, das neue Reich, zeigt eine weitere, bis zur Eleganz gehende Verfeinerung der herrschenden Schichten in ihrer körperlichen Erscheinung und ihrer Tracht. Der Naturalismus übersteigt dabei aber den des mittleren Reiches eigentlich nur selten. Wir geben als Beispiel für den durchschnittlichen Zustand die vollendet feine Sitzstatue des Ramses im Turiner Museum (Taf. 8), im langen, dünnen Linnengewande, auf dem Haupte einen imposanten, fein ausgearbeiteten Helm; das Gesicht zeigt schlanke und leichte, höflich majestätische Züge. Der Name steht an der Statue. Ihr Material ist Basalt. — Eine Ausnahmestellung nimmt die Porträtkunst am Hofe Amenophis IV. ein, des Verkünders der Sonnenreligion und erfolglosen Neuerers. Er wollte Wahrheit in der Kunst. Seinen hageren, hängebäuchigen Leib, mit dem abnorm langen Schädel und dem schwächlichen, fanatischen Gesicht, die zikadenhaft magere, ältliche und reizende Königin Nofretiti, ihre dünnen, zappelnden Töchter, das hitzige und innige Familienleben des Königspaares — das alles wollte er abgebildet sehen, wie es war. Ob er freilich ein Förderer des Naturalismus wurde, weil er das Bedürfnis reifer Menschen nach Wirklichkeit empfand, steht nicht fest. Er könnte die naturgetreue Wiedergabe seiner unköniglichen Erscheinung auch gewollt haben, um sich durch öffentliches und feierliches Eingeständnis seiner Hässlichkeit vor seinem strahlenden Gotte zu demütigen. Es ist vielleicht der Naturalismus der Zerknirschung und nicht der Weltfreude. Doch sei dem, wie es mag. — Ein Meisterwerk dieses höfischen Naturalismus ist zunächst die Königin-Mutter Teje, der Holzkopf von einer Statuette, jetzt in Berlin, den wir auf Tafel 5 wiedergeben. Früher hing um das feine alternde Affengesichtchen noch eine schwere Perücke aus Lapislazuli und blauem Glas, mit Goldschmuck an Ohren und Stirn, und erhob sich über dem Schädel ein Bau aus göttlichen Attributen.

Dann das rührende Kalksteinköpfchen einer kleinen Prinzessin in Berlin (auf Taf. 7 b), endlich das Relief (Taf. 6), das den König und die Königin selbst darstellt; es ist die Skizze eines Bildhauers mit allen Farben. Das Paar steht einander gegenüber, hässlich, schwach und fesselnd, angetan mit langen Linnengewändern und königlichen Abzeichen; die Königin erfreut den Gemahl mit einer Blume, wie eine Buhlerin. Ihn selbst in einer noch mehr traditionellen Auffassung zeigt die Kalksteinstatue in Paris (Taf. 7 a). Die Benennung erfolgt bei unseren Porträts der Teje, des Königspaares und seiner Tochter durch den Vergleich mit anderen beglaubigten Darstellungen, nicht durch Inschriften.

Ein planmäßiger Fortschritt im Naturalismus beginnt wieder in der Spätzeit Ägyptens, unter der äthiopischen und der letzten einheimischen Dynastie. Dabei ist an manchen Stücken, und zwar besonders etwas früheren, die eben erwähnte Anlehnung an die Bildniskunst des mittleren Reiches unverkennbar, während die etwas spätere Entwicklung viel weiter geht. Wir geben zunächst auf Tafel 9 den Kopf des Mentemhêt in Kairo, aus schwarzem Basalt, von einer Statue abgebrochen. Die gefurchten, alternden Züge erinnern, wie gesagt, an den König in Berlin (Taf. 4, b) und an ähnliche Werke, aber nur im allgemeinen. Das eingehende Naturstudium, die Beobachtung gerade des Untypischen, der verschlossen schlaue Ausdruck des fetten und würdevollen alternden Orientalen zeigen die unbefangen gewordene Naturkenntnis und hinreißende Naturfreude der Spätzeit. Die Statue stand in einem Tempel als fromme Weihgabe, deren der Wesir der Priesterköniginnen von Theben — das war Mentemhêt im Leben — nicht wenige gestiftet zu haben scheint. Eine Besonderheit ist das eigene, nicht durch eine Perücke bedeckte Haar, so weit der alte Herr es noch hat.

Den höchsten Punkt der ägyptischen Porträtkunst — beurteilt von dem hier eingenommenen Standpunkt aus — bezeichnen dann zwei kleine Bildnisköpfe alter Männer auf Tafel 11 und 12, beide von Statuen abgebrochen und aus grünem hartem Schiefer; der eine ist in Berlin, der andere in Boston; sie stammen aus dem Kunsthandel und wohl aus demselben Heiligtum. Hier erscheint ein die Gesamtform und das einzelne minutiös durchforschendes Naturstudium, das sich mit oppositioneller Scheu vor jeder Beschönigung gerade in die Falten und Warzen der alten Gesichter und die Höcker der kahlen Schädel vertieft, dabei eine kühle tonlose Sachlichkeit in der Beobachtung des leisen persönlichen Ausdruckes; mit solchen Werken verglichen, sind die Köpfe des alten und mittleren Reiches maskenhaft einfach und schroff. Diese späten Künstler waren ausgegangen vom Archaismus, um die Natur zu suchen. Sie blickten nun wissend auf die Wirklichkeit, vor die sich nicht mehr der Schemen typischer Schönheit schob.

Soweit wir feststellen können, hat diese Porträtkunst der ägyptischen Spätzeit nicht fortgewirkt, da schon seit Alexander die herrschenden Schichten in Ägypten Griechen waren und sich ihrer nationalen Kunst bedienten. Aber es scheint, als müsste da unser Wissen unvollkommen sein; schwer kann man sich denken, dass auf die erstarkende, frühgriechische Kunst, die doch zweifellos ägyptische Anregungen verwertete, der saitische Naturalismus gar keinen Einfluss gehabt hätte. Vielleicht, dass spätere Entdeckungen hier eine richtigere Erkenntnis bringen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Antike Porträts