An Bord der „Spree", den 2. August 1893.

Meine Lieben in der Heimat!

Ein Extrazug führte uns gestern Früh 8 Uhr in l ½ Stunden nach Bremerhafen. Auf dem Bahnhofe wurde uns ein Verzeichnis sämtlicher Mitreisenden eingehändigt, vergeblich suchten wir unter ihnen bekannte oder wenigstens bekannte Namen berühmter Personen oder hoher Geschlechter — nicht einmal ein einziger Lieutenant! Mimi und die Miss machten lange Gesichter, die Aussicht auf der „Spree" zu tanzen oder Tennis zu spielen war nur noch sehr gering. Drei Beamte unseres ungarischen Handelsministeriums reisen mit uns, zwei derselben lernten wir bereits kennen, nette Herren, die ähnliche Reisepläne wie wir verfolgen.


In Bremerhafen bestiegen wir einen kleinen Dampfer, der uns in einer Stunde an Bord der „Spree" brachte, die uns auf offener See erwartete und mit einem fröhlichen Marsch der Schiffsmusik empfing. Das war ein Drängen, Stoßen und Gerenne, bis jeder seine Kabine gefunden und sich und sein Gepäck in Sicherheit gebracht! Platz fanden Alle, die Schiffe sind schlecht besucht, man sagt: Die Amerikaner sind in diesem Jahre ausgeblieben, sie wollen die Ausstellung nicht im Stich lassen und aus Europa fahren nur sehr wenige nach Chicago. Auch die Hotels in Bremen, Hamburg und Berlin klagen ungemein über den schlechten Verkehr und geben der Cholera die Schuld.

Nichts Angenehmeres, Bequemeres und Eleganteres als die „Spree"; besser als unser schönstes Hotel und wie man es sich nur wünschen kann; wir kommen aus dem Erstaunen nicht heraus! Unsere Kabinen liegen in der Mitte des Hauptdeckes, sie sind reichlich so groß wie unsere Dienerzimmer im ersten Stock und mit allem Komfort ausgestattet; Mimi und Miss wohnen zusammen, ich bin allein, weil das Schiff wenig besetzt ist. Rechts von mir ein elegantes Seebad, das ich täglich besuchen werde, links eine sehr feine Barbierstube, sich selbst zu rasieren ist gefährlich, vis-à-vis meine Damen, zwischen uns eine Treppe, die uns auf das Promenadendeck führt, und 25 Schritte von unseren Kabinen die mit einem raffinierten Geschmacke und Luxus ausgestatteten Speise- und Gesellschaftsräume, von meinem Freunde Preetorius in Mainz zu seinem Ruhme eingerichtet. Elektrische Beleuchtung im ganzen Schiffe selbstverständlich, Bedienung ausgezeichnet, Verköstigung besser und reicher als in dem feinsten Schweizer Hotel. Der Boden unserer Kabinen ist mit Teppichen belegt, ein kleiner roter Samtdivan, einige Stühle, zwei übereinander befindliche Betten, Waschservice mit warmem und kaltem Wasser machen uns das Dasein ganz behaglich, wenn wir nicht beim Rollen des Dampfers in unseren Betten ein wenig zusammengeschüttelt werden. Eine dicke Fensterscheibe in Metallrahmen gibt uns reichlich Licht, bei Nacht leuchtet ein Glühlicht. Ist unser Fenster geschlossen oder vielmehr zugeschraubt, so trennt es uns von dem unendlichen Meere, unvorsichtig geöffnet, stürzt selbst bei ganz ruhiger See urplötzlich ein Strom von Meerwasser in unser trauliches Heim. Ich lege die Menüs der drei Hauptmahlzeiten bei, unmöglich sich da durchzuessen trotz Seeluft; zwischen den Speisestunden kann man auch noch jederzeit Tee, Kaffee etc. bekommen, und ich habe Leute gesehen, die wirklich davon Gebrauch machen. Wein und Bier sehr gut, nicht teuer, 3 Mark eine Flasche Rheinwein, im Bremer Ratskeller ist er auch nicht billiger. Wie hat sich das alles geändert; früher musste man sich mit Zwieback, hart wie Stein, Hülsenfrüchten und salzigem Rauchfleisch begnügen und benötigte 6 bis 8 Wochen nach New-York, heute fährt ein Lloyddampfer so schnell wie ein guter Personenzug, 30 Kilometer pro Stunde; man ist in fast einer Woche in Amerika und lebt während dieser Zeit herrlich und in Freuden. Und das geht alles mit einer solchen Ordnung und Pünktlichkeit, dass im Rauchzimmer täglich Wetten über die am nächsten Tage zurückgelegte Meilenzahl abgeschlossen werden.

Auch ist eine Reise über das Meer nicht einmal so teuer, ich zahlte mit sämtlichen Nebenauslagen für Wein, Trinkgelder etc. 2.450 Mark oder 1.445 fl. für drei Personen; und die Rückreise ist um ein Drittel billiger.

Gleich nachdem die Anker gelichtet, setzten wir uns zum Lunch nieder und vergaßen darüber, dass uns der Ozean von allem trennt, was uns lieb und teuer ist. Ohne so ein bisschen Heimweh geht es doch nicht ab, ganz allein wäre ich niemals nach Amerika gefahren!

Nachdem die Magen tüchtig gestärkt oder gefüllt (ich glaube, Mimi und Miss haben außerdem noch Pillen gegen die Seekrankheit genommen), eilt Alles aufs Deck, das Meer ist nur von ganz kleinen Wellchen bewegt, die von der Sonne beschienen, einen unbeschreiblich schönen Anblick gewährten, die Bewegungen des Schilfes waren kaum zu bemerken. Alle lustwandelten mit aufgesperrten Mäulern, um nur ja recht viel Seeluft zu schnappen, jeder war bereits überzeugt, ihm könne die Seekrankheit nichts anhaben. Nach einigen Stunden fuhren wir bei Norderney vorüber, es ist das letzte Fleckchen deutscher Erde, das wir für lange, lauge Zeit sehen sollen! Der Wind wird stärker, wir Landratten würden es einen Sturm nennen, die Matrosen sprechen nur von einer Brise, dicke Regentropfen fallen auf das geschützte Deck, die See geht immer höher, die Bewegungen des Schiffes werden immer stärker und mächtige Wellen überschütten den vorderen Teil der „Spree". Ein wunderbarer Anblick, aber die Schritte der Lustwandelnden werden immer schwankender, die Wangen immer bleicher, und viele, die widerstehen zu können glaubten und nicht schnell in ihre Kabinen eilten, hinterließen uns untrügliche Beweise ihres Übelbefindens. Andere blieben in Decken gehüllt auf ihren für 4 Mark gemieteten Stühlen in der frischen Luft liegen, und ich glaube, das ist noch das Beste. Mimi benahm sich sehr tapfer, ich soll es ja nicht verraten, aber bis heute Früh kam sie nicht wieder zum Vorschein und bedurfte der ganzen Pflege ihrer Steward. Zum Diner erschienen nur 17 Personen, unter ihnen Miss P., ohne etwas zu genießen und ich mit bestem Appetite.