Eine Station im Sinne Sir Johns

Endlich hatte man also den russischen Rechner wiedergefunden. Als man ihn fragte, wie er in diesen 4 Tagen gelebt habe, konnte er es nicht sagen. Waren ihm die Gefahren bewußt gewesen, in denen er sich befand? Das war nicht wahrscheinlich. Als man ihm den Vorfall mit den Krokodilen erzählte, wollte er es nicht glauben und hielt die Sache für einen Scherz. Hatte er Hunger? Nicht im mindesten. Er hatte sich von Ziffern ernährt und so gut, daß er diesen Fehler in seiner Logarithmentabelle entdeckte.

In Gegenwart seiner Kollegen wollte Mathieu Strux aus nationaler Eigenliebe seinem Landsmann keinen Vorwurf machen; doch hat man Grund zu glauben, daß der russische Astronom unter vier Augen einen derben Verweis von seinem Chef erhielt, nebst der Aufforderung, sich künftig nicht mehr von seinen logarithmischen Studien fortreißen zu lassen.


Die Operationen wurden sofort wieder aufgenommen, und einige Tage lang ging alles nach Wunsch. Klares und reines Wetter begünstigte die Beobachtungen, sowohl bei der Winkelmessung der Stationen als auch bei den Zenitaldistanzen. Es wurden neue Dreiecke dem Netz hinzugefügt und ihre Winkel durch mehrfache Beobachtung genau bestimmt.

Am 28. Juni hatten die Astronomen geodätisch die Basis ihres 15. Dreiecks erhalten. Ihrer Schätzung nach mußte dieses Dreieck das Stück des Meridians zwischen dem 2. und 3. Grad umfassen. Um es völlig zu bestimmen, blieben noch die beiden anstoßenden Winkel zu messen, indem man auf eine an seiner Spitze gelegene Station visierte.

Dort bot sich indes eine physische Schwierigkeit dar. So weit man sehen konnte, war das Land mit Gehölz bedeckt, und eignete sich nicht zur Errichtung von Signalen. Sein ziemlich starker Abfall von Süd nach Nord machte, wenn auch nicht die Aufstellung, so doch die Sichtbarkeit von Signalstangen schwierig. Ein einziger Punkt konnte zur Aufstellung einer Reverbere dienen, doch ziemlich entfernt. Es war die Spitze eines 1200 bis 1300 Fuß hohen Berges, der ungefähr 30 Meilen weit nordwestlich emporragte. Unter diesen Umständen würden also die Seiten des 15. Dreiecks über 20.000 Toisen lang werden, eine Länge, die zuweilen bei trigonometrischen Vermessungen vierfach vorkommt; aber die Mitglieder der englisch-russischen Kommission hatten sie noch nicht erreicht. Nach reiflicher Überlegung entschieden die Astronomen sich für die Aufstellung einer elektrischen Reverbere auf dieser Berghöhe und entschlossen sich haltzumachen, bis das Signal errichtet war. Oberst Everest, William Emery und Michael Zorn, begleitet von drei Matrosen und zwei durch den Foreloper angeführten Buschmännern, wurden nach der neuen Station abgeschickt, um den Leuchtspiegel, der für eine Nachtoperation dienen sollte, aufzustellen. Die Entfernung war in der Tat zu groß, um eine Beobachtung bei Tag mit hinreichender Sicherheit wagen zu können.

Die kleine Truppe brach am Morgen des 28. Juni auf, versehen mit Instrumenten, Apparaten und Lebensmitteln, welche Maulesel trugen. Oberst Everest rechnete damit, erst am nächsten Morgen am Fuß des Berges anzukommen, und falls die Besteigung irgendwelche Schwierigkeiten machte, konnte die Reverbere frühestens in der Nacht vom 29. zum 30. aufgestellt werden. Die im Lager zurückgebliebenen Beobachter durften also vor 36 Stunden wenigstens nicht den Lichtpunkt ihres 15. Dreiecks suchen.

Während der Abwesenheit von Oberst Everest überließen sich Mathieu Strux und Nikolaus Palander ihren gewöhnlichen Beschäftigungen. Sir John Murray und der Buschmann durchstreiften die Umgegend des Lagers und erlegten einige zum Antilopengeschlecht gehörende Tiere, deren es so verschiedene in den südafrikanischen Gegenden gibt. Sir John fügte sogar seiner Jagdbeute eine Giraffe hinzu, ein schönes Tier, das in den nördlichen Gegenden selten, aber auf den südlichen Ebenen ziemlich verbreitet ist. Die Giraffenjagd wird von den Kennern als ein schöner »Sport« betrachtet. Sir John und der Buschmann trafen auf eine Herde von 20 Stück, die sehr scheu waren und denen sie auf nicht mehr als 500 Ellen nahekommen konnten.

Indessen trennte sich ein Weibchen von der Truppe, und die beiden Jäger waren entschlossen, das Tier zu erlegen. Es floh in kurzem Trab, so daß man es leicht einholen konnte; als aber die Pferde Sir Johns und des Buschmanns sich beträchtlich genähert hatten, bog die Giraffe den Schwanz ein und floh mit außerordentlicher Schnelligkeit. Man mußte sie mehr als 2 Meilen weit verfolgen, bis endlich eine Kugel Sir Johns sie in die Schulter traf und zu Boden streckte. Es war ein prachtvolles Muster jener Gattung, von der die Römer sagten: »Pferd am Hals, Ochse an Beinen und Füßen, Kamel am Kopf«, und deren rötliches Haar weißgefleckt ist. Dieser merkwürdige Wiederkäuer maß nicht weniger als 11 Fuß vom Huf bis an die Spitze seiner kleinen mit Haut und Haaren bedeckten Hörner.

Während der folgenden Nacht nahmen die beiden russischen Astronomen einige Sternhöhen auf, die ihnen dazu dienten, den Breitengrad ihres Lagers zu bestimmen.

Der 29. Juni verlief ohne Zwischenfall. Man erwartete die folgende Nacht mit einer gewissen Ungeduld, um die Spitze des 15. Dreiecks festzustellen. Die Nacht kam, eine Nacht ohne Mond, ohne Sterne, aber sehr trocken, und die kein Nebel trübte, eine demnach für die Aufstellung eines entfernten Lichtpunkts sehr günstige Nacht.

Alle Vorbereitungen waren getroffen worden, und das Augenglas der Winkelmaßscheibe, das während des Tages auf den Gipfel des Berges gerichtet gewesen, mußte schnell die elektrische Reverbere visieren, falls die Entfernung sie dem bloßen Auge unsichtbar gemacht hätte.

Die ganze Nacht vom 29. zum 30. hindurch lösten sich Mathieu Strux, Nikolaus Palander und Sir John Murray vor dem Instrument ab ... Doch blieb der Berggipfel unbemerkbar und kein Licht brannte auf der höchsten Spitze.

Die Beobachter schlossen daraus, daß die Besteigung auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen sei und daß Oberst Everest den Bergkegel vor Tagesende nicht habe erreichen können. Sie verlegten also ihre Beobachtung auf die folgende Nacht, indem sie nicht daran zweifelten, daß der Lichtapparat während des Tages aufgestellt werden würde.

Aber wie groß war ihre Überraschung, als am 30. Juni gegen 2 Uhr nachmittags Oberst Everest und seine Begleiter, mit deren Rückkehr nicht gerechnet wurde, wieder im Lager erschienen.

Sir John ging schnell seinen Kollegen entgegen.

»Sie, Herr Oberst«, rief er.

»Ich selbst, Sir John.«

»Der Berg ist also unbesteigbar?«

»Im Gegenteil, sehr gut besteigbar«, antwortete der Oberst, »doch wohlbewacht, versichere ich Ihnen. Deshalb kommen wir zurück, um Verstärkung zu holen.«

»Was! Eingeborene?«

»Ja, Eingeborene, und zwar vierfüßige mit schwarzer Mähne, die eins unserer Pferde verschlungen haben!«

In wenigen Worten erzählte der Oberst seinen Kollegen ihre Reise, die bis zum Fuß des Berges ganz gut vonstatten gegangen war. Dieser Berg war, wie man dann erkannte, nur von der Südostseite aus zugänglich. Nun hatte aber gerade an dem einzigen Engpaß, der zu dieser Bergseite führte, eine Herde Löwen ihren »Kraal«, wie es der Foreloper nannte, aufgeschlagen. Vergeblich hatte Oberst Everest versucht, diese furchtbaren Tiere von da wegzubringen; doch ungenügend bewaffnet, mußte er den Rückzug antreten, nachdem er ein Pferd verloren, dem ein prachtvoller Löwe mit seinen Tatzen die Rippen zerbrochen hatte. Eine Erzählung der Art konnte Sir John und den Buschmann nur entflammen. Dieser »Löwenberg« war eine zu erobernde Station, eine Station, deren man außerdem unbedingt zu den geodätischen Arbeiten bedurfte. Die Gelegenheit, sich mit den furchtbarsten Kreaturen der Katzenrasse zu messen, war zu schön, um sie nicht zu nutzen, und die Expedition wurde augenblicklich organisiert.
Alle europäischen Gelehrten, der friedfertige Palander nicht ausgenommen, wollten daran teilnehmen; doch war es nötig, daß einige im Lager zur Messung der an die Basis des neuen Dreiecks anstoßenden Winkel zurückblieben. Oberst Everest, der begriff, daß seine Gegenwart zur Kontrolle der Operation nötig war, beschloß, mit den beiden russischen Astronomen zurückzubleiben. Auf der andern Seite gab es keinen Grund, Sir John zurückzuhalten. Das Detachement, bestimmt, den Zugang zum Berg zu erzwingen, bestand also aus Sir John, William Emery und Michael Zorn, deren Bitten ihre Chefs hatten nachgeben müssen, dann aus dem Buschmann, den nichts vermocht hätte, seinen Platz jemandem abzutreten, und endlich aus drei Eingeborenen, deren Mut und Kaltblütigkeit Mokum kannte.

Nachdem sie ihren Kollegen die Hand gedrückt hatten, verließen die drei Europäer gegen 4 Uhr nachmittags den Lagerplatz und drangen in das Gehölz, in der Richtung des Berges. Sie spornten ihre Pferde, und um 9 Uhr abends hatten sie 30 Meilen zurückgelegt.


2 Meilen vor dem Berg sprangen sie vom Pferd und machten sich ein Nachtlager zurecht. Kein Feuer wurde angezündet, denn Mokum wollte nicht die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich ziehen, die er am Tag bekämpfen wollte, noch einen nächtlichen Angriff hervorrufen.

Während der ganzen Nacht hörte man fast unaufhörliches Gebrüll. Erst in der Dunkelheit verlassen diese schrecklichen Fleischfresser ihre Höhle und gehen auf Nahrung aus. Keiner der Jäger schlief nur 1 Stunde, und der Buschmann benutzte diese Schlaflosigkeit, um ihnen einige Ratschläge zu erteilen, die seine Erfahrung wertvoll machte.

»Meine Herren«, sagte er mit vollkommen ruhigem Ton, »wenn sich Oberst Everest nicht getäuscht hat, werden wir morgen mit einer Bande schwarzmähniger Löwen zu tun haben. Diese Tiere gehören der wildesten und gefährlichsten Rasse an. Wir müssen deshalb auf der Hut sein. Ich empfehle ihnen an, dem ersten Sprung dieser Tiere, die einen Satz von 16 bis 20 Schritten machen können, auszuweichen. Ist ihr erster Anlauf mißglückt, so kommt es selten vor, daß sie einen zweiten machen. Ich spreche aus Erfahrung. Da sie bei Tagesanbruch in ihre Höhle zurückkehren, werden wir sie dort angreifen. Sie werden sich aber verteidigen, und gut verteidigen. Ich sage ihnen, des Morgens sind die Löwen, da sie gut gesättigt sind, weniger wild und vielleicht auch weniger tapfer; das ist eine Frage des Magens. Es ist auch eine Ortsfrage, denn sie sind scheuer in Gegenden, wo die Menschen sie unaufhörlich reizen. Doch hier, in diesem wilden Land, werden sie die größte Wildheit haben. Ich empfehle Ihnen ebenfalls, meine Herren, ehe Sie schießen, gut die Entfernung abzuschätzen. Lassen Sie das Tier sich nähern, zielen Sie auf die Schulter und feuern Sie sicher ab. Dann wollen wir auch die Pferde zurücklassen, da sie in der Gegenwart des Löwen scheu werden und die Sicherheit des Reiters gefährden. Zu Fuß wollen wir kämpfen, und ich hoffe, die Kaltblütigkeit wird Sie nicht im Stich lassen.«

Die Begleiter des Buschmanns hatten schweigend dem Rat des Jägers zugehört. Mokum war wieder der geduldige Mann der Jagd geworden. Er wußte, daß die Sache ernst werden würde. Wenn der Löwe sich in der Tat gewöhnlich nicht auf den Menschen wirft, der ihn nicht reizt, so erreicht doch seine Wut den höchsten Grad, sobald er sich angegriffen sieht. Dann ist er ein furchtbares Tier, dem die Natur die Geschmeidigkeit zum Springen, die Kraft zum Zertrümmern, den Zorn, der ihn schrecklich macht, verliehen hat. Deshalb befahl der Buschmann den Europäern und besonders Sir John Kaltblütigkeit, denn dieser ließ sich zuweilen von seiner Kühnheit hinreißen.

»Schießen Sie einen Löwen, wie Sie ein Rebhuhn schießen würden, ohne mehr Aufregung. Darin liegt alles!«

Darin liegt wirklich alles! Aber wer kann dafür einstehen, kaltes Blut in Gegenwart eines Löwen zu bewahren, wenn man nicht durch die Gewohnheit gestählt ist?

Um 4 Uhr morgens verließen die Jäger den Halteplatz, nachdem sie ihre Pferde in einem dichten Gehölz fest angebunden hatten. Es war noch nicht Tag, einige rötliche Streiflichter schimmerten durch den Nebel im Osten. Es herrschte noch tiefe Dunkelheit.

Der Buschmann riet seinen Gefährten, ihre Waffen zu untersuchen. Er selbst und Sir John Murray, jeder mit einem Hinterlader bewaffnet, brauchten nur die Kupferpatrone in den Flintenlauf gleiten zu lassen, und zu probieren, ob der Hahn gut ging. Michael Zorn und William Emery, die gezogene Büchsen trugen, erneuerten das Zündpulver, das durch die Feuchtigkeit der Luft gelitten haben konnte. Was die drei Eingeborenen betraf, so waren sie mit Bogen aus Aloeholz versehen, die sie mit großer Geschicklichkeit handhabten. Wirklich war schon mehr als ein Löwe durch ihre Pfeile gefallen.

Die sechs Jäger, eine dichte Masse bildend, wandten sich dem Hohlweg zu, dessen Eingang die beiden jungen Gelehrten schon am vergangenen Abend erkannt hatten. Sie sprachen kein Wort und schritten zwischen den Stämmen des Hochwalds hindurch, wie die Rothäute unter dem Strauchwerk ihrer Wälder. Bald war die kleine Truppe an der engen Schlucht angekommen, die den Anfang des Hohlwegs bildete. Hier begann ein schmaler Gang zwischen zwei Granitmauern, der zum Abhang der steilen Granitwand führte. In diesem Gang etwa in der Mitte befand sich an einer durch Einsturz erweiterten Stelle, die von der Löwentruppe bewohnte Höhle.

Der Buschmann ergriff nun folgende Maßnahmen: Sir John Murray, einer der Eingeborenen und er sollten sich allein am oberen Rand des Hohlwegs hinschleichen. Sie hofften so bis an die Höhle zu kommen, und die fürchterlichen Bewohner herauszutreiben, so daß sie bis an das untere Ende des Hohlwegs gejagt würden. Dort sollten sich die beiden jungen Europäer mit den beiden Buschmännern auf den Anstand stellen und die Fliehenden mit Bogen- und Flintenschüssen empfangen.

Der Ort eignete sich vorzüglich zu diesem Manöver. Eine mächtige Sykomore stand dort, die das benachbarte Gehölz überragte. Ihr vielfaches Gezweig bot einen sicheren Posten, den die Löwen nicht erreichen konnten. Man weiß, daß diese Tiere nicht wie die ihnen geschlechtsverwandten Katzen die Fähigkeit besitzen, auf die Bäume zu klettern. Auf eine gewisse Höhe postierte Jäger konnten ihrem Sprung ausweichen und unter günstigen Umständen auf sie schießen.

Das gefährliche Werk sollte also von Mokum, Sir John und einem der Eingeborenen ausgeführt werden. Auf eine Bemerkung William Emerys erwiderte der Jäger, es gehe nicht anders, und bestand darauf, daß keine Änderung in seiner Anordnung getroffen würde. Die jungen Leute fügten sich seinen Gründen.

Der Tag graute. Der Gipfel des Berges erglänzte wie eine Fackel unter dem Reflex der Sonnenstrahlen. Nachdem der Buschmann zugesehen hatte, wie sich seine vier Begleiter auf den Zweigen der Sykomore zurechtsetzten, gab er das Zeichen zum Fortgang. Sir John, der eine Buschmann und er stiegen bald den geschlängelten Fußpfad der rechten Wand des Hohlwegs entlang.

Die drei kühnen Jäger kamen auf diese Weise ungefähr 50 Schritte vorwärts, wobei sie manchmal anhielten und den engen, vor ihnen liegenden Gang beobachteten. Der Buschmann zweifelte nicht, daß die Löwen nach ihrem nächtlichen Ausflug in ihr Obdach zurückgekehrt seien, entweder um ihre Beute zu verschlingen oder auszuruhen. Vielleicht konnte man sie schlafend überraschen und schnell mit ihnen fertigwerden. Eine Viertelstunde, nachdem sie in den Eingang des Engpasses gedrungen waren, kamen Mokum und seine zwei Begleiter vor der Höhle an, wo Michael Zorn es ihnen angegeben hatte. Dort kauerten sie auf dem Boden und untersuchten das Lager der Tiere.

Es war eine ziemlich geräumige Höhlung, deren Tiefe man nicht schätzen konnte. Überreste von Tieren, Haufen von Knochen versperrten den Zugang. Man konnte sich nicht täuschen, es war der von Oberst Everest bezeichnete Zufluchtsort der Löwen.

In diesem Augenblick jedoch schien, der Meinung des Jägers entgegen, die Höhle verlassen. Mokum kroch, die Flinte im Arm, auf den Knien bis an den Eingang heran. Ein einziger Blick zeigte, daß sie leer war. Dieser Umstand, mit den man nicht gerechnet hatte, ließ ihn augenblicklich seinen Plan ändern. Seine von ihm herbeigerufenen Begleiter waren sofort bei ihm.
»Sir John«, sagte der Jäger, »unser Wild ist nicht in seinen Schlupfwinkel zurückgekehrt, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis es kommt. Ich denke, wir tun gut, uns an seiner Stelle hier einzuquartieren. Es ist besser, belagert zu werden, als solche Patrone zu belagern, besonders wenn man eine Hilfsarmee an den Toren des Platzes hat. Was halten Euer Gnaden davon?«

»Ich denke wie Sie, Buschmann«, antwortete Sir John Murray. »Ich stehe unter Ihrem Befehl und gehorche Ihnen.«

Mokum, Sir John und der Eingeborene drangen in die Höhle ein. Dies war eine tiefe Grotte, übersät mit Knochen und blutigem Fleisch.

Nachdem man sich überzeugt hatte, daß sie vollständig leer war, beeilten sich die Jäger, den Eingang mit großen Steinen zu verbarrikadieren, die sie nicht ohne Mühe hinrollten und übereinandertürmten. Die Zwischenräume der Steine wurden mit trockenen Zweigen und Strauchwerk verstopft, mit dem die Schlucht angefüllt war.

Diese Arbeit erforderte nur wenige Minuten, da der Eingang zur Grotte verhältnismäßig schmal war. Dann postierten sich die Jäger hinter ihrer mit Schießscharten versehenen Barrikade und warteten.

Sie brauchten nicht lange zu warten. Gegen halb 6 erschienen ein Löwe und zwei Löwinnen 100 Schritte von der Höhle. Es waren sehr große Tiere. Der Löwe, seine schwarze Mähne schüttelnd und den Boden mit seinem Schweif fegend, trug zwischen den Zähnen eine ganze Antilope, die er schüttelte wie die Katze eine Maus. Dies schwere Wildbret hatte für seinen mächtigen Rachen kein Gewicht, und sein Kopf, so schwer die Last war, die er trug, bewegte sich mit vollkommener Leichtigkeit. Die beiden Löwinnen, mit gelber Haut, begleiteten ihn springend.

Sir John – Sr. Gnaden gestand es später – fühlte doch ein heftiges Herzklopfen. Sein Auge öffnete sich weit, seine Stirn zog sich in Falten, und er empfand eine Art krampfhafter Furcht, in der sich Erstaunen und Angst mischten; doch dauerte dies nicht lange, und er wurde schnell wieder Herr über sich. Was seine zwei Begleiter betraf, so waren sie so ruhig wie gewöhnlich.

Indessen hatten der Löwe und die zwei Löwinnen die Gefahr gewittert. Beim Anblick ihrer versperrten Höhle blieben sie stehen. Sie waren keine 60 Schritt davon entfernt. Das Männchen stieß ein heiseres Gebrüll aus, und gefolgt von den zwei Weibchen warf es sich in ein Gebüsch rechts, ein wenig unterhalb des Ortes, wo die Jäger zuerst angehalten hatten. Man sah die furchtbaren Tiere genau durch die Zweige, ihre gelben Leiber, ihre gespitzten Ohren und ihre glänzenden Augen.

»Die Rebhühner sind da«, murmelte Sir John dem Buschmann ins Ohr; »jedem das Seine.«

»Nein«, antwortete Mokum mit leiser Stimme, »das Nest ist noch nicht vollständig beisammen, und das Schießen würde die andern erschrecken.«

»Buschmann, bist du deines Pfeils in dieser Entfernung sicher?«

»Ja, Mokum«, antwortete der Eingeborene.

»Nun dann, dem Männchen in die linke Seite, und triff ihn ins Herz!«

Der Buschmann spannte seinen Bogen und zielte konzentriert durch das Strauchwerk. Der Pfeil flog schwirrend ab. Man vernahm ein Gebrüll; der Löwe machte einen Satz und fiel 30 Schritte von der Höhle zu Boden. Dort blieb er bewegungslos liegen, und man konnte seine spitzen Zähne zwischen seinen blutroten Lefzen bemerken.

»Gut, Buschmann«, sagte der Jäger.

In diesem Augenblick verließen die beiden Löwinnen das Dickicht und stürzten sich auf den Körper des Löwen. Auf ihr fürchterliches Brüllen erschienen zwei andere Löwen, von denen einer ein alter männlicher mit gelben Tatzen war, gefolgt von einer dritten Löwin, um die Ecke des Hohlwegs. In schrecklicher Wut sträubten sich ihre schwarzen Mähnen riesenhaft. Sie sprangen auf mit unglaublich durchdringendem Gebrüll.

»Zu den Karabinern jetzt«, rief der Buschmann, »und schießen wir sie im Laufen, da sie sich nicht setzen wollen!«

Zwei Schüsse knallten; der eine Löwe, durch die Explosionskugel des Buschmanns in die Hüfte getroffen, fiel tot nieder. Der andere, dem Sir John eine Tatze zerschmetterte, stürzte sich auf die Barrikade. Die wütenden Löwinnen folgten ihm.

Die schrecklichen Tiere trachteten den Eingang zur Höhle zu erzwingen, und es wäre ihnen auch gelungen, wenn sie nicht eine Kugel aufgehalten hätte.

Der Buschmann, Sir John und der Eingeborene hatten sich ins Innere der Höhle zurückgezogen. Die Büchsen waren schnell wieder geladen, ein oder zwei Schüsse, und die wilden Bestien lagen vielleicht tot am Boden, als ein unvorhergesehener Umstand die drei Jäger in eine fürchterliche Lage versetzte.

Dichter Rauch erfüllte plötzlich die Höhle. Einer der Ladepfropfen, der in das trockene Gebüsch gefallen war, hatte dies in Flammen gesetzt. Bald umhüllte ein Flammenstrom, vom Wind angefacht, Menschen und Tiere. Die Löwen wichen zurück. Die Jäger konnten nicht länger in dieser Behausung bleiben, ohne sich in wenigen Minuten dem Ersticken auszusetzen.

Es war eine gräßliche Lage; man durfte nicht zögern.

»Hinaus, hinaus!« schrie der Buschmann, der am Ersticken war.

Sofort warf man mit den Flintenkolben das Strauchwerk beiseite, stieß die Steine fort, und die drei halberstickten Jäger stürzten sich mitten durch den Rauchwirbel ins Freie.

Der Eingeborene und Sir John hatten kaum Zeit gehabt, zur Besinnung zu kommen, als beide zu Boden geworfen wurden, der Afrikaner durch einen Stoß mit dem Kopf, der Engländer durch einen Schlag mit dem Schwanz der noch kräftigen Löwin. Der Eingeborene, gerade vor die Brust getroffen, blieb bewegungslos liegen. Sir John hielt sein Bein für zerschmettert und fiel auf die Knie. Aber als eben das Tier auf ihn loskam, wurde es von einer Kugel des Buschmanns getroffen, die auf einem Knochen in seinem Körper explodierte.

In diesem Augenblick erschienen Michael Zorn, William Emery und die beiden Buschmänner an der Biegung des Engpasses, um zur rechten Zeit am Kampf teilzunehmen. Zwei Löwen und ein Weibchen waren den tödlichen Angriffen der Kugeln und Pfeile erlegen. Doch waren noch die Überlebenden, die zwei andern Weibchen und das Männchen, dem ein Schuß Sir Johns die Tatze zerschmettert hatte, zu fürchten. Indessen taten in diesem Augenblick die von sicherer Hand gehandhabten gezogenen Büchsen ihren Dienst. Eine zweite Löwin fiel, von zwei Kugeln im Kopf und in die Seite getroffen. Der verwundete Löwe und das dritte Weibchen machten darauf einen erstaunlichen Satz über die Köpfe der jungen Leute fort und verschwanden um die Biegung des Hohlwegs, zum letztenmal noch von zwei Kugeln und zwei Pfeilen begrüßt.

Sir John jubelte mit triumphierendem Hurra, die Löwen waren besiegt. Vier Kadaver lagen auf dem Boden.

Jetzt bemühte man sich um Sir John, und mit Hilfe seiner Freunde konnte er aufstehen; glücklicherweise war sein Bein nicht gebrochen. Der Eingeborene, den ein Stoß mit dem Kopf niedergeworfen hatte, kam nach einigen Minuten wieder zu sich, da ihn nur die Heftigkeit des Stoßes betäubt hatte . . .

Eine Stunde später hatte die kleine Truppe das Gehölz wieder erreicht, wo die Pferde angebunden waren.

»Nun«, sagte Mokum jetzt zu Sir John, »ist Ew. Gnaden mit den afrikanischen Rebhühnern zufrieden?«

»Entzückt«, erwiderte Sir John, sein gequetschtes Bein reibend, »entzückt! Aber was haben sie für einen Schweif, wackerer Buschmann, was für einen gewaltigen Schweif!«