Nikolaus Palander wiedergefunden

Die geodätischen Arbeiten wurden wieder aufgenommen. Zwei Stationen, die man nächst der letzten Station diesseits des Flusses nacheinander abgesteckt hatte, dienten zur Bildung eines neuen Dreiecks. Diese Operation geschah ohne Schwierigkeit, doch mußten die Astronomen vor den Schlangen, die in dieser Gegend gefährlich sind, auf der Hut sein. Es waren dies sehr giftige, 10 bis 12 Fuß lange Mambas, deren Biß tödlich ist.

4 Tage nach der Fahrt über den Nosub, am 21. Juni, befand man sich mitten in einer waldigen Gegend. Aber das Gehölz, womit sie bedeckt war und das aus mittelgroßen Bäumen bestand, behinderte die Messungsarbeit nicht. An allen Punkten des Horizonts zeigten sich deutliche Bodenerhöhungen, mehrere Meilen voneinander entfernt, die zur Errichtung von Fahnenstangen und Reverberen geeignet waren; diese Gegend, eine tiefe Niederung unter dem allgemeinen Niveau, war dadurch feucht und fruchtbar. William Emery erkannte dort Tausende der hottentottischen Feigenbäume, deren säuerliche Früchte bei den Buschmännern sehr beliebt sind. Die weit zwischen den Gehölzen hinziehenden Ebenen verbreiteten einen lieblichen Wohlgeruch, der von einer zahllosen Menge Zwiebelgewächsen herrührte, die den Zeitlosen ziemlich ähnlich sind. Eine gelbe, 2 und 3 Zoll lange Frucht, überragte diese Wurzeln und durchduftete die Luft balsamisch. Es war der »Kukumakranti« Südafrikas, den die kleinen Eingeborenen sehr lecker finden. In dieser Region, in der die benachbarten Gewässer unmerklich abwärts flossen, erschienen auch die Koloquintenfelder wieder, eingefaßt von jenen zahllosen Minzepflanzen, deren Verpflanzung nach England so vollständigen Erfolg gehabt hat.


Obgleich fruchtbar und großer Agrikulturentwicklung günstig, schien diese besonders tropische Region wenig von Nomadenstämmen besucht. Man sah keine Spur von Eingeborenen. Kein Kraal, nicht einmal ein Lagerfeuer. Dennoch fehlte es nicht an Wasser, und an manchen Stellen hatten sich Bäche, Sümpfe, ziemlich bedeutende Seen und zwei oder drei reißende Flüsse gebildet, die in die verschiedenen Nebenströme des Oranje flossen.

An diesem Tag beschlossen die Gelehrten, hier haltzumachen, um die Karawane zu erwarten. Die vom Jäger bestimmte Frist war demnächst abgelaufen, und wenn er sich nicht in seiner Berechnung geirrt hatte, mußte er heute noch ankommen, nachdem er die Furt unterhalb des Nosub passiert. Indes verfloß der Tag, und kein Buschmann erschien. War die Expedition auf ein Hindernis gestoßen, das sie am Wiedereintreffen hinderte? Sir John Murray glaubte, daß, da der Nosub in dieser Zeit, wo es noch viel Wasserzufluß gibt, keine genügende Furt darbiete, der Jäger südlicher gegangen sei, um eine zum Übersetzen geeignete Stelle zu suchen. Dieser Grund war in der Tat anzunehmen, da die Regengüsse in der letzten Jahreszeit sehr häufig gewesen waren und ungewöhnlich viel Wasser zugeführt hatten.

Die Astronomen warteten. Aber als auch der 22. Juni vorüber war, ohne daß einer von Mokums Leuten erschienen, zeigte sich Oberst Everest sehr unruhig. Er konnte seinen Weg nicht nach Norden fortsetzen, wenn ihm das Material der Expedition fehlte. Wenn sich nun diese Verzögerung in die Länge zog, so konnte das den Erfolg der Operationen gefährden.

Mathieu Strux bemerkte bei dieser Gelegenheit, es sei seine Meinung gewesen, die Karawane zu begleiten, nachdem man die letzte Station diesseits des Flusses mit den beiden jenseitigen geodätisch verbunden hätte; hätte man seinen Rat befolgt, so wäre die Expedition jetzt nicht in Verlegenheit geraten; wenn das Schicksal der Triangulation durch diese Verzögerung aufs Spiel gesetzt würde, so falle die Verantwortung dafür auf die zurück, die geglaubt hatten . . . usw.! In jedem Fall hätten die Russen . . .

Oberst Everest protestierte, wie man sich denken kann, gegen diese Beschuldigungen seines Kollegen, indem er daran erinnerte, daß man den Beschluß gemeinschaftlich gefaßt habe. Sir John Murray indes vermittelte und verlangte, daß diese Diskussion, als vollständig überflüssig, sofort beendet würde, was geschehen sei, sei geschehen, und alle Klagen auf der Welt könnten nichts an der Lage der Dinge ändern. Man bestimmte nur noch, daß, wenn am nächsten Morgen die Buschmannkarawane sich noch nicht bei den Europäern wieder eingefunden hätte, Michael Zorn und William Emery, die sich dazu erboten, sie unter der Führung des Forelopers in südwestlicher Richtung aufsuchen sollten. Während ihrer Abwesenheit sollten Oberst Everest und seine Gefährten am Lagerplatz bleiben und ihre Rückkehr abwarten, um eine Entscheidung zu treffen.

Nachdem man hierüber geeinigt hatte, hielten sich die beiden Rivalen während des übrigen Tages voneinander entfernt. Sir John Murray verbrachte die Zeit damit, das benachbarte Gehölz zu durchstreifen. Doch lief ihm kein Wild über den Weg. Was die Vögel betrifft, so war er in Hinsicht auf deren Eßbarkeit nicht sehr glücklich. Dagegen hatte der Naturforscher, der oft in einem Jäger steckt, Grund zur Zufriedenheit. Zwei merkwürdige Spezies fielen unter seinen Schüssen. Er brachte ein schönes Berghaselhuhn mit, 13 Zoll lang, kurzbeinig, mit dunkelgrauem Rücken, roten Füßen und Schnabel, dessen zierliche Schwungfedern ins Braune spielten; ein schönes Exemplar der Familie der Tetraoniden, deren Typus das Rebhuhn ist. Der andere Vogel, den Sir John durch einen besonders geschickten Schuß erlegt hatte, gehörte den Raubtieren an. Es war eine besonders in Südafrika einheimische Art Falken, mit roter Kehle und weißem Schwanz, und von besonderer Formenschönheit. Der Foreloper nahm die zwei Vögel geschickt aus, so daß ihre Haut unbeschädigt aufgehoben werden konnte.

Die ersten Tagesstunden des 23. Juni waren schon verflossen, und die Karawane hatte noch kein Zeichen von sich gegeben. Die beiden jungen Leute waren im Begriff, sich auf den Weg zu machen, als entferntes Gebell einen Aufschub veranlaßte. Bald kam der Jäger Mokum in größter Eile auf seinem Zebra herbeigeritten, an der Ecke eines Aloegehölzes links vom Lager.

Der Buschmann war der Karawane vorausgeritten und näherte sich schnell den Europäern.

»Kommen Sie doch, braver Jäger«, rief Sir John Murray freudig aus. »Wirklich verzweifelten wir an Ihrer Wiederkehr. Wissen Sie, ich würde mich nie haben trösten können, Sie nicht wiederzusehen! Es scheint, als ob das Wild mich flieht, wenn Sie mir nicht zur Seite sind. Kommen Sie doch, damit wir Ihre Rückkehr durch ein gutes Glas unseres schottischen Whiskys feiern!«

Auf diese wohlwollenden und freundschaftlichen Worte Sir Johns antwortete Mokum nicht. Er betrachtete jeden der Europäer, zählte sie einen nach dem andern, und eine lebhafte Angst malte sich in seinen Zügen.

Oberst Everest bemerkte es sofort, trat zu dem Jäger, der soeben abgestiegen war, und fragte:

»Wen suchen Sie, Mokum?«

»Herrn Palander«, erwiderte der Buschmann.

»Ist er denn nicht bei Ihnen?« fragte Oberst Everest wiederholt.

»Er ist nicht mehr bei uns!« antwortete Mokum; »ich hoffte ihn an Ihrem Lagerplatz wiederzufinden! Er hat sich verirrt!«

Bei den letzten Worten des Buschmanns kam Mathieu Strux eilig heran.

»Nikolaus Palander verloren!« rief er aus. »Ein Gelehrter, den man Ihrer Sorge anvertraut hatte, ein Astronom, für den Sie verantwortlich waren und den Sie nicht zurückbringen! Wissen Sie denn, Jäger, daß Sie für seine Person stehen müssen, und daß es nicht genügt zu sagen: Herr Nikolaus Palander ist verloren!«

Diese Worte des russischen Astronomen beleidigten die Ohren des Jägers, der, da er sich nicht auf der Jagd befand, keinen Grund hatte, geduldig zu sein.
»He, he! Herr Astrologe aller Russen«, erwiderte er mit gereizter Stimme, »wollen Sie nicht gefälligst Ihre Worte ein wenig mäßigen? Bin ich beauftragt, Ihren Gefährten zu hüten, der sich selbst nicht zu hüten weiß! Sie halten sich an mich, und Sie haben unrecht damit, hören Sie? Wenn sich Herr Palander verloren hat, so ist das seine Schuld! Zwanzigmal habe ich ihn angetroffen, wie er, in seine Ziffern vertieft, sich von unserer Karawane entfernt hatte, und zwanzigmal habe ich ihn wieder zurückgebracht. Vorgestern aber, bei Anbruch der Nacht, ist er verschwunden, und ungeachtet meiner Nachforschungen habe ich ihn nicht wiederfinden können. Seien Sie geschickter, wenn Sie können, und da Sie so gut ein Fernrohr zu handhaben verstehen, legen Sie Ihr Auge daran und versuchen Sie, Ihren Kollegen zu entdecken!«

Der Buschmann würde ohne Zweifel in diesem Ton fortgefahren haben, zum großen Zorn des Mathieu Strux, der mit offenem Mund nicht ein Wort anbringen konnte, wenn nicht Sir John Murray den jähzornigen Jäger beruhigt hätte. Zum Glück für den russischen Gelehrten wurde der Streit zwischen ihm und dem Buschmann hier abgebrochen.

Doch warf sich Mathieu Strux dafür mit einer unbegründeten Beschuldigung auf Oberst Everest, der sich dessen nicht versah.

»Auf jeden Fall«, sagte der Astronom von Pulkowo in trockenem Ton, »beabsichtige ich nicht, meinen unglücklichen Kollegen in dieser Wüste zurückzulassen. Was mich betrifft, werde ich alles Mögliche aufbieten, ihn wiederzufinden. Wenn Sir John Murray oder Mr. William Emery verschwunden wären, würde Oberst Everest vermutlich nicht zögern, die geodätischen Arbeiten einzustellen, um seinen Landsleuten zu Hilfe zu kommen. Nun sehe ich nicht ein, warum man für einen russischen Gelehrten weniger tun solle, als für einen englischen!«

Der also aufgeforderte Oberst Everest konnte seine gewöhnliche Ruhe nicht länger beibehalten.

»Herr Mathieu Strux«, rief er mit gekreuzten Armen und festem Blick auf seinen Gegner aus, »ist es Ihr entschiedener Wille, mich ohne Grund zu beleidigen? Was halten Sie von uns Engländern? Haben wir Ihnen das Recht gegeben, an unsern Gefühlen in einer Humanitätsfrage zu zweifeln? Was läßt Sie annehmen, daß wir diesem unverständigen Rechner nicht zur Hilfe kommen wollen ...«

»Mein Herr . . . «, rief der Russe bei dieser Bezeichnung Nikolaus Palanders.

»Ja, unverständig«, wiederholte der Oberst, indem er jede Silbe betonte, »und um auf Sie zurückzuschleudern, was Sie soeben leichtsinnig aussprachen, will ich noch hinzufügen, daß, falls unsere Operationen durch dieses Ereignis fehlschlagen, die Verantwortung dafür auf die Russen und nicht auf die Engländer fallen würde.«

»Herr Oberst«, schrie Mathieu Strux, dessen Augen Blitze schleuderten, »Ihre Worte . . . «

»Meine Worte sind wohlerwogen, mein Herr, und da dies gesagt wurde, versteht es sich von selbst, daß bis zum Augenblick, in dem Ihr Kollege wiedergefunden, jede Arbeit eingestellt wird. Sind Sie zum Aufbruch bereit?«

»Ich war dazu bereit, ehe Sie nur ein Wort gesprochen«, antwortete Mathieu Strux grollend.

Hierauf gingen beide Gegner an ihren Wagen, denn die Karawane war soeben angekommen.

Sir John Murray, der den Oberst begleitete, konnte sich nicht enthalten zu sagen:

»Es ist noch ein Glück, daß dieser unverständige Mensch nicht auch noch das Doppel des Registers der Messungen mitgenommen hat.«

»Das dachte ich auch«, erwiderte der Oberst einfach.

Die beiden Engländer befragten nun den Jäger Mokum. Dieser erzählte ihnen, Nikolaus Palander sei seit 2 Tagen verschwunden; man habe ihn zum letztenmal 12 Meilen weit vom Lagerplatz gesehen; er, Mokum, habe sofort nach seinem Verschwinden Nachforschungen angestellt, wodurch seine Ankunft verzögert wurde; da er ihn nicht gefunden, habe er sehen wollen, ob sich dieser »Rechenmeister« nicht vielleicht zufällig bei seinen Gefährten am Nosub eingefunden habe. Da dem nun nicht so sei, schlage er vor, die Suche nordöstlich fortzusetzen, in dem waldigen Teil des Landes habe man keine Stunde zu verlieren, wenn man den Herrn Palander noch lebend antreffen wolle.

Man mußte sich in der Tat beeilen. Seit 2 Tagen irrte der russische Gelehrte aufs Geratewohl in einer Gegend umher, wo reißende Tiere so häufig streiften. Er war nicht der Mann, sich aus einer schwierigen Lage zu ziehen, da er immer nur in einer Zahlenwelt, nie in einer wirklichen gelebt hatte. Wo jeder andere irgendeine Nahrung gefunden hätte, würde der arme Mann unvermeidlich Hungers sterben. Man mußte ihm unbedingt so schnell wie möglich zur Hilfe eilen. Um 1 Uhr verließen Oberst Everest, Mathieu Strux, Sir John Murray und die beiden jungen Astronomen das Lager, vom Jäger geführt. Alle ritten rasche Pferde, sogar der russische Gelehrte hielt sich in komischer Weise krampfhaft an seinem Tier fest und verwünschte innerlich den unglückseligen Palander, der ihm eine solche Plackerei verursachte. Seine Begleiter, ernste und anständige Leute, wollten die erheiternden Stellungen, die der Astronom von Pulkowo auf seinem Pferd annahm, das sehr lebhaft und empfindlich gegen den Zügel war, nicht bemerken.

Ehe er das Lager verließ, hatte Mokum den Foreloper gebeten, ihm seinen Hund zu leihen, ein schönes, kluges Tier, ein geschickter und vom Buschmann gut dressierter Spürhund. Dieses Tier, nachdem es einen Hut von Nikolaus Palander beschnüffelt hatte, sprang nach Nordosten zu, während sein Herr ihn durch ein besonderes Pfeifen antrieb. Die kleine Truppe folgte sofort dem Hund und verschwand am Saum eines dichten Gehölzes. Während des ganzen Tages folgten der Oberst und seine Begleiter dem hin- und herlaufenden Tier, das so scharfsinnig war, daß es vollkommen verstand, was man von ihm verlangte. Doch fehlten noch die Spuren des verirrten Gelehrten, und keine Fährte konnte mit Sicherheit verfolgt werden. Der Hund schnupperte auf dem Boden herum, lief vorwärts, kam aber bald wieder zurück, ohne auf eine sichere Spur gestoßen zu sein. Die Gelehrten versäumten ihrerseits kein Mittel, ihre Gegenwart in dieser öden Gegend bemerkbar zu machen. Sie riefen, sie feuerten Flintenschüsse ab, wodurch sie hofften, von Nikolaus Palander gehört zu werden, so zerstreut und in sich versunken er auch sein mochte. So hatte man die Umgegend des Lagers in einem Umkreis von 5 Meilen durchstreift, als der Abend herankam und man die Nachforschungen einstellen mußte, um sie bei Tagesanbruch wieder aufzunehmen.

Während der Nacht suchten die Europäer ein Unterkommen unter einer Baumgruppe vor einem Holzfeuer, das der Buschmann sorgsam unterhielt. Man hörte das Geheul wilder Tiere, deren Anwesenheit nicht geeignet war, sie über den Aufenthalt Nikolaus Palanders zu beruhigen. Konnte man noch hoffen, diesen Unglücklichen, erschöpft, verhungert, durch die Nachtkälte erstarrt, den Angriffen der in diesem Teil Afrikas so zahlreichen Hyänen ausgesetzt, zu retten? Dies beschäftigte sie alle. Die Kollegen des Unglücklichen verbrachten so lange Stunden Pläne schmiedend und Mittel suchend, um bis zu ihm zu gelangen. Die Engländer zeigten bei dieser Gelegenheit eine Hingebung, von der selbst Mathieu Strux gerührt werden mußte, er mochte wollen oder nicht. Tot oder lebend, beschloß man, müsse der russische Gelehrte wiedergefunden werden, und sollten auch die trigonometrischen Arbeiten ins Unendliche vertagt werden. Endlich erschien der Tag, nach einer unendlich langen Nacht. Die Pferde wurden schnell aufgezäumt und die Suche in einem weiteren Umkreis wieder fortgesetzt. Der Hund lief voraus, und die kleine Truppe folgte seinen Spuren.

Nach Nordosten vordringend, kamen Oberst Everest und seine Begleiter durch eine sehr feuchte Gegend.

Die strömenden Wasser, obgleich nicht bedeutend, vermehrten sich. Man konnte sie leicht durchwaten, mußte sich aber vor Krokodilen in acht nehmen, von denen Sir John Murray hier die ersten Exemplare sah. Es waren große Reptilien, von denen einige 25 bis 30 Fuß lang waren, fürchterlich gefräßige Tiere, denen man auf den Seen oder Flüssen schwer entfliehen konnte. Der Buschmann, der sich nicht damit aufhalten wollte, gegen diese Saurier zu kämpfen, machte Umwege und hielt Sir John, der immer bereit war, ihnen eine Kugel zuzuschicken, zurück. Wenn sich eins dieser Ungetüme zwischen dem hohen Gras zeigte, rissen die Pferde im Galopp aus und entzogen sich leicht der Verfolgung. Inmitten großer, aus übervollen Bächen gebildeter Teiche sah man sie zu Dutzenden, mit dem Kopf über dem Wasser ragend, irgendeine Beute nach Art der Hunde verschlingen und mit ihren fürchterlichen Rachen in kleine Bissen zermalmen.

Die kleine Truppe setzte indes, ohne große Hoffnung, ihre Suche fort, bald in dichtem, schwer zu durchdringendem Gehölz, bald auf der Ebene mitten in einem unentwirrbaren Netz von Gewässern, untersuchten den Boden, die unbedeutendsten Spuren beachtend; hier einen in Mannshöhe abgebrochenen Zweig, dort ein Büschel kürzlich niedergetretenen Grases, weiterhin ein anderes halb verwischtes Zeichen, dessen Ursprung schon unkenntlich geworden war.

Nichts vermochte die Suchenden auf die Spur des unglücklichen Palander zu bringen.

In diesem Augenblick hatten sie sich ungefähr 10 Meilen nördlich vom Lagerplatz vorgewagt und wollten sich auf den Rat des Jägers südwestlich wenden, als der Hund plötzliche Zeichen von Unruhe gab. Er bellte und wedelte heftig mit dem Schweif; er entfernte sich einige Schritte mit der Nase auf dem Boden, die trockenen Gräser auf dem Fußpfad beschnüffelnd. Dann kam er auf dieselbe Stelle zurück, als wenn eine besondere Ausströmung ihn fessle.

»Herr Oberst«, rief der Buschmann aus, »unser Hund spürt etwas! Ach, das kluge Tier! Es ist auf die Fährte des Wildes – verzeihen Sie, des Gelehrten, dem wir nachjagen, gestoßen. Lassen wir ihn gewähren, lassen wir ihn!«

»Ja!« wiederholte Sir John Murray, »er ist auf der Spur. Hören Sie nur dies Kläffen! Man möchte sagen, er spricht mit sich selbst, er sucht sich eine Meinung zu bilden. Ich gäbe 50 Pfund für ein solches Tier, wenn es uns an den Ort brächte, wo sich Nikolaus Palander aufhält.«

Mathieu Strux nahm die Art, wie man von seinem Landsmann sprach, nicht übel, das wichtigste war vor allem, ihn aufzufinden. Jeder hielt sich bereit, der Spur des Hundes zu folgen, sobald dieser seines Weges sicher war.

Dies dauerte nicht lange; und nach lautem Gebell sprang das Tier mit einem Satz über ein Gebüsch und verschwand im Wald. Die Pferde konnten ihm nicht durch diese undurchdringliche Waldung folgen. Oberst Everest und seine Begleiter waren demnach genötigt, das Gehölz zu umreiten und sich durch das Gebell des Hundes leiten zu lassen. Eine sichere Hoffnung belebte sie jetzt. Es war nicht zu bezweifeln, daß das Tier dem verirrten Gelehrten auf der Spur war, und verlor es sie nicht, so mußte es gerade auf sein Ziel loskommen. Eine Frage nur mußte man stellen: Lebte Nikolaus Palander noch oder war er tot?

Es war 11 Uhr morgens. Ungefähr 20 Minuten lang ließ sich das Gebell, das die Suchenden leitete, nicht mehr hören. War es die Entfernung oder war der Hund vom Weg abgekommen? Der Buschmann und Sir John, die vorausritten, wurden sehr unruhig. Sie wußten nicht, nach welcher Richtung sie ihre Gefährten führen sollten, als das Bellen von neuem ungefähr eine halbe Meile südwestlich, aber außerhalb des Waldes ertönte. Sofort spornte man die Pferde nach dieser Seite zu an.

In einigen Sätzen hatte die Truppe eine sehr sumpfige Stelle im Boden erreicht. Man hörte den Hund deutlich, konnte ihn aber nicht sehen. 12 bis 15 Fuß hohes Schilf bedeckte das Terrain. Die Reiter mußten absteigen, und nachdem sie ihre Pferde an einen Baum gebunden hatten, glitten sie durch das Schilfrohr, immer dem Gebell des Hundes folgend. Bald hatten sie dies dichte und zum Vorwärtskommen sehr ungeeignete Geflecht hinter sich. Ein weiter mit Wasser und Wasserpflanzen bedeckter Raum bot sich ihren Blicken dar. An der niedrigsten Stelle des Bodens erstreckte sich ein breiter und eine halbe Meile langer, kleiner See mit bräunlichem Wasser.

Der Hund stand an den schlammigen Ufern des Sees und bellte wütend.

»Da ist er, da ist er!« rief der Buschmann.

In der Tat, am Ende einer Art Halbinsel, auf einem Baumstamm ungefähr 300 Schritt entfernt, saß Nikolaus Palander unbeweglich, einen Bleistift in der Hand, ein Notizbuch auf seinen Knien, ohne Zweifel ins Rechnen vertieft.

Seine Kollegen konnten einen Schrei nicht zurückhalten. Der russische Gelehrte wurde höchstens 20 Schritt weit von einer Bande Krokodile belauert, die den Kopf aus dem Wasser streckten. Er ahnte nicht einmal ihre Gegenwart, und diese gefräßigen Tiere, die sich langsam näherten, konnten ihn im nächsten Moment herabreißen.

»Eilen wir!« sagte der Jäger leise, »ich weiß nicht, worauf diese Krokodile warten, um sich auf ihn zu werfen!«

»Sie warten vielleicht, bis er einen Hautgout bekommen hat!« konnte sich Sir John nicht enthalten zu antworten, womit er auf die, von den Eingeborenen allgemein bemerkte Tatsache anspielte, daß diese Reptilien niemals frisches Fleisch fressen.

Der Buschmann und Sir John empfahlen ihren Begleitern, an dieser Stelle auf sie zu warten, und umgingen den See, um die schmale Landzunge zu erreichen, auf der sie zu Nikolaus Palander gelangen konnten.

Sie hatten noch keine 200 Schritte gemacht, als die Krokodile, das Wasser verlassend, auf den Boden krochen und direkt auf ihre Beute losgingen. Der Gelehrte sah nichts; er wandte seine Augen nicht von seinem Notizbuch weg, seine Hand schrieb fortwährend Zahlen.

»Augenmaß, kaltes Blut, oder er ist verloren!« murmelte der Jäger Sir John ins Ohr.

Beide knieten darauf nieder, legten auf die Reptilien, die ihm am nahesten gekommen waren, an und gaben Feuer. Ein doppelter Knall ertönte, und zwei der Ungeheuer stürzten rücklings mit zerschmettertem Rückgrat ins Wasser. Die übrigen verschwanden augenblicklich unter der Oberfläche des Sees. Beim Knallen der Gewehre hob Nikolaus Palander endlich den Kopf, erkannte seine Kollegen, lief auf sie zu und schrie, sein Notizbuch schwenkend:

»Ich hab’s gefunden! Ich hab’s gefunden!«

»Und was haben Sie gefunden, Herr Palander?« fragte ihn Sir John.

»Einen Dezimalfehler im 103. Logarithmus der Tabelle von James Wolston!«

In der Tat hatte der würdige Mann diesen Fehler gefunden! Einen Logarithmenfehler! Er hatte Anspruch auf die von dem Verleger James Wolston versprochene Prämie von 100 Pfund! Und seit 4 Tagen, da er in diesen Einöden umherirrte, hatte der berühmte Astronom von Helsingfors seine Zeit damit zugebracht!