Lorm, Hieronymus (eigentlich Landesmann, Heinrich 1821-1902) österreichischer Gesellschaftskritiker und Schriftsteller

Glänzende Sprache, poetischer Bilderreichtum, philosophischer Tief sinn, melodischer Rhythmus und Kühnheit der Phantasie sind dem bedeutendsten deutschen Dichter in der Gegenwart, dem vom Schicksal so schwer heimgesuchten Dichter und Schriftsteller Hieronymus Lorm — eigentlich Heinrich Landesmann — , geboren 9. August 1821 zu Nikolsburg in Mähren, eigen. Seine Lebensgeschichte ist auch seine Leidensgeschichte, und man kann nur die Energie dieses außerordentlichen Genius bewundern, dass er trotz vollständiger Taubheit und völliger Blindheit sich nicht allein eine umfassende philosophische und literarische Bildung angeeignet, sondern sich auch einen der ruhmvollsten Plätze unter allen modernen Dichtern errungen hat.

Originalität und Vielseitigkeit in der Dichtung sind die hervorstechendsten literarischen Charaktereigenschaften von Hieronymus Lorm. Als Lyriker, Epiker, Feuilletonist, Kritiker und philosophischer Schriftsteller hat er in gleicher Weise außerordentliche, berechtigte Erfolge erzielt. Als Lyriker trat er 1870 mit einem Band „Gedichte“, 1877 mit „Neuen Gedichten“ und 1880 mit der Gesamtausgabe seiner Lieder auf, welch' letztere zahllose Auflagen erlebte.


Als Romanzier und Novellist bewährte er sich in dem dreibändigen Romane: „Ein Zögling des Jahres 1848“, der Novellensammlung „Am Kamin“, den „Erzählungen des Heimgekehrten“, den Novelletten „Intimes Leben“, „Tote Schuld“, „Späte Vergeltung“, „Der ehrliche Name“, „Außerhalb der Gesellschaft“, „Ein Schatten aus vergangenen Tagen“, „Ein Kind des Meeres“, „Der fahrende Geselle“, „Vor dem Attentat“, „Die schöne Wienerin“, „Das Leben kein Traum“, „Auf dem einsamen Schlosse“, „Die Geheimrätin“, „Wanderers Ruhebank“ etc. Er schrieb ferner: „Die Muse des Glückes und moderne Einsamkeit“, „Der grundlose Optimismus“, „Geflügelte Stunden“ und „Der Naturgenuss“ — eine Philosophie der Jahreszeiten, „Natur und Geist im Verhältnis zu den Kulturepochen“ und „Philosophisch-kritische Streifzüge“.

Er ist zu sehr Lyriker und Epiker, als dass er auf dem dramatischen Gebiete besonders reüssiert hätte, wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass die von ihm verfassten Stücke: „Das Forsthaus“, „Hieronymus Napoleon“, „Die Alten und die Jungen“ und „Der Herzenswunsch“ manche fesselnde poetische Schönheit im Einzelnen enthalten. Als kritischer Essayst ersten Ranges bewährte er sich in dem Werke: „Wiens poetische Schwingen und Federn“.

Hieronymus Lorm war schon von frühester Kindheit an leidend und Hieronymus Lorm. konnte nur durch die liebevollste Pflege seiner Mutter dem Leben erhalten bleiben. Mit seinem sechsten Jahre besuchte er die Schule zu St. Anna in Wien, zu deren besten Schülern er zählte. Mit dem 12. Jahre war er Zögling der polytechnischen Schule zu Wien, wurde aber durch eine plötzliche Lähmung ans Krankenlager gerufen. Zwar verlor sich die Lähmung nach dem Gebrauch der Bäder in Teplitz, allein der Krankheitsstoff warf sich nunmehr auf Gehör und Gesicht, so dass im 15. Lebensjahre ersteres völligverloren, letzteres bedeutend geschwächt war. Schon mit 16 Jahren veröffentlichte er hier und da in Zeitschriften Gedichte und mit 22 Jahren schrieb er seine prächtige muhammedanische Faustsage: „Abdul“. Als er sein schon erwähntes kritisches Werk: „Wiener poetische Schwingen und Federn“ 1846 herausgab, erregte er das Missfallen des allmächtigen Metternich, so dass er auf den Rat aufrichtiger Freunde es für geraten fand, den Wiener Staub eiligst von den Füßen zu schütteln und nach Berlin zu flüchten. Auch entschloss er sich seitdem unter dem Pseudonym Hieronymus Lorm zu schreiben, damit auch seine in Wien weilende Familie vor Belästigungen gesichert sei. Erst im April 1848, nachdem freie Bahn geschaffen war, kehrte er nach Wien zurück. Ein Vierteljahrhundert setzte er hier seine fruchtbare journalistische Tätigkeit fort. Seit dem Jahre 1856 mit einem hochgebildeten, gleichfalls poetisch veranlagten Mädchen verheiratet — es ist der Schwager Berthold Auerbachs — lebte er mit seiner Familie still und von der Außenwelt fast gänzlich abgeschlossen, in Baden bei Wien, siedelte aber im April 1873 hauptsächlich wegen der Erziehung seiner beiden Söhne nach Dresden über und verweilte dort nahezu zwei Jahrzehnte, worauf er seinen Wohnsitz nach Brunn verlegte, wo einer seiner Söhne als vielbeschäftigter Arzt ansässig ist. Leider erblindete in späteren Jahren der Dichter gänzlich und kann sich nur durch ein selbst ausgedachtes, scharfsinniges System von tastender Fingersprache mit der Außenwelt verständigen.

Nicht ganz unzutreffend hat man H. Lorm einen lyrischen Schopenhauer, den Pessimisten unter den heutigen Lyrikern genannt. Der Weltschmerz, den er uns entrollt, ist aber von so poetischer Schönheit, so tief empfunden, so ideenreich, dass ihm eine Berechtigung nicht abgesprochen werden kann. Als Probe seiner Dichtungsart hier nur zwei kleine Poeme mitgeteilt:

Was bleibt.

Als mir einst noch Rosen blühten,
Sterne hold verheißend glühten.
Fand sich manche Träne doch.
Meine Rosen sind verblichen,
Meine Sterne sind gewichen —
Meine Tränen fließen noch!

Und droht auch Nacht der Schmerzen
Mein Leben zu umfassen —
Ein unvernünft'ger Sonnenglanz
Will nicht mein Herz verlassen.

Weltlauf

Wohin das Auge dringt,
Ist Schuld und Leiden,
Und was der Zeitlauf bringt,
Ist Flieh'n und Scheiden.

Dazwischen hat der Traum
Von Glück und Liebe
Nur noch soviel an Raum,
Dass er zerstiebe.