Erste Fortsetzung

Bekannt ist, wie später die sechs wendischen Städte (Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Wismar, Rostock und Stralsund) vor allen andern hansischen Städten Freiheit vom Sundzoll genossen. Die erste urkundliche Bestätigung dieser Freiheit scheint erst aus dem Jahre 1560 zu stammen (Dumont, Corps Diplom. 5, 1, S. 73); dass sie viel älter ist, wusste man, aber noch Wurm (bei Schmidt, Allg. Zeitschr. f. Gesch. 5, S. 259) und Allen (de tre nordiske Rigers Historie 4, 1, S. 303 Anm. 61) wissen keine Antwort auf die Frage nach dem Ursprunge dieser Freiheit. Fridericia berührt und beantwortet diese Frage kurz nach Hirschs vorangegangener Darstellung. In den neuen Hanserezessen liegt uns jetzt das Material ausführlich vor; darnach stellt sich der Hergang doch anders, als Hirsch und nach ihm Fridericia ihn darstellen.

Im Wordingborger Friedensvertrage, der 1435 dem Kriege zwischen König Erich und den vier Städten Lübeck, Hamburg, Lüneburg und Wismar ein Ende machte, ist auffälligerweise vom Sundzoll nicht die Rede (vgl. H. R. v. 1431 — 76, 1, Nr. 453). Noch in demselben Sommer müssen preußische Schiffe im Sunde „den nyen toll" bezahlen, und der Kaufmann zu Brügge bittet daher Lübeck, Abschrift des Friedens an die preußischen Städte und nach Brügge zu senden, damit man sich darnach zu richten wisse (H. R. v. 1431—76, 1, Nr. 478 S. 424). Am 1. März 1436 erhält der Danziger Bürgermeister Heinrich Vorrat in seiner Instruktion für die Lübecker Versammlung den Auftrag, mit den Städten auch von dem Zoll zu sprechen, den Peter Oxe, der Hauptmann des Königs zu Helsingör, erhebt. Weil „ein de tut to kort is gefallen und mit der hast vortan kegen Vlandern heft moten trecken", schreibt Vorrat dem heimischen Rate über diese Sache nicht, und dieser bittet nun am 4. April 1436 nochmals die Lübecker, ihm mitzuteilen, was man wegen des Zolles im Sunde mit dem Könige ausgemacht habe. Die Antwort der Lübecker vom 21. April besagt, der König von Dänemark habe ihnen alle alten Privilegien bestätigt; sie könnten dieselben ungeschmälert genießen und mit ihnen alle diejenigen, „de der van rechtes wegen geneten unde bruken scholen na inneholde der vorgeroreden privilegia sunder arch. Unde wente gy, leven vrunde, wol weten, dat gy in den vorgeroreden Privilegien unde vryheyden sunderlinges mede begrepen sin, so moge gy jw darna weten to richtende mit den vorscrevenen tollen. Ok en rade wy, nach en bevele wy den unsen nicht, dat se enyghen tollen in dem Sunde geven scholen, ok en mene wii unde de unsen ene nicht to gevende, wente wy des na inneholde unser privilegia dar nicht plichtich sint to ghevende. Unde hirmede scholen sik de unsen des tollens to ghevende entsecgen, eft se Peter Oxe edder anders jemend darumme anspreke" (H. R. v. 1431—76, 1, Nr. 552).


Am 1. Juli desselben Jahres begeben sich die Ratssendboten der genannten vier Städte, die den Wordingborger Frieden geschlossen hatten, nach Kopenhagen und verhandeln dort mit König und Reichsrat. Über was? darüber gab ein Bericht Auskunft, den die Gesandten an die Städte sandten und der uns leider verloren ist. Wir erfahren nur: „Darna seghelde wi, do wi to Kopenhaven bi dren weken gheleghen hedden, unde mannighe sprake umme de vredebrake unde de van Rostoke mit dem heren koninghe unde sinem rade gheholden hadden, na Kalmeren." Hier sollen die städtischen Rathssendeboten zusammen mit dem dänischen Reichsrath vermitteln in dem Streite zwischen König Erich und den Schweden. Aber bevor sie das zusagen, erklärt ihr Obmann, der Lübecker Bürgermeister Heinrich Rapesulver, dass sie „gherne denen to jwer gnaden besten na unsem vormoghe, doch dat jwe gnade uns ghelovet unde besegheld unde gheswaren hefft, dat en wart uns nicht gheholden. nameliken also, alze van dem tolne tom Kruk unde den van Rostocke, scholde wi jwe gnade in dat hus unde to vreden deghedinghen unde uns sulven buten deme huse unde deme vrede besluten, dat en wolde vor uns nicht wesen". Der König darauf „sede apembar unde swor, wes he den steden ghesecht unde ghelavet hadde, dat wolde he en vul unde al holden in guden truwen". Die Städteboten übernehmen darauf die Vermittlung (H. R. v. 1431—1476. 1, Nr. 603 §§ 1 u. 2).

Am 24. Juli 1436 waren sie in Kalmar angekommen, und schon vor dem 1. August muss ihnen der König diese Zusage gemacht haben, denn an diesem Tage schreiben die lübischen Sendeboten an ihren Rat: „Aver er wii dat annamen wolden unses deles, de beyden partye na vorscrevener wiise to vorschedende, moste uns de here koning opembarliken zegen, dat he uns unse privilegia truweliken holden unde holden laten wolde, unde dergeliik den, de der van rechtes wegen geneten unde bruken scholen, alse uns dat besegheld were, unde besunderen mit dem tolne to Orekroke schal men idt holden, alse wii jw alrede gescreven hebben (diese Zuschrift ist nicht erhalten), unde ok von der wegen, eft God wil, muntliken wol berichten willen. Doch, leven heren, moge gii dit vorkundigen den steden in Prutzen unde dem copmanne to Vlanderen unde to Bergen in Norwegen, also dat eyn yszlik schippere, de uthe den steden is, de in unseme privilegio begrepen sint, siner stad wapen achter uthsteke uppe dem castele mit eyner stangen efte glevyen, wanne he vor Orekrok henne segheld, unde zegele darmede vry sines weges" (H. R. v. 1431—1476, 1, Nr. 609 S. 552). Dieser Bericht der lübischen Ratssendboten wurde den Städten mitgeteilt; das Danziger und Revaler Archiv haben eine Abschrift desselben bewahrt. Außerdem erhielten die übrigen Städte eine direkte Mitteilung von den Ratssendboten der vier in Kalmar, in der es heißt: „so hebbe wy ok mit dem heren koninge verhandelet unde mit sinem rade, alse umme den tollen to Krok, unde is verramet, dat de hensestede, de unser privilegien billigen gebruken scholden, des tollens dar anich wesen mogen, men dat eyn yslik schipher, de uthe den steden is, siner stad wapene uppe deme castele toge unde utsteke „vorne up sin castel" (so nachgetragen in der Danziger Abschrift), wanne he tegen deme Kroke vorebyseghelt, unde segele vort in Godes namen. Desset moge gy, leven heren, juwen steden unde schipheren des landes to Pratzen in de hense behorende to kennende geven. Ok begere wy, dat gy desset den Lyfflandeschen steden to watere unde to lande willen vorkundigen unde vort witlik don, uppe dat se sik ok darna weten to richtende, unde hopen yo, id scholde uns allen wol geholden werden" (H. R. v. 1431—1476, 1, Nr. 610).

Aus zwei von Hirsch (Handels- und Gewerbegeschichte Danzigs S. 137 ff.) auszugsweise mitgeteilten Schreiben des Danziger Rats an den Hochmeister und an Lübeck erfahren wir nun, dass im Herbst 1436 und im Frühjahre 1437 preußische Schiffe, die im Vertrauen auf jene Abmachung unter dem verabredeten Zeichen frei durch den Sund segeln wollen, vor Helsingör angehalten und zur Entrichtung eines Sundzolls gezwungen werden, dass der Danziger Rat sich im Juni 1437 an den gerade in Danzig anwesenden König Erich beschwerdeführend wendet und dass dieser erklärt, die Sendeboten der vier Städte hätten in ihren Verhandlungen mit ihm in keiner Weise der preußischen und livländischen Städte gedacht, sondern sie ganz draußen gelassen, und er, der König, habe in Gegenwart der Sendeboten seinem Hauptmann Peter Oxe den Befehl gegeben, nur den Schiffen der 4 Städte den Zoll zu erlassen, ihn aber von allen andern zu nehmen, ja dass Erich das „bewert mit herten, sweren und unlympflichen worten und eiden, das uns nicht czemet czu scriben". Hirsch schließt daraus auf „ein zweideutiges Verfahren der vier Städte, das nicht wohl geeignet war, das Bundesverhältnis, über dessen Lockerung sie kurz zuvor den preußischen Städten schwere Vorwürfe gemacht hatten, zu befestigen", und Fridericia, der in dieser Frage nur das von Hirsch mitgeteilte Material benutzt, meint auch, dass „Lübeck nicht ganz redlich aufgetreten sei, als es im August 1436 Danzig versicherte, dass die Sundzollfreiheit allen Hansestädten zugestanden worden sei".

Das oben (S. 37 ff.) herangezogene, in dem neuen Bande der Hanserezesse zum ersten Mal publizierte urkundliche Material hat in Hirschs Arbeit keine Verwendung gefunden. Es zeigt deutlich, dass die von ihm ausgesprochene Ansicht über Lübecks Politik mindestens starken Zweifeln begegnen muss, sich als historisch erwiesen durchaus nicht betrachten lässt.

Die Behauptung Hirschs, dass die vier Städte die Gelegenheit in Kalmar benutzt hätten „zum Abschluss eines Vertrages, nach welchem ihnen allein und ausdrücklich die Aufhebung aller seit 100 Jahren in Betreff der Zölle und Zollstätten in den drei Reichen- vorgenommenen Neuerungen, namentlich des Sundzolles in Helsingör zugesichert wurde", lässt sich weder urkundlich noch sonst belegen. Detmars Fortsetzer (Grautoff, Lüb. Chr. 2, S. 69) erzählt allerdings, dass im Wordingborger Vertrage die Städte erlangt hätten, „dat de kopman anders nenen tollen scholde gheven in Dennemarken, Sweden unde Norweghen, ane den he over hundert yaren ghaf" uhd „dat de dudesche kopman unde ok de andere kopman in nener stede scholden tollen, ane dar de dudesche kopman aver hundert yaren plach to tollende". Nun ist wahr, was Hirsch sagt, dass sich der Chronist „über alle diese Dinge nicht genau unterrichtet zeigt", aber ist das ein genügender Grund, um diese von ihm dem Wordingborger Vertrage vindizierten Bestimmungen ohne Weiteres auf den Kalmarer Vergleich zu übertragen und sie aus einem Gemeingute des deutschen Kaufmanns in ein Sonderrecht der vier Städte zu verwandeln? Allerdings erwähnt die uns erhaltene Urkunde des Wordingborger Vertrags diese Bestimmungen nicht; sie begnügt sich mit einer einfachen Bestätigung aller alten Rechte und Privilegien. Aber schon Waitz (Schi. Holst. Gesch. 1, S. 338) hebt hervor, dass die Urkunde nicht in Widerspruch stehe mit der Chronik, dass sie, was geschah, in glimpflichere Formen für den König kleide, und das oben mitgeteilte urkundliche Material bestätigt diese Ansicht. In Kopenhagen klagen die vier Städte im Juli 1436 „umme de vredebrake unde de van Rostoke"; aus der gleich darauf folgenden Stelle „van dem tolne tom Kruk unde den van Rostocke" geht hervor, dass unter dieser „vredebrake" in erster Linie der Sundzoll verstanden ist. Die Darstellung Lübecks in dem Briefe an Danzig vom 21. April 1436, dass Erich im Wordingborger Vertrage die alten Privilegien bestätigt habe und dass man deshalb nicht pflichtig sei, Sundzoll zu bezahlen, scheint allerdings dafür zu sprechen, dass die vier Städte die Beschwerde über die Sundzollerhebung als „vredebrake" einfach mit dieser allgemeinen Privilegienbestätigung begründet haben, wenn man aber bedenkt, dass die Städte aus früheren Verhandlungen*) sehr wohl bekannt waren mit Erichs Ansicht, nach welcher die älteren Privilegien der Städte ihn in keiner Weise hinderten, wie andere Könige an beliebiger Stelle seines Reiches neue Zölle einzurichten, so erscheint es im höchsten Grunde unwahrscheinlich, dass sie diesen staatsrechtlichen Anschauungen des Königs gegenüber sich in einem Frieden, den sie in günstiger Lage schlossen," er in Bedrängnis, nur durch eben eine solche allgemeine Bestätigung früherer Rechte gedeckt haben sollten. Gewiss sind Versprechungen präziserer Natur nebenhergegangen, und an sie ist zu denken, wenn die Ratssendboten in Kalmar klagen „dat jwe gnade uns ghelovet unde besegheld unde gheswaren hefft, dat en wart uns nicht geholden", und wenn der König verspricht „wes he den steden ghesecht unde ghelavet hadde, dat wolde he en vul unde al holden in guden truwen", und besonders wenn die dänischen Reichsräte um dieselbe Zeit den König mahnen (H. R. v. 1431—76, 1, Nr. 607 § 8): „ok rade wi jw, dat id gheholden werde, dat jwe gnade mit den steden ghedeghedinget heft unde gii en ghesecht hebben nnde wi van jwer weghen, unde blivet so mit jwen vogheden unde amtluden, da jw boert to vorantwardende, dat se en dar nicht entjeghen don, unde dot en weddervaren reddelicheid vor dat nu scheen is, unde sunderghen dat en ghescheen is de wile, dat se in jwer gnade denste weset hebben". Schwerlich hätte sich der dänische Reichsrat auf den staatsrechtlichen Standpunkt der Städte gestellt und den König für Erhebung des Sundzolles zur Entschädigung verpflichtet erklärt, wenn in Wordingborg außer einer allgemeinen Bestätigung der alten Privilegien von ihm und dem König nicht noch weitere Versprechungen gegeben worden wären.

*) H. R. v. 1431—76, l, Nr. 365 § 47 heißt es: „unde na dem male wy mit dem sulven rechte, dar andere koninge unde fursten in eren riken costume unde plichte mede setten unde maken to bestande erer rike edder lande, ok dat sulve unde desgelikes mogen don, so menen wy, wes darane scheen is, dat de vorgescreven upslach van unser wegene darmede nicht sy gebroken" und das. § 53: „Wes andere koninge edder mynre fursten vermogen dor eres, erer rike (unde) lande vromen, orbars edder bestandes wille bynnea eren gebieden uptosettende, dat vormoge wy jo so wol bynnen unsen riken unde gebieden etc.".

Wegen Rostock wird ja auch geklagt, dass den Städten nicht gehalten würde, was ihnen gelobt worden sei, und Rostock wird im Wordingborger Vertrage mit keiner Silbe erwähnt, und was die Städte in Betreff seiner vom Könige verlangen, konnte doch nicht aus der allgemeinen Privilegienbestätigung hervorgehen. Dass also über diesen Punkt besondere Abmachungen bestanden, ist unzweifelhaft. Will man nun, den Beteuerungen König Erichs Glauben schenkend, mit Hirsch und Fridericia annehmen, dass diese in Kalmar zu festen, bindenden Verpflichtungen erhobenen Wordingborger Versprechungen in Betreff des Sundzolls als Sonderrechte der vier Städte erworben worden sind, so liegt jedenfalls von Seiten dieser vier Städte ein sehr abgefeimtes Spiel der Politik vor. Ihre Ratssendboten müssten instruiert worden sein, von Kalmar aus einen zum Teil fingierten Bericht mit der Aufforderung zur Versendung nach Haus zu schicken und einen ähnlichen sogar direkt an die anderen Städte. Ein derartiges Komplott, dessen Mitwisser notwendigerweise die Ratsmannen von vier der bedeutendsten Städte werden mussten, darf man doch nicht ohne die allerzwingendsten Gründe voraussetzen. So lange diese nur in den Beteuerungen eines Königs bestehen, der es mit seinem Eide mehr als einmal nicht sehr genau genommen hat, kann dasselbe auch nicht entfernt als erwiesen betrachtet werden. Zudem beharren die Lübecker in ihrer, von Hirsch unbenutzt gelassenen Antwort auf das Klageschreiben der Danziger vom 16. Juni 1437 (datiert vom 5. Juli desselben Jahres)*) nicht minder entschieden bei ihrer Aussage, dass der König allen Hansestädten die Zollfreiheit zugesagt habe. Nicht mit Unrecht stellt sich daher v. d. Ropp (Zur Deutsch-Skandinavischen Geschichte des 15. Jahrh. S. 61) auf einen der Ansicht Hirschs gerade entgegengesetzten Standpunkt, nimmt Wortbruch und Unwahrheit von Seiten des Königs an und gibt ihm Schuld, dass „er die Erregung Danzigs in der Zollfrage zur Trübung des seit dem Hansetage von 1434 unter den Städten wiederhergestellten guten Einvernehmens benutzen wollte, um Lübeck und seine näheren Genossinnen abermals zu vereinzeln".

*) Dieses Schreiben, das erst im 2. Bande der Rezesse von 1431—1476 zum Abdruck gelangen wird, kenne ich nur aus den Mitteilungen von der Ropps: Zur Deutsch-Skandinavischen Geschichte des 15. Jahrhunderts S. 61

Auffällig bleibt allerdings ein Punkt, dass nämlich Lübeck in seinem Schreiben an Danzig vom 21. April 1436 seine Ansprüche auf Sundzollfreiheit ausschließlich auf die im Wordingborger Vertrage erlangte Bestätigung aller früheren Privilegien begründet, mit keiner Silbe irgend einer andern Abmachung erwähnt. Dass solche bestanden, scheint mir gewiss. Warum Lübeck sie nicht mitteilt, weiß ich nicht zu erklären.

Trotzdem muss doch, so weit wenigstens das bis jetzt vorliegende Material erkennen lässt, der Verdacht, die eigenen Genossen hinterlistig und heuchlerisch hintergangen zu haben, der Führerin der Hanse fern bleiben. Hoffentlich ermöglichen es die weiteren Quellenpublikationen des Hansischen Geschichtsvereins, auch in dieser Sache vollkommen klar zu sehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zur Frage nach der Einführung des Sundzolls