Kosmopolitismus und jüdische Religion

Kosmopolitismus, Weltbürgertum ist das auf das Wohl der ganzen Menschheit gerichtete Streben, verbunden mit der idealen Hoffnung auf das kommende Weltvolk. In seinen Ursprüngen ist dieser Gedanke ein echt jüdischer, wie er auch heute seine Anhänger vorzugsweise unter den Juden findet. Das Genie Israels bestand allezeit in einer synthetischen Anlage. Sein Einheitsstreben, das in der Schaffung des reinen Monotheismus seinen höchsten Triumph gefeiert hat, fand auch in bezug auf die Menschheit seine Auslösung in dem Gedanken von der Einheit der Menschheit. Trotzdem ist ein Unterschied zu machen zwischen Kosmopolitismus und Kosmopolitismus. Der biblische Kosmopolitismus ist ein anderer als der Kosmopolitismus der Aufklärungsperiode, der Revolution, des Sozialismus.

Wie Religion und Stammestum unlösbar im alten Israel verbunden sind (vgl. den Artikel: Nationalismus und jüdische Religion), so ist auch der biblische Kosmopolitismus ein religiöser. Aus der Idee des Weltgottes entstand die Idee des Weltvolkes „Menschheit“ und der von großen religiös-sittlichen Idealen erfüllten Weltgeschichte. Da diese Weltgeschichte aber die Form einer religiösen Geschichtsphilosophie annahm, in deren Mitte Israel stand; da ferner der Weltgott Israels trotz seiner universalistischen Tendenz stets der Gott Israels blieb, so nahm die kosmopolitische oder besser die Menschheitsidee des alten Israel eine nationalaristokratische Form an. Sie wurde das nationale Ideal Israels, des auserwählten Volkes. Darin eben lag die Eigenart des altisraelitischen Nationalismus, daß er stets in Beziehung zur ganzen Menschheit stand. Schon dem einen Abraham wurde verheißen, daß alle Geschlechter der Erde sich an ihm segnen sollten (1.Mose 18, 18; 22, 18). Am Sinai wurde Israel auserwählt aus der ganzen Gott gehörenden Menschheit (2.Mose 19, 5). Israel wurde damit der edelste Repräsentant der Menschheit, das heilige Volk, das Priesterreich. So hatte ihm schon von Anfang an seine Religion eine zentrale Stellung eingeräumt, die ihm ein starkes nationales Bewußtsein verlieh, welches wiederum ruckwirkend die religiösen Begriffe läuterte, vertiefte, verstärkte. Der zentralen Stellung inmitten der Menschheit entsprachen besondere Pflichten, Hoffnungen, Ideale: Israel ist der Knecht Gottes, der von seinem Geiste beseelt den Völkern das Recht kündet (Jes. 42, 1). Von ihm aus geht das göttliche Licht, das auf die Völker strahlt (Jes. 60, 1). Zum Zeugen für die Völker ist Israel bestellt (Jes. 55, 4). So schildern die Propheten seine Aufgaben der Menschheit gegenüber und in derselben Richtung gehen auch seine idealen Hoffnungen, von den Gottesmännern prophezeit. Das sich als Repräsentant der Menschheit fühlende Israel mußte sein höchstes Ideal in der Anerkennung seiner Repräsentation durch die Menschheit sehen. Vor allem der sog. zweite Jesaja ist voll von diesen Idealen (Jes. Kap. 40 — 66). Alle Völker werden gen Jerusalem wallen (Jes. 60, 3 ff.), um sich dem Dienste Gottes zu unterwerfen. Gleichzeitig dem idealen Dienste des Gottesvolkes Israel (Psalm 47). Alle Völker ein Volk des Gottes Abrahams (ib. V. 10). Israel selbst verherrlicht vor den Augen der Menschheit. Jerusalem, der Nabel der Welt, der Thron Gottes (Jer. 3, 17), zu dessen Stufen alle Völker sich versammeln werden, herbeigescheucht von den Enden der Erde (Hagg. 2, 7). Dort aber werden sie eintreten dürfen in den Bund mit Gott: Mein Haus soll ein Bethaus genannt sein für alle Völker (Jes. 56, 1 — 8).


So ergibt sich ein kosmopolitisches Streben ganz eigener Natur, für das der Ausdruck ,,zentripetaler Kosmopolitismus“ wohl der treffendste wäre: Ein Zusammenfallen der höchsten nationalen Interessen Israels mit den höchsten Menschheitsidealen. Die Krone des Ganzen ist der Messiasglaube und der damit verbundene Glaube an den allgemeinen Weltfrieden (Jes. 2, 2 — 4 u. a. a. O.) (S. den Artikel Messianischer Glaube.)


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch