Hebräisch

Hebräisch ist die jüdische Nationalsprache des jüdischen Volkes und zugleich eine der ersten Kultursprachen des Altertums. Seit dem Entstehen des jüdischen Volkes bis auf den heutigen Tag hat das Fortleben der hebräischen Sprache keine Unterbrechung erlitten. Selbst zur Zeit des Eindringens des Hellenismus in das jüdische Volkstum, als viele der führenden Geister des Judentums griechischen Ideen huldigten und der griechischen Sprache mit Vorliebe in Schrift und Rede sich zuwandten, wie auch in der spanischarabischen Epoche, als die hervorragenden jüdischen Geistesheroen wie Raw Saadia Gaon, Juda Ha-Levi, Ibn-Esra, Ibn-Gabirol, Maimonides und andere ihre philosophischen Werke im Arabischen abfassten, war das Hebräische, das die Lieblingssprache auch derjenigen geblieben ist, die manches in fremden Sprachen geschrieben haben und sich deren für ihre intimeren, populären Schriften zu bedienen nicht aufhörten, das einigende Band aller Volksteile und verdrängte am Ende die fremden Sprach- und Kultureinflüsse. Und als es sich herausstellte, daß nur hebräische Bücher im jüdischen Volke populär werden konnten, so wurden auch die Werke der genannten Philosophen — die zunächst auch für Nichtjuden bestimmt waren und wahrscheinlich deshalb in fremden Sprachen abgefasst waren — meist von verschiedenen sprach- und stilgewandten Schriftstellern (die Tilonniden u. a.) ins Hebräische übertragen. Und erst in ihrem neuen Gewande konnten sie der jüdischen Literatur einverleibt werden. Nicht nur im Osten, sondern auch in sämtlichen europäischen Ghettos lebte die hebräische Sprache in der jüdischen Geisteskultur fort. Werke nicht bloß theologischen, sondern auch fachwissenschaftlichen und allgemeinweltlichen Inhalts wurden hebräisch abgefasst und unter den Massen der Judenheit verbreitet und gelesen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstand in Deutschland eine periodische hebräische Presse mit der von Moses Mendelssohn herausgegebenen „Koheleth Mussar“, die nur kurze Zeit existierte, insbesondere aber mit der wertvollen Monatsschrift „Hameassef“ (der Sammler), die ebenfalls aus dem Mendelssohnschen Kreise hervorging. Von Deutschland pflanzte sich diese neue Entwicklung der hebräischen Sprache und Literatur über Österreich nach Rußland, wo sie ihre Hauptpflege gefunden hat.

Die neuhebräische Literatur stand zunächst im Zeichen der rationalistischen Geistesrichtung, die man ,,Haskalah“ (Aufklärung) nennt. Vor einigen Dezennien, in der Zeit der Judenverfolgungen in Rußland, ging von ihr die neujüdische Renaissance aus, welche in der philo-zionistischen Bewegung, dem Choveve-Zionismus, ihren konkreten Ausdruck fand. Die von Perez Smolenski herausgegebene Monatsschrift „Haschachar“ in Wien, das von E. L. Silbermann begründete und von David Gordon fortgesetzte Wochenblatt „Hamagid“ in Lyck, der von Jechril Brüll herausgegebene „Ha-libanon“, der von A. Zederbaum herausgegebene ,,Hameliz“ in Petersburg, die von Slonimski und Sokolow herausgegebene ,,Hazefira“ in Warschau, die großen Jahrbücher „Haasyf“ (Sokolow) und Il'meth-Israel (Robinowitz) propagierten den Gedanken der jüdischen Renaissance und huldigten, die einen früher, die anderen später, den grundsätzlichen Anschauungen des Nationaljudentums und der palästinensischen Bestrebungen. Auch der politische Zionismus, als Volksbewegung im Osten, wurde von der „Hazefira“ und „Hazofe“ in Warschau, „Hameliz“ und „Hasman“ in Petersburg getragen und propagiert. Es gibt keine einzige antizionistische Zeitung im Hebräischen. Die von A. Günzburg(Achad-Haam) begründete und von Dr. J. Klausner und J. Ch. Bialik fortgesetzte Monatsschrift „Haschiloah“ in Odessa, die Tageszeitung „Hasman“ in Wilna, das Wochenblatt „Hajehudy“, ebenfalls in London, und die von Ben-Jehuda herausgegebene Halbwochenschrift „Haschkaphah“ in Jerusalem sind trotz der Verschiedenheit der Abstufungen und Nuancen zionistisch; ebenso „Hamicpe“ und „Haschachar“ in Galizien. Das zionistische A. K. gibt den „Ha-Olam“, eine hebräische politischliterarische Wochenschrift, heraus, Redakteur ist N. Sokolow. Mit der Entwicklung des Renaissance-Gedankens wuchs auch das Bestreben, das Hebräische nicht nur als eine Schriftsprache, sondern auch als eine Konversations- und Umgangssprache zu gebrauchen. Die besten Erfolge nach dieser Richtung sind in Palästina erreicht worden. In den Schulen wird dort fast überall das Hebräische als Unterrichts und Umgangssprache gebraucht. Das Hebräische ist dort für die Kinder vollständig Muttersprache, und auch die Erwachsenen sprechen meist — besonders in den Kolonien — hebräisch. Ein dauerndes Verdienst hat sich in dieser Beziehung Elieser Ben Jehuda in Jerusalem erworben, der theoretisch und praktisch als Pionier in dieser Beziehung bezeichnet werden kann. In Osteuropa widmen sich verschiedene hebräische Konversationsvereine und Sprachklubs diesem Zwecke. Auch in Westeuropa gibt es einige solcher Klubs, so in Wien, Berlin, London, Bern, Paris. All diese Sprachvereine sind in einem Verbände, der „Ibria“, zusammengeschlossen. Im ganzen umfasst die „Ibria“ etwa 75 Vereine, deren Mitglieder auch einen „Ibria-Schekel“ entrichten. Die „Ibria“ pflegt ihre Tagungen am jeweiligen Kongressort abzuhalten. Die Pflege des Neuhebräischen als lebender Sprache ist mit der Entwicklung und dem Wesen des Zionismus aufs engste verknüpft. Der Zionismus, der die Vereinigung aller jüdischen Volksteile erstrebt, besitzt hierzu in der jüdischen Nationalsprache ein unersetzliches konkretes und zu gleich geistigkulturelles Mittel. Zur Erlernung des Hebräischen nach moderner Methode, speziell nach dem Berlitz-System, ist im letzten Jahrzehnt eine ganze pädagogische Literatur entstanden, um die sich die Verlagsgesellschaften ,,Tuschiah“ in Warschau und „Moriah“ in Odessa besondere Verdienste erwarben. Als die erfolgreichsten erwiesen sich die Lehrbücher von Jellin, Grasowsky, Tawjew, S. L. Gordon, S. Lewis, Lewner u. a. Eine vorzügliche Gedichtsammlung für die Jugend besitzen wir in dem von N. Pines edierten „Hasomir“. Die modernen hebräischen Lehrbücher erfreuen sich eines außergewöhnlichen Zuspruches. Manche von ihnen sind in einer großen Masse von Auflagen erschienen. Die modernen Methoden werden besonders in den sogenannten ,,Chadarim m'thukanim“, den „reformierten Cheders“, gebraucht, die jetzt fast in jeder jüdischen Stadt in Rußland vorhanden sind, und werden auch von vielen Privatlehrern und im Selbstunterricht stark benutzt. Praktische Hilfswerke sind das hebräischdeutsche ,,Taschenwörterbuch“ „Milon schel Kis“ (Grasowsky und Klausner), und die deutschhebräischen Wörterbücher von Schulbaum und von Margel (für hebräischrussisch und russischhebräisch — die großen Wörterbücher von Steinberg). Ein bedeutendes, das gesamte hebräische Sprachgebiet umfassendes Lexikon von Ben-Jehuda ist jetzt im Erscheinen begriffen. Der biblische Wortschatz allein reicht insbesondere für moderne Begriffe und technische Benennungen nicht aus. In dieser Hinsicht sind der Talmud, die Mischnah und die Midraschim höchst wertvolle Sprachquellen, die noch lange nicht gänzlich erschöpft und verwertet ist. Auch viele Fremdwörter romanischen Ursprungs haben im Hebräischen Eingang und Platz gefunden. Was den Stil anbetrifft, hat das Neuhebräische sich wieder dem Geiste und der Form der plastischen Bibelsprache genähert, nachdem die rabbinische Ausdrucksweise von ihr sehr weit abgewichen und in eine Weitschweifigkeit, Unpräzision und Unklarheit verfallen war. Im Neuhebräischen dagegen entwickelt sich immer mehr die natürliche, klare, farbenschöne und klangvolle Form.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch