Emanzipation der Juden in Deutschland

Noch das Judenprivilegium Friedrichs des Großen vom Jahre 1750 hatte die Juden in ordentliche und außerordentliche Schutzjuden geteilt. Auch die ersteren, Reiche und Kaufleute, vererben ihren Schutz nur auf ein Kind, das überdies 1.000 Taler Vermögen besitzen muß. Für Heiraten besteht ein numerus clausus, Personen, die ihn überschreiten, müssen für 300 Taler Porzellan aus der Kgl. Manufaktur entnehmen. Tendenz des gesetztes war, die Zahl der Juden zu beschränken, sie aber wirtschaftlich wertvoll zu machen. Durch die vielen Kriege und eine verfehlte Zollpolitik war der Staat ständig in Geldnot, der die Juden steuern sollten. Aber die wirtschaftliche Kräftigung der Juden bewirkte bald, daß sie im Wirtschaftsleben eine Rolle zu spielen begannen, um so mehr als infolge der Erfindung der Maschinen dem mobilen Kapital eine weit wichtiger Rolle zufiel, als früher. So zog Friedrich bald einzelne zu sich heran (z. B. den Münzjuden Ephraim), obwohl er die Gesamtheit haßte. Bald befanden sich ganze Industriezweige, wie die Seidenmanufaktur, in jüdischen Händen.

Daneben erfolgte ein großer sozialer Aufschwung der preußischen, insbesondere der Berliner Judenheit, so daß ein innerer Widerspruch zwischen ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung und ihrer bürgerlichen Stellung entstand. In den 70er Jahren sah man sich genötigt, ihr die Universitäten zu öffnen, Männer wie Mendelssohn, Bendavid, Markus Herz kamen mit Lessing, Lavater, Kant, selbst dem König in Berührung. Die nächsten Jahrzehnte ändern weiter die sozialen Verhältnisse. In den glänzenden Salons geistvoller jüdischer Frauen, der Henriette Herz, Rahel Levin u. a., verkehren die Humboldts, Schlegel, Mirabeau, Schleiermacher. So konnte es nicht ausbleiben, daß einzelne dieser Familien aus der Reihe der Schutzjuden heraus traten und „Generalprivilegien“ erhielten. Daniel Itzig und David Friedländer erlangen 1791 sogar die Naturalisation und traten nun als Vollbürger für ihre Volksgenossen ein. Auch Christen, wie der Kriegsrat Dohm kritisieren öffentlich das Widersinnige der Rechtsstellung der Juden. Die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, die aus Frankreich herüberdringen, beeinflussen die Regierungen und es entsteht 1808 der Entwurf des Ministers v. Schrötter „eine neue, dem Zeitgeist und dem allgemeinen Besten angemessene Verfassung“, der in zahlreichen Gutachten Erörterung findet


So erschien endlich am 11. März 1812 das Judenedikt, das alle Juden für preußische Staatsbürger erklärte, nachdem bereits früher der Leibzoll gefallen war, 1806 die Städteordnung den Juden das Bürgerrecht verliehen hatte und ihnen 1811 die Gewerbefreiheit gewährleistet worden war.

Das Edikt von 1812 bezeichnet den Höhepunkt und Mittelpunkt der ganzen Emanzipationsbewegung, indem es prinzipiell die Stellung der Juden zum Staat regelt.

Tatsächlich blieb freilich noch viel zu erkämpfen. Angesichts der nach den Freiheitskriegen einsetzenden antisemitischer Bewegung war es unmöglich, das Judenedikt auf die neuen Provinzen auszudehnen, und auch in den alten Provinzen wurden viele Verheißungen (Zulassung zu akademischen und höheren Schulämtern, Staatsstellungen etc.) nicht erfüllt. Bis 1847 sind in Preußen nicht weniger als 21 Judengesetzgebungen in Kraft und die Juden vielfach rechtlos. Der Verwaltung erwuchsen aus der Rechtszersplitterung unendliche Schwierigkeiten und der Zustand wurde für sie unerträglich ; sie mußte aber allen Parteien gerecht werden und so war die Entwicklung überaus langsam.

Antisemiten und Philosemiten bekämpfen sich leidenschaftlich, 1824 empfehlen die Stände sogar der Regierung die Aufhebung des Edikts von 1812. Endlich legt die Regierung Friedrich Wilhelms IV. 1847 dem vereinigten Landtag einwesentlich auf dem Edikt von 1812 basierendes Gesetz für das ganze Land vor, und dies wird angenommen. Am 6. April 1848 wird endlich den Juden die volle Gleichberechtigung zuteil, bestätigt in Art. 12 der Verfassung vom 31. Januar 1850.

Ähnlich verläuft die Entwicklung in den Kleinstaaten. Nach dem Sturz Napoleons hatten die Juden zuerst hart um die Anerkennung der ihnen von diesem verliehenen Freiheiten zu kämpfen. Das Jahr 1848 brachte den Juden Hannovers und Nassaus die Staatsbürgerrechte; 1861 folgte Württemberg, 1862 Baden, 1868 Sachsen, 1869 Mecklenburg, und die noch bestehen den lokalen Beschränkungen beseitigte das Gesetz vom 3. Juli 1869, das in seinem wichtigsten Teile lautet: „Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein.“

Literatur: Ludwig Geiger, Geschichte der Juden in Berlin, Berlin 1871 — J. M. Jost, Geschichte der Israeliten. IX. X. — Alfred Stern, Abhandlungen und Aktenstücke zur Geschichte der preussischen Reformzeit. Leipzig 1885.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch