Autonomie

Zum Begriffe des Staates gehört die Souveränität. Sie ist „die Eigenschaft der Staatsgewalt, die höchste, nach außen hin selbständige, im Innern unabhängige Macht (die summa potestas) zu sein“, (von Liszt.) Die Souveränität umfasst die sämtlichen inneren und äußeren Hoheitsrechte, sie äußert sich in der uneingeschränkten völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit.

Es gibt nun einige Staaten, welche nur nach bestimmten Richtungen souverän, im übrigen aber von einem Oberstaate abhängig sind, der für sie die ihnen fehlenden Souveränitätsrechte ausübt. Solche Staaten nennt man „halbsouveräne“ Staaten Ihnen fehlt gewöhnlich ein Teil der äußeren Hoheitsrechte, während sie die administrative Autonomie, d. h. das Recht der Selbstverwaltung und Selbstgesetzgebung, in vollem Umfange und teilweise auch politische Autonomie besitzen. Zu den halbsouveränen Staaten gehören oder gehörten Ägypten, Bulgarien, Moldau und Walachei, Montenegro, Tunis, Zanzibar, Annam und Korea. Die administrative Autonomie kann auch solchen Gebietskörperschaften übertragen werden, welche überhaupt in keiner Beziehung souverän sind. Man spricht dann von „autonomen Provinzen“. Der Begriff der Autonomie setzt stets eine ,,nichtsouveräne, öffentlichrechtliche Gewalt voraus, der die Befugnis zusteht, kraft eigenen Rechts, nicht auf Grund bloßer Delegation, verbindliche Rechtsnormen aufzustellen“. (Laband.)


Der Umfang der Rechte, welche den autonomen Provinzen von dem Souverän zugestanden werden, ist verschieden und in jedem Einzelfalle besonders geregelt. Administrative Autonomie besitzen insbesondere einige Gebietsteile des türkischen Reiches, nämlich Ost-Rumelien, die Inseln Samos und Kreta, sowie die Libanonprovinz. Die Privilegien, welche diese Provinzen von dem Sultan erhallen haben, sind für die zionistische Bewegung deshalb von besonderem Interesse, weil die Staatsform der administrativen Autonomie möglicherweise für ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina in Betracht kommt. Wenn die Zionisten ähnliche Rechte erstreben, wie sie etwa der Insel Samos und der Libanonprovinz eingeräumt worden sind (vgl. „Samos“ und „Libanon“), so ergibt sich aus der Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse, daß man hier keinem leeren Phantome nachjagt. Warum sollte der Sultan dem jüdischen Volke nicht dieselben Konzessionen machen wie den christlichen Samioten oder den Drusen?

Literatur: Boghitchévitch, Halbsouveränität. Berlin 1903; Blau, Die administrative Autonomie der Insel Samos, in „Altneuland“, Jahrgang 1904. S. 257 ff.; Blau, Die autonome Provinz Libanon, in „Palästina“, Jahrgang 1907.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch