Aufklärungsepoche

Die Aufklärungsepoche in der Geschichte des Judentums beginnt in der Zeit, in der das Judentum aus seiner mittelalterlichen geistigen Abgeschlossenheit heraustritt und sich mit der Kultur der Umgebung, der modernen Kultur, vertraut macht. Sie dauert bis zu der Zeit, in der das Judentum beginnt, auf dem Grunde eines sich immer mehr vertiefenden historischen Bewusstseins sich langsam auf positiven Grundlagen wieder aufzubauen (etwa 1750-1830). Das Wesen und das Verdienst dieser Aufklärung besteht darin, daß sie dem Judentum, das infolge der Abschließung besonders während der polnischen Periode (1500-1750) einen gewissen kulturellen Tiefstand erreicht hatte, mehr und mehr die Vorzüge der modernen Kultur erschließt. Mit diesem Verdienst verbindet sie den Mangel und die Gefahr einer fortschreitenden Selbstentäußerung, Debilitierung und inneren Zersetzung des Judentums. Sie weckte das Verlangen nach Emanzipation und ließ damit den national messianischen Glauben, den Glauben an eine besondere nationale Zukunft Israels, der den Lebensnerv des Judentums bildete, verfallen. Doch machen sich in der Aufklärungszeit auch schon leise Anfänge zu einem neuen künftigen positiven Ausbau des Judentums bemerkbar. — Zu den ersten Juden, die sich mit der modernen Kultur innig vertraut machten, gehört Moses Mendelssohn (1729 — 1786), der unbestritten bedeutendste Repräsentant der Aufklärung. Zu glücklicher Vorbedeutung für den Ablauf des an sich gefahrvollen Europäisierungsprozesses verbindet sich in ihm mit einer uneingeschränkten Hochschätzung des modernen Geistes eine warme Liebe zum Judentum. Seine Bestrebungen waren wesentlich auf die politische und geistige Befreiung und die Erhöhung des Judentums gerichtet. Niemand war für das Werk der Aufklärung geeigneter als er, der dem Judentum viel Ehre gebracht halte, dessen Liebe zum Judentum und zu seinen unglücklichen Stammesgenossen offenkundig war und der bei seinem Werke aus liebendem Herzen, und weil er allem Kampf abgeneigt war, mit großer Milde und Behutsamkeit verfuhr. Während sich jedoch in ihm jüdisches Bewußtsein und moderner Geist auf das innigste verbanden, führte die Vertrautheit mit letzterem andere seiner Stammesgenossen zum Zwiespalt und zu innerer Zerrissenheit, wie den Dichter Ephraim Kuh (1721—1790) oder zur Gleichgültigkeit gegen das Judentum wie den Philosophen Salomon Maimon (1753—1800). In anderen, wie in David Friedländer (1750—1834) erweichte sich, trotz ihrer Liebe zum Judentum, um der Emanzipation willen, das jüdische Bewußtsein soweit, daß sie sich unter Vorbehalt zur Taufe geneigt zeigten. Die Damen des Berliner Salons, Dorothea Mendelssohn, Henriette Herz, Rahel Levin, und viele gebildete Juden, besonders in Berlin, Breslau und Königsberg, traten zum Christentum über, das gerade damals in Schleiermacher einen modernen und imponierenden Repräsentanten gefunden hatte. Ihnen allen erschien der Geist des mittelalterlichen Judentums nicht nur als zu eng und der moderne Geist weit überlegen: es verzehrte sie auch, da sie sich persönlich den Christen gleichwertig fühlten, das sehnsüchtige Verlangen nach politischer und gesellschaftlicher Gleichberechtigung. So traten später auch Börne (1786—1837) und Heine (1797—1856), als ihrem Auftreten Hindernisse bereitet wurden, zum Christentum über. Heine freilich liebte im Herzen das Judentum, und sowohl in seiner Jugend als auch insbesondere in seinen letzten Lebensjahren dämmerte in ihm als einem der ersten unter den modernen Juden das Bewußtsein von der nationalen Bedeutung des Judentums. Im allgemeinen ging den gebildeten Juden der Aufklärungszeit jedes historische Verständnis und darum auch jeder Sinn für eine historische Auffassung des Judentums ab. Friedländer suchte im Geiste des philosophischen Rationalismus das religiöse Judentum mit der modernen Kultur in Einklang zu bringen, und Israel Jakobsohn (1768—1828) bemühte sich, der äußeren, damals wenig ansprechenden Erscheinungsform des religiösen Judentums durch einige dem Christentum entlehnte Verschönerungsmittel aufzuhelfen. Doch lassen sich in der Aufklärungszeit auch einige Keime des neuen Positiven bereits entdecken. Durch Mendelssohn und die Biuvisten (Verfasser hebräischer Kommentare zur Bibel), insbesondere durch Naphthali Hartwig Wessely (1725—1805), der für das Judentum und die hebräische Sprache gleich begeistert vcar, wurde die hebräische Sprache von ihrem mittelalterlichen Wust gereinigt, und so trat bald eine begeisterte Schar von Jünglingen auf den Plan, die der hebräischen Sprache eine liebevolle Pflege angedeihen ließen. Das Organ, in welchem sie ihren Sammelpunkt hatten, war der Meassef (1783—90, 1794—97, 1809—11) gegründet von Euchel und Bresselau. Die Mitarbeiter dieser Zeitschrift wurden Measfim genannt; außer den Gründern Mendelssohn und Wessely gehören zu den bekanntesten: David Friedrichsfeld, David Franco Mendes, Mose Metz, Mardochai Levisohn, Isaac Satanow und Benseeb. Ihre Bestrebungen waren einerseits erfolgreich auf die kulturelle Verjüngung des Judentums gerichtet, andererseits gaben sie durch ihre begeisterte Pflege der hebräischen Sprache zur Entstehung der neuhebräischen Literatur Anlaß, die später auf dem Boden der östlichen Judenheit das beste Mittel werden sollte, den neuen bewußt national jüdischen Geist zu wecken. Andere Keime zur Schaffung positivjüdischer Werke liegen In den jüdischwissenschaftlichen Bestrebungen und in dem Interesse an der Geschichte des Judentums, die beide seit dem Ende des zweiten Jahrzehnts des neun zehnten Jahrhunderts sich regen. Ein großes, schon in positiver Richtung liegendes, wenn auch unklares und verfehltes Wollen offenbaren ferner die Bestrebungen des „Vereins für Kultur und Wissenschaft der Juden“ (1819—23) und verheißungsvoll für die Zukunft wirkt auch die warme Begeisterung für den Genius des Judentums, die Steinheim in seinen „Gesängen Obadiahs ben Arnos aus der Verbannung“ (1829) bekundet.

Literatur: H. Grätz, Geschichte der Juden, 11. Bd. — L. Geiger, Geschichte der Juden in Berlin (Berl. 71). — J. Ritter, Geschichte der jüdischen Reformation, 1. u. 2. Teil (Berl. 58, öl).



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