Assimilation

Der Zionismus, der nur den politischen Ausdruck und die letzte Konsequenz des Nationaljudentums bildet, ist naturgemäß ein entschiedener Gegner der Assimilation. Nicht gemeint ist freilich, daß die Juden sich gegen fremde Kulturen abschließen sollen. Während der ganzen Diaspora hat stets eine gewisse Assimilation der Juden an ihre Umgebung stattgefunden, aber unbewusst und ohne Absicht. Der Zionismus verwirft nur die Assimilation als Ideal, als vorgeschriebene Wegrichtung, wie dies erst seit den Tagen Mendelssohns der Fall geworden ist. Die unbewusste Assimilation assimiliert den Kulturstoff der Umgebung dem Judentum, die bewusste das Judentum der Umgebung. Die bewusste Assimilation wird beim Niedergang des nationalen Gedankens und der nationalen Hoffnungen geboren und führt zur Zersetzung und Zerstörung des Judentums. Der Zionismus aber erstrebt die Erhaltung des Judentums, nicht nur, weil auf diesem Wege allein die Judenfrage gelöst werden kann, sondern auch wegen der dem Judentum innewohnenden Kulturkraft. Der Zionismus scheut ferner die sehr bedenklichen moralischen Konsequenzen der Assimilation. Denn diese untergräbt notwendig das jüdische Selbstgefühl, da sie das Nichtjüdische ausdrücklich und durchgängig als nachahmenswert hinstellt und somit das Jüdische als minderwertig empfinden lehrt. Ohne Selbstgefühl und Ehrgefühl muß unausbleiblich eine moralische Verkümmerung der Juden eintreten und gleichzeitig das Verhalten und Auftreten der Juden verächtlich werden. Die Assimilation gibt unseren Feinden, die uns als minderwertig betrachten, im Grunde recht. Die Assimilation kann auch, selbst bei dem einzelnen Juden, nur schwer bis zu Ende gelingen, weil der durch eine lange Geschichte gefestigte Rassen Charakter der Juden einer völligen Entjudung ungünstig ist. Der assimilierte Jude leidet an einer inneren Halbheit und Zerrissenheit, es fehlt ihm an der Geschlossenheit und Instinktsicherheit des Wesens und so vermag er weder ethisch noch ästhetisch zu befriedigen. Die halbe Assimilation wiederum, die den Juden nur den besonderen Glauben lassen will, kämpft auf die Dauer erfolglos gegen die eiserne Konsequenz des hier waltenden psychologischen Gesetzes: wenn alles Jüdische minderwertig ist, warum nicht auch die Religion? Und ohnedies muß eine konsequente Assimilation auch zum Aufgeben des religiösen Judentums führen, weil dieses in seiner wahren historischen Gestalt mit nationalen Elementen völlig durchsetzt ist und einem restlosen Eingehen in die Kultur der Umgebung hinderlich ist. So nannte auch bekanntlich Heine die Taufe ein „Entreebillet in die europäische Kultur“. Der Weg der Assimilation, der auf eine eigene jüdische Kultur verzichtet, hat sehr viele, und darunter nicht wenig her vorragende Geister, im Laufe des 19. Jahrhunderts aus dem Judentum herausgeführt und damit einen Prozess eingeleitet, der nicht nur zu einer Verkümmerung des moralischen Empfindens, sondern auch immer mehr zu einer Schwächung des geistigen und wirtschaftlichen Kapitals des Judentums führen mußte, einen Prozess, der erst durch das Wiedererwachen des jüdischen Selbstbewusstseins teilweise aufgehalten wurde, aber erst durch einen völligen Sieg des Zionismus wirklich beendet werden kann. Der Zionismus erstrebt die Erhaltung der Eigenart der Juden und ihre Veredlung. Die kompakten Massen des Ostens besitzen noch heute eine solche, sie bedarf bei ihnen nur der Weiter- und Höherentwicklung. Das in Palästina zu schaffende jüdische Kulturzentrum wird auf dem alten geheiligten nationalen Boden eine zugleich starke und freie, wahrhaft jüdische Kultur er zeugen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionistisches Abc-Buch