Martin Greif: Ein Brief.

Auf Ihre vertrauensvolle Anfrage über meine Ansichten dem Zionismus gegenüber kann ich Ihnen, da ich die Bewegung wohl nicht eingehender studiert habe, nur mein Einverständnis mit Ihren durch keine Logik zu erschütternden Anschauungen von meinem ganz unabhängigen Standpunkte aus kundgeben. Wer könnte denjenigen unter Ihren Glaubensgenossen, welche ihr Herz nach der uralten Heimat und Wohnstätte ihrer Väter zieht, das Recht zu diesem natürlichen Empfinden absprechen. Ebenso anerkennenswert scheint mir der praktische Gedanke (Beeinflussung der in Europa bleibenden Juden durch den Zionismus), den Sie nach Ihrer mir sehr einleuchtenden Darstellung damit verbinden; ich glaube, dass sowohl die Juden des Ostens, als auch die des Westens daraus moralischen und religiösen Gewinn ziehen würden. Das dort begründete, gewissennassen staatliche Leben würde aber auch vorbildlichen Einfluss auf den in ihren bisherigen Wohnsitzen zurückgebliebenen Hauptteil Ihrer Volksgenossen ausüben, und jedenfalls also auch sittlich vertiefend auf diese wirken. Es würden den Juden wieder ganz ihnen angehörende große Künstler und Dichter erstehen, während sie gegenwärtig auch bei höchster Geistesanlage ein fremdes Kulturleben nicht mit ihrem Licht vollkommen durchdringen können. Heine hätte in Jerusalem, wenn er dort gesungen haben würde, längst sein ragendes Denkmal als nationaler Sänger. Kenne ich auch nur weniges aus der zionistischen Literatur, werde ich doch die übrigen Schriften zu lesen nicht unterlassen, da ich aus ihnen nähere Belehrung zu schöpfen hoffen darf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen