Boleslav Prus

Die Bestrebungen der Zionisten pflegen als Täuschung und zwar als eine schädliche betrachtet zu werden. „Wenn sogar, — so wird behauptet — die Hälfte der Juden auswandern sollte, was wäre damit geholfen? ... Es würde sich diese fruchtbare Rasse stark vermehren und es wieder auf die heutige Anzahl bringen“.

„Das Gebet, — wird ferner entgegengehalten — in welchem die Juden täglich zu Gott um die Rückkehr nach dem verheißenen Lande beten, ist zu einer todten Formel herabgesunken. Der Zionismus jedoch könnte diesem Gebete seine Bedeutung wieder geben. Allein nach Palästina wird er sie nicht führen. Wohl aber wird er sie daran hindern, das Land, in welchem sich die Gräber ihrer Vorfahren, so vieler Geschlechter befinden, als Vaterland zu betrachten und zu lieben und demselben zu dienen“.


Ich will mich nicht auf die Wiederlegung des ersten Einwurfes einlassen. Es ist ja sicher, dass nach Abzug einer Anzahl von Juden eine Erleichterung eintreten würde. Aber ich zweifle sehr daran, ob die Nachkommen der Juden selbst ihre Stellen einnehmen würden. Wahrscheinlicher ist es, dass die christliche Welt, die ja immer mehr danach strebt, sich des Handels zu bemächtigen, die verlassenen Positionen einnehmen würde.

Die Gegner sprechen von einem jüdischen Gebete, das den Wunsch nach der Rückkehr nach Palästina enthalt. Meine Kenntnisse auf diesem Gebiete sind sehr oberflächlich und doch bin ich in der Lage, mehr als einen wehmütigen Seufzer zu zitieren, der sich der jüdischen Brust in Sehnsucht nach dem verheißenen Lande entringt.

„Hallelujah . . . Der Ewige erbaut Jerusalem, die Verstreuten Israels wird er sammeln . . . „.

„Teka. Stoße in die große Posaune zu unserer Befreiung und erhebe ein Panier, auf dass sich sammeln unsere Vertriebenen, und sammle uns aus allen vier Enden der Welt. Gelobt seist du Ewiger, der du die Vertriebenen deines Volkes Israel sammelst.“

„Haschiwa. Setze wieder ein unsere Richter wie einst, und unsere Räte wie vor Zeiten“.

„Wejeruscholaim. Und in deine Stadt Jerusalem mögest du erbarmungsvoll zurückkehren und in derselben thronen“.

„Haschern. Tröste, o Ewiger diejenigen, die um Zion und Jerusalem trauern“.

„Elohai. Möge es dein Wille sein, dass der Tempel bald in unseren Tagen wieder erbaut werde“.

Wir sehen also, dass es nicht bloß „ein Gebet“, sondern eine ganze Legion solcher gibt, die keinesfalls wie leere, tote Phrasen aussehen. Und wer vermag es zu behaupten, dass ein Volk, welches so viele Jahrhunderte hindurch um das Sammeln der Vertriebenen betet, nicht immer mehr auf die Wahrscheinlichkeit Anspruch erheben kann, wirklich „gesammelt zu werden“ und zu sehen, „seine Richter wie einst und seine Räte wie in früheren Zeiten“? In moralischer wie in geistiger Beziehung haben sich die Juden seit sehr langer Zeit für den Zionismus vorbereitet, der nunmehr zum Ausdrucke nicht bloß der religiösen, sondern auch der ökonomischen und zivilisatorischen Bedürfnisse dieser Nation geworden ist.

„Manche Länder sind von Juden übersättigt“ — sagte eines von den Mitgliedern des Zionistenkongresses und er hatte Recht. Denn während in den ökonomisch am besten situierten Ländern kaum 5 Prozent dem Handelsstande angehören, so scharen sich bei uns*) fast alle Juden d. i. 13 Prozent der Bevölkerung um den Handel . . . Auf diesem Gebiete also herrscht eine furchtbare Übervölkerung, aus der sich folgerichtig ergibt: Wucher, Maklerei, Schmarotzertum und — Elend . . . Elend . . . tödlich vor allem für die Juden selbst! Fürwahr, derjenige, der die Juden aus dieser „Gefangenschaft“ hinausführte, würde voll und ganz den Namen eines Messias verdienen. Die Gegner behaupten, dass die Türkei einige Millionen jüdischer Emigranten nicht fassen könnte.

*) Polen ist die Heimat des Schriftstellers.

Kleinasien, Armenien, Kurdistan, Syrien, ? mit einem Worte — weniger als die Hälfte der asiatischen Türkei bietet mehr Flächenraum als Österreich, Deutschland und Frankreich zusammen genommen. Auf diesem Territorium, welches 100 oder zum mindesten 60 Millionen Bewohner fassen könnte, wohnen jetzt blos 16 Millionen! Hätten nicht dort auch die 7 Millionen Juden Baum, die auf der ganzen Welt vorhanden sind? Seit 1862, also mehr als 20 Jahren, glaubte ich fest an die Möglichkeit einer „Assimilation“ der Juden, bis ich endlich die Einsicht gewann, dass der Begriff Assimilation ein solches Mittel bedeute, wie etwa das Elixier, „ewiger Jugend“ und dergleichen.

Es ist wahr, dass jährlich einige jüdische Familien in der europäischen Gesellschaft aufgehen, ebenso wie alljährlich (wie z. B. in Wien) Fälle vorkommen, dass Christen zum Judentum übertreten. Aber der Grund dieser beiden Erscheinungen wird vielleicht in irgend einer fernen Aussicht auf Erbschaft zu suchen sein.

Was aber die jüdischen Massen anbetrifft, so bleiben diese nach wie vor „ein Volk“ . Ein unglückliches, verkümmertes Volk, welches kein eigenes Heim besitzt und in Kasten geteilt ist, aber nichts desto weniger ist es ein Volk, ist es vielleicht seiner Sonderstellung als solches sich weit mehr bewusst, als irgend eine andere Gemeinschaft der Welt. Die Zionisten schaffen in dieser Beziehung nichts Neues; sie können sich höchstens mit der praktischen Verwirklichung der Ideale des jüdischen Volkes befassen. — Wir dagegen könnten, außer der wohlwollenden Mithilfe, noch als ferne Beobachter darüber wachen, dass das Judenvolk von seinen Leitern nicht irre geführt werde, dass diese die zum Ankauf von Boden in Asien gesammelten Gelder nicht zu anderen Zwecken verwenden.

Im Übrigen ist die Einwanderung der Juden nach Palästina nichts Neues. Um die Städte Jaffa und Jerusalem herum liegen 25 Kolonien mit einer Bevölkerung von 9000 Seelen . . .

Ihre Zahl kann sich rasch bedeutend vermehren, wenn es wahr ist, dass in Galizien 100.000 Juden bereit sind, auszuwandern ....

Gott helfe ihnen!

Setzen wir jedoch den Fall, dass die Assimilation kein leerer Wahn ist, und dass „große religiöse Duldsamkeit und der Niedergang des Rassenkampfes“ einst eine „Verständigung, Annäherung und Verbrüderung zweier Völker herbeiführen können, welche durch mehrere Jahrhunderte in einem und demselben Lande wohnen!“

Kann der Zionismus diesen Zuständen schaden?

Vor allem muss jeder ehrliche und anständige Zionist früher oder später seinen Stammesgenossen Folgendes zu Gemüte fuhren:

Meine Teuren, stellet Euch vor, wir wären schon in Palästina, Jerusalem sei wieder erbaut, wir hätten unsere eigenen Richter und Räte wie in früheren Zeiten . . . Wie müssten wir uns da organisieren, wie unsere Gesellschaft einrichten zu dem Zwecke, wenigstens, um nicht ökonomisch zu Grunde zu gehen? . .

Wir müssten nun, würde der Zionist fortfahren, vor allem alle Fehler und Gebrechen beseitigen, die dem Volksleben Schaden bringen könnten. Ferner müssten wir uns in einer Weise organisieren, dass mindestens 50 Prozent unserer Volksmasse sich mit Landwirtschaft, Forstwesen, Gartenbau und Viehzucht befassen, dass 20 Prozent Handwerk und Industrie, 20 Prozent Hütten- und Bergbau, 9 Prozent Kunst und nur etwa 5 Prozent Handel betreiben . . .

Und endlich, damit wir im verheißenen Lande bestehen können, müssten wir das Talmudstudium einschränken und beginnen Mechanik, Physik, Chemie, Naturwissenschaften zu lernen, überhaupt die europäische Zivilisation in uns aufnehmen, welche unseren Massen heute noch fremd ist.

Ohne diese Verheißung — würde der Zionist schließen — wäre nicht nur unsere Soziale, sondern auch unsere biologische Existenz sogar in Palästina bedroht, welches uns als das verheißene Land gilt . . .

Kurz, der vernünftige Zionist muss in den jüdischen Massen das Gefühl erwecken; 1. für Ausbildung bürgerlicher Tugenden und Entfernung von Fehlern; 2. für eine feste Organisation der Juden, deren Augenmerk hauptsächlich auf Landbau und Industrie gerichtet sein soll; 3. für die Beschäftigung mit modernen Wissenszweigen, denen die frommen Juden heute noch abgeneigt sind . . . Und wenn es so ist, so kann der Zionismus keine schädliche Wirkung auf die Juden haben, sondern umgekehrt eine gute;

quod erat demonstrandum.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zionisten und Christen