Weltwirtschaftliche Studien Vorträge und Aufsätze

Autor: Schumacher, Hermann Prof. (1868-1951), Erscheinungsjahr: 1911
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort.
  1. Die Ursachen der Geldkrisis von 1907.
  2. Die deutsche Geldverfassung und ihre Reform.
  3. Die Ursachen und Wirkungen der Konzentration im deutschen Bankwesen.
  4. Die Organisation des Getreidehandels in den Vereinigten Staaten.
  5. Die Wanderungen der Großindustrie in Deutschland und in den Vereinigten Staaten.
  6. Die Organisation des Fremdhandels in China.
  7. Deutsche Schifffahrtsinteressen im Stillen Ozean.
  8. Die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen.
  9. Anhang.
  10. Die Errichtung deutscher Handelskammern im Ausland.
  11. Die Errichtung einer Reichshandelsstelle (Reichs-Handels-Museum) in Deutschland.
  12. Weltwirtschaftliche Aufgaben im Unterrichtswesen und in der Wissenschaft.
Vorwort.

Oft ist geschildert worden, wie das deutsche Volk durch seine gewaltige Entwicklung, insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten, immer mehr in den Weltverkehr und Weltwettbewerb hineingezogen worden ist. Oft ist auch dargelegt worden, wie eine Fülle neuer Aufgaben uns daraus erwachsen ist. Alles, was im weiten Gebiet der Weltwirtschaft geschieht, hat hinfort für uns Bedeutung. Mit ihm uns bekannt zu machen, es in seiner Eigenart und Tragweite zu begreifen, ist zu einer Pflicht der Selbsterhaltung für uns geworden.

Die Erfüllung dieser Pflicht geht über die Kräfte eines Einzelnen natürlich hinaus. Auch die Wissenschaft ist allein nicht in der Lage, das nötige Tatsachenmaterial befriedigend — was Vollständigkeit und Zuverlässigkeit anlangt — herbeizuschaffen. Die organisierten Kräfte der Gesamtheit müssen mitwirken.

Das geschieht ja auch heute bereits in ausgedehntem Maße. An Informationsmaterial fehlt es kaum noch. Von den verschiedensten Seiten wird es in unablässigem Bemühen gefördert So ist der große Apparat der konsularischen und diplomatischen Vertretungen immer bewusster und energischer in den Dienst dieser Aufgabe gestellt worden, und ihn dafür so geeignet wie möglich zu machen, wird immer allgemeiner als eines der vielen wichtigen Bildungsprobleme unserer Zeit anerkannt. Welches gewaltige Informationsmaterial liefert er allein in Deutschland! Kommen doch zu den im „Handelsarchiv“ veröffentlichten Jahresberichten, die allerdings mit der schnell zunehmenden Differenzierung und Komplizierung alles Wirtschaftslebens ihre Existenzberechtigung mehr und mehr einbüßen, nicht nur die dreimal wöchentlich erscheinenden „Nachrichten für Handel und Industrie“ sondern vor allem auch die umfassenden „Berichte über Handel und Industrie“ hinzu, die in ihren vorliegenden 15 stattlichen Bänden einen weltwirtschaftlichen Wissensstoff enthalten, den ein Einzelner zu bewältigen kaum noch imstande ist. Was Deutschland und der auswärtige Dienst leisten, ist aber nur eine kleine Teilarbeit des Ganzen. Jedes Kulturvolk bietet Ähnliches und zu den Berichten der Konsuln kommen die der Behörden und Parlamente, der Interessentenverbände und großen Gesellschaften, der Zeitschriften und fahrenden Zeitungen des Auslands. Namentlich im weltumspannenden Kolonialreich Englands, aber auch in den enquetefreudigen Vereinigten Staaten bringt jeder Tag seine reiche Ernte. Noch nie hat sich der Wissenschaft vom Wirtschaftsleben ein so umfassendes und wertvolles Material dargeboten.

Aber wie es für praktische Zwecke oft nicht genügend Beachtung findet, so auch nicht für wissenschaftliche. Tritt doch sogar private Gelehrtenarbeit heute noch vielfach in unfruchtbaren Wettbewerb mit dieser amtlich organisierten Sammeltätigkeit und verkennt dann wohl gar, daß es bei bloßem Zusammentragen von Rohmaterial noch nicht um Wissenschaft, sondern im wesentlichen auch hier nur um ein Transport- und Lagerproblem sich handelt. Was der Einzelne zu seiner Lösung tun kann, bleibt fast immer schnell veraltendes Stückwerk. Was nötig ist und immer nötiger wird, lässt sich nur durch großzügigen Ausbau des Bibliothekswesens und des internationalen Druckschriften-Verkehrs erreichen. Stellen müssen eingerichtet werden, die es sich zur wichtigen Aufgabe machen, diesen in seiner Bedeutung noch so viel verkannten, mannigfaltigen und wertvollen Rohstoff möglichst vollständig und systematisch zu sammeln.

Die Aufgabe der Wissenschaft setzt erst dann ein und besteht darin, solches angesammelte Material gewissermaßen zu theoretisieren, d. h. in seinen großen Zusammenhängen, unter Ausscheidung alles unwesentlichen, klar zu legen und so vom Zufälligen und Vergänglichen des Tages zu befreien. Wie in der wirtschaftlichen Produktion, erfordern heute in Deutschland Entwicklungsstand und internationale Geltung auch in der wissenschaftlichen, nicht Rohstoff zu liefern und billiges Halbfabrikat, sondern hochwertige Qualitätsware, bei welcher der Stoff ganz hinter die Arbeit zurücktritt. Nur so lässt der Fluch schnellen Veraltens sich bannen und nur die Forderung von Qualitätsware kann die Qualitätsarbeiter schaffen, nach denen, heute das Bedürfnis so groß und für die die Aussichten so günstig sind, wie wohl nie zuvor.

Bei dem nötigen und seit Jahren auch bereits begonnenen weltwirtschaftlichen Ausbau der Wirtschaftswissenschaft handelt es sich aber nicht nur darum, was im Auslande vor sich geht, zu begreifen, sondern vor allem auch, Vorgänge und Einrichtungen des eigenen Wirtschaftslebens unter dem erweiterten und umgestaltenden weltwirtschaftlichen Gesichtspunkt aufzufassen. Nur auf diesem doppelten Wege kann unser Volk vom altüberkommenen und heute zu engen reinbinnenländischen Denken, dass das Nächste allein sieht und daher für das Wichtigste hält, sich emanzipieren und an das immer nötiger werdende perspektivische Sehen auf dem weiten Hintergrund unserer weltwirtschaftlichen Interessen gewöhnt werden.

Die Lösung dieser doppelseitigen Aufgabe ist allerdings nicht einfach und daher bisher nicht schnell vorangeschritten. Denn nicht am Schreibtisch der stillen Studierstube ist sie befriedigend möglich. Eine lebensvolle Anschauung der ausländischen Verhältnisse und ein sorgsam erarbeitetes Urteil über sie sind vielmehr nötige Voraussetzung, und nur eine gesunde, die Kraft konzentrierende und damit voll ausnutzende Arbeitsteilung des wissenschaftlichen Universitätsbetriebes kann den so wünschenswerten schnelleren Fortschritt verbürgen.

Auch in diesem Bande werden nur wenige bescheidene Bausteine zum großen Bau geliefert Seit Jahren geäußerten Wünschen soll durch seine Herausgabe entsprochen werden. Denn die mancherlei Studien, die der Verfasser, insbesondere im Anschluss an je zwei größere Reisen durch Nordamerika und Ostasien, veröffentlicht hat, sind verstreut in den verschiedensten wissenschaftlichen Zeitschriften und daher für viele fast unzugänglich geworden. Aus ihnen hat der Verfasser einen kleineren Teil im vorliegenden Bande zusammengestellt, und zwar diejenigen, die in erster Linie große organisatorische Fragen des Welthandels und Weltverkehrs behandeln. Sie sind — bis auf kleine Äußerlichkeiten — unverändert abgedruckt worden; denn wenn auch einzelne tatsächliche Angaben überholt sind, so dürften sie im ganzen dem Veralten weniger unterworfen sein, weil der Verfasser nicht auf die Tatsachen, sondern auf ihre Verknüpfung und Verbindung sein Hauptaugenmerk zu richten versuchte.

Drei dieser Arbeiten suchen weltwirtschaftlich bedeutsame Wirtschaftsgebilde des Auslandes — Börse, Handelsorganisation, Seeschifffahrt — zur Darstellung zu bringen, und eine vierte vergleicht wirtschaftliche Wandlungen — Wanderungen der Großindustrie — im Inland und Ausland. Zwei weitere sollen einerseits an der Hand der speziellen Vorkommnisse der letzten Geldkrisis, andererseits im allgemeinen die Organisation unseres Geldwesens in ihrennationalen und internationalen Bedingnissen aufdecken. Ferner wird versucht zu zeigen, wie zwei wichtige Wirtschaftszweige des Inlandes — Bankwesen und Binnenverkehr — sich in geschlossener Einheit zu organisieren begonnen haben, um in der Volks- und Weltwirtschaft die nationalen Interessen wirksamer vertreten zu können. Endlich beschließen die Sammlung in einem Anhang eine Reihe kleinerer Arbeiten, welche aus unserer weltwirtschaftlichen Lage hervorwachsende neue Aufgaben auf dem Gebiete der Wissenschaft, des Bildungswesens und der Nachrichtenbeschaffung in der Form kurzer Gutachten und Reden behandeln.

Gehen im einzelnen Vorträge und Aufsätze, die sehr verschiedenen Zeiten und Anlässen entstammen, in ihrem Inhalt und auch in der äußeren Behandlungsart weit auseinander, so glaubt der Verfasser sich doch keiner Täuschung hinzugeben, wenn er annimmt, daß der rote Faden einer einheitlichen Auffassung sie doch miteinander zu einem gewissen Ganzen verknüpft. Und wenn sie auch nur an Unvollkommenheiten reiche Versuche sind, sie regen in ihrer Gesamtheit vielleicht doch zu Weiterem und Besserem an, das uns so Not tut, damit wir auf diesem Felde der Wissenschaft nicht hinter dem Ausland mit seiner besseren wissenschaftlichen Arbeitsteilung und seinem umfassenderen Bibliothekswesen ins Hintertreffen kommen.

Bonn, den 2. Oktober 1911.

Hermann Schumacher.