Weking in der Babilonie

Autor: Ueberlieferung
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Zwischen Lübbecke und Holzhausen, oberhalb des Dorfes Mehnen, liegt nahe an der Bergreihe ein Hügel, der die Babilonie genannt wird. Hier hatte einst König Weking eine mächtige Burg. Diese ist nun versunken. Und der alte König sitzet darinnen und harret, bis seine Zeit kommt. Es ist eine Tür vorhanden, welche von außen in den Hügel und zu dem Palaste führt. Allein nur selten geschieht es, daß einer, ein besonders Begünstigter, sie erblickt.

Es mögen jetzt hundert Jahr sein, als ein Mann aus Hille, namens Gerling, welcher auf der Waghorst Schäfer war, seine Herde an dem Mehner Berge weidete. Da sah er an dem Hügel der Babilonie drei fremde lilienartige Blumen und pflückte sie. Dennoch fand er des folgenden Tages grade an derselben Stelle wieder drei gleiche Blumen. Er brach auch diese, und siehe, am andern Morgen waren abermals an dem Orte eben dieselben aufgeblüht. Als er nun diese gleichfalls genommen und sich dann in der Schwüle des Mittags am Abhange hingesetzt hatte, so erschien ihm eine schöne Jungfrau und fragte ihn, was er da habe, und machte ihn aufmerksam. auf einen Eingang in den Hügel, welchen er sonst nie gesehen und der mit einer eisernen Tür verschlossen war. Sie hieß ihn nun mit den Blumen das Schloß berühren. Kaum tat er es, so sprang das Tor auf und zeigte einen dunklen Gang, an dessen Ende ein Licht schimmerte. Die Jungfrau ging voran, und der Schäfer folgte und gelangte durch das Dunkel in ein erleuchtetes Gemach. Gold und Silber und allerlei köstliches Gerät lagen da auf einem Tische und an den Wänden umher. Unter dem Tische drohte ein schwarzer Hund. Doch als er die Blumen sah, ward er still und zog sich zurück. Im Hintergrunde aber saß ein alter Mann und ruhete, und das war König Weking. Als der Schäfer das alles angesehen, sprach die Jungfrau zu ihm: »Nimm, was dir gefällt, nur vergiß das Beste nicht.« Da legte er die Blumen aus der Hand auf den Tisch und erwählte sich von den Schätzen, was ihm das Beste schien und was er eben fassen konnte. Und nun eilte er, (las unheimliche Gewölbe zu verlassen. Nochmals rief die Jungfrau ihm nach: »Vergiß doch das Beste nicht!« Er blieb stehen und blickte zurück und sah umher, welches denn wohl das Beste sei. Auch nahm er noch einiges, was besonders köstlich schien. An die Blumen aber dachte er leider nicht, sondern ließ sie auf dem Tische liegen. Und diese waren doch das Beste, denn sie hatten ihm ja den Eingang verschafft. Überzeugt, gewiß nicht das Beste vergessen zu haben, ging er mit Schätzen beladen durch die dunkle Halle zurück. Eben trat er an das Tageslicht heraus, als das Eisentor mit solcher Gewalt hinter ihm her fuhr, daß ihm die Ferse abgeschlagen wurde.

Dieser Schäfer liegt in der Kirche zu Hille auf dem Chore unter einem großen Steine begraben. Er hat nach diesem Ereignis viele Jahre in großem Wohlstande gelebt. Allein den Eingang hat er nie wieder erblickt, und seine Ferse ist nie heil geworden; so daß man ihn bis an seinen Tod nicht anders als mit einem niedergetretenen Schuh an diesem Fuße gesehen hat. Er hat manche Vermächtnisse nachgelassen, unter anderem auch eins für die Kirche zu Hille. Und die Nachkommen seiner Erben besitzen noch gegenwärtig den Aswen-Hof in Hille, welcher von ihm angekauft ist.