Warnung vor der Anwerbung für Kaffeepflanzungen in Sao Paulo.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
, Erscheinungsjahr: 1921
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderer, Brasilien, Kaffeeplantagen, Agenturen, falsche Versprechungen, Betrüger, Schlepper, Sklaven,
Seit einiger Zeit sind Agenten an der Arbeit, für die Kaffeeplantagen im Staate Sao Paulo in Brasilien deutsche Landwirtsfamilien anzuwerben. Für die vom Staate Sao Paulo gewährten gesetzlichen Vorteile und Erstattung der Reisekosten muss ein Jahr für geringen Lohn gearbeitet werden. Ist nach einem Jahr die Schuld abgetragen, steht es dem Angeworbenen frei, hinzugehen, wohin er will.

Das Deutsche Auslandsinstitut veröffentlicht in der Zeitschrift „Der Auslanddeutsche“ Auszüge aus Briefen, aus denen folgendes zur Warnung Dienliche in breitesten Kreisen bekannt werden soll. Unsere Volksgenossen sind zu gut, um in Brasilien auf Plantagen zu verkommen. Man hüte sich vor der eigenen Leichtgläubigkeit mehr noch als vor den wortreichen Versprechungen der Agenten, um sich und die nächsten Angehörigen vor einem traurigen Schicksal zu bewahren.

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Ein Landeskundiger, der fünf Jahre in Brasilien lebte, war als Arbeiter ausgewandert und lernte auch das Treiben auf den Kaffeeplantagen kennen. Nach seinen Worten gibt es dort zweierlei: neunzig Tage arbeiten und zwei Hundertsechzig Tage putzen, das heißt Unkraut aushacken. Das Unkraut besteht aus Schleppgras und zähem langwurzeligen Gras. Die Ernte bringt die Arbeit des Kaffeepflückens. Da die Frucht, wenn sie reift, lose am Strauch hängt, muss das meiste von der Erde aufgelesen werden. Das sind alles Arbeiten, die unter normalen Umständen gut geleistet werden können. Doch es handelt sich nicht um den einzelnen Mann, sondern um die Frau und die Heranwachsenden Töchter eines Auswanderungslustigen! Im Vertrage steht vermerkt, dass jede Familie drei Arbeitskräfte zu stellen hat; die Frau must genau so arbeiten wie der Mann und die erwachsenen Kinder. Sind mehr als drei Arbeitskräfte von einer Familie da, so werden diese, wenn sie drüben angekommen sind — verteilt. Gearbeitet wird nur im Akkord. Ein gut eingeschulter, an das Klima gewöhnter Arbeiter kann es im günstigsten Falle auf drei Milreis täglichen Verdienst bringen, ein Neuling höchstens auf die Hälfte. Das sind für drei Arbeitskräfte viereinhalb Milreis täglich. Da sich die Arbeiter selbst verköstigen müssen, es aber unmöglich ist, mit vier bis fünf Milreis auszukommen, müssen Schulden gemacht werden. Das ist von vornherein der Plan des Arbeitgebers.

Wie ist nun die Plantagenarbeit beschaffen? — Der Kaffeestrauch braucht, um die Frucht zur vollen Reife zu bringen, das heiße Klima. Die Hauptarbeit, das Putzen, muss geleistet werden, wenn die Sonne am heißesten brennt; geschieht es da nicht, dann verdorrt das Unkraut nicht sofort und schlägt neue Wurzeln. Diese Arbeit geht unter Bangen und Zagen vor sich, denn unter dem kühlen Schatten des Kaffeestrauches ist der liebste Aufenthalt für buntschillernde Giftschlangen. Und jede Frau, wenn sie auch zwanzig Jahre in Brasilien lebte, wird nie die Furcht vor diesen Kriechtieren verlieren. So arbeitet die Frau des Auswanderers jeden Tag zwölf bis vierzehn Stunden. Darum warne ich nochmals jeden Auswanderer: Denkt an eure Frauen und eure Töchter! Früher waren Schwarze und Mulattenmädchen als Arbeiterinnen auf den Plantagen. Neben der Arbeit, die sie verrichteten, mussten sie auch da sein, um den zahlreichen Aufsehern und Beamten, meist Mischlingen oder Portugiesen, zum Zeitvertreib zu dienen. Heute sind es keine Schwarze mehr, der große Krieg hat den Schwarzen stolz gemacht. Plantagenarbeit ist ihm nicht mehr gut genug, heute soll der deutsche Arbeiter den Schwarzen und Mulatten ersetzen. Nicht nur für die schwere Arbeit, nein, es muss offen gesagt werden, unsere deutschen Frauen, unsere deutschen Mädchen sollen auch für die Gelüste des Südländers herhalten. Es ist so in der Mode geblieben seit der Sklavenzeit. So war vor zehn Jahren das sittliche Leben auf den Plantagen in Sao Paulo, und es ist heute noch so, wenn nicht noch schlimmer. Es ist nötig, dass deutschen Auswanderern, die mit diesem Land ihre Heimat vertauschen wollen, zugerufen wird: Denkt an eure Frauen und eure Töchter! Zähmet eure Auswandererlust! Gehet nicht, um schneller näher zum Urwald zu kommen, auf Verträge ein, die euch für Jahre binden. Jeder Klardenkende kann sich ausrechnen, dass für ein Jahr Lehrlingsarbeit ein Plantagenbesitzer keine ganze Familie auf seine Kosten herüberholt. Ein ganzes Jahr geht darüber hin, ehe ein neu Zugereister erst einen kleinen Begriff bekommt von der Arbeit unter der Tropensonne. Aber nach einem Jahr soll er doch wieder frei sein. Nein, sein neuer Herr hat ganz anders gerechnet und wird sich nicht verrechnen! Diese Rechnung ist ungefähr folgende: Eine achtköpfige Familie herüberzuholen kostet etwa fünf bis sechstausend Milreis. Um an den Leuten zu verdienen, müssen diese mindestens sechs bis acht Jahre arbeiten für Kost und Wohnung. Wie ist diese Verlängerung zu erzwingen, obwohl nur ein Jahr im Vertrag festgesetzt ist? Sehr einfach.

Im ersten Jahr können drei Arbeitskräfte nicht so viel verdienen, als zum Leben für die Familie unbedingt gebraucht wird. Alle Lebensmittel sowie Handwerkszeug, das jeder selbst kaufen muss, sind sehr teuer und müssen im Geschäft des Arbeitgebers gekauft werden. Der Lohn wird nicht bar bezahlt, sondern in Gutscheinen, die nur in diesen Geschäften eingelöst werden. Wenn das vertraglich festgelegte Jahr um ist, hat jede Familie zwei- bis dreitausend Milreis Schulden! Der Kaffeeplantagenbesitzer hat sich nicht verrechnet, die Arbeiter sind fest in seiner Hand. Wenn das sehnlichst herbeigewünschte Ende des Jahres da ist, dann kommt ein Beamter, der auf solche Arbeit geeicht ist, und zieht die — Rechnung. Für 365 schwere Arbeitstage unter heißer Tropensonne noch zweitausend Milreis Schulden! Wo bleibt die Freiheit? — Der deutsche Arbeiter ist machtlos, hat er doch unterschrieben, dass er seine Schulden durch Arbeit abverdienen will. Traurige Jahre stehen ihm bevor, Jahre, die oft zur Verzweiflung bringen, Jahre, die durch das periodenweise Auftreten des Fiebers an dem Mark des Arbeiters zehren. Das sind genau der Wahrheit gemäß die Aussichten eines deutschen Auswanderers, der sich für die Kaffeeplantagen verpflichtet. Wer auf die gemeinsame Kraft zahlreicher zusammen Wandernder rechnet, der täuscht sich. Tagereisen weit auseinander angesiedelt, sehen sich die besten Freunde nicht wieder. Somit ist die vermeintliche Selbsthilfe hinfällig.

Auch werden die Leute von den Agenten gelockt, indem sie versprechen, das ganze Land zwischen den Kaffeesträuchern könnten sie für sich bepflanzen und so viel Geld verdienen. Der Traum wird bald zerronnen sein. Ein Kaffeestrauch, zwei bis drei Meter hoch, breitet seine dichten Zweige so weit aus, dass man zwischen den Sträuchern nicht aufrecht durchgehen kann. Sonne und Regen werden von den Sträuchern so aufgesaugt, dass außer Schleppgras gar nichts wachsen kann. Genug! Sào Paulo ist für uns kein Land, wo wir eine neue Heimat suchen können. Günstigere Aussichten haben die deutschen Auswanderer im Süden, dort können sie durch harte Arbeit aus einem Stück Urwald eine blühende Kolonie schaffen.

Ende 1920 geriet eine Auswandererfamilie auf eine Kaffeepflanzung nach Sào Paulo. Von einem weiblichen Mitglied dieser Getäuschten stammt folgendes an die Eltern in der deutschen Heimat gerichtete Bekenntnis: „Wir sinnen Tag und Nacht, wie wir aus diesem Sklavenleben herauskommen. In Sao Paulo hat sich ein Herr geäußert: „Dies ist eine Arbeit für Sträflinge, nicht für anständige Menschen.“ Körperlich haben wir unter der schon stärker werdenden Hitze zu leiden. Immer Kopfschmerzen und zum Sterben matt; noch ein Jahr hier, dann sind wir am Ende. Janny lässt mich nur noch einen halben Tag arbeiten, manche Tage gar nicht; hier ist das nicht gern gesehen, aber wir lassen es jetzt darauf ankommen. Früh fünf Uhr tutet es, dann heißt es aufstehen, um sechs Uhr tutet es zur Arbeit gehen, sonst kostet es fünf Milreis. Außer Essen wird dann entweder Kaffee gepflückt, oder es wird alles an heruntergefallenem Kaffee Zusammengeharkt und dann gesiebt. Es ist leicht hingeschrieben, aber eine Hundearbeit. Der rote Staub — die Erde ist rot — wirbelt nur so auf, die Augen sind voll Schmutz. Dies alles atmet man ein, der Schweiß rinnt am ganzen Körper; vor Schwäche ist man am Zusammenbrechen; aber weiter, weiter! sonst ist man ein Vagabund. Am ganzen Körper, vom Kopf bis zum Fuß, ist man von diesem roten Staub bedeckt. Um sechs Uhr abends tutet es, dann darf man aufhören. Nun wäscht man sich, isst und geht vor Mattigkeit schlafen. Der Kaffee wird so gedankenlos getrunken, aber wer bedenkt die Schweiß- und Blutstropfen, die daran hängen! Es ist eine erniedrigende Arbeit; von früh bis spät eine Hetzerei. Die Sachen, die man mitbrachte, zerreißen bald; was ganz ist, fressen die Ratten, die einem nachts übers Gesicht laufen. Tag und Nacht ist man voller Flöhe. Unzählige Moskitos stechen, der ganze Körper ist voll von Stichen. Und eine schreckliche Plage sind die Sandflöhe, winzige Tiere, die sich an den Fußnägeln in das Fleisch tief einfressen, da ihre Eier legen und, wenn nicht aufgepasst wird, die Nägel abfressen ...

Seelisch ist man bald herunter. Zum Essen gibt es Reis und Bohnen, Bohnen und Reis, alles teuer. Brot backe ich selbst aus Weizen- und Maismehl, leisten kann man sich nicht viel. Schulden haben wir aber doch; sie werden angeschrieben, damit man nicht wegkann. Wer einmal hier ist, ist verraten und verkauft. Wenn es nicht anders geht, nehmen wir unser bisschen Habe auf den Rücken und sehen, wie wir ohne Geld und zu Fuß weiterkommen. Hier geht man dem zeitigen Tod entgegen. Und so heißt es entweder durch — oder? Ratet jedem ab, nach Brasilien zugehen! Wenn ihr wüsstet, wie uns manchmal zumute ist, wenn man zusammensitzt und sieht aus diesem Elend kein Herauskommen ...! Ob wir uns wiedersehen? Solange wir noch leben, wollen wir hoffen. Die Sehnsucht bleibt.

Das Versprechen, uns eine Regierungskolonie zu geben, wurde hier nicht gehalten. In Deutschland hat man uns gesagt, wir könnten uns in einem Staate, der uns zusagt, eine Kolonie aussuchen. Kaum waren wir hier angelangt, wurde Propaganda für die Kaffeefazendas gemacht. In Sào Paulo wurden wir von einem Deutschen angeworben, der uns alles im günstigsten Licht ausmalte. Der Verwalter ist uns auch nicht besonders gut gesinnt. Auch wurde uns gesagt, der Brasilianer arbeitet nicht gern, aber da staunt man: wobei wir Blut schwitzen, ist ihm eine Kleinigkeit. Auch die Japaner sind zähe Menschen. Wir haben viele Völker und Menschen kennengelernt. Einige begegnen uns freundlich, andere sehen uns von der Seite an. Den Kontrakt für die Kaffeeernte, die voraussichtlich bis November dauert, müssen wir einhalten. Und wie wir es dann machen, dass wir wegkommen, wegen der Schulden, müssen wir sehen.“

Genug! Man kann nach solchen Klagen nur abermals betonen: Ratet jedem ab, nach Brasilien zu gehen. Man hüte sich, berechnenden Agenten, diesen gewissenlosen, erbärmlichen Seelenverkäufern, ins Garn zu gehen.

Auswanderung, Auswanderer vor der Abfahrtshalle der Hamburg-Amerika-Linie

Auswanderung, Auswanderer vor der Abfahrtshalle der Hamburg-Amerika-Linie

Auswanderung, Straße in den Auswandererhallen der Hamburg-Amerika-Linie

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Auswanderung, Zwischendeckspassagiere auf dem Vorderdeck eines Auswanderer-Schiffes

Auswanderung, Zwischendeckspassagiere auf dem Vorderdeck eines Auswanderer-Schiffes

Auswanderung, Zwischendeckspassagiere begeben sich über die Laufplanken an Bord

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