Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Schloß Friedersdorf


Joachim Ernst von Görtzke,


August Gebhard lebte noch völlig als Patriarch. Die Bauern fürchteten sein grimmiges Ansehen und vermieden ihn lieber, als daß sie ihn suchten. Er war etwa der »Soldatenkönig im kleinen«, und das bekannte »Lieben sollt ihr mich« ward auch hier mit dem spanischen Rohr auf die Rücken geschrieben. Von besonderer Wichtigkeit war der sonntägliche Kirchgang. In vollem Staat gefolgt von Frau und Kindern, erschien dann der alte Gardecapitain auf seinem Chor und teilte seine Aufmerksamkeit zwischen dem Prediger und der Gemeine. Sein kontrollierender Blick war über dem Ganzen. Ein eigens bestallter Kirchenvogt mußte aufmerken, wer von den Bauern ausgeblieben war, von denen jeder, der ohne triftige Ursache fehlte, an seinem Beutel oder seinem Leibe bestraft wurde. Dabei war August Gebhard ein Lebemann. Sein Haus stand gastlich offen, und in heiterer Gesellschaft vergingen die Tage. Man aß von silbernem Geschirr, und eine zahlreiche Dienerschaft wartete auf. Der Sommer gehörte dem Leben auf dem Lande, aber der Winter rief alles nach Berlin. In einem mit sechs Hengsten bespannten Wagen brach man auf, und ein Läufer in voller Livrée lief vor dem Zuge her. Auch in Berlin machte August Gebhard ein Haus; vornehme Gesellschaft ging aus und ein, angezogen durch den feinen und geistreichen Ton seiner zweiten Gemahlin, einer geborenen von der Goltz. Das Weihnachtsfest führte die Familie auf kurze Zeit nach Friedersdorf zurück, bis mit dem herannahenden Karneval der Läufer und die sechs Hengste wieder aus dem Stall mußten.

Das waren die Zeiten August Gebhards. Die kommenden Jahre trugen von allen Seiten her Verwüstung in das Land und zerstörten die Wohlhabenheit, die die gesunde Basis dieses patriarchalischen Lebens war. August Gebhard starb 1753. Er hinterließ drei Söhne, von denen wir jedem einzelnen, statt der Verwirrung stiftenden Vornamen, lieber ein bezeichnendes Beiwort geben wollen. So nennen wir denn den ältesten den Hubertsburg-Marwitz, den zweiten den Hochkirch-Marwitz, den dritten aber, der nicht Gelegenheit fand, im Kriege sich auszuzeichnen, einfach nach seinem Titel den Kammerherrn Marwitz. Von jedem mögen hier ein paar Worte stehen.

Der Hubertsburg-Marwitz (Johann Friedrich Adolf) war 1723 geboren. Er trat in das Regiment Gensdarmes und avancierte von Stufe zu Stufe. Er war ein sehr braver und in großer Achtung stehender Soldat, ein feiner und gebildeter Weltmann, ein Freund der Literatur und der Kunst. Der große König schätzte ihn hoch, besonders auch, weil er das Regiment Gensdarmes fast den ganzen Siebenjährigen Krieg hindurch, statt des eigentlichen Kommandeurs, Grafen von Schwerin, mit dem größten Sukzeß geführt hatte. Bei Zorndorf war er mit unter den Besten gewesen.

So kam das Jahr 1760. Der König hatte nicht vergessen, daß es sächsische Truppen gewesen, die das Jahr vorher Schloß Charlottenburg geplündert hatten, und voll Begier nach Revanche gab er beim Einrücken in Sachsen sofort Befehl, Schloß Hubertsburg – dasselbe, das später durch den Friedensschluß berühmt wurde – zu zerstören. Das Mobiliar des Schlosses sollte dem plündernden Offiziere zufallen. Der Befehl zur Ausführung traf unsern Marwitz, der damals Oberst war. Dieser schüttelte den Kopf. Nach einigen Tagen fragte ihn der König bei Tisch, ob Schloß Hubertsburg ausgeplündert sei. »Nein«, erwiderte der Oberst. Eine andere halbe Woche verging, und der König wiederholte seine Frage, worauf dieselbe lakonische Antwort erfolgte. »Warum nicht?« fuhr der König auf. »Weil sich dies allenfalls für Offiziere eines Freibataillons schicken würde, nicht aber für den Kommandeur von Seiner Majestät Gensdarmes.« Der entrüstete König stand von der Tafel auf und schenkte das Mobiliar des Schlosses dem Obersten Quintus Icilius 1) , der bald darauf alles rein ausplünderte.

Bei allen Revuen nach dem Frieden war nun der König immer höchst unzufrieden, andere Offiziere wurden dem tapfern Gensdarmenobersten vorgezogen, und Marwitz forderte seinen Abschied. Der König verweigerte ihn. Neue Kränkungen blieben indes nicht aus, und Marwitz kam abermals um seine Entlassung ein. Keine Antwort. Da tat Johann Friedrich Adolf keinen Dienst mehr und blieb ein ganzes Jahr lang zu Hause. Nun lenkte der König ein und versprach ihm das nächste vakante Regiment. Aber vergeblich. Er ließ antworten: er habe so gedient, daß er sich kein passe-droit brauche gefallen zu lassen; was geschehen sei, sei geschehen und könne kein König mehr ungeschehen machen. Zugleich forderte er zum drittenmal seinen Abschied und erhielt ihn nun (1769).

Er war damals erst sechsundvierzig Jahre alt. Das Ende seines Lebens entsprach nicht dem ruhmreichen Anfang. Aller regelnden Tätigkeit und jener wohltätigen Disziplin, die der »Dienst« auf die Kräfte und Leidenschaften starker Naturen ausübt, überhoben, verfiel er einem glänzenden Müßiggange, den er nunmehr mit derselben Konsequenz und Energie wie früher seine soldatischen Tugenden durchführte. Den größten Teil des Tages verbrachte er beim Spiel. Kam er nach Friedersdorf, so war er sicher von seiner »Partie« begleitet. Unter der großen Linde, welche hinter dem Hause im Garten steht, hatte er sich eine Laube einrichten lassen. Dort saß er schon am Morgen und spielte. Dann wurde mit großem Aufwande getafelt, viel und gut und lange getrunken, bis der Abend die Beschäftigung des Morgens wieder aufnahm. Er besaß eine höchst wertvolle Bibliothek, die sich noch jetzt im Friedersdorfer Schloß befindet. Alle diese Bücher hatte er, partienweise, dem Quintus Icilius im Spiel abgewonnen und sich dadurch nachträglich und auf dem Wege Rechtens in Besitz derselben Bibliothek gesetzt, deren Fortführung aus Schloß Hubertsburg er, als unwürdig eines Marwitz und Obersten der Gensdarmes, verweigert hatte. Dieser Johann Friedrich Adolf, oder der Hubertsburg-Marwitz, wie wir ihn genannt haben, starb 1781. Die Friedersdorfer Kirche bewahrt sein Andenken durch einen Grabstein, auf dem wir die Worte lesen: »Johann Friedrich Adolf. Er sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.«

Sein jüngerer Bruder war der Hochkirch-Marwitz (Gustav Ludwig). Er diente ebenfalls im Regiment Gensdarmes und focht bei Hochkirch mit solcher Auszeichnung, daß er, unmittelbar nach der Schlacht, vom Rittmeister zum Major avancierte und den Pour le mérite erhielt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Quartiermeister von der Marwitz, dessen Name in noch glänzenderer Weise mit der verhängnisvollen Nacht von Hochkirch verwoben ist. Dieser letztere von der Marwitz, mit der Friedersdorfer Linie nur weitläufig verwandt, weigerte sich bekanntlich, das Lager, das einen Überfall gleichsam herauszufordern schien, an der angewiesenen Stelle abzustecken, und erhielt dafür nicht nur keinen Pour le mérite, sondern fiel in Ungnade. Er starb bereits im folgenden Jahre 1759. »Son mérite et ses services seraient oubliés, si ce monument n’en conservait la mémoire«, so schrieb Prinz Heinrich unter den Namen dieses Marwitz (des Quartiermeisters) und reihte denselben unter die Namen ein, die den Sockel des großen Rheinsberger Obelisken in goldner Schrift umziehen. Unser Hochkirch-Marwitz aber stieg von Stufe zu Stufe, kommandierte das altmärkische Kürassierregiment, das zu Salzwedel lag, und starb erst 1797 als Generallieutenant. Die Friedersdorfer Kirche erwähnt seiner nicht.

Der dritte und jüngste Bruder war der Kammerherr Marwitz (Bernd Friedrich August). Sein Leben verlief ohne historische Momente, ohne Taten nach außen. Kurz vor seinem Tode ward er als interimistischer Intendant an die Spitze der Königlichen Schauspiele berufen. Die Memoiren seines Sohnes äußern sich bei dieser Gelegenheit: »Der Ärger über das scheußliche Komödiantenvolk, mit dem er verkehren mußte, vorzüglich aber die unvermeidlichen Erkältungen während der Vorstellungen gaben ihm den letzten Stoß.« Er starb 1793. Seine Gedenktafel in der Friedersdorfer Kirche fügt seinem Namen einfach die Worte hinzu: »Grad, bieder, rechtschaffen.« So war er. Es war ihm nicht gegeben, zum Ruhme seiner Familie durch andere als durch stille Taten beizusteuern, aber was ihm versagt blieb, wurde seinen drei Söhnen um so reichlicher gewährt. Diese drei Söhne waren: August Ludwig, Alexander und Eberhard. Nur dem Namen des Ältesten begegnen wir in der Friedersdorfer Kirche. Über der Eingangstür, in ziemlicher Höhe, befindet sich ein reicher, in drei Felder geteilter Goldrahmen, in dessen Mittelfeld wir das Bildnis August Ludwigs von der Marwitz, rechts und links aber die Bildnisse seiner beiden Frauen erblicken. Besonders das Bildnis seiner ersten Frau, einer geborenen Gräfin Brühl, zeichnet sich durch einen Ausdruck gewinnender Liebenswürdigkeit aus und prägt sich dem Gedächtnis des Beschauers ein.

Über den Charakter und reichen Lebensinhalt dieses für die Entwickelungsgeschichte unseres Vaterlandes bedeutungsvollen Mannes sprech ich nunmehr ausführlicher in dem folgenden Kapitel.




1) Nach dem Kriege wurde Quintus Icilius (eigentlich Guichard, aus einer Refugiésfamilie) oft zur königlichen Tafel gezogen. Der König fragte einst über Tisch hin: »Was hat Er denn eigentlich mitgenommen, als Er das Schloß des Grafen Brühl plünderte?«, worauf Quintus Icilius replizierte: »Das müssen Ew. Majestät am besten wissen, wir haben ja geteilt.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil