Abschnitt 3

Der Oderbruch und seine Umgebung


Schloß Friedersdorf


Friedrich August Ludwig von der Marwitz


Der Napoleonische Übermut hatte Schmach auf Schmach gehäuft, neutrales preußisches Gebiet war in herausfordernder Weise verletzt worden; das durfte, das konnte nicht ertragen werden. Österreich und Rußland standen bereits im Felde; Preußen mußte seine Truppen zu dem vereinigten Heere beider stoßen lassen; der Krieg war sicher – wenigstens in Marwitz’ Augen. Er riß sich heraus, suchte beim Könige seinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wurde mit dem Range eines Rittmeisters zum Adjutanten des Fürsten von Hohenlohe ernannt.

Aber nicht jeder in preußischen Landen war damals ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und selbstsüchtige Bequemlichkeit in ihren Ansichten bestimmt, andere trieben das traurige Geschäft der »Staatskünstelei«. Noch viele Jahre später konnte Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmut ausrufen: »Was redet man beständig von dem edlen Enthusiasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthusiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man selbst in Großem und Kleinem etwas verloren hatte, Schmach und Verderben vom Vaterlande fernzuhalten. Als nachher, wie zu gerechter Strafe, ein jeder in seinem Hause geplagt und gepeinigt und, um ein Wesentliches nicht zu vergessen, die französische Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes vernichtet war – da war es keine Kunst, Enthusiasmus zu zeigen.«

Der Tag von Austerlitz brach an, ehe Preußen sich entschlossen hatte; nach diesem Tage war es unnötig, noch kriegerische Entschlüsse zu fassen. Es blieb Friede, freilich ein Friede wie Gewitterschwüle, und Marwitz, nachdem er zum zweiten Male seinen Abschied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gute zurück.

Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche, die Halbheit, die Indifferenz, ja die ausgesprochene französische Gesinnung, der er fast überall in der Hauptstadt begegnet war, während schon die Napoleonischen Adler stoßbereit über Preußen schwebten, alles das hatte wenig dazu beitragen können, seinem Gemüte den Mut und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher erfüllt hatten, wenn er bei »Hirsch und Jäger« im Berliner Tiergarten einer der eifrigsten unter den Eifrigen gewesen war. Trübes Gewölk hing jetzt andauernd über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter verschwunden schien, das drohend über dem Lande stand, so traf es ihn doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit erspart geblieben, aber auf seinem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zerstörte Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der innerlichen Not gesellte sich äußere Bedrängnis; was ihn aufrecht hielt, war ein starkes Gottvertrauen und das bestimmte Gefühl, daß neue Not und neue Kämpfe bevorstünden, gegen die es geboten sei sich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rüstete ihn gegen größeres.

Dieses »größere«, wer kennte es nicht! Die Kaiserkatze, die so lange mit der Maus gespielt hatte, jetzt war sie des Spieles müde und hob die Tatze, um tödlich zu treffen. Der Kampf war unvermeidlich geworden. Zum drittenmal trat Marwitz ein; er hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu stehen, wohin ihn Pflicht und Ehre stellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die Hoffnung zur Seite stehe. Fürst Hohenlohe, der ihn schätzengelernt hatte, erbat ihn sich abermals als Adjutanten. Der König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes 14. Oktober, der soviel Schmach und Elend in seinen Schleiern barg. An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie er war; das Pferd wurd ihm unterm Leibe getötet, sein Hut von Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regimenter in die Schlachtreihe zurück – umsonst, die Anstrengungen der einzelnen vermochten nichts. Geist, Leben, Siegeszuversicht waren, wie aus Land und Volk überhaupt, so auch aus jener stolzen Schöpfung gewichen, die sich die Armee Friedrichs des Großen nannte, und was längst tot war, wurde an jenem Tage sichtlich zu den Toten geworfen. Die gesunden Elemente, soweit sie jener Tag nicht mit begrub, retteten sich in eine neue Zeit hinüber.

Ist es nötig zu sagen, daß Marwitz unter diesen gesunden Elementen war? Er glaubte an die Wiedererstehung Preußens und arbeitete daran. Die Mittel und Wege, die ihm dazu die rechten dünkten, waren freilich völlig abweichend von dem, was in den Augen der Neugestalter Preußens als das Richtige galt. Er konnte und wollte sich nicht überzeugen, daß Adel und Bürgertum als solche, oder ihr Verhältnis zueinander, das Unglück des Landes verschuldet haben sollten; umgekehrt erschien es ihm, als sei das Unheil hereingebrochen, weil beide Stände ein halbes Jahrhundert lang aufgehört hätten, ein echter Adel 1) und ein rechter Bürgerstand zu sein. Die alten Stände des Landes sollten sich selbst wiederfinden; der Egoismus sollte ausgefegt, die Zugehörigkeit zum Staat und das Bewußtsein davon neu geboren werden. An die Stelle des Schlendrian und der Laxheit sollten Umsicht, Pflichtgefühl und Rechtsbewußtsein, an die Stelle der Frivolität eine frische Glaubenskraft treten. In diesem Sinne wollte Marwitz reformieren. Gegen den Plan wird sich nichts sagen lassen. Ob es möglich war, ihn auszuführen, diese Frage werd ich später berühren. Die Steirische Gesetzgebung erschien ihm unpraktisch und revolutionär, aber er war insoweit mit ihr einverstanden, als sie die Gebrechen des alten Staats in dem Fehlen alles geistigen Lebens und Inhalts erkannte und durch geistige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel selbst schienen ihm nicht richtig gewählt.




1) Noch auf dem Stettinschen Landtage im Jahr 1602 hatte die Ritterschaft feierlich geschworen, denjenigen, der sich künftig weigern werde, richtige Schulden prompt zu bezahlen, für einen Unmann, Schelm und Bösewicht zu halten und mit ihm weder essen noch trinken zu wollen. Versündigung am Vaterland, Höhnung des Gottesdienstes, grobe Insolenz, mutwilliger Bankerott sollte der ritterschaftlichen Vorrechte verlustig machen und den Gutsbesitz auf den würdigeren Agnaten bringen. In solchem wahrhaft ritterlichen Sinne hatten der pommersche und brandenburgische Adel ihre Kinder meist in spartanischer Genügsamkeit für den Dienst des Königs erzogen, und die Schlachtfelder, auf denen Preußen seine Ebenbürtigkeit mit den großen Mächten errungen, hatten dem Stande den ersten Rang nach dem regierenden Hause gegeben. (Pertz, »Leben Steins«.) Und Marwitz selbst schreibt über denselben Gegenstand: »In der Tat hat es niemals eine Institution gegeben, in welcher das Rittertum ähnlicher wieder aufgelebt wär als in dem Offizierstande Friedrichs des Zweiten. Dieselbe Entsagung jedes persönlichen Vorteils, jedes Gewinstes, jeder Bequemlichkeit – ja, jeder Begehrlichkeit, wenn ihm nur die Ehre blieb; dagegen jede Aufopferung für diese, für seinen König, für sein Vaterland, für seine Kameraden, für die Ehre der preußischen Waffen. Im Herzen Pflichtgefühl und Treue, für den eigenen Leib keine Sorge.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil