Abschnitt 7

Der Oderbruch und seine Umgebung


Schloß Friedersdorf


Alexander von der Marwitz


Als die ersten Reitercorps der Russen über die Weichsel gingen, schloß er sich dem Oberst Tettenborn an. Diesen suchte er, als man ins Neumärkische kam, zu kühnen Streifzügen gegen Frankfurt, Seelow und andere kleine Städte, in denen die Trümmer der französischen Armee Posto gefaßt hatten, zu veranlassen; Tettenborn aber, der sehr eitel war und durch einen nichtssagenden Streifzug gegen Berlin von sich reden machen wollte, opferte wirkliche Vorteile seiner Eitelkeit auf. Marwitz, als er das Spiel durchschaute, ging nach Breslau, um seinen Eintritt in die preußische Armee zu betreiben. Hier aber entwickelte sich alles zu langsam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte, konnt er das Hingehaltenwerden, das Abwickeln großer Dinge nach der Nummer nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wieder, gesellte sich abermals zu den Russen und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg bei, das mit der Vernichtung des Morandschen Corps endigte. Darauf begab er sich zu Tschernyschew, wurde dem General Benkendorf attachiert und zeichnete sich bei Halberstadt und Leipzig aus, bei welcher Gelegenheit er dem ganzen Corps sehr wesentliche Dienste leistete.

Indessen, wie sich denken läßt, vermocht er den Gedanken nicht aufzugeben, diesen schönsten Kampf, der je gekämpft worden, auf preußischer Seite mitzukämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im österreichischen Heere gestanden, jetzt stand er in russischem Dienst, und war auch der Feind ein gemeinsamer, so schmerzte es ihn doch, halb unter fremden Fahnen zu fechten. Er bat also abermals um Anstellung im Preußischen. Da man ihn aber nur bei der Infanterie verwenden zu können meinte und dieser Dienst weder seiner Neigung noch seiner Körperkonstitution entsprach, so zerschlugen sich die Unterhandlungen abermals, und er blieb bei den Russen.

Gleich nach dem Waffenstillstand, am 21. oder 24. August, war er mit Tschernyschew in der Nähe von Wittenberg und griff mit den Kosaken ein Carré polnischer Infanterie an. Das Pferd wurd ihm unterm Leibe erschossen, die Kosaken kehrten um, und ein Pole, der aus dem Carré heraustrat, hieb mit seinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz schützte sich mit seinem Arm, so gut er konnte, der ihm denn auch, samt der Hand, bei dieser Gelegenheit völlig zerhackt und zerhauen wurde. Endlich trat ein Offizier heraus und rettete ihn. Er ward in das Carré genommen und so angesichts der Seinigen, da die Kosaken nicht wieder zum Angriff zu bringen waren, erst nach Wittenberg, dann nach Leipzig geführt, wo er schlecht behandelt, eng eingesperrt und seine Wunden vernachlässigt wurden. Ende September gelang es ihm, sich unter vielen Gefahren und Abenteuern nach Prag hin zu retten. Hier wurden seine Wunden geheilt, aber die Hand blieb steif und unbrauchbar.

In Prag traf er seine Freundin wieder – Rahel. Sie selbst hat diesen Moment des Wiedersehens in Briefen an Varnhagen und ihren Bruder Robert in sehr anschaulicher Weise beschrieben. Ich gebe diese Stelle, zugleich die Worte hinzufügend, in denen sie, nach Marwitz’ eigener Erzählung, die Gefechtsszene bei Wittenberg beschreibt: »Gestern führte Tieck einen Freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsrats Albrecht (aus Berlin), bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, geht meine Tür auf, und – Marwitz steht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, abgemagert, steht er da, einen zerrissenen Bauernkittel an und ein Stück Kommißbrot in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, ist der alte, ist gesund, hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetschte ihn. Polen fielen über ihn her und stießen ihn mit Kolben, wovon ihm der Degen entsank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenstich, ein vierter setzte ihm das Gewehr an den Kopf und schoß los, aber der Schuß versagte. Der Oberst der Polen sprang vor und rettete ihm das Leben. Gefangen war er aber und ist nur durch tausend Aventüren entkommen, und endlich hier. Er ist einfach, gut wahr, still, mild wie immer, ohne alles Vorurteil über irgend etwas, was vorgefallen ist.

Nachschrift. Der polnische Offizier, der Marwitz gerettet hat, ist der Obristlieutenant Skrzynecki 4) ; er bot Marwitz seine Börse an, ein gleiches tat Obrist Szymanowsky. Ich schreibe Dir dies, weil der Krieg wunderbare Begegnungen schafft und man wissen muß, wo man Gutes mit Gutem zu vergelten hat.«

Am 15. September war Marwitz in Prag eingetroffen; die Heilung seiner Wunden verzögerte sich, und er blieb daselbst bis Mitte Dezember. Dieses Vierteljahr, das letzte, das ihm zu leben bestimmt war, ging wie ein Friedensschein über der Unrast seiner Tage auf. Den Frieden, dem er nachgeeilt war, ohne ihn finden zu können, hier fand er ihn, und hier durft er ihn finden. Die heilige Sache der Freiheit und des Vaterlandes drang siegreich vor, und ein Blick auf seine Wunden, das hohe Gefühl, selbst für diese Freiheit gekämpft und geblutet zu haben, gab ihm ein Anrecht, ohne Vorwurf und mit ungetrübter Freude dem Siegeszuge der Verbündeten zu folgen. Die Plauderstunden, in deren stillen Genuß sich sonst vielleicht ein Wermutstropfen, das demütigende Gefühl: »du solltest woanders sein«, gemischt hätte, er durfte sie jetzt ganz und voll genießen, und er genoß sie wirklich. Die Briefe Rahels aus jener Zeit an Robert, an Varnhagen und andere Freunde lassen keinen Zweifel darüber.

»Marwitz«, so schreibt sie an Varnhagen, »wohnt mit uns in demselben Hause. Die Wirtin nahm ihn gleich auf, aus Rahel- und aus Preußenliebe. Er hat es en prince und ißt bei uns. Ich und ein Stücker sechs bis acht Domestiken warten ihm auf.« – »Du fragst wegen Marwitz. Er hat keinen Orden, aber – Tieck las ihm gestern den ›Hamlet‹ vor. Niebuhr, den Tieck den Mut hatte für hübsch ausgeben zu wollen, nennen wir seitdem ›Venus‹, und Marwitz heißt schlechtweg der ›Sklave‹. Er rief mir nämlich zu: ›Soll ich noch mehr Ihr Sklave sein?‹, was uns alle zum herzlichsten Lachen stimmte. Denn er ist ganz despotisch.« – »Wir plaudern hier oft über Goethe, und meiner Liebe und Bewunderung hab ich nicht Hehl. Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendsten, herrlichsten Gespräche führe, sagt auch: kein Mensch liebe ihn (Goethen) mehr als ich.«

Diese wenigen Auszüge gönnen uns einen Einblick in das heitere, bewegte und angeregte Leben, das jene Prager Herbst- und Wintertage ausfüllte. Endlich gegen Schluß des November heißt es: »Marwitz verläßt uns bald«, und wenige Tage später brach er wirklich auf. Er ging zunächst nach Wiesbaden, dann nach Frankfurt am Main, wo er bei der 1. Brigade des Yorckschen Corps eintrat und als diensttuender Adjutant zum General Pirch II. kommandiert wurde. Hier war er endlich voll an seinem Platz. Die Idee eines großen Kampfes war nirgends lebendiger ausgeprägt als im Yorckschen Corps, und ein Feuergeist, wie Marwitz, mußte sich da am heimischsten fühlen, wo im geringsten Landwehrmann ein Teil jener treibenden Kraft, jenes Blücherschen Geistes zu finden war, ohne welchen jener schöne Kampf nie und nimmer siegreich hinausgeführt worden wäre.




4) Es ist dies derselbe Skrzynecki, der 1831 als polnischer Generalissimus berühmt geworden ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil