Abschnitt 1

Der Oderbruch und seine Umgebung


Quilitz oder Neu-Hardenberg


Quilitz von 1763 bis 1814


Nach dem Tode des Markgrafen Karl fielen die am Rande des Oderbruchs gelegenen Güter desselben, Friedland und Quilitz, an die Krone zurück. Aber nicht auf lange; Friedrich II. verschenkte sie im selbigen Jahre noch, und zwar gab er Friedland an den damaligen Major von Lestwitz, »den Sieger von Torgau«, Quilitz an den Oberstlieutenant von Prittwitz, der in der Schlacht bei Kunersdorf, als Rittmeister bei den Zietenschen Husaren, den König vor drohender Gefangenschaft gerettet hatte. Gegen beide Offiziere unterhielt der König seit den genannten beiden Tagen ein verwandtes Gefühl besonderer Dankbarkeit. »Lestwitz hat den Staat, Prittwitz hat den König gerettet«, so hieß es damals sprichwörtlich. »Lestwitz a sauvé l’état, Prittwitz a sauvé le roi.«

Die Rettung des Königs durch Prittwitz wird verschieden erzählt. Die gewöhnliche Darstellung des Hergangs ist die folgende:

»Als gegen Abend die preußischen Truppen nach übermenschlicher Anstrengung und Tapferkeit endlich zurückgeworfen waren und fast aufgelöst das Schlachtfeld verließen, war der große König in Verzweiflung, und man hörte ihn die Worte rufen: ›Kann mich denn heute keine verwünschte Kugel treffen!‹ Zwei Pferde waren ihm unter dem Leibe erschossen worden, und eine dritte Kugel hatte ihm ein goldenes Etui in seiner Westentasche zerdrückt. 1) Nach dem schnellen Rückzuge des Heeres streifte noch Joachim Bernhard von Prittwitz mit einem Trupp von etwa fünfzig seiner Zietenschen Husaren auf dem Schlachtfelde umher. Als auch er endlich sich vor den andrängenden Kosakenschwärmen zurückziehen wollte, rief ihm der Unteroffizier Velten, der, später geadelt, als Major in der Rheincampagne fiel, zu: ›Herr Rittmeister, da steht der König!‹ Sich umwendend, erblickte Prittwitz den König, der fast allein und nur in Begleitung eines Pagen, welcher sein Pferd hielt, auf einem Sandhügel des sogenannten Mühlberges stand. Er hatte seinen Degen vor sich in die Erde gestoßen und blickte mit verschränkten Armen dem herannahenden Verderben entgegen. Eilig sprengte Joachim Bernhard auf ihn zu, doch nur mit Mühe vermocht er ihn zu überreden, sich aufs Pferd zu werfen und auf seine Rettung bedacht zu sein. Endlich folgte der König seinen Bitten, indem er rief: ›Nun, Herr, wenn Ihr meint, vorwärts.‹ Aber schon waren die Kosaken ganz nahe gekommen. Joachim Bernhard wandte sich um und schoß den feindlichen Offizier vom Pferde. Dies machte die Verfolger einen Augenblick stutzen, der König gewann mit seiner kleinen Schar einen Vorsprung, und jene vermochten ihn nicht wieder einzuholen. Mehrmals rief er dabei aus: ›Prittwitz, ich bin verloren!‹ Auf diese Weise rettete sich Friedrich vom Mühlberg herab ins Tal, über die sogenannte große Mühle, hinter deren Défilén er vorläufig sicher war. Hier ritt er auf die erste Anhöhe und sah auf die zerschossenen Bataillone, die vorüberzogen. Mit Tränen in den Augen rief er ihnen zu: ›Kinder, verläßt mich heute nicht, euren König, euren Vater.‹ Und dann ritt er weiter und kam spätabends nach dem Dorfe Ötscher. Auf dem Rücken Joachim Bernhards schrieb er hier mit Bleistift an den Minister Finckenstein in Berlin die berühmt gewordenen Worte: ›Alles ist verloren, retten Sie die königliche Familie, Adieu für immer.‹ Während in Ötscher der unglückliche König, nur von wenigen Getreuen umgeben, sich aufs Stroh warf, sammelte Joachim Bernhard die aufgelösten Trümmer der Armee, etwa 3000 bis 4000 Mann, so daß ihm nicht nur der Ruhm gebührt, den König, sondern auch den Rest der Armee gerettet zu haben. Denn wurden diese Truppenreste nicht in der Nacht noch nach Ötscher, wo die Schiffbrücken waren, dirigiert, so waren sie auf dem rechten Oderufer verloren. Als er dem Könige melden wollte, daß sich einige Bataillone gesammelt hätten, verhinderten ihn die Adjutanten daran, die bei der verzweifelten Stimmung des Königs fürchteten, derselbe werde, sobald er erführe, er habe noch Truppen in Händen, den unglücklichen Kampf von neuem beginnen.«

So erzählen die meisten zeitgenössischen Schriftsteller. Etwas abweichend davon berichtet Frau von Blumenthal in ihrer trefflichen Lebensbeschreibung Zietens über denselben Hergang, und in Erwägung des Umstandes, daß Prittwitz selbst eine Vorrede zu dieser Lebensbeschreibung schrieb, also das Buch oder doch wenigstens diese ihn selbst so nah angehende Stelle gelesen haben muß, können wir nicht umhin, dieser andern Darstellung eine vorzugsweise Bedeutung beizulegen. In dieser heißt es:

»Am Abend der unglücklichen Schlacht stand das Détachement von Zieten-Husaren zur Rechten des Königs, als der Monarch für seine Person noch nicht die Hoffnung zum Siege aufgeben wollte, obgleich schon aller Anschein dazu verloren war. Der König warf sich mit etwas Infanterie in das stärkste Feuer. Ihm wurde das Pferd, das er ritt, erschossen; sein Adjutant, der Oberst von Goetz, gab ihm zwar das seinige, allein eben jetzt drängte auch die österreichische Reiterei des General Laudon mächtig auf ihn ein, und Friedrichs Person geriet in augenscheinliche Gefahr, um so mehr, als er nicht zurückgehen und auf seine Sicherheit bedacht sein wollte. In diesem furchtbaren Augenblicke, an dem Preußens Glück und Ehre hing, sprengten, entflammt von Wut und Rache, die Zietenschen Husaren herbei, hieben mit Nachdruck in die österreichische Reiterei ein und hielten sie von dem Regiment von Diricke – an dessen Spitze der König stand – bis zur Rettung des letztern glücklich entfernt. Unter ihnen zeichnete sich besonders der Lieutenant Velten aus, indem er der erste war, der einen Trupp österreichischer reitender Grenadiere zurückwarf, die schon den König umringen wollten. Der Rittmeister von Prittwitz, nachmaliger General der Kavallerie, hatte unterdessen den Mut, daß er sich ohne Anfrage zum Geleitsmann des Königs aufwarf, ihn halb mit Gewalt aus dem Feuer herauszog und ihn über das Défilé bei der Mühle bis zur Schiffbrücke bei Göritz durchbrachte, wo sich die Armee bald darauf wieder formierte. So wurde Prittwitz der Retter Friedrichs und der Retter des Vaterlandes.«

Der Krieg war zu Ende und Prittwitz Herr auf Quilitz. Es war ein schönes Gut, aber unwohnlich geworden, wie die meisten Güter, die lang in Pächterhänden sind, und da der nunmehrige Oberstlieutenant von P., der kurz zuvor (1762) eine Freiin Seher-Thoß geheiratet hatte, standesgemäß zu leben gedachte, so mußt er vor allem darauf aussein, ein Haus aufzuführen, das den Ansprüchen seiner übrigens auch in Schlesien begüterten Gemahlin entsprach. Der Bau ward unverzüglich begonnen und war schon bis zu den ersten Steinen des ersten Stocks gediehn, als König Friedrich des Weges kam, sei es auf einer seiner Revuereisen in die östlichen Provinzen oder eigens zu dem Zwecke, das Oderbruch und die Melioration desselben zu inspizieren. »Prittwitz, Er baut ja ein Schloß; Er will ja hoch hinaus«, waren die nicht allzu gnädigen Worte, mit denen der König sich an den zur Seite stehenden Oberstlieutenant wandte, der nunmehr seinerseits nichts Eiligeres zu tun hatte, als dem Wunsch und Winke des Königs nachzukommen und unter Fortlassung einer Beletage sofort das Dach auf das Erdgeschoß setzen zu lassen. Erst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde durch Schinkel ein Umbau des Schlosses vorgenommen.

Stell ich nunmehr zusammen, was in Quilitz noch an die Prittwitz-Zeit erinnert. Die Zimmer des Erdgeschosses sind im wesentlichen dieselben geblieben, namentlich gilt dies von dem großen, mit Stuckreliefs geschmückten Gartensalon, der auf eine Parkwiese und jenseits derselben auf die Wasser- und Baumpartien des Parkes blickt. Auch dieser Park selbst stammt noch aus der Prittwitzschen Zeit, ebenso wie zwei seiner Gedenksteine. Der eine derselben ist ein unscheinbarer Grabstein, unter dem der Schimmel begraben wurde, den Rittmeister von Prittwitz in der Schlacht bei Kunersdorf ritt, der also den historischen Moment der Rettung des Königs miterlebte respektive seinen Anteil daran hatte. Der Grabstein ist jetzt seinerseits wieder unter Laub und Moos halb begraben, so daß es unmöglich ist, eine Inschrift zu entziffern. Man hat deshalb die ganze Erzählung von dem im Park bestatteten Schimmel wieder in Zweifel ziehen wollen. Aber gewiß mit Unrecht. Äußere und innere Gründe sprechen dafür. Der Stein hat ganz die Form eines Grabsteins. Außerdem ging der König selbst, der auf der obersten Terrasse von Sanssouci nicht nur sein Pferd und seine Lieblingswindspiele begraben ließ, sondern auch inmitten derselben begraben sein wollte, seinen Generalen mit dem entsprechenden guten Beispiele voran. Man liebte damals dergleichen.




1) Etui und Kugel existieren noch und werden, unter andern Erinnerungsstücken der Art, auf dem Stadtschloß zu Potsdam gezeigt. Das Etui (Gold und Emaille) hat die Form einer Schachtel und steckt in einem mit Sammet gefütterten Gehäuse. Die Kugel ist ganz platt gedrückt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil