Abschnitt 2

Der Oderbruch und seine Umgebung


Das Oderbruch


3. Die alten Bewohner


Die geistige Speise, die geboten wurde, war spärlich und die leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut, die Kartoffel war noch nicht gekannt oder, wo sie gekannt war, als Feind und Eindringling verabscheut; ein weniges an Gemüse gedieh auf den »Kuhmistwällen«, sonst – Fisch und Krebse und Krebse und Fisch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird eigens berichtet, daß ein kräftiger Menschenschlag, wie jetzt noch, hier heimisch war und daß Leute von neunzig und hundert Jahren nicht zu den Seltenheiten zählten.

Ein hervorstechender Zug der Wenden, zum Beispiel auch der Spreewaldwenden, ist ihre Heiterkeit und ihre ausgesprochene Vorliebe für Musik und Gesang. Ob eine solche Vorliebe auch bei den Wenden des Oderbruchs zu finden war? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Eins spricht entschieden dagegen. Volkslieder haben ein langes Leben und überdauern vieles; aber nirgends begegnet man ihnen bei den Brüchern. Diese singen jetzt, was anderen Orts gesungen wird. Keine Spur wendischer Eigenart; woraus sich schließen läßt, daß überhaupt wenig davon vorhanden war. 2)

Das einzige, was sich, ähnlich wie im Altenburgischen, auch hier im Bruche länger als jede andre Spur nationalen Lebens erhalten hat, ist die Tracht. Über diese noch ein paar Worte.

Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo sich das Wendentum bis 1747 ziemlich unvermischt erhielt, sondern umgekehrt am Rande, wo die Berührung mit der deutschen Kulturwelt schon durch Jahrhunderte hin stattgefunden hatte. Aber dies darf nicht überraschen. Diese Berührung blieb in den Randdörfern eine spärliche, mäßige, wie sie es immer gewesen war, während das durch Jahrhunderte hin wendisch intakt erhaltene Zentrum, als diese Berührung überhaupt einmal begonnen hatte, durch Masseneinwanderung solche Dimensionen annahm, daß das Wendentum in kürzester Frist darunter ersticken mußte. Die Gäste wurden die Wirte und gaben nun den Ton an. Anders in den Randdörfern, wenigstens in einzelnen derselben. An dem Abhange des Barnim-Plateaus, in der ehemaligen »Derfflingerschen Herrschaft«, liegen noch einige Dörfer, drin sich Überreste wendischer Tracht bis auf diesen Tag erhalten haben. In Vollständigkeit existiert sie nur noch in Quilitz. dem gegenwärtigen Neu-Hardenberg.

Diese Kleidung, soweit die Frauen in Betracht kommen, besteht aus einem kurzen roten Friesrock mit etwa handbreitem, gelbem Rand; ferner aus einem beblümten, dunkelfarbigen, vorn ausgeschnittenen Leibchen und aus einem weißen Hemd, dessen Ärmel bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getollter Kragen über Brust und Nacken fallen. Dazu Kopftuch und Schürze. Die Tracht ist alltags und sonntags dieselbe und nur im Stoff verschieden. Alltags: blaue geblümte Kattun- oder Leinwandschürze und Kopftuch von demselben Zeug; sonntags: weiße Schürze und schwarzseidenes Kopftuch. Der rote Friesrock ist das Ständige, und die Schürze ist jedesmal um eine Handbreit länger als der Rock. Wie Alltag oder Sonntag, so macht natürlich auch arm und reich einen Unterschied. Bei den Ärmeren legt sich der Friesrock in wenige, bei den Reichen in viele Falten und erreicht seine Höhe, so wenigstens wird erzählt, wenn er so viele Falten hat wie Tage im Jahre. Für das Leibchen ist Manchester ein sehr bevorzugter Stoff. Weiße Zwickelstrümpfe vollenden den Anzug, und massive silberne Ohrgehänge sind beliebt.

Diese wendische Tracht nimmt sich höchst malerisch aus und ist so ziemlich die kleidsamste unter allen Nationaltrachten, die mir in den verschiedenen Teilen Norddeutschlands vorgekommen sind. Es ist damit kein übertriebenes Lob gespendet, da diese Trachten, sosehr ich sie liebe und sosehr ich ihrer Konservierung das Wort reden möchte, doch vielfach nichts weniger als schön zu nennen sind. Oft sind sie entschieden häßlich. Ich erinnere nur an die Altenburgerinnen, die wie steif ausgestopfte Bachstelzen einherschreiten. Alle diese Nationaltrachten indes, ob schön oder häßlich, sind meist sehr kostspielig zu beschaffen, und dieser Umstand hat entschieden mitgewirkt, der städtischen Mode, will sagen dem billigeren Kattunkleide, den Eingang zu verschaffen. Auch in Quilitz – das, nachdem es dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg als Dotation zugefallen war, den Namen Neu-Hardenberg erhielt – würden wir höchstwahrscheinlich einer Wandlung zum Modernen hin begegnen, wenn nicht allerhand Rücksichten eine künstliche Konservierung der alten Sitte herbeigeführt hätten. Schon der Fürst-Staatskanzler selbst, der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt darauf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der alten wendischen Tracht vor ihm erscheinen mußten, und auch später noch haben alle Mägde, die den bevorzugten Dienst im Schloß antreten wollten, sich zu Mieder, Kopftuch und Friesrock zu bequemen gehabt.

Dem gesamten Oderbruch aber ist als Hinterlassenschaft aus der Zeit wendischer Tracht her das schwarze seidene Kopftuch geblieben, das, jedem jugendlichen Gesichte gut stehend, die Oderbrücherinnen, zum Teil ziemlich unverdient, in den Ruf gebracht hat, ganz besondere Schönheiten zu sein.




2) In neuerer Zeit hat sich ein geborener Oderbrücher, der Lehrer Rubehn in Groß Neuendorf, der dankenswerten, aber freilich schwierigen Aufgabe unterzogen, der wendischen Vorgeschichte des Oderbruchs nachzuspüren und Material dafür zu sammeln. Dies Material, in das mir ein Blick gestattet war, ist reich und instruktiv; der Sammler indes scheint mir darin irrezugehn, daß er geneigt ist, den Sprüchen und Sagen, deren er viele zusammengetragen hat, ein größeres Alter beizumessen, als ihnen zukommt. Mit anderen Worten, er vermutet da Wendisch-Ursprüngliches oder im Oderbruch Gewachsenes, wo nur Deutsch-Importiertes vorliegt. Die Sagen, die ich seiner Mitteilung verdanke, finden sich, fast ohne Ausnahme, in den Landesteilen (Pfalz, Schwaben, Niedersachsen) wieder, aus denen die Kolonisierung des Oderbruchs erfolgte. Eine unter diesen Sagen indes, wiewohl sicherlich ebenfalls deutsch, mag um ihrer selbst willen einen Platz an dieser Stelle finden. Es ist das die Geschichte von » Rotmützeken«:

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil