Abschnitt 1

Der Oderbruch und seine Umgebung


Das Oderbruch


1. Wie es in alten Zeiten war


            Wasser, Wasser überall,
            Die Tiefe selbst verfaulte,
            Schlammtiere krabbeln zahllos rings
            Auf schlammiger Moderflut.
            Freiligrath,
            nach Samuel Taylor Coleridge

Am Westufer der Oder, nach rechts hin vom Flusse selber begrenzt, nach links hin von den Abhängen des Barnim-Plateaus wie von einem gebogenen Arm umfaßt, liegt das Oderbruch. Es ist eine sieben Meilen lange und etwa zwei Meilen breite Niederung, die, ihrem Hauptbestandteile nach, in ein hohes und niederes Bruch, das Oberbruch und das Niederbruch, zerfällt. An diese beiden schließt sich noch, nach Norden hin, also flußabwärts, das Mittelbruch. Diese Bezeichnung ist schlecht gewählt und wird die Ursache beständiger Verwechselungen. Als »Mittelbruch« vermutet man es im Zentrum, zwischen dem Ober- und Niederbruch gelegen, während es doch, umgekehrt, am äußersten Flügel des Bruches liegt. Seinen Namen, der besser einem andern Platz machte, hat es wahrscheinlich daher, weil es inmitten zweier Oderarme sich ausbreitet. Neueren Arbeiten, namentlich einem vorzüglichen Aufsatze des Geheimen Rat Wehrmann, »Die Eindeichung des Oderbruches«, entnehme ich, daß man angefangen hat, diese schlechte Bezeichnung »Mittelbruch« in amtlichen Erlassen wenigstens ganz fallenzulassen. Man spricht nur noch von einem Ober- und Niederbruch, und so ist es in der Ordnung.

Das Bruch ist ein Bauernland, eine Art Dithmarschen 1) ; aber adlige Güter blicken rundum, wie von hoher Warte, in das schöne, fruchtbare Bruchland hinein. Eine ganze Anzahl dieser auf der Höhe gelegenen altadligen Güter werden wir noch in ausführlicheren Schilderungen kennenlernen; nur ihre Namen sowie die Namen der alten, zum Teil ausgestorbenen Familien, die ihnen im Laufe der Jahrhunderte zu Ruhm und Ansehn verhalfen, mögen schon hier eine Stelle finden. Auch einem neuen Namen werden wir begegnen: Albrecht Thaer. Es wird dem Leser, mit bloßer Hülfe dieser Aufzählung, der Reichtum historischen Lebens entgegentreten, der sich hier, unmittelbar am Rande des Bruchs, auf dem Raum weniger Meilen zusammenfindet. Ich folge der Linie von Nord nach Süd.

Hohenfinow: Sparr, Schlick 2)
Vernezobre.
Cöthen und Falkenberg: von Jena.
Freienwalde: Uchtenhagen.
Ranft: von Marschall.
Moeglin: Albrecht Thaer.
Batzlow: Barfus.
Ihlow: Ihlow oder Illo. 3)
Ringenwalde. Bredow.
Kunersdorf und Friedland: Lestwitz und Itzenplitz.
Buckow: von Pfuel, von Flemming.
Quilitz: Prittwitz, Hardenberg.
Gusow: Derfflinger.
Friedersdorf: Görtzke, Marwitz.
Lietzen: Johanniter-Komturei.
Hohenjesar: Burgsdorf.
Reitwein: Finckenstein.

Von allen diesen Punkten, selbst von Buckow aus, das am meisten zurückgelegen liegt, ermöglicht sich ein Blick in die fruchtbare Tiefe; dabei wechselt der Charakter der Landschaft so oft und so anmutig, daß jeder, der am Rande des Plateaus, etwa von Freienwalde bis Seelow, oder selbst bis Frankfurt hin, diese Fahrt zu machen gedenkt, einer langen Reihe der mannigfachsten und anziehendsten Bilder begegnen wird.

Eine solche Fahrt auf der Höhe hin werden wir mehrfach zu machen haben, und manche dieser Fahrten (zum Beispiel der Weg von Falkenberg bis Freienwalde) wird uns Gelegenheit zu dem Versuch eines Landschaftsbildes geben; heute jedoch ist es das Bruch selbst, das in der Tiefe gelegene Bauernland, das uns beschäftigen soll, und wir werden erst bei den alten Zuständen dieses Sumpflandes, dann bei seiner Eindeichung und Entwässerung, endlich bei seiner Kolonisierung zu verweilen haben.




1) Die Bewohner des Oderbruchs sind auch an Kraft und Mut – manches andere fehlt freilich noch – den Dithmarschen verwandt. Mit dem Bewußtsein hiervon geht wie gewöhnlich viel Übermut Hand in Hand, und die Brücher, zumal auf den Kantonversammlungen, lieben es, die »hungrigen Kerle von der Höhe« zu tyrannisieren. Einer (ein Angermünder Postillon), der mir davon erzählte und seinerseits unter dieser Tyrannei gelitten haben mochte, fügte hinzu: »Es wäre mitunter nicht auszuhalten, wenn nicht die Uckermärker wären. Die aber brächten alles wieder zurechte.«
2) Hieronymus Schlick, Minister des Kurfürsten Joachim Friedrich, war ein Ururenkel des berühmten Kaiserlichen Kanzlers Caspar Schlick. Er trat wahrscheinlich schon vor 1598 in brandenburgischen Dienst. Gleich nach dem Tode des Kurfürsten verschwindet er wieder vom Schauplatz. Er scheint ohne Nachkommenschaft um 1610 gestorben zu sein, nachdem er sein märkisches Gut Hohenfinow verkauft hatte, und zwar an Matthias Thurn, den bekannten Führer des Böhmischen Aufstandes von 1618.
3) Der aus Schillers »Wallenstein« männiglich bekannte Feldmarschall Illo schrieb sich eigentlich Ilow oder Ylow, auch Ihlow (alle drei Schreibarten, und noch einige andre, kommen vor), und war keineswegs aus Böhmen oder Kroatien, sondern aus dem sternbergischen Kreise in der Neumark gebürtig. Dorf Ihlow im Oberbarnim aber ist mutmaßlich das Stammgut der Familie. Noch jetzt ist das Ihlowsche Wappen sowie ein Ihlowscher Leichenstein in der Kirche des letztgenannten Dorfes zu finden. Kein andres Land war übrigens während des Dreißigjährigen Krieges so ergiebig an Generalen und Kriegsobersten als die Mark. Ich nenne hier nur folgende: Hans Georg von Arnim, von Königsmarck Otto Christoph von Sparr, Ernst Georg von Sparr, Götz, Illo, Adam von Pfuel, Joachim Ernst von Görtzke, vieler andrer von minderer Berühmtheit, wie Klitzing, Rochow, Kracht etc., zu geschweigen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 2. Teil