Abschnitt 1

Auf dem Plateau


Gentzrode


            Einst war eine Zeit, da war nur eines,
            Da war nicht Steig, den Fuß zu stellen,
            Da war nicht Haus, das Haupt zu ruhen;...
            »Ist mein dies alles? Bin ich hier der Meister?«
            So rief er, erwartend, ob's einer ihm wehrte.

1. Von der Gründung Gentzrodes 1855 bis zum Tode von Johann Christian Gentz 1867


Im Winter 1888 auf 1889 war es, daß unsre Zeitungen, bei Gelegenheit einer in Berlin stattfindenden » Großen Weinausstellung«, eine kurze Notiz über ein den »Delegierten zur Ausstellung« gegebenes Fest brachten, welches Fest mit einem Jagdausfluge nach dem Rittergute Gentzrode, halben Wegs zwischen Ruppin und Rheinsberg, abgeschlossen habe. Und in der Tat, seitens des Herrn F. W. Nordenholz, ehemaligen bremensischen Konsuls in Argentinien, waren die Weindelegierten, darunter eine große Zahl portugiesischer Gäste, nach dem oben genannten Rittergute hin eingeladen worden, in der ausgesprochenen Absicht, die »Herren aus dem Süden« mit einer nordischen Jagdszenerie, den verbleibenden deutsch-preußischen Rest der Gesellschaft aber mit einer nach der landwirtschaftlichen Seite hin ganz eigentümlichen Neuschöpfung (in manchem noch eigentümlicher als der Fürst Pücklerschen in Muskau) bekanntzumachen.

Von dieser Neuschöpfung hab ich in nachstehendem zu berichten.

Gentzrode liegt auf dem Plateau beziehungsweise am Abhang einer Sanddüne, die seit unvordenklichen Zeiten den Namen der »Kahlenberge«, ja, an einer Stelle sogar des »Kranken Heinrich« führt, ein Terrain ganz nach Art der 1848 historisch gewordenen Berliner »Rehberge«: Sand und wieder Sand, von nichts unterbrochen als von einem gelegentlichen Büschel Strandhafer und jenen nesterartigen Löchern, die die vordem hier zahlreichen Krähen aufzukratzen pflegten. So waren die Rehberge, und so waren auch die Ruppiner Kahlenberge, welche letzteren, außerdem noch, in mittelalterlicher Zeit einen aus Feldstein aufgemauerten Luginsland trugen, die »Kuhburg«, von der aus ein Wächter nach allen Seiten hin Umschau hielt und Meldung machte, wenn die »Quitzowschen« oder ihresgleichen, wie dies mehrfach geschah, im Anzuge waren. Anfang dieses Jahrhunderts existierten noch die Fundamente dieser »Kuhburg«, und als neuerdings an der alten Turmstelle nachgegraben wurde, fand sich der Burgschlüssel einige Fuß tief im Sande. Das war 1855, in welchem Jahre Johann Christian Gentz, über den ich berichtet, diese Sanddüne (die »Kahlenberge«) gekauft hatte, von vornherein mit der Absicht, eine Oase daraus zu machen. Als er beim Graben den eben erwähnten Burgschlüssel fand, lächelte er und sah darin eine Gewähr, daß diese Stelle nun seine sein solle.

Die Kahlenberge, wie hervorgehoben, waren nur ein Sandplateau; nichtsdestoweniger machte der Ankauf dieses halb wertlosen Terrains (der Morgen wurde anfangs nur mit sechs Taler bezahlt) große Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten entstanden daraus, daß es Stadtland war, an dem viele Ruppiner Bürger strichweis ihren Anteil hatten, so daß beispielsweise mit 118 Partnern verhandelt und ebensoviel Tauschverträge zustande gebracht werden mußten. Schließlich waren einige tausend Morgen erworben, aber ehe das Gesamtareal beisammen war, gingen die zuerst erstandenen und bereits urbar gemachten Teile schon wieder durch allerlei Prüfungen und Gefahren.

Diese Gefahren waren Wassers- und Feuersnot.

Was zunächst die Wassersnot angeht, so muß vorauf bemerkt werden, daß es keine Not durch, sondern eine Not um Wasser war.

Gleich in den ersten Jahren wurd es eine Lebensfrage für Gentzrode, ob es möglich sein werde, das erforderliche Wasser zu beschaffen. Man hatte bis dahin nur einen Regentümpel, nur eine primitive Zisterne. Damit war nichts zu leisten, und immer unerläßlicher erwies sich die Herstellung eines Brunnens. Ein Ratszimmermeister wurde konsultiert und unterfing sich endlich, die Sache wagen zu wollen. Ein halbes Hundert Arbeiter ward angestellt, um ein trichterförmiges Loch zu wühlen, das eine Tiefe von vierzig und oben eine Weite von fünfzig Fuß hatte. Jedoch umsonst: kein Wasser kam, und der Ratszimmermeister erklärte schließlich, »daß sein Rat und seine Weisheit zu Ende seien«. Stafetten gingen nun nach Berlin, um von dort her »höhere Meister« herbeizuholen. Aber wie zu Zeiten einer Epidemie keine Ärzte zu haben sind, so waren in jenem beispiellos trocknen Sommer (1857) keine Brunnenmacher zu haben. Von allen Seiten her waren dieselben Notschreie gekommen, und in der Hauptstadt selbst stand es kaum besser. So blieb denn Gentzrode auf seine eignen oder doch auf benachbarte Kräfte angewiesen. Und sie fanden sich auch.

Ungerufen stellte sich ein kleiner, unansehnlicher Mann ein, namens Franke, der aus Groß-Menz gebürtig und seines Zeichens ein Maurergeselle war. Er erbot sich, den Brunnen fertigzubauen. Wie begreiflich, fand er zunächst wenig Glauben und Vertrauen. »Er sieht aus wie ein Maulwurf«, sagte der alte Gentz; »aber was soll uns das; Erde genug ist aufgeworfen.« Franke ließ sich jedoch weder durch scherzhafte noch durch ernstgemeinte Bemerkungen aus der Fassung bringen und zeigte jedem Bedenken gegenüber eine solche Sicherheit und Ruhe, daß endlich beschlossen ward, ihn gewähren zu lassen. Er wurde nun in eine Baracke einlogiert, erwies sich hier mit allem zufrieden und imponierte zunächst wenigstens durch Anspruchslosigkeit. Aber schon nach einigen Tagen überraschte die Kunstfertigkeit, mit der er zu Werke ging. Er hatte die Methode des »Senkens«, die die Ruppiner noch nicht kannten und die, wenn ich richtig verstanden habe, dem »Mit dem Kasten vorgehn« der Mineure oder der Anwendung des »Wolfs« oder Eisenwagens entsprach, mit dessen Hilfe beispielsweise der Tunnel in London gebaut wurde. Vortreiben, ausgraben und wieder vortreiben. Die vorgetriebene Eisenwandung (so wenigstens beim Tunnelbau) bildet den jedesmaligen Schutz für den Grabenden, während das hinter ihm liegende Stück ausgemauert wurde.

Gentzrode war in jenen Tagen, fast mehr noch als später, eine Sehenswürdigkeit, und es machte wirklich einen spukhaften Eindruck, den kleinen Mann, bei Grubenlicht, wie einen Erdgeist in der Tiefe hantieren zu sehen. Einer rief hinunter: »Wenn dich der Teufel geholt hat, so decke den Brunnen zu.« Dieses letztere wurde aber nicht nötig, weil das erstere nicht geschah; Franke erreichte vielmehr in vier Wochen angestrengter Arbeit den Wasserspiegel. Er lag sechsundfünfzig Fuß tief. Und mit neuem Mute setzte der »Maulwurf« nunmehr seine Arbeit fort.

Lassen wir ihn zunächst in seiner Tiefe, daraus wir ihn erst in einem neuen kritischen Momente wieder werden emporsteigen sehen. Denn seltsam, ebendiesem kleinen Manne war es auch vorbehalten, die zweite, größere Not, die Gentzrode zu bestehen hatte, zu beseitigen oder wenigstens, allen andern vorauf, an ihrer Beseitigung mitzuwirken. Er hatte das Wasser gefunden. Das zweite, was er tat, war: er hielt den Lauf des Feuers auf.

Die Geschichte davon zwingt uns, auf eine Zeit vor dem erst in Sicht stehenden Abschluß der Brunnenarbeiten zurückzugehn.

Ein großer Teil des Gentzroder Gutsareals, namentlich aber die der königlichen Forst zu gelegenen Reviere, waren mit Heidekraut überdeckt. Erlaubnis war nachgesucht worden, dies Heidekraut abbrennen zu dürfen, die Regierung hatte die nötige Zustimmung gegeben, und das in Frage kommende Terrain war in zwei Hälften, in eine Hälfte links und in eine andre rechts der Wittstocker Straße, geteilt worden. Mit der einen Hälfte hatte man begonnen, und bereits Ende August war unter Innehaltung aller üblichen Vorsichtsmaßregeln der Heidekrautbrand gefahrlos und ohne jeden Zwischenfall ausgeführt worden. Dies war zur Linken. Vier Wochen später sollte mit der Rechtshälfte vorgegangen werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil