Mühle bei Bock, 26. August.

Die Möglichkeiten des kommenden Tages regten mich auf, ich schlief unruhig, als ich jedoch um halb sieben aufwachte, sah ich Nebeldunst, und die Bäume bewegten sich leise. Also alles nach Wunsch. Die Wirtsleute meinten, ich dürfte es ruhig versuchen, wahrscheinlich würde ich sogar segeln können. Die Richtung nach der Schleuse wurde mir sehr einfach angegeben: ,,Wenn Sie um den Vorsprung kommen, sehen Sie bereits die Kirche von Bock und dann die Mühle und einen kleinen Berg, dazwischen liegt die Schleuse.“ Leider versäumten sie, mir den richtigen Vorsprung zu zeigen. Ich fuhr nach dem falschen, fing mit einem gehörigen Umweg an.

Unübersehbar breitete sich die lange Seefläche aus, stolz, in gehobener Stimmung segelte ich langsam mit Viertelwind in das Silbergraue, Unbestimmte hinein. Mir war geraten worden, mich nicht in der Mitte des Sees zu halten, von dort aus hätte ich jedoch die bewußte Kirche, Mühle und Hügelerhehung gesehen, so aber war keine Spur von dem allen zu entdecken. Aber die Richtung mußte ja stimmen.


Wälder, Schilf, Wiesen und Baumgruppen zogen vorbei, die Sonne durchbrach den Dunst, gelegentlich kamen Untiefen, gelegentlich sah ich einen Felsblock über oder unter dem Wasser, ich mußte recht aufpassen, zweimal streifte ich Grund. Der Wind wurde immer frischer, die Wellen rollten seitwärts an, also das Ungünstigste! zunehmende Brise, die Wellen klatschten und spritzten gegen die ,,Formosa“, diese schlenkerte und stampfte. Jetzt, es war zwöls Uhr, hatte ich nur Achtelwind, dafür wurde er immer steifer, auf seitliche Sturzwellen durfte ich mich nicht einlassen und strich das Segel, um weiter zu rudern. Aber auch dazu war der Seegang zu hoch, es half nichts, ich mußte mit dem Wind dem Ufer zurudern.

Als mich jedoch etwa zweihundert Fuß vom Land noch trennten, gelangte ich in klares, hellgrünes Wasser und stieß an. Bald ruderte ich mich los, aber was nun beginnen? Landen war ausgeschlossen, kein Boot, kein Mensch, kein Haus war, soweit der Blick reichte, zu sehen. Nur die weite Fläche, Schilf, Wiese und Wald. Dann sah ich in der Nähe eines fernen Vorsprungs ruhigeres Wasser, ruderte dahin, gelangte in den Windschutz, nur sehr langsam kam ich von der Stelle, aber ich kam doch weiter. Stunde auf Stunde verstrich, von der Kirche und Mühle war nichts zu erblicken, aber laut Karte und Kompaß mußte es stimmen. Felsblöcke zeigten sich oft unter der Oberfläche in nächster Nähe, dann hieß es, trotz des zunehmenden Stampfens in tiefes Wasser herausrudern. Wildgänse flogen scharenweise vorüber, einmal sah ich am Ufer eine Kuhherde im Wasser stehen, sonst nichts Lebendes weit und breit. Plötzlich erschien jedoch über den Bäumen ein Kirchturm und bald darauf die Mühle. Allerdings würde es schwer sein, um den Vorsprung zu kommen, der Wind pfiff immer schärfer, dort an der Landspitze schlugen weiße Brecher. Aber nun erkannte ich auch die durch Baumschatten bisher verborgene Brücke, die weiße, rautenförmige Tafel, die Mole. Und bald nach drei Uhr schwenkte ich hochbeglückt ein, ruderte auf den stillfriedlichen Fluß.

Die Müritzfahrt war überstanden, nicht mit fliegenden Fahnen, aber heil war ich angekommen. Vielleicht hat noch nie eine Dame im leichten, offenen Boot diese übelbeleumdete Strecke durchsegelt, ganz gewiß nicht mit einer so geringfügigen Übung, einer so dilettantisch mangelhaften Kenntnis im Segeln. Ich war überaus vergnügt und fand alles reizvoll, unterhaltend. Prächtig zog sich die schwere dunkle Balkenbrücke über den Fluß, um mich glitzerte und spritzte es, bei jedem Schlag sprangen silberweiß-hellgrüne, winzige Plötzen in die Luft. Es kam die Schleuse in Sicht, und ich hielt neben einem großen Kahn. Das behäbige Schifferpaar besah mich kopfschüttelnd, sie dankten Gott, daß sie nicht über die Müritz müßten. Auf den Rat des Schleusenmeisters band ich die ,,Formosa“ an diesen Kahn, der Fischer hielt mir eine in der Luft schwebende Eisenleiter, ich kletterte hinauf, ging auf einer Planke über das große, jetzt ausgeleerte Vorderteil, dann vorsichtig auf einer steilen Planke aufs Land hinunter, während der Schleusenmeister meine Habseligkeiten unterbrachte. Den Rucksack auf dem Rücken, wanderte ich darauf nach der Bocker Mühle, in der sich eine Gastwirtschaft befindet. Das Seglerhandbuch nannte den Wirt „unfreundlich“, das würde nicht so schlimm sein, im Notfall konnte ich mich in Decke und Mantel wickeln und in einer Scheune übernachten. Das hatte ich mir ja immer gewünscht.

Der Aufenthalt in der Mühle ist sogar sehr hübsch verlaufen. Ein anziehender Landweg zwischen Eschen und Weiden, am Rand blauer Wegwart, goldgelber Rainfarren, rosa Feldmalven, Brombeer- und Schlohbüschengeranke. Über den Feldern erhob sich die Mühle. Ich betrachtete sie ebenso, wie ich die Balkenbrücke betrachtet hatte, mit wehmütiger Freude. Auf wie lange noch? - Fest ruhte sie auf der Erde, stieg mit braunen Schindelwänden, mit eingelassenen, weißumrahmten Fensterchen auf, der Abschluß des Unterbaues war kornblumenblau, die Haube dunkelbläulichgrün bemalt. Von einem hinkenden Hirten wurde das Vieh vorbeigetrieben.

Am Weg stand der Krug, ein gutes Backsteinhaus mit grauverwittertem Fachwerk, mit weißen Fensterkreuzen und mit grauem Dach, die Gaststube war in jenem wunderschönen Meergrün angestrichen, das man in einfachen Landwohnungen und nur dort findet. Ein junger Soldat mit dem mecklenburgischen Kreuz kam herein und bestellte sich Bier. Er kam aus Rußland, war auf Urlaub, ein bescheiden verlegener Mensch, doch nahm er mit nettem Lächeln die von mir angebotenen Zigaretten entgegen. Im Krug regte alles sich über die Ernte auf, alle waren auf dem Feld, auch hatten sie einige Forstarbeiter erhalten. Rastlos fuhr der dreispännige Leiterwagen hinaus, kehrte schwerbeladen zurück. Gleich nach meinem Kaffee ging ich ebenfalls aufs Feld, half ein bißchen beim Kornladen, las einige Garben zusammen, mit Liebe befühlt man im Kriegssommer das Korn. Dann wanderte ich umher, der Schwager-Förster, von dem ich bereits während des Kaffees gehört hatte, kam mit der Flinte vorbei, wollte ein Wildschwein erlegen. Ich fragte, ob das Fleisch nach Neustrelitz geliefert würde, nein, das brauchte man hier, neben den ständigen Arbeitern hätten sie noch Russen zu verpflegen. Ich wünschte ihm Weidmannsheil, er verschwand im Waldesschatten, nachher hörte ich Schüsse.

Über die Wiesen sprangen Rehe mit langen Sprüngen, an den Kieferstämmen huschten rotbraune Eichkätzchen hinauf, ein Bussard flatterte vorüber. Die Müritzufer lagen unter einer Nebelwand, blutrot versank dort der Sonnenball. Als ich heimkehrte, erklang das dumpfe Gebrüll der Dreschmaschine, für heute war die letzte Fuhre eingefahren, die Leute kehrten zurück. Ich bezog ein ordentliches Zimmer neben der guten Stube, in dieser erhielt ich auf beneidenswertem, handgewebtem Linnen das Abendessen. Unter Glas prangten auf der Kommode sowohl der goldene Hochzeitskranz der Großeltern als der silberne der Eltern, Verwandtenbilder hingen umher.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Deutschland