Volksmärchen aus Pommern und Rügen. Erster Teil.
Autor: Jahn, Ulrich Dr. (1861-1900) Lehrer, Germanist, Volkskundler, Erzählforscher, Sammler von mündlichem Erzählgut und Herausgeber, Erscheinungsjahr: 1891
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Volksmärchen, Pommern, Rügen, Mecklenburg-Vorpommern, Volksmund, Volkstümliches, Landsleute, Märchenerzähler, Märchenerzählerinnen, Helden, Recken, Prinzessinnen, Könige
In der Vorrede zu den „Volkssagen aus Pommern und Rügen *) stellte ich als leitenden Gesichtspunkt auf einmal, meinen Landsleuten ihr Volkstümliches, das dem Ansturm der modernen Kultur kaum lange mehr standhalten dürfte, wenigstens literarisch zu erhalten, dann aber, vornehmlich drin Forscher eine zuverlässige Stoffsammlung für seine Studien zu bieten. Der erste Baustein zu dem geplanten Gebäude war eben jene Sagensammlung. Ein Jahr später konnte ich als Festschrift zur Begrüßung des XVII. Kongresses der deutschen anthropologischen Gesellschaft in Stettin pommerschen Volksbrauch und Glauben hinzufügen, soweit sich dieselben auf Hexenwesen und Zauberei beziehen **). Es folgten reiche, in jeder Beziehung vollständige Sammlungen der Trachten, Hausgeräte und sonstigen Bauernaltertümer aus Mönkgut auf Rügen, aus dem Pyritzer Weizacker und aus der alten friesischen Kolonie Jamund bei Cöslin, Sammlungen, wie sie zur Zeit einzigartig in Deutschland dastehen, bei deren Zusammenbringen jedoch das Hauptverdienst meinem verehrten Freunde Alexander Meyer Cohn, dem Mäzen des neubegründeten Museums für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin ***), zufällt, da er bereitwillig die Mittel zur Verfügung stellte, die Ankäufe in dem von mir für nötig gehaltenen Umfange zu bewerkstelligen. An diese Errungenschaften auf dem Gebiete der handgreiflichen Volkskunde Pommerns schloss sich vor einigen Monaten die Herausgabe der Volksschwänke ****). Heute komme ich mit den Volksmärchen.
*) Volkssagen aus Pommern und Rügen. Gesammelt und herausgegeben von Dr. Ulrich Jahn. Stettin 1886. Dannenberg. XXVIII u. 541 S ; 2. Autl. Berlin 1890. Mayer u. Müller XXVIII u 566 S.
**) Hexenwesen und Zauberei in Pommern. Von Ulrich Jahn. Stettin 1886. Komm. -Verlag von Koebner in Breslau. 196 S. Separatabdruck aus „Baltische Studien" Jahrgang. XXXVI.
***) Die von mir erworbenen pommerschen Sammlungen sind im Museum aufgestellt und dem Publikum zur Besichtigung zugänglich gemacht.
****) Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Von Ulrich Jahn. Mit einem Titelbild von Prof. Ä. Kretschmer. Berlin 1890. Mayer u. Müller. 140 S.
******************************************
*) Volkssagen aus Pommern und Rügen. Gesammelt und herausgegeben von Dr. Ulrich Jahn. Stettin 1886. Dannenberg. XXVIII u. 541 S ; 2. Autl. Berlin 1890. Mayer u. Müller XXVIII u 566 S.
**) Hexenwesen und Zauberei in Pommern. Von Ulrich Jahn. Stettin 1886. Komm. -Verlag von Koebner in Breslau. 196 S. Separatabdruck aus „Baltische Studien" Jahrgang. XXXVI.
***) Die von mir erworbenen pommerschen Sammlungen sind im Museum aufgestellt und dem Publikum zur Besichtigung zugänglich gemacht.
****) Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Von Ulrich Jahn. Mit einem Titelbild von Prof. Ä. Kretschmer. Berlin 1890. Mayer u. Müller. 140 S.
******************************************
Inhaltsverzeichnis
Keine Art des Volkstümlichen ist schwieriger zu sammeln, als gerade diese. Sage und Brauch finden sich überall, wo Volksglaube besteht, der ist aber noch nirgends in Pommern erloschen. Zur Sammlung der Bauernaltertümer gehörte Geschick und ein Beutel voll Geld, und der Erfolg konnte nicht ausbleiben. Wo findet sich aber das Märchen *)?
Zur Beantwortung dieser Frage erlaube ich mir, mit kurzen Worten auf die einzelnen Klassen der Bevölkerung Pommerns einzugehen. Die Unterschiede: Städter und Landvolk, Bürger und Bauern, reich und arm helfen hier wenig; anders steht es mit gebildet und ungebildet. Die Gebildeten — Dickköpfe nennt sie der gemeine Mann und begreift darunter den Edelmann und den Kaufherren, die studierten Leute und die Beamten — tragen fast niemals etwas Volkstümliches in sich, in den weitaus meisten Fällen hassen und verachten sie es sogar, wenn’s nicht gerade Modesache geworden ist oder von oben gewünscht wird, für derlei Dinge zu schwärmen. Und die Herren, denen die Sorge für die geistige Pflege des Volkes anvertraut ist, stehen in der Verachtung des Volkstümlichen, mit andern Worten des wirklich Nationalen, obenan. Es ist eben in Pommern in dem Stücke nicht besser, wie anderswo im deutschen Vaterlande.
Was nun die Ungebildeten betrifft, so sind auch sie für unsere Zwecke nur zum geringen Teile zu gebrauchen. In abergläubischen Vorstellungen, alten Bräuchen und Sitten liefern sie freilich dem Ethnologen allesamt schätzbares Material; aber bezüglich der Volkspoesie, die uns hier allein angeht, müssen wir genau den Kleinbürger und Bauer von dem sogenannten vierten Stande trennen. Der Handwerksmeister in dem kleinen Landstädtchen findet nach des Tages Mühen und Lasten seine geistige Erholung beim Glase Bier in der Zeitung. Auch Bücher liest er gerne, ebenso wie seine Angehörigen, sie dürfen schal und flach und abscheulich geschrieben sein, wenn sie nur dabei ungeheuerlich und wüst sind. Ohne gewaltig reiche Taugenichtse und edelmütige Räuber, ohne Fürsten und Grafen, ohne Mord und Todschlag darf’s nicht abgehen; er ist die Herzensfreude und das rechte Feld des Zeitungs- und Schauerroman-Schriftstellers. Ist der Meister streng kirchlich gesinnt, so genügt ihm gemeinhin, was sein Sonntagsblatt bietet. Ja, er gibt oft beträchtliche Summen aus, um sich auf dem Gebiet eine kleine Bücherei zu verschaffen.
Der Bauer steht, in geistiger Beziehung, noch eine gute Stufe niedriger. Sein ganzes Bestreben ist der Erwerb. Haus und Hof zusammenhalten, das Besitztum vergrößern, guten Viehstand haben, Geld auf Zinsen legen oder bar im Kasten verschließen, dann und wann etwas Tüchtiges drauf gehen lassen, höhere Güter kennt er insgemein nicht. Wenn er überhaupt geistige Bedürfnisse hat, so sind es dieselben, wie die des Kleinbürgers. Die Volkslieder gefallen ihm wohl, aber die Tagelöhner singen sie, darum kann er sie nicht leiden. Das Märchen entspricht nicht den wirklichen Verhältnissen, wie sie sein kalter, nüchterner Verstand begreift, er verachtet es.
*) Ich schließe mich im folgenden an meinen Vortrag „Das Volksmärchen in Pommern", gehalten auf der dreizehnten Jahresversammlung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Stettin Mai 1887, Abgedruckt im Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Jahrgang 1886. Band XII. S. 151— 161.
Nur an der Zote findet er Gefallen, und zotige Geschichten kann man vom reichsten Bauer so gut und in eben solcher Fülle lernen, wie vom ärmsten Arbeitsmann. Sie sind ein hartes Geschlecht die pommerschen Bauern und weicheren Gefühlen kaum zugänglich. Wenn sie sich, was in vielen Gegenden noch das Gewöhnliche ist, mit ganzer Entschiedenheit zum Christentum bekennen, so habe ich sie immer im Verdacht gehabt, und von anderer Seite wird mir diese Beobachtung bestätigt werden, sie tun es nur, um für das unendlich lange ewige Leben sicher zu gehen. Die Anerkennung des höheren Standes der Edelleute und der vornehmen Stadtherren liegt ihnen im Blute, und sie würden ihnen, wenn es darauf ankäme, auch gerne im Himmel die nötige Ehrfurcht bezeugen. Dass aber auch der arme Schlucker in denselben Himmel kommen und mit ihnen gleiche Rechte genießen soll, dass es keinen besonderen Bauernhimmel gibt, können die wenigsten begreifen. Freilich, wie der Bauer im Himmel reden wird, kann ich nicht wissen, aber wie er hier auf Erden spricht, davon ein kleines Beispiel, welches voll und ganz die Verallgemeinerung verträgt:
Sehe ich du ein bildhübsches Kind, so von drei oder vier Jahren, in einem Bauernhof und spreche erfreut: „Das ist ja ein niedliches Kind!" Antwortet die sehr ehrenhafte, ihrer Meinung nach durchaus christliche, steinreiche Bäuerin: „Das soll ein niedliches Kind sein? Das ist ja nur ein Taglöhnersjunge, den habe ich geholt, dass mein Kleiner mit ihm spielen möge.“
So bleibt dem Forscher als Quelle für das Volksmärchen nur der vierte Stand übrig; aber selbst der ist nicht in seiner ganzen Masse zu verwerten. In Abzug zu bringen ist zunächst der Fabrikarbeiter von Beruf und Geburt, der in dem Fabrikorte geboren und erzogen ist. Tot für den Forscher ist ferner der streng kirchlich gesinnte Arbeiter. — Es ist merkwürdig, dass jedes volkstümliche Lied und Märchen von diesen Leuten gescheut wird, wie die Pest. Sie fürchten, dem Teufel anheimzufallen, selbst wenn sie den harmlosen Geschichten nur zuhören. Ein Knecht aus dem Hinterpommerschen, welcher in einer Gegend groß geworden war, wo die alten volkstümlichen Vorstellungen noch l gang und gäbe sind, antwortete nur auf die Frage, ob bei ihm zu Hause die Leute auch noch die wilde Jagd und die Unnerertschken und den Drak kennten, aus tiefster Überzeugung: „Gewiss weiß ich’s; aber sagen werde ich's nie. Nachdem ich den Heiland angezogen habe, spreche ich mit David: Mein Mund hasset die Lügen und redet die Wahrheit.“ Da hilft auch kein Zureden; denn die guten Leute werden in ihrer Verachtung des Volkstümlichen bestärkt durch Prediger und Lehrer, welche die Volkslieder Gassenhauer schelten und von den Märchen erst recht nichts wissen wollen. Wären den Herren die Lieder und Märchen bekannt, sie würden gewiss anderer Meinung sein; so aber verfolgen sie die gute Sache mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Was Wunder, dass die jetzt heranwachsende Generation zum überwiegenden Teile durch die Schule der Volkspoesie entfremdet ist! Es bleiben also im großen und ganzen nur die zum arbeitenden Stande gehörige Landbevölkerung, sowie die Fischer und Matrosen in den mittleren und reiferen Jahren, welche uns für das Volksmärchen Ausbeute versprechen. — Werden sie sich ihrer offen vor aller Welt der herrlichen Schätze freuen, die sich in ihrer Hut befinden? Der Herr Pastor würde tadeln, der Herr Schulmeister höhnen, der Bauer verachten, der Städter lachen und spotten; darum hört man die Märchen auch nur, wenn die sonst so lebens- und mitteilungslustigen Leutchen ganz unter sich sind oder mit harmlosen Kindern plaudern. Sonst befleißigen sie sich einer ängstlichen Zurückhaltung.
Damit muss der Forscher rechnen. Er muss ins Volk gehen, er muss sich mit ihm zu verquicken verstehen, seine Sprache, seine Sitten, seine Gewohnheiten, seine Anschauungen anzunehmen wissen, er muss es durchsetzen, dass die Leute in ihm einen der Ihrigen erblicken. Und wenn er dann außerdem zur rechten Zeit den Groschen zu Schluck, den Dreier für Tabak und die Handvoll Zigarren nicht spart, wenn ihn das Glück mit den rechten Leuten zusammen führt, so ist sein Erfolg sicher. Es kostet freilich Jahre mühevoller Arbeit, zu dem ersehnten Ziele zu gelangen; aber die Mühe belohnt sich in überreichlichem Maße. Mir ist's gelungen, in Pommern direkt aus Volkes Mund ein nicht minder großes Märchenmaterial zusammen zu bringen, als die Gebrüder Grimm in ganz Deutschland aus mündlichen und schriftlichen Quellen geschöpft haben. Doch von den Märchen selbst später, bleiben wir noch ein wenig bei den Leuten, welche das Märchen hegen und pflegen.
Sie allesamt sind darin einig, dass sie ihre Märchen lieben und wert halten; aber die große Mehrzahl ist, wie der gemeine Mann sich ausdrückt, nicht gut behullig. Sie können nicht wiedergeben, was sie gehört haben, und wissen kaum einige Züge, und auch diese nur verschwommen, nachzuerzählen. Um so bereitwilliger preisen sie die größere Behulligkeit eines guten Freundes oder Gevatters an, der dann auch, wenn man ihn richtig zu nehmen versteht, die paar Märchen, welche er kennt, zum besten gibt. Ist er fertig damit, so spricht er wohl sein Bedauern darüber aus, nicht mehr zu wissen: „Ja, wenn ich behulliger wäre!", und dann vereinigen sich der nicht Behullige und der etwas Behullige, die Vorzüge irgend eines Mannes zu schildern, der wohl ganze vier Wochen lang Tag und Nacht erzählen könnte und doch kein Ende finden würde. Anfangs glaubte ich nicht recht an die Wahrheit dieser Reden; als ich sie aber immer wieder und wieder hören musste, in welche Gegenden ich auch kam, so begann ich Jagd zu machen auf diese Wundermänner. Lange gelang es mir nicht, irgend eines von ihnen habhaft zu werden — entweder sie waren schon gestorben oder ausgewandert in die neue Welt — ; aber wer sucht, der findet auch, und jetzt birgt meine Sammlung die Schätze der vorzüglichsten Märchenerzähler aus den verschiedenen Teilen des Pommernlandes.
Inhalt.
00. Einleitung
01. Das Goldspinnen
02. Der Jäger und der Sohn des Zwergkönigs
03. Das Paradies
04. De Königin un de Pogg’
06. Die Königstochter und die Schorfkröte
07. Von der wunderschönen Prinzess, verwünscht im wilden Meer in der Steinklippe
08. Die drei Raben
09. Der Schlüssel
10. Das Patenkind des Todes
11. Hadelum — pum — pum
12. Vom Königssohn, der noch zu jung zum Heiraten sein sollte
13. Hans Wunderlich
14. Hans Hildebrand der Pastor
15. Glück und Verstand
16. Hans, der Grafensohn, und die schwarze Prinzessin
17. Der starke Jochem
18. Das Wolfskind
19. Das Männchen Sonderbar
20. Der gehörnte Siegfried
21. Der Bärensohn
22. Eine lügenhafte Geschichte
23. Der alte Fritz und der Bauerjunge
24. Alten-Sattel
25. Der Bauer, der Edelmann und der alte Fritz
26. Der Hühnerhund
27. Der alte Fritz und der Pastor
28. Dor alte Fritz und der Student
29. Der seltsame Traum
30. Der alte Fritz und der Besenbinder
31. Der alte Fritz und der Husar
32. Der Pilger
33. Wie aus einem Schweinehirten ein König ward
34. Der Schiffer und die drei Königstöchter von Engelland
35. Die Mädchen im Pfluge
36. Die zwölf Riesen
37. Die beiden Fürstenkinder
38. Der Kater Johann
39. Die beiden feindlichen Könige
40. Die Cholerakinder
41. Duurn’nroesken
42. Dei Fischerr un syne Fruu
43. Wie Dunnnhans für ein Gerstenkorn ein Königreich bekam
44. Das Märchen vom Himphamp
45. Der Teufel und der Drescher
46. Der lederne Mann
47. Schmied Siegfried und der Teufel
48. Sankt Peter und der Schmied
49. Schmied Günther
50. Das Nüllingkücken
51. Der Tabak
52. Die russische Finctee und die russische Galathee
53. Der Meisterdieb
54. Die Maränen
55. Die Königin von Tiefenthal
50. Die Königin von Siebenbürgen
57. Das Schloss der goldenen Sonne
58. Das Wunderbuch
59. Der Zauberring und das Zauberschloss
60. Der weiße Wolf
61. Der schwarze Frosch
62. Der Kaufmann und die Seejungfrau
Anmerkungen und Varianten-Verzeichnis
Zur Beantwortung dieser Frage erlaube ich mir, mit kurzen Worten auf die einzelnen Klassen der Bevölkerung Pommerns einzugehen. Die Unterschiede: Städter und Landvolk, Bürger und Bauern, reich und arm helfen hier wenig; anders steht es mit gebildet und ungebildet. Die Gebildeten — Dickköpfe nennt sie der gemeine Mann und begreift darunter den Edelmann und den Kaufherren, die studierten Leute und die Beamten — tragen fast niemals etwas Volkstümliches in sich, in den weitaus meisten Fällen hassen und verachten sie es sogar, wenn’s nicht gerade Modesache geworden ist oder von oben gewünscht wird, für derlei Dinge zu schwärmen. Und die Herren, denen die Sorge für die geistige Pflege des Volkes anvertraut ist, stehen in der Verachtung des Volkstümlichen, mit andern Worten des wirklich Nationalen, obenan. Es ist eben in Pommern in dem Stücke nicht besser, wie anderswo im deutschen Vaterlande.
Was nun die Ungebildeten betrifft, so sind auch sie für unsere Zwecke nur zum geringen Teile zu gebrauchen. In abergläubischen Vorstellungen, alten Bräuchen und Sitten liefern sie freilich dem Ethnologen allesamt schätzbares Material; aber bezüglich der Volkspoesie, die uns hier allein angeht, müssen wir genau den Kleinbürger und Bauer von dem sogenannten vierten Stande trennen. Der Handwerksmeister in dem kleinen Landstädtchen findet nach des Tages Mühen und Lasten seine geistige Erholung beim Glase Bier in der Zeitung. Auch Bücher liest er gerne, ebenso wie seine Angehörigen, sie dürfen schal und flach und abscheulich geschrieben sein, wenn sie nur dabei ungeheuerlich und wüst sind. Ohne gewaltig reiche Taugenichtse und edelmütige Räuber, ohne Fürsten und Grafen, ohne Mord und Todschlag darf’s nicht abgehen; er ist die Herzensfreude und das rechte Feld des Zeitungs- und Schauerroman-Schriftstellers. Ist der Meister streng kirchlich gesinnt, so genügt ihm gemeinhin, was sein Sonntagsblatt bietet. Ja, er gibt oft beträchtliche Summen aus, um sich auf dem Gebiet eine kleine Bücherei zu verschaffen.
Der Bauer steht, in geistiger Beziehung, noch eine gute Stufe niedriger. Sein ganzes Bestreben ist der Erwerb. Haus und Hof zusammenhalten, das Besitztum vergrößern, guten Viehstand haben, Geld auf Zinsen legen oder bar im Kasten verschließen, dann und wann etwas Tüchtiges drauf gehen lassen, höhere Güter kennt er insgemein nicht. Wenn er überhaupt geistige Bedürfnisse hat, so sind es dieselben, wie die des Kleinbürgers. Die Volkslieder gefallen ihm wohl, aber die Tagelöhner singen sie, darum kann er sie nicht leiden. Das Märchen entspricht nicht den wirklichen Verhältnissen, wie sie sein kalter, nüchterner Verstand begreift, er verachtet es.
*) Ich schließe mich im folgenden an meinen Vortrag „Das Volksmärchen in Pommern", gehalten auf der dreizehnten Jahresversammlung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Stettin Mai 1887, Abgedruckt im Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Jahrgang 1886. Band XII. S. 151— 161.
Nur an der Zote findet er Gefallen, und zotige Geschichten kann man vom reichsten Bauer so gut und in eben solcher Fülle lernen, wie vom ärmsten Arbeitsmann. Sie sind ein hartes Geschlecht die pommerschen Bauern und weicheren Gefühlen kaum zugänglich. Wenn sie sich, was in vielen Gegenden noch das Gewöhnliche ist, mit ganzer Entschiedenheit zum Christentum bekennen, so habe ich sie immer im Verdacht gehabt, und von anderer Seite wird mir diese Beobachtung bestätigt werden, sie tun es nur, um für das unendlich lange ewige Leben sicher zu gehen. Die Anerkennung des höheren Standes der Edelleute und der vornehmen Stadtherren liegt ihnen im Blute, und sie würden ihnen, wenn es darauf ankäme, auch gerne im Himmel die nötige Ehrfurcht bezeugen. Dass aber auch der arme Schlucker in denselben Himmel kommen und mit ihnen gleiche Rechte genießen soll, dass es keinen besonderen Bauernhimmel gibt, können die wenigsten begreifen. Freilich, wie der Bauer im Himmel reden wird, kann ich nicht wissen, aber wie er hier auf Erden spricht, davon ein kleines Beispiel, welches voll und ganz die Verallgemeinerung verträgt:
Sehe ich du ein bildhübsches Kind, so von drei oder vier Jahren, in einem Bauernhof und spreche erfreut: „Das ist ja ein niedliches Kind!" Antwortet die sehr ehrenhafte, ihrer Meinung nach durchaus christliche, steinreiche Bäuerin: „Das soll ein niedliches Kind sein? Das ist ja nur ein Taglöhnersjunge, den habe ich geholt, dass mein Kleiner mit ihm spielen möge.“
So bleibt dem Forscher als Quelle für das Volksmärchen nur der vierte Stand übrig; aber selbst der ist nicht in seiner ganzen Masse zu verwerten. In Abzug zu bringen ist zunächst der Fabrikarbeiter von Beruf und Geburt, der in dem Fabrikorte geboren und erzogen ist. Tot für den Forscher ist ferner der streng kirchlich gesinnte Arbeiter. — Es ist merkwürdig, dass jedes volkstümliche Lied und Märchen von diesen Leuten gescheut wird, wie die Pest. Sie fürchten, dem Teufel anheimzufallen, selbst wenn sie den harmlosen Geschichten nur zuhören. Ein Knecht aus dem Hinterpommerschen, welcher in einer Gegend groß geworden war, wo die alten volkstümlichen Vorstellungen noch l gang und gäbe sind, antwortete nur auf die Frage, ob bei ihm zu Hause die Leute auch noch die wilde Jagd und die Unnerertschken und den Drak kennten, aus tiefster Überzeugung: „Gewiss weiß ich’s; aber sagen werde ich's nie. Nachdem ich den Heiland angezogen habe, spreche ich mit David: Mein Mund hasset die Lügen und redet die Wahrheit.“ Da hilft auch kein Zureden; denn die guten Leute werden in ihrer Verachtung des Volkstümlichen bestärkt durch Prediger und Lehrer, welche die Volkslieder Gassenhauer schelten und von den Märchen erst recht nichts wissen wollen. Wären den Herren die Lieder und Märchen bekannt, sie würden gewiss anderer Meinung sein; so aber verfolgen sie die gute Sache mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Was Wunder, dass die jetzt heranwachsende Generation zum überwiegenden Teile durch die Schule der Volkspoesie entfremdet ist! Es bleiben also im großen und ganzen nur die zum arbeitenden Stande gehörige Landbevölkerung, sowie die Fischer und Matrosen in den mittleren und reiferen Jahren, welche uns für das Volksmärchen Ausbeute versprechen. — Werden sie sich ihrer offen vor aller Welt der herrlichen Schätze freuen, die sich in ihrer Hut befinden? Der Herr Pastor würde tadeln, der Herr Schulmeister höhnen, der Bauer verachten, der Städter lachen und spotten; darum hört man die Märchen auch nur, wenn die sonst so lebens- und mitteilungslustigen Leutchen ganz unter sich sind oder mit harmlosen Kindern plaudern. Sonst befleißigen sie sich einer ängstlichen Zurückhaltung.
Damit muss der Forscher rechnen. Er muss ins Volk gehen, er muss sich mit ihm zu verquicken verstehen, seine Sprache, seine Sitten, seine Gewohnheiten, seine Anschauungen anzunehmen wissen, er muss es durchsetzen, dass die Leute in ihm einen der Ihrigen erblicken. Und wenn er dann außerdem zur rechten Zeit den Groschen zu Schluck, den Dreier für Tabak und die Handvoll Zigarren nicht spart, wenn ihn das Glück mit den rechten Leuten zusammen führt, so ist sein Erfolg sicher. Es kostet freilich Jahre mühevoller Arbeit, zu dem ersehnten Ziele zu gelangen; aber die Mühe belohnt sich in überreichlichem Maße. Mir ist's gelungen, in Pommern direkt aus Volkes Mund ein nicht minder großes Märchenmaterial zusammen zu bringen, als die Gebrüder Grimm in ganz Deutschland aus mündlichen und schriftlichen Quellen geschöpft haben. Doch von den Märchen selbst später, bleiben wir noch ein wenig bei den Leuten, welche das Märchen hegen und pflegen.
Sie allesamt sind darin einig, dass sie ihre Märchen lieben und wert halten; aber die große Mehrzahl ist, wie der gemeine Mann sich ausdrückt, nicht gut behullig. Sie können nicht wiedergeben, was sie gehört haben, und wissen kaum einige Züge, und auch diese nur verschwommen, nachzuerzählen. Um so bereitwilliger preisen sie die größere Behulligkeit eines guten Freundes oder Gevatters an, der dann auch, wenn man ihn richtig zu nehmen versteht, die paar Märchen, welche er kennt, zum besten gibt. Ist er fertig damit, so spricht er wohl sein Bedauern darüber aus, nicht mehr zu wissen: „Ja, wenn ich behulliger wäre!", und dann vereinigen sich der nicht Behullige und der etwas Behullige, die Vorzüge irgend eines Mannes zu schildern, der wohl ganze vier Wochen lang Tag und Nacht erzählen könnte und doch kein Ende finden würde. Anfangs glaubte ich nicht recht an die Wahrheit dieser Reden; als ich sie aber immer wieder und wieder hören musste, in welche Gegenden ich auch kam, so begann ich Jagd zu machen auf diese Wundermänner. Lange gelang es mir nicht, irgend eines von ihnen habhaft zu werden — entweder sie waren schon gestorben oder ausgewandert in die neue Welt — ; aber wer sucht, der findet auch, und jetzt birgt meine Sammlung die Schätze der vorzüglichsten Märchenerzähler aus den verschiedenen Teilen des Pommernlandes.
Inhalt.
00. Einleitung
01. Das Goldspinnen
02. Der Jäger und der Sohn des Zwergkönigs
03. Das Paradies
04. De Königin un de Pogg’
06. Die Königstochter und die Schorfkröte
07. Von der wunderschönen Prinzess, verwünscht im wilden Meer in der Steinklippe
08. Die drei Raben
09. Der Schlüssel
10. Das Patenkind des Todes
11. Hadelum — pum — pum
12. Vom Königssohn, der noch zu jung zum Heiraten sein sollte
13. Hans Wunderlich
14. Hans Hildebrand der Pastor
15. Glück und Verstand
16. Hans, der Grafensohn, und die schwarze Prinzessin
17. Der starke Jochem
18. Das Wolfskind
19. Das Männchen Sonderbar
20. Der gehörnte Siegfried
21. Der Bärensohn
22. Eine lügenhafte Geschichte
23. Der alte Fritz und der Bauerjunge
24. Alten-Sattel
25. Der Bauer, der Edelmann und der alte Fritz
26. Der Hühnerhund
27. Der alte Fritz und der Pastor
28. Dor alte Fritz und der Student
29. Der seltsame Traum
30. Der alte Fritz und der Besenbinder
31. Der alte Fritz und der Husar
32. Der Pilger
33. Wie aus einem Schweinehirten ein König ward
34. Der Schiffer und die drei Königstöchter von Engelland
35. Die Mädchen im Pfluge
36. Die zwölf Riesen
37. Die beiden Fürstenkinder
38. Der Kater Johann
39. Die beiden feindlichen Könige
40. Die Cholerakinder
41. Duurn’nroesken
42. Dei Fischerr un syne Fruu
43. Wie Dunnnhans für ein Gerstenkorn ein Königreich bekam
44. Das Märchen vom Himphamp
45. Der Teufel und der Drescher
46. Der lederne Mann
47. Schmied Siegfried und der Teufel
48. Sankt Peter und der Schmied
49. Schmied Günther
50. Das Nüllingkücken
51. Der Tabak
52. Die russische Finctee und die russische Galathee
53. Der Meisterdieb
54. Die Maränen
55. Die Königin von Tiefenthal
50. Die Königin von Siebenbürgen
57. Das Schloss der goldenen Sonne
58. Das Wunderbuch
59. Der Zauberring und das Zauberschloss
60. Der weiße Wolf
61. Der schwarze Frosch
62. Der Kaufmann und die Seejungfrau
Anmerkungen und Varianten-Verzeichnis
Brüder Wilhelm (1786-1859) und Jacob Grimm (1785-1863)
Bauer aus Pommern
Mönchguter Bäuerin
Mönchguter Bauer
Mönchguter Bräutigam
Mönchguter Braut
Mönchguter Fischer
Mönchguter Fischerin
Mönchguter Fischerpaar
Pommerische Bauernfrau
Pommerischer Hochzeitsbitter
Pommerscher Landmann
Putbus auf Rügen, Schloss mit Schwanenteich
Putbus auf Rügen Schloss
Ostseebad, Misdroy
Rostock Bauer (3)
Rostock Bürgerfrau
Rügen Bauer (2)
Rügen Bauer
Rügen Bauernfrau in Trauerkleidung