Ueber die europäischen sozialen Zustände mit Beziehung auf die gegenwärtigen Schleswig-Holsteinischen Verhältnisse zu Dänemark

zwei Vorträge gehalten im Altonaer Bürger-Verein 1846/1848
Autor: Schmidt, J. L. (?) Ehrenmitglied der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe, Erscheinungsjahr: 1848
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Revolution, Frankreich, Soziale Verhältnisse, Gesitlichkeit, Adel
Vor der Revolution, am Ende des vorigen Jahrhunderts, war in Frankreich der korrupte Zustand der sozialen Verhältnisse höchst merkwürdig, und eine der wichtigsten Rollen spielte dabei die Geistlichkeit, denn sie hatte sich das Recht angemaßt, den menschlichen Geist in enge Grenzen zu bannen, und ihn nach Willkür zu leiten. — Der innere Frieden des Menschen hing von der Clerisei ab, indem diese die beruhigende Absolution nach Belieben erteilte oder verweigerte. — Die menschliche Seele stand unter Botmäßigkeit des Priesters, der sie ewig verdammen oder ewig selig machen konnte. Indem nun so die Hierarchie die ewigen Güter nach Gunst verteilte, vergaß sie auch nicht, einen großen Teil der irdischen sich selber anzueignen, um herrlich und in Freuden zu leben.
    Der Mensch und dessen gesellschaftliche Verhältnisse, gehalten im Februar 1848
Geschichtlicher Vortrag, gehalten im Dezember 1846.

Eine bedeutende Rolle spielte auch der Adel, der sich große Vorrechte angemaßt hatte. Ungeheure Reichtümer waren in dessen Besitz, und die ersten und einträglichsten Staatsämter fielen ihm ausschließlich anheim; jede hochadelige Familie glaubte ihr Wohlleben für ewige Zeiten begründet zu haben. Welchem Fache sich das Glied einer solchen Familie auch widmete: es eröffnete sich ihm die glänzendste Laufbahn. Erwählte der Sohn den Militärstand, so wurde derselbe der Protektion eines Onkels, der General oder Marschall war, empfohlen; widmete er sich dem Seedienste, so fand sich ein ihm nahe verwandter Admiral als Beförderer; wählte er den geistlichen Stand, so half ein Bischof als Verwandter aus.

Die Hoffeste und die des Adels waren höchst glänzend. Gehen wir etwas näher auf die Lebensweise des hohen Adels ein, so stellt es sich heraus, dass der sinnliche Lebensgenuss bei ihm gänzlich vorherrschte. Die Tafel war luxuriös und das Küchenpersonal bedeutend. Sobald der Morgen graute, lag es dem untergeordneten Teile desselben ob, große Massen Fleisches gehörig auszukochen, die kraftlosen Fleischteile gab man den Hunden und den Überrest den Armen. Sobald nun die Fleischbrühe bis zu einer kraftvollen Konsistenz eingekocht war, verwandte das höhere Küchenpersonal dieselbe zu Gemüsen, Ragouts, Braten, Pasteten und anderen Gerichten. Die edle Kochkunst stand so hoch, dass eine Omelette zum Preise von 20 Ld'or bereitet wurde. Auf die Frage: wie solches möglich? diene als Antwort: man nahm dazu die Eier eines kleinen Vogels, der zu dem Geschlechte der Kibitze gehört, feine Gewürze, die nur selten aus China kamen, und den Rest berechnete sich der Koch. Manche der vornehmen Herren, wenn sie eine recht gesegnete Mahlzeit getan, schliefen dann auch gut; andere aber konsumierten die Kraft so nahrhafter Speisen im tollsten Übermut. Die skandalöse Chronik jener Zeit berichtet von dem Leben am Hofe und des hohen Adels nicht erbauliche Geschichten; dass die Noblesse sich sonderlich um das Wohl ihrer Mitmenschen kümmerte, kann ihr wahrlich nicht nachgerühmt werden. Auch die Geistlichkeit verachtete die leibliche Pflege durchaus nicht. Überschauen wir die Gerichte auf der Tafel eines hohen Geistlichen, so finden wir selbst zur Fastenzeit, wo durchaus keine Fleischspeisen serviert werden durften, eine große Auswahl, überraschend war es, dass an einem solchen Fasttage ein mächtiger Schinken aufgetragen wurde.

Doch beruhigen wir uns: der humoristische Koch hat sich nur einen Scherz erlaubt, denn unter der natürlichen Hülle des Schinkens befanden sich schichtweise rötlicher Lachs und zarte Forellen. Aber jener Hecht ist nicht so harmloser Natur, denn er birgt eine farce, ein haché, die der Koch aus dem Fleische von Fasanen bereitete, die jedoch in aller Unschuld für Fisch verspeist werden, und wenn neben Austern und anderen Fleischarten in künstlicher Fischgestalt und überdies viele Gerichte, mit der kräftigsten Fleischbrühe bereitet, serviert wurden, wobei die köstlichsten Weine in reicher Fülle flössen, so konnten sich die heiligen Männer auch in der Fastenzeit schon behelfen. War diese aber glücklich überstanden, dann fühlte der Koch freilich Gewissensbisse, beichtete, wie er, um Se. Eminenz zum Heile der Welt zu erhalten, den Speisen etwas Stärkendes beigefügt habe; erhielt die erbetene Absolution, und so kam alles wieder in gehörige Ordnung. Die edelsten Produkte der Natur und was nur irgend die sinnlichen Begierden zu reizen und zu befriedigen vermochte, eignete die Genusssucht der Priester sich an. Aber auch der Hof, der Adel und die Beamtenwelt schwelgten in einem solchen Übermut, dass so viel immer auch das gesegnete Frankreich produzierte, dennoch die große Volksklasse bittern Mangel leiden musste. Wenn eine mit ihren Kindern hungernde Mutter die Hände zum Himmel erhob, flehend um ein wenig Brod, und sie dann wahrnahm, wie die gesegneten Felder, mit goldenen Garben prangend, die Liebe Gottes verkündeten: so gehörte dieses Alles ja allein dem gnädigen Herrn. Oder wenn die unschuldigen Kleinen sehnsüchtig die gereifte, lieblich winkende Frucht auf gebeugten Ästen anschauten, so wehrte ihnen ein verschlossener Klostergarten den Genuss, und wenn der, von saurer Arbeit ermüdete Vater bei seiner Wassersuppe das Salz entbehrte, so lag der Salzquell vielleicht nicht fern; aber ein großes Verbrechen wäre es gewesen, daraus zu schöpfen, und es wurde mit der Galeere bestraft, denn nur von der Regie durfte das hochversteuerte Salz gekauft werden, und die Armen mussten ihre magere Kost ohne Salz genießen. Im herben Winter, wo die Armen vor Frost bebten, bot der nahe Wald zwar Feuerung in Menge, und die Voreltern hatten sich daraus ihren Holzbedarf frei entnommen; jetzt aber wäre so etwas strafwürdiger Diebstahl gewesen, denn es war der Wald ja zur Königlichen Domäne erklärt. Somit zeigte sich denn auf der einen Seite die üppigste Verschwendung, Übermut und lukullische Genusssucht; auf der andern aber bittere Armut, Mangel, Verzweiflung und der goldene Mittelstand war ohne Bedeutung. Das Volk begann endlich darüber nachzudenken, ob es naturgemäß, ob es Recht sei, dass Millionen in Dürftigkeit leben müssten, damit einige Bevorrechtigte schwelgen könnten, und empfing Aufklärung über die natürlichen Rechte der Gesellschaft, namentlich durch Rousseau, und eine freiere, geistige Richtung durch Voltaire.

So sehr sich nun auch die Machthaber bemühten, dergleichen Ideen niederzudrücken, so brachen dieselben sich dennoch Bahn und fanden auf der ganzen Erde Anklang, denn die Menschenfreunde hofften, es würde dadurch besser werden. — Das Bürgertum war tief gesunken; die große Masse, durch den unwürdigen Druck der privilegierten Kasten zu sehr demoralisiert und diese in ihren Anmaßungen zu sicher geworden, um die verrosteten Zustände auf dem Wege einer milden, vernünftigen Reform umzugestalten. Die rohe Masse suchte einen Ausweg durch die Gewalt. Die Ausbrüche einer regellosen Volkswut waren schaudererregend, alle Ordnung ward über den Haufen geworfen; man sah Leben und Eigentum der schnödesten Willkür preisgegeben, und im Namen der Freiheit und Gleichheit wurde ringsum gemordet und geplündert. In diesem Zustande einer allgemeinen Angst, wo man sich nach gesetzlicher Ordnung zurück sehnte, überschritten, um solche wieder herzustellen, deutsche Armeen Frankreichs Grenzen. Von einem Teil der Franzosen unterstützt, rückten sie siegreich vor; indem sie aber das eroberte Land als ihr Eigentum betrachteten, brachten sie die ganze Nation gegen sich auf, und wurden nun überall geschlagen. Es würde zu weit führen, die blutbefleckten Blätter der Revolutions-Geschichte zu verfolgen; da jedoch die Vergangenheit eine natürliche Lehrerin der Gegenwart ist, so möge Einiges auf unsere eigenen Verhältnisse Anwendung finden.

Zuvörderst sei erwähnt, dass, obgleich die Anarchie im damaligen Frankreich den höchsten Gipfel erreicht hatte, und der besonnene Teil der Nation den Frieden herbei sehnte, dieser dennoch nicht auf Kosten der Nationalität erlangt werden konnte; vielmehr waren die Franzosen entschlossen, Alles in die Wage zu legen, ehe sie auch nur eine Scholle ihres Landes unter fremde Herrschaft gäben; und solchem Vorbilde folgend, wird auch Schleswig-Holstein stets seine Nationalität zu behaupten wissen. — Wenn uns indes die Geschichte lehrt, dass die Verschwendung an den vormaligen französischen Höfen das Volk in Armut und Elend stürzte, so findet solches auf unsere Verhältnisse durchaus keine Anwendung. Es muss vielmehr mit ehrender Anerkennung gesagt werden, dass unser Herrscherpaar den fürstlichen Haushalt mit weiser Sparsamkeit, einfach und dennoch würdig führt. Haben wir gesehen, wohin die Aufhebung der gesetzlichen Ordnung unter dem Volke, wohin Anarchie führt, so wollen wir auch aus der Geschichte nachweisen, welche Folgen daraus entstehen, wenn die zwischen Fürst und Volk geschlossenen heiligen Verträge von oben her gebrochen werden.

Schlagen wir das Geschichtsbuch auf, so finden wir fast auf jeder Seite Gesalbte des Herrn, die ganze Völkerschaften in tiefes Elend brachten. Die Römer verlebten ihre glücklichen Tage zu den Zeiten, wo ihre Gesetze streng aufrecht gehalten wurden, und die Freiheit nur auf Gesetzlichkeit basiert war. Sobald ihre republikanischen Konsuls die Souveränität an sich rissen, war es mit der Volksfreiheit vorbei, denn es lebte fortan nicht mehr Einer für Alle, sondern Alle waren das willkürliche Eigentum eines Einzelnen. Mit welchen Schandtaten aber befleckten sich nicht die Konsuls sowohl, wie die späteren Kaiser! welche Ungerechtigkeiten, welche Grausamkeiten übten sie aus! — Ähnliche Erscheinungen finden wir auch bei den morgenländischen Fürsten, deren Handlungen, durch keine Gesetze geregelt und beschränkt, zu den empörendsten Manien der Grausamkeit ausarteten. So hatte es sich ein marokkanischer Kaiser zur Gewohnheit gemacht, dass er, beim Besteigen seines Pferdes, jedes mal den Säbel zog, und dem, der des Pferdes Zügel hielt, den Kopf abschlug. In allen Ländern aber führt uns die Geschichte ähnliche, aus fürstlicher Willkürherrschaft entsprungene, Szenen der entsetzlichsten Barbarei vor. —

Gewiss wäre es sehr beruhigend, wenn die Menschheit zu einem so gesitteten Zustande gelangte, dass der Alleinherrscher als ein Muster von Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe dastände, und in diesem Sinne gegen seine Untertanen handelte.

Da aber auch der beste, der ausgezeichnetste Mensch seine Schwächen hat, die ihn veranlassen, zu fehlen und in Irrtümer zu fallen, so ist Alleinherrschaft keinem Erdensohne zuträglich, vielmehr scheint es der schwachen menschlichen Natur angemessener, unter dem Beistande und dem Rate einsichtsvoller Männer zu regieren, weshalb denn auch die Blicke der Menschenfreunde den konstitutionellen Staaten zugekehrt sind, wo gesetzliche Freiheit allen Völkern auf der Bahn zu einem gebesserten Zustande voranleuchtet. — Können wir demnach das wahre Völkerheil nur von der Regierung konstitutioneller Fürsten erwarten, so muss auch dahin gestrebt werden, dass diese die absoluten Fürsten an Hoheit überragen. — Das Band, welches den konstitutionellen Fürsten mit den Völkern verbindet, muss das heiligste sein, und beide müssen in schönstem Vereine für das Große und Gute gegen alles Übel in die Schranken treten. — Gleich wie ein schöner Baum durch eine prachtvolle Krone geziert wird, also sei auch ein konstitutioneller Fürst die höchste Zierde der Nation; sein Thron muss am herrlichsten prangen und für alle Zeiten fest und gesichert dastehen. — Ist nun Deutschland ein aus vielen einzelnen Teilen zusammengesetzter Staatskörper, so ist auch zu wünschen, dass denselben ein Geist, ein Grundprinzip belebe, wodurch jedem konstitutionellen Fürsten der Thron, der Nation die Nationalität verbürgt wird. Das Gefühl für Nationalität erwacht immer mächtiger in Deutschland; das Bürgertum begreift den Ernst der Zeit und erfasst ihre vornehmsten Fragen mit mächtiger Hand.

Auch in unserm Bürgerverein ist ein Geist des freisinnigen Fortschritts erwacht, der in ganz Deutschland geehrt wird. Wir fühlen tiefen Schmerz bei der Kunde, dass auch die letzten Trümmer von Nationalität eines Volkes immer mehr verschwinden, welchem einstmals Deutschland in größter Not seine Rettung verdankte. Und wiederum nimmt ganz Deutschland an dem, was unser Land mit Sorgen erfüllt, den aufrichtigsten Anteil. Wir haben einen Fürsten, der persönlich nur das Gute will, und möge der Allgütige Christian den Achten noch recht lange zum Segen des Landes erhalten; möge sich Alles zum Guten gestalten, und es nie dahin kommen, dass fremde Fürsten uns ihren Schutz aufdringen. — Haben wir es doch erst in neuester Zeit erlebt, was es bedeutet, eine Nation schützen; eben so wenig auch kann es uns frommen, wenn eine eroberungssüchtige Macht Dänemark schützt, wie eine Beute, und Schleswig-Holstein wie der Adler die Tauben.

Es waltet hier in unserm Bürgervereine ein so liberaler Geist, dass Jeder seine Ansicht frei aussprechen kann; darum sei gesagt, dass es wünschenswert wäre, wenn das Missverhältnis zwischen Dänemark und den Herzogtümern ausgeglichen würde. Es müsste dieses jedoch auf eine ehrenvolle Art und nach strengen Grundsätzen der Gerechtigkeit geschehen.

Befände ich mich in Kopenhagen, so würde ich mich offen gegen die Anmaßung der Dänen erklären; hier aber ziehe ich es vor, die guten Seiten dieser Nation zu beleuchten. Wenn gleichwohl, wie gewöhnlich alle Insulaner, nicht frei von Selbstüberschätzung — so glühen sie doch von Liebe für ihr Vaterland; eine Tugend, die wir ehren müssen. Sie huldigen dem Fortschritt und einer freien Verfassung, in welcher Hinsicht sie also mit uns sympathisieren. Ihr Land ist von der Natur für Handel und Schifffahrt begünstigt, so dass diese Länder gegenseitig ihren Wohlstand heben könnten. Darum noch einmal sei es gesagt, ist es wünschenswert und die heiligste Aufgabe jedes patriotischen Strebens, eine auf Ehre und Gerechtigkeit basierte Ausgleichung herbeizuführen. Wie nun fast alles Große und Gute jetzt durch Gegenseitigkeit und vereintes Wirken der Völker erstrebt wird: also sollten auch für diesen erhabenen Zweck Männer aus Holstein, Schleswig, Lauenburg und Dänemark zusammentreten, damit diese die Mittel zur Versöhnung einträchtig berieten, und das Resultat dann dem Fürsten vorlegten, der sicher eben so sehr wie wir die Versöhnung herbeiwünscht, und wohlwollende Rathschläge nicht verwerfen wird. — Dahin zu wirken, das meine Herren, dünkt mich, ist eine Aufgabe, würdig unsers Bürgervereins, damit wir sagen können:

Lass't, Völker all', uns Hand in Hand
Den Weg der Freiheit gehn;
Dann wird ein großes Vaterland
Die Menschheit glücklich sehn.