Ueber die agrarischen Zustände in Mecklenburg-Schwerin
Zwei Vorträge gehalten am 14. September 1859 und 10. September 1860 auf den volkswirtschaftlichen Kongressen zu Frankfurt a. M. und Köln
Autor: Wiggers, Moritz Carl Georg (1816-1894) deutscher Jurist und Politiker, Erscheinungsjahr: 1861
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburger Ritterschaft, Agrar-Gesetzgebung, Moritz Wiggers, Grundbesitz, Mecklenburger Verhältnisse, Sittenbild, Grundeigentum, Bauernlegen, Leibeigenschaft, Auswanderung, Landstände
Ich beabsichtige, meine Herren, nachdem Sie mir die Erlaubnis erteilt und ich von Ihrer Deputation dazu aufgefordert bin, Ihnen über die Verteilungsverhältnisse des Grundbesitzes in Mecklenburg, über die dortige agrarische Gesetzgebung und die Wirkung derselben einen kurzen Bericht abzustatten. Derselbe soll, Ihrer Intention gemäß, nur zur Vorbereitung für weitere und auf die Frage tiefer eingehende Beratungen auf dem nächsten Kongress dienen. Ich rede hier von Mecklenburg-Schwerin und will von Mecklenburg-Strelitz nur bemerken, dass die wirtschaftlichen Zustände dieses Landesteils denen von Schwerin sehr ähnlich sind.
Das allgemeine Bild, welches ich Ihnen entwerfe, wird, so hoffe ich, nicht ohne Interesse für Sie sein, da die ländlichen Verhältnisse in meinem engern Vaterlande höchst eigentümlicher Art sind und sonst nirgends in der Welt mehr existieren. Wir haben auf der einen Seite einen kolossalen geschlossenen und unabhängigen Grundbesitz, der sich in den Händen weniger, mit großen Vorrechten ausgerüsteter Eigentümer befindet, auf der andern Seite einen nicht minder beträchtlichen abhängigen und in kleinere Teile zerlegten Grundbesitz, dessen Eigentümer der Landesherr ist. Man kann deshalb auch bei uns keine Parallele zwischen einem großen und kleinen Grundeigentum ziehen und die Erträge eines jeden nicht mit einander vergleichen, indem es bei uns nur ausnahmsweise einen kleinen freien Grundbesitz gibt. Aber bei der späteren Berichterstattung der von Ihnen ernannten landwirtschaftlichen Kommission über die agrarischen Zustände in den verschiedenen Ländern werden diese Mitteilungen insofern von Interesse sein, als sie Anhaltspunkte für die Begleichung unseres Landes mit denjenigen Ländern, wo die freie Teilbarkeit des Grund und Bodens herrscht, darbieten werden. Man wird daraus auch ersehen, was man von den Redensarten einer gewissen Partei, die unseren volkswirtschaftlichen Bestrebungen gerade nicht sehr hold ist, zu halten hat, wonach Mecklenburg ein Eldorado des Wohlstandes sein müsste. Es hieße in den Fehler unserer Gegner verfallen und sich an Ihrer Intelligenz versündigen, wenn ich mit allgemeinen Phrasen debütieren wollte. Tatsachen und Zahlen sollen reden und Sie in den Stand setzen, sich ein eigenes Urteil über unsere Verhältnisse zu bilden.
Ich bin mit dem Kongresse darin ganz einverstanden, dass seine Beratungen sich möglichst fern von der Politik halten. Da aber unser ganzes wirtschaftliches Leben mit unseren politischen Einrichtungen in innigem Zusammenhange steht, so kann ich nicht umhin, wenn ich Ihnen verständlich werden soll, eine Ausnahme von der Regel zu machen und Ihnen die Grundlagen unserer staatlichen Institutionen in allgemeinen Umrissen vorzuführen.
Mecklenburg ist kein Staat im modernen Sinne des Wortes, der eine staatliche Einheit voraussetzt, sondern ein aus dem Mittelalter her konservierter Patrimonialstaat, der in verschiedene Patrimonialherrschaften zerfällt. Das Land teilt sich in Domanium, Ritterschaft und Städte. Der Landesherr ist als Eigentümer des Domamum der erste Grundbesitzer des Landes und als solcher der Erste unter den Gleichen. Die Ritterschaft ist eine Corporation, welche aus den Besitzern mit Landstandschaftsrechten versehener Güter besteht. Jeder Ritter ist Herr auf seinem Territorium und seine Herrschaft nur soweit beschränkt, als er dieselbe zu Gunsten des Landesherrn im Vertragswege aufgegeben hat. In demselben Verhältnis; stehen die Städte, welche gleichfalls die Landstandschaft haben und zu einer Corporation unter dem Namen Landschaft verbunden sind, zu dem Landesherrn. Ritter- und Landschaft vereinigt bilden die landständische Vertretung. Im Domanium regiert der Großherzog absolut, ohne durch die Landstände in irgend einer Weise beschränkt zu sein., Gesetze, welche die Privilegien der Ritter- und Landschaft berühren, bedürfen der ausdrücklichen Einwilligung derselben. Gesetze, welche „gleichgültig“, jedoch zur Wohlfahrt und zum Vorteil des ganzen Landes diensam sind, erfordern nur das „ratsame Erachten“ der Ritter- und Landschaft.
Dies vorausgeschickt, wende ich mich zu den Verteilungsverhältnissen des Grund und Bodens.
Mecklenburg hat einen Flächeninhalt von 244 Quadrat-Meilen und 542.148 Einwohner. Die Zahl sämtlicher Ortschaften beträgt etwa 2.700, worunter 40 Städte, 8 Flecken, über 1.200 Dörfer und mehr als 1.400 Landgüter mit ihren Pertinenzen.
Die Städte mit ihren Besitzungen haben 27 Q.-M. und 191.553 Einwohner, wovon 177.397 auf die Städte und 14.156 auf ihre Besitzungen fallen.
Die Ritterschaft, ausschließlich der sog. Incamerata— das sind diejenigen Domanialgüter, welche seit dem Jahre 1748 von der Landesherrschaft erworben sind und rücksichtlich ihrer Rechte und Pflichten zu den ritterschaftlichen Gütern gerechnet werden — und ausschließlich der Kloster- und der städtischen und Ökonomie-Güter, enthält 103 Q.-M. mit einer Bevölkerung von 136.405 Seelen,
Das Domanium einschließlich der Incamerata hat zirka 106 Q.-M. mit 205.143 Einwohnern.
Außerdem enthalten die Klostergüter circa 8 Q.-M. mit 9.047 Einwohnern.
Alles Grundeigentum gehört dem Landesherrn, den Mitgliedern der Ritterschaft oder den Städten und Stiftungen, oder, wie die Landesklöster, der Ritterschaft und den Städten.
Nur auf den Feldmarken der Städte existiert außerdem noch Eigenthum am Grund und Boden.
Die Städte, mit Ausschluss der beiden Seestädte, steuern von ihren Feldmarken für 31.479 Morgen Acker à 300 Quadratruthen und 7.771 vier- und 5.023 zweispännige Fuder Heu.
Die ritterschaftlichen Güter steuern nach Hufen. Zwecks der Besteuerung wurden sämtliche ritterschaftlichen Güter vermessen und bonitiert und das Resultat im Jahre 1785 publiziert. Bei der Bonitierung wurden 6 Klassen gemacht von 75 bis 300 Quadratruthen, im Weideland sogar bis 500 Quadratruthen auf den Scheffel Aussaat; 300 Scheffel Aussaat wurden auf die Hufe gerechnet und nachdem im Jahre 1809 die Steuerfreiheit der einen Hälfte der ritterschaftlichen Güter aufhörte, 600 Scheffel auf die Hufe. Durchschnittlich hat eine Hufe 85.000 mecklenburgische Quadratruthen *).
*) Nach den „Beiträgen zur Statistik Mecklenburgs, 1859, Band 1 H. 2 beträgt die durchschnittliche Größe einer ritterschaftlichen Hufe 85.483,37 mecklenburgische Quadratruthen oder 130648,125 preußische Quadratruthen oder 725,81 preußische Morgen à 180 preußische Quadratruten. Die 3.744,934 Hufen nehmen einen Flächenraum von 320.129.562 mecklenburgische Quadratruthen ein.
Die ritterschaftlichen Güter haben 3.744 Hufen, wovon 240 1/2 Hufen, den inkamerierten Gütern, 160 Hufen den 3 Landesklöstern und 178 Hufen den Städten und milden Stiftungen gehören. Von einem Mitgliede des Kongresses ist mir hier zu meinem besten Dank mitgeteilt, dass vor Kurzem in den „Beiträgen zur Statistik Mecklenburgs“ ein überaus interessanter Aufsatz über den Wert unserer ritterschaftlichen Güter erschienen sei, wovon ich noch nicht habe Kenntnis nehmen können. Darnach wird der gegenwärtige Wert der ritterschaftlichen Hufe zu 32.000 Thlr. veranschlagt; der Gesamtwert unserer ritterschaftlichen Güter beträgt also, ausschließlich der Incamerata, 112 Mill. Thlr.
Das Domanium ist vereinbarungsmüßig zu 2.634 Hufen angenommen und repräsentiert mit den inkamerierten Gütern und großen Forsten einen Wert von mindestens 80 Mill. Thlr.
Ein ritterschaftliches Gut, welches Landstandschaftsrecht hat, wird Hauptgut genannt. Wir haben im Ganzen 1.003 Hauptgüter. Davon gehören 67 dem Landesherrn, 84 zwölf geistlichen Stiftungen, 42 siebzehn weltlichen Kommunen und 1 ist heimgefallenes und noch nicht wiederverliehenes Lehen. Die übrigen 809 Güter gehören 622 Gutsbesitzern, unter welchen 2 Fürsten mit 9 Gütern, 29 Grafen mit 73 Gütern, 264 Freiherrn und Herren von Adel mit 353 Gütern, 321 Bürgerliche mit 368 Gütern und 6 Bauerschaften mit 6 Gütern sich befinden. Diese letzteren haben in älteren Zeiten ihre Güter mit den daran haftenden Landstandschaften gekauft.
Von den ritterschaftlichen Gütern sind 619 1/2 Lehngüter und 383 1/2 Allodien. Die Lehngüter sind, mit Ausnahme von 4 Kunkellehen, landesherrliche Mannlehen, sie fallen durch Konkurs aus der Familie, sind veräußerlich und verschuldbar, sofern sie nicht auf den letzten Augen stehen. Erst von der Mitte des vorigen Jahrhunderts datiert sich der Ursprung der Fideicommissgüter. Sie haben sich in neuerer Zeit außerordentlich vermehrt und gegenwärtig gibt es 82 Familienfideicommisse in 50 Lehengutem und 32 Allodien.
Die meisten ritterschaftlichen Güter haben ein Areal Von 2—400,000 Quadratruthen. Es gibt aber auch Güter, welche eine halbe bis eine Quadratmeile groß sind, wogegen einzelne Güter kaum die Größe einer Bauernhufe haben. Bei den adeligen Gutsherren sind vielfach mehrere Güter in Einer Hand. Der Graf Hahn z. B. besitzt 117 Hufen.
Neben diesem, in den Händen Weniger konzentrierten, großen Grundeigentum existiert im Ritterschaftlichen nur ein verhältnismäßig ganz unbedeutender kleiner Grundbesitz, der sich in Händen von Bauern und Erbpächtern befindet. Die Zahl der ritterschaftlichen Bauern und Erbpächter beläuft sich gegenwärtig auf ungefähr 1.200. Die Bauernstellen haben meistens nicht über 5.000 Q.-R. Acker. Nur der fünfzehnte Teil des ritterschaftlichen Grund und Bodens gehört den kleineren Besitzern, während in Hannover der große Grundbesitzer nur den zehnten Teil der Fläche, ausschließlich des Forstgrundes, inne hat. Nur 27 grundbesitzende Familien wohnen durchschnittlich auf der Quadratmeile, während in Hannover 271 solcher Familien auf derselben Fläche wohnen.
Im Domanium gibt es 251 Pachthöfe, 1.268 Erbpachtstellen, 4.160 Bauerstellen, 7.218 Büdnerstellen, 2.259 Häuslerstellen und etwa 800 Mühlen, Schmiede und Krüge. Eine Bauernhufe hat 300 Scheffel Aussaat. Die Bonitierung geschah nach den im Jahre 1785 zur Anwendung gebrachten Grundsätzen, nur dass den Bauern mit Rücksicht auf ihre kleinere Wirtschaft ein verhältnismäßiger Rabatt bewilligt ward. Man nennt die Bauern Voll-, Halb-, Drittel-, Viertel- und Achtel-Hüfner, je nachdem sie eine ganze, halbe etc. Hufe besitzen. Die Vollhüfner sind meistens Erbpächter geworden. Die Büdner sind kleine Erbpächter. Die wenigen Großbüdner haben 2—4.000, die Kleinbüdner gewöhnlich 800— 1.200 Quadratruthen. Die Häusler haben nur Haus und Hof und außerdem kleinere Zeitpachtländereien. Etwa die Hälfte des Domanial-Grund und Bodens ist in Händen kleinerer Besitzer und davon ungefähr ein Drittel im Erbpachtbesitz. Auf der Quadratmeile wohnen durchschnittlich 138 grundbesitzende Familien.
Ich wende mich jetzt zur Erörterung unserer Agrargesetzgebung und zuerst wiederum zu dem ritterschaftlichen Landesteil.
Unsere Gesetzgebung ist von jeher darauf ausgegangen, den großen geschlossenen ritterschaftlichen Grundbesitz nicht allein zu konservieren, sondern noch mehr zu vergrößern.
Im Mittelalter nutzten die mit dem Kriegsdienst beschäftigten Grundherren ihr Eigentum nicht selbst, sondern gaben es den Bauern gegen Leistung von Pacht und Diensten hin, woraus sich ein erbliches Untereigentum der Bauern entwickelte, welches unter dem Namen Bauerlehen bekannt ist. Da aber die Bauern an der Gesetzgebung nicht Teil nahmen, so vermochte die Ritterschaft es durchzusetzen, dass das Untereigentumsrecht des Bauern anfänglich in Frage gestellt und nach und nach vollständig vernichtet ward. Den Grundstein zum Verfall des Bauernstandes legte der 16. Artikel der Reversalen von 1621 — jener große kommunistische Griff — wonach die Bauern, wenn sie nicht ein Erbzinsrecht nachzuweisen vermochten, gezwungen wurden, ihre Hufen den Grundherren nach vorausgegangener Kündigung, ohne mit dem Einwande der Verjährung gehört zu werden, unverweigerlich abzutreten. Der 30jährige Krieg mit den von ihm angerichteten Verwüstungen begünstigte den Verfall des Bauernstandes. Und erst im 18. Jahrhundert, wo die Dreifelderwirtschaft mit der Holsteinischen Koppelwirtschaft vertauscht ward, geschah die „Legung“, d. i. die Einziehung, und die Verkleinerung der Bauerstellen in größerem Umfange. Die verbesserte Wirtschaft ließ es die Ritter vorteilhaft erscheinen, mit den Bauerstellen ihren Besitz zu arrondieren und die Bauern als Arbeiter zu gebrauchen. Innere Streitigkeiten im Lande und der siebenjährige Krieg kamen ihrem Vorhaben zu Hilfe. Sie nahmen den Bauern ihre Grundstücke einfach weg — einen schwächeren Ausdruck gibt es dafür nicht — und machten dieselben zu leibeigenen Gutsuntertanen. Der Erbvergleich von 1755 bestätigte den Artikel der Reversalen und anerkannte ein „landsittliches Eigentum der Ritter über ihre Leibeigenen und ihr Ackerwerk“. So kam es, dass von diesem glänzenden Bauernstande, der auf das Vorteilhafteste auf den Wohlstand des Landes einwirkte und der im Jahre 1628 noch 12.000 Mitglieder zählte, kaum noch 1.200 Bauern und Erbpächter übrig geblieben sind. Es ist dies eines der dunkelsten Blätter in unserer mecklenburgischen Geschichte. Erst nach der im Jahre 1820 erfolgten Aufhebung der Leibeigenschaft suchte die Regierung die Verhältnisse der Bauern mehr sicher zu stellen: sie vindizierte sich das Recht der Einwilligung in die Legung und verlangte eine Entschädigung für die gelegten Bauern. Allein dieses sind nur Verwaltungsnormen, welche zu jeder Zeit einseitig aufgegeben werden können. Die Verordnung vom 16. August 1849, welche jede Legung der Bauern suspendierte, ward im Jahre 1851 durch die restaurierten Stände wieder aufgehoben.
Um der Zersplitterung des ritterschaftlichen Grundbesitzes vorzubeugen, erwirkte die Ritterschaft die Verordnung vom 6. Februar 1827, welche verfügte, dass Güter von weniger als zwei Hufen nichts zu Erbzins weggeben, größere Güter mindestens zwei Hufen behalten und Güter von vier und mehr Hufen nicht mehr als zwei Hufen zu Erbzins weggeben sollen. Außerdem ist bei Lehengütern der landesherrliche und agnatische, allemal aber der kreditorische Konsens erforderlich. Der Wiedervereinigung der abgezweigten Erbzinsstelle mit dem Gute steht nichts entgegen, wenn der Erbzinsmann einwilligt.
Denselben Zweck verfolgte das Gesetz vom 17. April 1837. Vor Erlass desselben konnten Teile von Haupt- oder Nebengütern mit landesherrlicher Genehmigung veräußert und zu Hauptgütern erhoben werden, jedoch fehlte es an festen Normen über die Größe des abzutrennenden Hauptgutes. Seit 1803 sind 43 Nebengüter zu Hauptgütern erhoben worden. Wenn nun die Vermehrung der Rittergüter in noch größerem Maße fortgegangen wäre, so trat, außer der Gefahr der Zersplitterung, die Gefahr der allmählichen Untergrabung unserer Verfassung ein. Da jeder Besitzer eines Hauptgutes landtagsfähig ist, so hätten wir es erleben können, dass 2.000 Ritter auf einmal den Landtag besucht hätten. Um solchen Gefahren zu begegnen, verfügte das erwähnte Gesetz, dass Abtrennungen von Hauptgütern nicht geschehen sollen, wenn das Hauptgut nicht wenigstens zwei Hufen groß bleibt und das abzutrennende Gut nicht mindestens dieselbe Größe hat.
Das in unserem Staatsgrundgesetz vom 10. Oktober 1849 ausgesprochene Prinzip der unbedingten Teilbarkeit ward mit der Beseitigung desselben durch den Freienwal der Schiedsrichterspruch wieder zu Grabe getragen.
Zur Konservierung des großen Grundbesitzes dienen besonders auch die Fideicommisse. Wir haben jetzt bereits, wie erwähnt, 82 Fideicommissgüter. Diese bilden den 12. Teil der 1.003 Rittergüter, den 10. Teil aller im Privatbesitz befindlichen Rittergüter, und mit den inkamerierten Gütern und den in toter Hand befindlichen Gütern der Städte und Stiftungen fast den dritten Theil der Privat-Rittergüter.
Unsere Lehenverhältnisse haben weniger zur Konsolidierung des großen Grundbesitzes beigetragen, weil unsere Lehen veräußerlich und verschuldbar sind. Freilich versuchte unsere Regierung vor einigen Jahren, unser Lehnrecht einem solchen Zweck dienlich zu machen. Allein dieselbe war feudaler als die feudalen Stände und der Versuch misslang.
Während der ritterschaftliche Grundbesitz sich immer mehr konsolidiert, ist im Gegenteil im Domanium das Bestreben darauf gerichtet worden, den Grundbesitz mehr und mehr zu parzellieren und die Bauern, welche im Laufe der Zeit zu bloßen Zeitpächtern herabgedrückt sind, zu Erbzinspächtern zu machen. Dieses Bestreben ist aber nicht aus einem bestimmten Prinzip, sondern aus jeweiligen finanziellen oder büreaukratischen Zweckmäßigkeits-Rücksichten hervorgegangen.
Die Pachthöfe, welche seit 1805 öffentlich und meistbietend verpachtet wurden, haben sich von 271 im Jahre 1847 auf 251 im Jahre 1858 abgemindert, und zwar hauptsächlich in Folge des Andrängens der das Bedürfnis des Besitzes von Acker empfindenden ländlichen Arbeiter im Jahre 1848.
In demselben Zeitraum verminderte sich die Zahl der Bauernstellen von 4.586 auf 4.160, während die Erbpachtstellen von 832 auf 1.268 sich vermehrten. Die Zahl der Büdnerstellen vermehrte sich während jener Zeit von 6.669 auf 7.218, und die der Häuslerstellen von 3 auf 2.259. Erstere sind seit 1754 und letztere erst seit 1846 entstanden und verdanken ihre Entstehung dem Mangel an Wohnungen und an Gelegenheit sich niederzulassen.
Eine Geschlossenheit des kleinen Grundbesitzes existirt insofern, als die Bauerstellen, wenn sie nicht in Erbzins verwandelt werden, in ihrem Bestande konserviert zu werden pflegen und als die Erbpacht- und Büdnerstellen ohne Genehmigung der Kammer weder parzelliert noch zusammengelegt werden dürfen. Die Rechtsverhältnisse der verschiedenen Klassen der kleineren Grundbesitzer darzulegen, würde heute zu weit führen.
Ich komme schließlich auf die Wirkung unserer Agrargesetzgebung.
Die Rittergüter sind in ziemlich hoher Kultur, wenn auch mehr extensiv als intensiv, weil im Verhältnis zu den großen Güterblöcken die Arbeiter mangeln und wegen des dürftigen Schulunterrichtes und ihres kommunistischen Abhängigkeitsverhältnisses zu ihren Gutsherrn nicht das leisten, was sie leisten sollten. Die großen Vorrechte der Ritter und der Kredit, welchen sie sich durch gute Kreditgesetze geschaffen haben, wodurch ihnen große Kapitalien vom In- und Auslande zuströmen, musste natürlich von der günstigsten Wirkung für den Kulturstand ihrer Güter sein. Dazu kommt, dass seit den zwanziger Jahren viele Güter in die Hände strebsamer und tüchtiger bürgerlicher Besitzer und mehr in den Handel gelangten, was einen mächtigen Anreiz zu größerer Produktion gab.
Der Domanialbesitz dagegen steht, mit Ausnahme der Pachthöfe, welche in Folge der öffentlichen und meistbietenden Verpachtung einen höheren Kulturstand erzielten, auf einer sehr niedrigen Stufe der Kultur. Der Pachtpreis der Bauerstellen ist im Vergleich zu dem Pachtpreise der großen Güter ein sehr geringer. Noch schlechter sieht es mit den Büdnern aus, welche zum großen Teil Grundbesitzer und Handwerter oder Arbeiter zugleich sind, weil ihr Besitztum zu klein ist, um sie zu ernähren. Die büreaukratische Bevormundung, unter welcher die kleineren Besitzer stehen, der fehlende Eigentumsbesitz und die Übernahme unbestimmter Leistungen, die selbst Seitens des Erbpächters in ihrer Tragweite im Voraus nicht zu übersehen sind, lassen eine ergiebige und rationelle Landwirtschaft nicht aufkommen.
Einige wenige Privilegierte weiden reich durch unsere agrarischen Verhältnisse. Aber wie wirken dieselben auf den allgemeinen Wohlstand?
Auch hier sollen Zahlen reden. Indes will ich nicht behaupten, dass unsere agrarischen Gesetze allein die nachteiligen Wirkungen herbeiführen, welche ich Ihnen darlegen werde. Der Gewerbezwang und die Bannrechte der Städte, die beschränkte Niederlassung, schlechte Armengesetze, die Heiratsbeschränkungen, — ohne Genehmigung des Gutsherrn darf sein Taglöhner nicht heiraten — und ein sinnloses Steuersystem, welches den Handel und die Industrie des Auslandes zum Nachteil des Inlandes schützt, also in seiner Wirkung ein umgekehrter Schutzzoll ist, — alles dies hat das Seinige dazu beigetragen. Aber alle diese Verhältnisse haben im Wesentlichen in dem großen geschlossenen Grundbesitz ihren Grund. Die Aufhebung der Leibeigenschaft geschah nur zum Vorteil der Gutsbesitzer. Denn mit derselben ward die Kündigung eingeführt, ohne den Freigelassenen, die früher ein Recht auf Arbeit und Unterhalt hatten, ein Äquivalent in der Freizügigkeit zu geben. Die Geschlossenheit des Grundbesitzes verträgt sich nicht mit der Freizügigkeit, und die Reform unserer Gewerbegesetzgebung ist von der Teilbarkeit des Grund und Bodens bedingt. Die praktischen Folgen unserer ungesunden Staatswirtschaftsgrundsätze stellen sich in nachfolgenden Zahlenangaben dar.
Die beiden Mecklenburg zählen 641.776 Einwohner auf 296 Q.-M., also circa 2.168 auf die Q.-M. Dagegen hat Sachsen 272 Q.-M. mit 2.056.364 Einw., ernährt also verhältnismäßig viermal so viel Menschen als Mecklenburg. Belgien hat 537 Q.-M. mit 4.700.000 Einw., also circa 8.752 Einw. auf die Q.M, folglich mehr als viermal so viel Menschen auf derselben Fläche.
Mecklenburg-Schwerin hatte 543.328 Einw. im Jahr 1851 und hat jetzt nur 542.148 Einw., die Bevölkerung hat also um mehr als 1.000 Menschen in 8 Jahren abgenommen.
Die Bevölkerung der Ritterschaft ist von 1820 bis 1850 von 121.000 nur auf 141.664 gestiegen, von da an aber wieder zurückgegangen, so dass sie im Jahr 1858 nur 136.405 Einw. zählte.
Von 1830 — 1850 sind in der Ritterschaft geboren 97.489 Menschen
und gestorben 58.142 Menschen
Der natürliche Zuwachs hätte also betragen müssen 39.347 Menschen
während er in Wirklichkeit nur betrug 14.285 Menschen
In 20 Jahren sind also von dort weggewandert 25.062 Menschen.
Von 1849 bis 1858 wurden in Mecklenburg geboren 182.438 Menschen
Es starben in jenem Zeitraum 116.064 Menschen
Überschuss 66.419 Menschen
Die Bevölkerung vermehrte sich aber nur um 7.754 Menschen, folglich sind 58.665 Menschen ausgewandert. Seit 10 Jahren fanden also jährlich 6.000 Menschen bei uns am Bankett des Lebens keinen Platz mehr. Im Jahr 1854 erreichte die überseeische Auswanderung ihren Kulminationspunkt und betrug allein 8.000—9.000.
Im Jahre 1851 angestellte amtliche Ermittelungen haben ergeben, dass in den vorausgehenden 10 Jahren nur zirka 1.100 Bewohner des platten Landes als Gewerbetreibende in den Städten aufgenommen sind, während in demselben Zeitraum 7.038 Angehörige des platten Landes als Gesellen und Lehrburschen bei städtischen Meistern ein- und ausgeschrieben sind. Wo bleibt der Überschuss? Er wandert aus oder fristet hier eine kümmerliche und abhängige Existenz.
Im Jahre 1851 waren im Domanium allein mehr als 1.000 niederlassungsfähige Handwerker ohne Unterkommen.
Die Wirkung unserer wirtschaftlichen Zustände ist auch in sittlicher Beziehung von der traurigsten Art. Nach unserem Staatskalender gab es im Jahr 1858 unter 18.593 Geborenen 14.842 eheliche und 3.751 uneheliche, also 1 uneheliches Kind auf ungefähr 4 eheliche. Nach derselben offiziellen Quelle beträgt die letzte zehnjährige Totalsumme der Geborenen 182.483, unter welchen sich 36.754 uneheliche und 145.729 eheliche Kinder befanden. Also der fünfte Teil der seit 10 Jahren geborenen Kinder ist unehelicher Geburt. (Hört! hört!) Die nachfolgenden statistischen Angaben konnten zwar nicht dem Staatskalender entnommen werden, aber sie stammen doch aus lauterer Quelle, nämlich aus dem ausgezeichneten und vorurteilsfreien Werke eines hochgestellten Mecklenburgischen Staatsbeamten über den Beitritt Mecklenburgs zum deutschen Zollverein. Darnach waren im Jahre 1851 in 260 Ortschaftender dritte Teil und mehr, in 209 Ortschaften die Hälfte und mehr aller Geburten unehelich und in 79 Ortschaften (54 ritterschaftlichen, 20 Domanialortschaften und 5 Klostergütern) waren überhaupt nur uneheliche Geburten. (Hört! hört!) Trotz aller Gesetze gegen die Unsittlichkeit und trotzdem das Land in religiöser Beziehung in gutem Rufe steht, haben sich solche Verhältnisse gebildet, ein Beweis, welchen Einfluss die materiellen Zustände auf die Sittlichkeit üben. Ich bedaure, dass ich bei dem Mangel einer Kriminalstatistik in unserem Lande Ihnen dies Thema nicht weiter mit einer Statistik über die Zunahme der Kindesmorde illustrieren kann. Im Jahre 1826 kam auf 10 1/5 Geburten 1 uneheliche und im Jahr 1796 erst auf 17 Geburten 1 uneheliche. In Preußen ist das Verhältnis der unehelichen Geburten zu den ehelichen von 1816 bis 1850 wie 1 : 13 und in Frankreich von 1846/49 wie 1 : 14 gewesen. — Eine Ehe kam auf folgende Einwohnerzahl:
im Jahr Domanium Ritterschaft Städte.
1841 137 145 115
1850 149 269 104
In den Städten vermehrte sich also während 1841/50 die Zahl der Ehen, im Domanium trat nur eine geringe Verminderung ein, aber in der Ritterschaft verminderten sich die Ehen fast um die Hälfte, wodurch nicht ein Rückgang der Bevölkerung, sondern nur eine Zunahme der Unsittlichkeit bewirkt ward. In den Jahren 1841-1850 kamen jährlich durchschnittlich 70 Selbstmorde vor, in den Jahren 1856-1858 88, während wir von 1811-1820 jährlich nur 21 Selbstmorde hatten. Einen großen Teil der begangenen Selbstmorde können wir unseren strengen Niederlassungsgesetzen in Rechnung stellen.
Meine Herren! Es schmerzt mich, dass ich Ihnen ein so trauriges Bild habe aufrollen müssen. Aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mir die Gelegenheit dazu gegeben haben, weil ich hoffe, dass das Urteil einer Versammlung von so erleuchteten Männern auch auf unser Land von Einfluss sein wird. Unsere Zustände sind der Art, dass es schwierig ist, vorwärts zu kommen, weil Politik und Wirtschaft bei uns eng zusammen hängen. Ich bezweifle deshalb, ob ein einziges Mecklenburgisches Blatt es wagen wird, die Ihnen von mir gemachten Mitteilungen ausführlich wiederzugeben. Dies hat mich aber nicht abgehalten, hierher zu reisen und Ihnen die volle reine Wahrheit zu sagen. Im Gegenteil, ich wollte gerade Ihr Urteil hören. Wenn Tausende und aber Tausende der tüchtigsten Kräfte aus dem Lande getrieben werden, während die minder Tatkräftigen daheim bleiben, wenn der fünfte Teil der gesamten Bevölkerung unehelich geboren ist, dann muss etwas faul im Staate sein. Hier haben Sie, m. H., einen Wirkungskreis für die großen Ideen, welche Sie vertreten, und ich bitte Sie, diese auch meinem Lande zu Gute kommen zu lassen. (Lebhafter Beifall.)
II.
Meine Herren! Zum vorigjährigen Kongress erhielt ich von Ihrer Deputation den Auftrag, über die agrarischen Zustände in Mecklenburg-Schwerin einen Bericht abzustatten. Aus verschiedenen Gründen war es mir lieb, mich diesem Auftrage unterziehen zu können. Es ist für die Wissenschaft und den Kongress von großem Interesse, zu erfahren, wie sich ein durch und durch auf anti-ökonomischen Prinzipien basierter Staat, wie Mecklenburg, in der Wirklichkeit ausnimmt. Eine unseren Bestrebungen feindselige Partei hat ihre Theorien auf die Zustände in Mecklenburg zu stützen beliebt und mit sichtlichem Wohlgefallen auf Mecklenburg als das Land verwiesen, wo die feudalen Zustände einen allgemeinen Wohlstand hervorgerufen hätten. Es kam darauf an, die Verkehrtheit dieser Anschauung nachzuweisen. Sodann hoffte ich, dass Ihr einsichtiges Urteil über unsere Zustände meinem Lande zu Gute kommen würde.
Das schwerin'sche Ministerium verschaffte mir nun auch durch Bewilligung eines, freilich nur auf acht Tage ausgestellten, Passes die Ehre, denjenigen Vortrag über unsere agrarischen Verhältnisse auf dem Volkswirtschaftlichen Kongress zu Frankfurt halten zu dürfen, welcher in dem stenographischen Bericht abgedruckt ist. Aber als ich in diesem Frühjahr als Mitglied der Kommission für landwirtschaftliche Angelegenheiten von Ihrer Deputation zu einer Konferenz nach Berlin berufen ward, in welcher dieser Kongress vorbereitet werden sollte, ward mir ein Pass nach Berlin verweigert. (Gelächter.) Meine Herren! Es ist an sich für den Kongress ein gleichgültiges Faktum, wenn eine deutsche Regierung einem ihrer Staatsangehörigen, und sei er auch ein Mitglied Ihres Kongresses, einen Pass verweigert. Höhere politische Rücksichten mögen eine solche Maßregel veranlasst haben, über deren Gerechtigkeit Ihnen kein kompetentes Urtheil zusteht. Aber in dem „Norddeutschen Correspondenten“, dem Organ der schwerin'schen Regierung, wird die geschehene Passverweigerung damit motiviert, dass ich in Frankfurt ein solches Bild von Mecklenburg entworfen hätte, dass kein Mecklenburger darin das Bild seines Landes wieder erkennen könnte. Wenn dieselbe also bei einem Urteil über meinen Vortrag nicht stehen bleibt, sondern denselben mit polizeilichen Maßregeln verfolgt, dann wird die Verteidigung für mich zur Pflicht und ich erhalte ein Recht, auf kurze Zeit Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Bei unseren Pressezuständen habe ich meine Verteidigung in der mecklenburgischen Presse nicht führen können. Um so mehr war ich darauf angewiesen, meinen Vortrag vor Ihnen zu rechtfertigen. Ich bin hierher gereist, ohne um einen Pass nachgesucht zu haben, weil ich im voraus wusste, dass ein solcher mir nicht gewährt werden würde, und im Vertrauen auf die Nachbarstaaten, dass sie unter solchen Umständen mich unbelästigt ohne Pass reisen lassen würden. Ich habe mich bisher in meinem Vertrauen nicht getäuscht. (Bravo!)
Meine Herren! Diejenigen unter Ihnen, welche meinen Vortrag mit angehört oder gelesen haben, werden mir zugeben, dass ich in ruhiger und objektiver Weise Tatsachen und Zahlen habe reden lassen. Es kann also nicht die Form sein, welche die schwerin'sche Regierung verletzt hat. Auch wird mir nicht ein Irrtum Seitens derselben zur Last gelegt sein. Denn einen Irrtum bestraft man nicht mit Passverweigerung. Die schwerin'sche Regierung wird mich also beschuldigen, dass ich absichtlich falsche Tatsachen und Zahlen referiert habe, um ein verkehrtes Urteil über die mecklenburgischen Zustände hervorzurufen.
Einen solchen Vorwurf weise ich mit Entrüstung zurück, und ich glaube nicht nötig zu haben, mich Ihnen gegenüber deshalb zu rechtfertigen. So sehr ich auch die wirtschaftlichen Zustände meines Landes beklage, so unfähig bin ich, durch absichtliche Unwahrheiten die öffentliche Meinung über dieselben irre zu führen. Schon die Achtung vor der Wissenschaft und dem Kongress würde mich davon zurückgehalten haben. Ich habe mich also nur dagegen zu verteidigen, dass ich irrtümlich ein unrichtiges Bild von Mecklenburg entworfen hätte.
Meine Herren! Kein mecklenburgisches Blatt hat es, wie ich im voraus prophezeit habe, gewagt, meinen Vortrag ausführlich wiederzugeben. Von der gesamten mecklenburgischen Presse ist nur der „Norddeutsche Correspondent“ gegen mich aufgetreten. Aber keine einzige der von mir angeführten Tatsachen und Zahlen ist von ihm widerlegt worden, sondern nur mit allgemeinen Phrasen und Verdächtigungen hat er mich bekämpft. Gegen solche Angriffe mich zu verteidigen, verbietet mir der Anstand, und so lange die angeführten Tatsachen und Zahlen nicht einzeln widerlegt sind, bin ich berechtigt, deren Richtigkeit aufrecht zu halten. Die gesummte übrige unabhängige Presse in Deutschland aber ist einstimmig mit mir in der Verurteilung unserer wirtschaftlichen Zustände. Ja sogar die eigenen Organe der feudalen Partei bekämpfen zum Teil unsere wirtschaftlichen Verhältnisse. Z. B. die in Frankfurt erscheinenden „Deutschen Blätter“, welche bekanntlich von den in Würzburg versammelten Bevollmächtigten verschiedener deutscher Regierungen, zu denen auch der schwerin'sche Ministerpräsident gehörte, seit Neujahr zu ihrem Organ gewählt wurden und, wie öffentliche Blätter berichteten, in 60 Exemplaren von unserem Gouvernement bestellt waren, enthielten eine Reihe eingehender Artikel, in welchen alle unsere wirtschaftlichen Zustände in ähnlicher Weise, wie dies von mir geschehen war, aber in viel schrofferer Form bekämpft wurden. „Solche Dinge“, heißt es unter Anderem in Nr. 3 jener Blätter in einem „Mecklenburg und die Reform“ überschriebenen Artikel, „gehören nicht zu den bloßen Unterlassungssünden; sie sind positive Angriffe auf Recht und Vernunft, wahre Herausforderungen zu Widerstand und Umwälzung“. Aber ich darf mich noch auf ein viel gewichtvolleres Zeugnis zu meinen Gunsten berufen. Vor Kurzem haben 82 Mitglieder der mecklenburgischen Ritterschaft einen Antrag auf Einführung einer Repräsentativverfassung hauptsächlich mit unseren wirtschaftlichen Missständen motiviert und sich ganz in derselben Weise über unsere wirtschaftlichen Zustände ausgesprochen, wie ich es im vorigen Jahre getan habe. Sie haben namentlich auch behauptet, dass nicht bloß die starken Auswanderungen, sondern auch die außerordentliche Masse unehelicher Geburten und selbst die zahlreichen Kindesmorde in unverkennbarem Zusammenhange mit unseren Heimats-, Niederlassungs- und Armenversorgungs-Gesetzen ständen. Meine Herren! So äußern sich 82 Mitglieder der mecklenburgischen Ritterschaft, fast der siebente Teil sämtlicher und mehr als der vierte Teil der bürgerlichen Rittergutsbesitzer, in einem offiziellen, an das ständige Organ der mecklenburgischen Ritter- und Landschaft, den sogenannten Engern Ausschuss, gerichteten Aktenstück. Das haben 82 patriotische Männer gesagt, welche kein persönliches Interesse bei ihrem Schritte geleitet haben kann, weil sie selbst gerade zu den Bevorrechteten gehören, denen die mecklenburgischen Verhältnisse zu Gute kommen, welche also nur von der Überzeugung bestimmt sind, dass es bei uns anders und besser werden müsse.
Unter diesen Umständen kann ich darauf verzichten, meine Verteidigung im Einzelnen weiter durchzuführen. Nur zur Vervollständigung meines vorigjährigen Vortrages habe ich noch ein Paar Punkte kurz zu berühren. Ich habe in demselben darauf hingewiesen, wie furchtbar die Ritter gegen unseren Bauernstand gehaust, dass sie den Bauern ihre Grundstücke geraubt haben und dass von den 12.000 ritterschaftlichen Bauern, welche im Jahr 1628 noch existierten, kaum 1.200 übrig geblieben sind. Diesmal kann ich den „Norddeutschen Correspondenten“ selbst zu meiner Verteidigung anführen, in dessen Spalten vor Kurzem ein harter Kampf zwischen den Regierungsanhängern und den Rittern über die Bauerneinziehungen ausgebrochen ist. Die Regierung beabsichtigt nämlich, die seit hundert Jahren ohne ihre Genehmigung eingezogenen ritterschaftlichen Bauernstellen wieder herzustellen. Zur Verteidigung ihres Verfahrens macht ihr Organ auf den Schaden aufmerksam, „der durch die widerrechtliche Beseitigung so mancher Bauern nicht nur diesen, sondern dem Wohle des ganzen Landes zugefügt ist“, und bringt noch höchst interessante geschichtliche und statistische Notizen über das Raubsystem, dessen man sich gegen die Bauern hat zu Schulden kommen lassen. Darnach waren mehr als zwanzig Jahre nach dem 30jährigen Kriege noch etwa 12.000 ritterschaftliche Bauerhufen vorhanden, im Jahre 1755 nur noch etwa 5.000. Von den 35 Millionen mecklenburgischen Quadratruthen (gleich circa 53 Millionen preußische Quadratruthen oder 300.000 preußische Morgen), Bauernländereien, welche seit 1755, teils mit, teils ohne Konsens der Regierung eingezogen und verschwunden sind, kommt nur der geringste Teil auf die Zeit des 7jährigen Krieges. Auch ohne alle äußeren Drangsale und Kriegsläufe sind noch in den letzten 30 Jahren allein mit Konsens der Regierung 3 1/2 Millionen, und bloß in den letzten zehn Jahren nach ungefährer Schätzung gegen 2 Millionen mecklenburgische Quadratruthen Bauernländereien eingezogen worden. (Bewegung!) Meine Herren! Ich kann das Verfahren, welches unsere Regierung einschlagen will, um das den Bauern zugefügte Unrecht wieder gut zu machen, nicht billigen: die Wiederherstellung der widerrechtlich eingezogenen Bauernhufen erfüllt ihren Zweck nicht, fügt ein neues Unrecht zu dem alten und schadet dem Kredit unseres Landes. Es gibt nur einen Weg der Buße für die alten Sünden, und der besteht darin, aus unseren Bauern freie Eigentümer zu machen und die Teilbarkeit des Grund und Bodens zu proklamieren. Aber ich nehme Akt von diesen offiziösen furchtbaren Enthüllungen, welche das bestätigen und vervollständigen, was ich Ihnen über diesen Gegenstand zu sagen die Ehre hatte.
Kürzlich hat die Kreuzzeitungspartei öffentlich zu behaupten gewagt, dass die Rüge über die unehelichen Kinder in Mecklenburg rein vom Zaune gebrochen wäre, und dass es mit den unehelichen Geburten bei uns nicht so schlimm stehe. Meine Herren! Um diesen Phrasen ein für allemal zu begegnen, habe ich mir die Mühe gemacht und dem schwerin'schen Staatskalender die zehnjährigen Durchschnittsverhältnisse der unehelichen zu den ehelichen Geburten seit 1808 bis auf die neueste Zeit entnommen. Von 1808 bis 1817 war das Verhältnis; wie 1 : 12, von 1818 bis 1827 wie 1 : 9,6, von 1828 bis 1837 wie 1 : 7,7, von 1838 bis 1847 wie 1 : 5,3 und von 1848 bis 1857 wie 1 : 4,02; im Jahr 1858 war das Verhältnis; wie 1 : 3,95 und im Jahr 1859 wie 1 : 3,87. In konstanter Folge haben sich also die unehelichen Geburten vermehrt und wenn dieselben in der bisherigen Proportion zunehmen, so ist die Zeit abzusehen, wo die Zahl der unehelichen Geburten die der ehelichen übertreffen wird. (Hört, Hört!)
Schließlich will ich hier noch die früher mir noch nicht bekannte Tatsache anführen, dass der Betrag der intabulierten Schulden der Rittergüter von 23.855.994 Rthlr. N.2/3 und Gold im Jahre 1834 auf 36.563.786 Rthlr. N. 2/3 und Gold im Jahre 1849 gestiegen ist, so dass die Zunahme der Verschuldung in 15 Jahren 53,25 Prozent betragen hat. Die Zunahme des Wertes jeder Hufe betrug aber nach einem 85jährigen Durchschnitt in 15 Jahren nur 17 Prozent, so dass die Verschuldung der Hufe beinahe dreimal so stark gewachsen ist als der Wert derselben. Es ist dies ein Beweis, dass die großen Privilegien unserer Rittergutsbesitzer ihnen nicht so große Vorteile gewähren, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist.
Meine Herren! Diejenigen, welche die mecklenburgischen Zustände in Wort und Schrift angreifen, sind von unserer Feudalpartei „entartete Söhne des Landes“ genannt. Mit gutem Gewissen kann ich einen solchen Vorwurf zurückweisen. Ich liebe auch mein engeres Vaterland wie nur Einer. Aber ich sehe klar, dass eine verkehrte Wirtschaftspolitik einen tüchtigen deutschen Volksstamm in seiner wirtschaftlichen Entwickelung vollständig hemmt. Darum halte ich es für meine, wenn auch schmerzliche, doch patriotische Pflicht, unsere wirtschaftlichen Zustande, wo immer sich für mich nur die Gelegenheit bietet, in ihrem wahren Lichte zu zeigen. Das Aussprechen der Wahrheit mag Einzelne verletzen, es frommt aber dem Ganzen. Das Erkennen der Krankheit wird auch die Heilung zur Folge haben. Könnte ich Ihnen doch erst berichten, dass Mecklenburg genesen ist! (Anhaltender Beifall.)
Präsident Dr. Braun: Ich glaube im Sinne der ganzen Versammlung zu sprechen, wenn ich dem geehrten Redner danke für die uns so eben gegebenen Mitteilungen, welche für die Abteilung der Agrar-Gesetzgebung von wissenschaftlichem, und fast möchte ich sagen, Pathologischem, Interesse sind. Er hat um so mehr diesen Dank verdient, als er sich durch die ihm widerfahrene Maßregelung nicht hat abhalten lassen, hier zu erscheinen und für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Durch Verweigerung eines Passes kann man die Wahrheit nicht unterdrücken und die Wissenschaft nicht zur Umkehr zwingen. Sie werden auch ohne Pass stets Ihren Weg finden zu dem Geiste und dem Heizen unseres Volkes! (Stürmischer Beifall.)
Ich bin mit dem Kongresse darin ganz einverstanden, dass seine Beratungen sich möglichst fern von der Politik halten. Da aber unser ganzes wirtschaftliches Leben mit unseren politischen Einrichtungen in innigem Zusammenhange steht, so kann ich nicht umhin, wenn ich Ihnen verständlich werden soll, eine Ausnahme von der Regel zu machen und Ihnen die Grundlagen unserer staatlichen Institutionen in allgemeinen Umrissen vorzuführen.
Mecklenburg ist kein Staat im modernen Sinne des Wortes, der eine staatliche Einheit voraussetzt, sondern ein aus dem Mittelalter her konservierter Patrimonialstaat, der in verschiedene Patrimonialherrschaften zerfällt. Das Land teilt sich in Domanium, Ritterschaft und Städte. Der Landesherr ist als Eigentümer des Domamum der erste Grundbesitzer des Landes und als solcher der Erste unter den Gleichen. Die Ritterschaft ist eine Corporation, welche aus den Besitzern mit Landstandschaftsrechten versehener Güter besteht. Jeder Ritter ist Herr auf seinem Territorium und seine Herrschaft nur soweit beschränkt, als er dieselbe zu Gunsten des Landesherrn im Vertragswege aufgegeben hat. In demselben Verhältnis; stehen die Städte, welche gleichfalls die Landstandschaft haben und zu einer Corporation unter dem Namen Landschaft verbunden sind, zu dem Landesherrn. Ritter- und Landschaft vereinigt bilden die landständische Vertretung. Im Domanium regiert der Großherzog absolut, ohne durch die Landstände in irgend einer Weise beschränkt zu sein., Gesetze, welche die Privilegien der Ritter- und Landschaft berühren, bedürfen der ausdrücklichen Einwilligung derselben. Gesetze, welche „gleichgültig“, jedoch zur Wohlfahrt und zum Vorteil des ganzen Landes diensam sind, erfordern nur das „ratsame Erachten“ der Ritter- und Landschaft.
Dies vorausgeschickt, wende ich mich zu den Verteilungsverhältnissen des Grund und Bodens.
Mecklenburg hat einen Flächeninhalt von 244 Quadrat-Meilen und 542.148 Einwohner. Die Zahl sämtlicher Ortschaften beträgt etwa 2.700, worunter 40 Städte, 8 Flecken, über 1.200 Dörfer und mehr als 1.400 Landgüter mit ihren Pertinenzen.
Die Städte mit ihren Besitzungen haben 27 Q.-M. und 191.553 Einwohner, wovon 177.397 auf die Städte und 14.156 auf ihre Besitzungen fallen.
Die Ritterschaft, ausschließlich der sog. Incamerata— das sind diejenigen Domanialgüter, welche seit dem Jahre 1748 von der Landesherrschaft erworben sind und rücksichtlich ihrer Rechte und Pflichten zu den ritterschaftlichen Gütern gerechnet werden — und ausschließlich der Kloster- und der städtischen und Ökonomie-Güter, enthält 103 Q.-M. mit einer Bevölkerung von 136.405 Seelen,
Das Domanium einschließlich der Incamerata hat zirka 106 Q.-M. mit 205.143 Einwohnern.
Außerdem enthalten die Klostergüter circa 8 Q.-M. mit 9.047 Einwohnern.
Alles Grundeigentum gehört dem Landesherrn, den Mitgliedern der Ritterschaft oder den Städten und Stiftungen, oder, wie die Landesklöster, der Ritterschaft und den Städten.
Nur auf den Feldmarken der Städte existiert außerdem noch Eigenthum am Grund und Boden.
Die Städte, mit Ausschluss der beiden Seestädte, steuern von ihren Feldmarken für 31.479 Morgen Acker à 300 Quadratruthen und 7.771 vier- und 5.023 zweispännige Fuder Heu.
Die ritterschaftlichen Güter steuern nach Hufen. Zwecks der Besteuerung wurden sämtliche ritterschaftlichen Güter vermessen und bonitiert und das Resultat im Jahre 1785 publiziert. Bei der Bonitierung wurden 6 Klassen gemacht von 75 bis 300 Quadratruthen, im Weideland sogar bis 500 Quadratruthen auf den Scheffel Aussaat; 300 Scheffel Aussaat wurden auf die Hufe gerechnet und nachdem im Jahre 1809 die Steuerfreiheit der einen Hälfte der ritterschaftlichen Güter aufhörte, 600 Scheffel auf die Hufe. Durchschnittlich hat eine Hufe 85.000 mecklenburgische Quadratruthen *).
*) Nach den „Beiträgen zur Statistik Mecklenburgs, 1859, Band 1 H. 2 beträgt die durchschnittliche Größe einer ritterschaftlichen Hufe 85.483,37 mecklenburgische Quadratruthen oder 130648,125 preußische Quadratruthen oder 725,81 preußische Morgen à 180 preußische Quadratruten. Die 3.744,934 Hufen nehmen einen Flächenraum von 320.129.562 mecklenburgische Quadratruthen ein.
Die ritterschaftlichen Güter haben 3.744 Hufen, wovon 240 1/2 Hufen, den inkamerierten Gütern, 160 Hufen den 3 Landesklöstern und 178 Hufen den Städten und milden Stiftungen gehören. Von einem Mitgliede des Kongresses ist mir hier zu meinem besten Dank mitgeteilt, dass vor Kurzem in den „Beiträgen zur Statistik Mecklenburgs“ ein überaus interessanter Aufsatz über den Wert unserer ritterschaftlichen Güter erschienen sei, wovon ich noch nicht habe Kenntnis nehmen können. Darnach wird der gegenwärtige Wert der ritterschaftlichen Hufe zu 32.000 Thlr. veranschlagt; der Gesamtwert unserer ritterschaftlichen Güter beträgt also, ausschließlich der Incamerata, 112 Mill. Thlr.
Das Domanium ist vereinbarungsmüßig zu 2.634 Hufen angenommen und repräsentiert mit den inkamerierten Gütern und großen Forsten einen Wert von mindestens 80 Mill. Thlr.
Ein ritterschaftliches Gut, welches Landstandschaftsrecht hat, wird Hauptgut genannt. Wir haben im Ganzen 1.003 Hauptgüter. Davon gehören 67 dem Landesherrn, 84 zwölf geistlichen Stiftungen, 42 siebzehn weltlichen Kommunen und 1 ist heimgefallenes und noch nicht wiederverliehenes Lehen. Die übrigen 809 Güter gehören 622 Gutsbesitzern, unter welchen 2 Fürsten mit 9 Gütern, 29 Grafen mit 73 Gütern, 264 Freiherrn und Herren von Adel mit 353 Gütern, 321 Bürgerliche mit 368 Gütern und 6 Bauerschaften mit 6 Gütern sich befinden. Diese letzteren haben in älteren Zeiten ihre Güter mit den daran haftenden Landstandschaften gekauft.
Von den ritterschaftlichen Gütern sind 619 1/2 Lehngüter und 383 1/2 Allodien. Die Lehngüter sind, mit Ausnahme von 4 Kunkellehen, landesherrliche Mannlehen, sie fallen durch Konkurs aus der Familie, sind veräußerlich und verschuldbar, sofern sie nicht auf den letzten Augen stehen. Erst von der Mitte des vorigen Jahrhunderts datiert sich der Ursprung der Fideicommissgüter. Sie haben sich in neuerer Zeit außerordentlich vermehrt und gegenwärtig gibt es 82 Familienfideicommisse in 50 Lehengutem und 32 Allodien.
Die meisten ritterschaftlichen Güter haben ein Areal Von 2—400,000 Quadratruthen. Es gibt aber auch Güter, welche eine halbe bis eine Quadratmeile groß sind, wogegen einzelne Güter kaum die Größe einer Bauernhufe haben. Bei den adeligen Gutsherren sind vielfach mehrere Güter in Einer Hand. Der Graf Hahn z. B. besitzt 117 Hufen.
Neben diesem, in den Händen Weniger konzentrierten, großen Grundeigentum existiert im Ritterschaftlichen nur ein verhältnismäßig ganz unbedeutender kleiner Grundbesitz, der sich in Händen von Bauern und Erbpächtern befindet. Die Zahl der ritterschaftlichen Bauern und Erbpächter beläuft sich gegenwärtig auf ungefähr 1.200. Die Bauernstellen haben meistens nicht über 5.000 Q.-R. Acker. Nur der fünfzehnte Teil des ritterschaftlichen Grund und Bodens gehört den kleineren Besitzern, während in Hannover der große Grundbesitzer nur den zehnten Teil der Fläche, ausschließlich des Forstgrundes, inne hat. Nur 27 grundbesitzende Familien wohnen durchschnittlich auf der Quadratmeile, während in Hannover 271 solcher Familien auf derselben Fläche wohnen.
Im Domanium gibt es 251 Pachthöfe, 1.268 Erbpachtstellen, 4.160 Bauerstellen, 7.218 Büdnerstellen, 2.259 Häuslerstellen und etwa 800 Mühlen, Schmiede und Krüge. Eine Bauernhufe hat 300 Scheffel Aussaat. Die Bonitierung geschah nach den im Jahre 1785 zur Anwendung gebrachten Grundsätzen, nur dass den Bauern mit Rücksicht auf ihre kleinere Wirtschaft ein verhältnismäßiger Rabatt bewilligt ward. Man nennt die Bauern Voll-, Halb-, Drittel-, Viertel- und Achtel-Hüfner, je nachdem sie eine ganze, halbe etc. Hufe besitzen. Die Vollhüfner sind meistens Erbpächter geworden. Die Büdner sind kleine Erbpächter. Die wenigen Großbüdner haben 2—4.000, die Kleinbüdner gewöhnlich 800— 1.200 Quadratruthen. Die Häusler haben nur Haus und Hof und außerdem kleinere Zeitpachtländereien. Etwa die Hälfte des Domanial-Grund und Bodens ist in Händen kleinerer Besitzer und davon ungefähr ein Drittel im Erbpachtbesitz. Auf der Quadratmeile wohnen durchschnittlich 138 grundbesitzende Familien.
Ich wende mich jetzt zur Erörterung unserer Agrargesetzgebung und zuerst wiederum zu dem ritterschaftlichen Landesteil.
Unsere Gesetzgebung ist von jeher darauf ausgegangen, den großen geschlossenen ritterschaftlichen Grundbesitz nicht allein zu konservieren, sondern noch mehr zu vergrößern.
Im Mittelalter nutzten die mit dem Kriegsdienst beschäftigten Grundherren ihr Eigentum nicht selbst, sondern gaben es den Bauern gegen Leistung von Pacht und Diensten hin, woraus sich ein erbliches Untereigentum der Bauern entwickelte, welches unter dem Namen Bauerlehen bekannt ist. Da aber die Bauern an der Gesetzgebung nicht Teil nahmen, so vermochte die Ritterschaft es durchzusetzen, dass das Untereigentumsrecht des Bauern anfänglich in Frage gestellt und nach und nach vollständig vernichtet ward. Den Grundstein zum Verfall des Bauernstandes legte der 16. Artikel der Reversalen von 1621 — jener große kommunistische Griff — wonach die Bauern, wenn sie nicht ein Erbzinsrecht nachzuweisen vermochten, gezwungen wurden, ihre Hufen den Grundherren nach vorausgegangener Kündigung, ohne mit dem Einwande der Verjährung gehört zu werden, unverweigerlich abzutreten. Der 30jährige Krieg mit den von ihm angerichteten Verwüstungen begünstigte den Verfall des Bauernstandes. Und erst im 18. Jahrhundert, wo die Dreifelderwirtschaft mit der Holsteinischen Koppelwirtschaft vertauscht ward, geschah die „Legung“, d. i. die Einziehung, und die Verkleinerung der Bauerstellen in größerem Umfange. Die verbesserte Wirtschaft ließ es die Ritter vorteilhaft erscheinen, mit den Bauerstellen ihren Besitz zu arrondieren und die Bauern als Arbeiter zu gebrauchen. Innere Streitigkeiten im Lande und der siebenjährige Krieg kamen ihrem Vorhaben zu Hilfe. Sie nahmen den Bauern ihre Grundstücke einfach weg — einen schwächeren Ausdruck gibt es dafür nicht — und machten dieselben zu leibeigenen Gutsuntertanen. Der Erbvergleich von 1755 bestätigte den Artikel der Reversalen und anerkannte ein „landsittliches Eigentum der Ritter über ihre Leibeigenen und ihr Ackerwerk“. So kam es, dass von diesem glänzenden Bauernstande, der auf das Vorteilhafteste auf den Wohlstand des Landes einwirkte und der im Jahre 1628 noch 12.000 Mitglieder zählte, kaum noch 1.200 Bauern und Erbpächter übrig geblieben sind. Es ist dies eines der dunkelsten Blätter in unserer mecklenburgischen Geschichte. Erst nach der im Jahre 1820 erfolgten Aufhebung der Leibeigenschaft suchte die Regierung die Verhältnisse der Bauern mehr sicher zu stellen: sie vindizierte sich das Recht der Einwilligung in die Legung und verlangte eine Entschädigung für die gelegten Bauern. Allein dieses sind nur Verwaltungsnormen, welche zu jeder Zeit einseitig aufgegeben werden können. Die Verordnung vom 16. August 1849, welche jede Legung der Bauern suspendierte, ward im Jahre 1851 durch die restaurierten Stände wieder aufgehoben.
Um der Zersplitterung des ritterschaftlichen Grundbesitzes vorzubeugen, erwirkte die Ritterschaft die Verordnung vom 6. Februar 1827, welche verfügte, dass Güter von weniger als zwei Hufen nichts zu Erbzins weggeben, größere Güter mindestens zwei Hufen behalten und Güter von vier und mehr Hufen nicht mehr als zwei Hufen zu Erbzins weggeben sollen. Außerdem ist bei Lehengütern der landesherrliche und agnatische, allemal aber der kreditorische Konsens erforderlich. Der Wiedervereinigung der abgezweigten Erbzinsstelle mit dem Gute steht nichts entgegen, wenn der Erbzinsmann einwilligt.
Denselben Zweck verfolgte das Gesetz vom 17. April 1837. Vor Erlass desselben konnten Teile von Haupt- oder Nebengütern mit landesherrlicher Genehmigung veräußert und zu Hauptgütern erhoben werden, jedoch fehlte es an festen Normen über die Größe des abzutrennenden Hauptgutes. Seit 1803 sind 43 Nebengüter zu Hauptgütern erhoben worden. Wenn nun die Vermehrung der Rittergüter in noch größerem Maße fortgegangen wäre, so trat, außer der Gefahr der Zersplitterung, die Gefahr der allmählichen Untergrabung unserer Verfassung ein. Da jeder Besitzer eines Hauptgutes landtagsfähig ist, so hätten wir es erleben können, dass 2.000 Ritter auf einmal den Landtag besucht hätten. Um solchen Gefahren zu begegnen, verfügte das erwähnte Gesetz, dass Abtrennungen von Hauptgütern nicht geschehen sollen, wenn das Hauptgut nicht wenigstens zwei Hufen groß bleibt und das abzutrennende Gut nicht mindestens dieselbe Größe hat.
Das in unserem Staatsgrundgesetz vom 10. Oktober 1849 ausgesprochene Prinzip der unbedingten Teilbarkeit ward mit der Beseitigung desselben durch den Freienwal der Schiedsrichterspruch wieder zu Grabe getragen.
Zur Konservierung des großen Grundbesitzes dienen besonders auch die Fideicommisse. Wir haben jetzt bereits, wie erwähnt, 82 Fideicommissgüter. Diese bilden den 12. Teil der 1.003 Rittergüter, den 10. Teil aller im Privatbesitz befindlichen Rittergüter, und mit den inkamerierten Gütern und den in toter Hand befindlichen Gütern der Städte und Stiftungen fast den dritten Theil der Privat-Rittergüter.
Unsere Lehenverhältnisse haben weniger zur Konsolidierung des großen Grundbesitzes beigetragen, weil unsere Lehen veräußerlich und verschuldbar sind. Freilich versuchte unsere Regierung vor einigen Jahren, unser Lehnrecht einem solchen Zweck dienlich zu machen. Allein dieselbe war feudaler als die feudalen Stände und der Versuch misslang.
Während der ritterschaftliche Grundbesitz sich immer mehr konsolidiert, ist im Gegenteil im Domanium das Bestreben darauf gerichtet worden, den Grundbesitz mehr und mehr zu parzellieren und die Bauern, welche im Laufe der Zeit zu bloßen Zeitpächtern herabgedrückt sind, zu Erbzinspächtern zu machen. Dieses Bestreben ist aber nicht aus einem bestimmten Prinzip, sondern aus jeweiligen finanziellen oder büreaukratischen Zweckmäßigkeits-Rücksichten hervorgegangen.
Die Pachthöfe, welche seit 1805 öffentlich und meistbietend verpachtet wurden, haben sich von 271 im Jahre 1847 auf 251 im Jahre 1858 abgemindert, und zwar hauptsächlich in Folge des Andrängens der das Bedürfnis des Besitzes von Acker empfindenden ländlichen Arbeiter im Jahre 1848.
In demselben Zeitraum verminderte sich die Zahl der Bauernstellen von 4.586 auf 4.160, während die Erbpachtstellen von 832 auf 1.268 sich vermehrten. Die Zahl der Büdnerstellen vermehrte sich während jener Zeit von 6.669 auf 7.218, und die der Häuslerstellen von 3 auf 2.259. Erstere sind seit 1754 und letztere erst seit 1846 entstanden und verdanken ihre Entstehung dem Mangel an Wohnungen und an Gelegenheit sich niederzulassen.
Eine Geschlossenheit des kleinen Grundbesitzes existirt insofern, als die Bauerstellen, wenn sie nicht in Erbzins verwandelt werden, in ihrem Bestande konserviert zu werden pflegen und als die Erbpacht- und Büdnerstellen ohne Genehmigung der Kammer weder parzelliert noch zusammengelegt werden dürfen. Die Rechtsverhältnisse der verschiedenen Klassen der kleineren Grundbesitzer darzulegen, würde heute zu weit führen.
Ich komme schließlich auf die Wirkung unserer Agrargesetzgebung.
Die Rittergüter sind in ziemlich hoher Kultur, wenn auch mehr extensiv als intensiv, weil im Verhältnis zu den großen Güterblöcken die Arbeiter mangeln und wegen des dürftigen Schulunterrichtes und ihres kommunistischen Abhängigkeitsverhältnisses zu ihren Gutsherrn nicht das leisten, was sie leisten sollten. Die großen Vorrechte der Ritter und der Kredit, welchen sie sich durch gute Kreditgesetze geschaffen haben, wodurch ihnen große Kapitalien vom In- und Auslande zuströmen, musste natürlich von der günstigsten Wirkung für den Kulturstand ihrer Güter sein. Dazu kommt, dass seit den zwanziger Jahren viele Güter in die Hände strebsamer und tüchtiger bürgerlicher Besitzer und mehr in den Handel gelangten, was einen mächtigen Anreiz zu größerer Produktion gab.
Der Domanialbesitz dagegen steht, mit Ausnahme der Pachthöfe, welche in Folge der öffentlichen und meistbietenden Verpachtung einen höheren Kulturstand erzielten, auf einer sehr niedrigen Stufe der Kultur. Der Pachtpreis der Bauerstellen ist im Vergleich zu dem Pachtpreise der großen Güter ein sehr geringer. Noch schlechter sieht es mit den Büdnern aus, welche zum großen Teil Grundbesitzer und Handwerter oder Arbeiter zugleich sind, weil ihr Besitztum zu klein ist, um sie zu ernähren. Die büreaukratische Bevormundung, unter welcher die kleineren Besitzer stehen, der fehlende Eigentumsbesitz und die Übernahme unbestimmter Leistungen, die selbst Seitens des Erbpächters in ihrer Tragweite im Voraus nicht zu übersehen sind, lassen eine ergiebige und rationelle Landwirtschaft nicht aufkommen.
Einige wenige Privilegierte weiden reich durch unsere agrarischen Verhältnisse. Aber wie wirken dieselben auf den allgemeinen Wohlstand?
Auch hier sollen Zahlen reden. Indes will ich nicht behaupten, dass unsere agrarischen Gesetze allein die nachteiligen Wirkungen herbeiführen, welche ich Ihnen darlegen werde. Der Gewerbezwang und die Bannrechte der Städte, die beschränkte Niederlassung, schlechte Armengesetze, die Heiratsbeschränkungen, — ohne Genehmigung des Gutsherrn darf sein Taglöhner nicht heiraten — und ein sinnloses Steuersystem, welches den Handel und die Industrie des Auslandes zum Nachteil des Inlandes schützt, also in seiner Wirkung ein umgekehrter Schutzzoll ist, — alles dies hat das Seinige dazu beigetragen. Aber alle diese Verhältnisse haben im Wesentlichen in dem großen geschlossenen Grundbesitz ihren Grund. Die Aufhebung der Leibeigenschaft geschah nur zum Vorteil der Gutsbesitzer. Denn mit derselben ward die Kündigung eingeführt, ohne den Freigelassenen, die früher ein Recht auf Arbeit und Unterhalt hatten, ein Äquivalent in der Freizügigkeit zu geben. Die Geschlossenheit des Grundbesitzes verträgt sich nicht mit der Freizügigkeit, und die Reform unserer Gewerbegesetzgebung ist von der Teilbarkeit des Grund und Bodens bedingt. Die praktischen Folgen unserer ungesunden Staatswirtschaftsgrundsätze stellen sich in nachfolgenden Zahlenangaben dar.
Die beiden Mecklenburg zählen 641.776 Einwohner auf 296 Q.-M., also circa 2.168 auf die Q.-M. Dagegen hat Sachsen 272 Q.-M. mit 2.056.364 Einw., ernährt also verhältnismäßig viermal so viel Menschen als Mecklenburg. Belgien hat 537 Q.-M. mit 4.700.000 Einw., also circa 8.752 Einw. auf die Q.M, folglich mehr als viermal so viel Menschen auf derselben Fläche.
Mecklenburg-Schwerin hatte 543.328 Einw. im Jahr 1851 und hat jetzt nur 542.148 Einw., die Bevölkerung hat also um mehr als 1.000 Menschen in 8 Jahren abgenommen.
Die Bevölkerung der Ritterschaft ist von 1820 bis 1850 von 121.000 nur auf 141.664 gestiegen, von da an aber wieder zurückgegangen, so dass sie im Jahr 1858 nur 136.405 Einw. zählte.
Von 1830 — 1850 sind in der Ritterschaft geboren 97.489 Menschen
und gestorben 58.142 Menschen
Der natürliche Zuwachs hätte also betragen müssen 39.347 Menschen
während er in Wirklichkeit nur betrug 14.285 Menschen
In 20 Jahren sind also von dort weggewandert 25.062 Menschen.
Von 1849 bis 1858 wurden in Mecklenburg geboren 182.438 Menschen
Es starben in jenem Zeitraum 116.064 Menschen
Überschuss 66.419 Menschen
Die Bevölkerung vermehrte sich aber nur um 7.754 Menschen, folglich sind 58.665 Menschen ausgewandert. Seit 10 Jahren fanden also jährlich 6.000 Menschen bei uns am Bankett des Lebens keinen Platz mehr. Im Jahr 1854 erreichte die überseeische Auswanderung ihren Kulminationspunkt und betrug allein 8.000—9.000.
Im Jahre 1851 angestellte amtliche Ermittelungen haben ergeben, dass in den vorausgehenden 10 Jahren nur zirka 1.100 Bewohner des platten Landes als Gewerbetreibende in den Städten aufgenommen sind, während in demselben Zeitraum 7.038 Angehörige des platten Landes als Gesellen und Lehrburschen bei städtischen Meistern ein- und ausgeschrieben sind. Wo bleibt der Überschuss? Er wandert aus oder fristet hier eine kümmerliche und abhängige Existenz.
Im Jahre 1851 waren im Domanium allein mehr als 1.000 niederlassungsfähige Handwerker ohne Unterkommen.
Die Wirkung unserer wirtschaftlichen Zustände ist auch in sittlicher Beziehung von der traurigsten Art. Nach unserem Staatskalender gab es im Jahr 1858 unter 18.593 Geborenen 14.842 eheliche und 3.751 uneheliche, also 1 uneheliches Kind auf ungefähr 4 eheliche. Nach derselben offiziellen Quelle beträgt die letzte zehnjährige Totalsumme der Geborenen 182.483, unter welchen sich 36.754 uneheliche und 145.729 eheliche Kinder befanden. Also der fünfte Teil der seit 10 Jahren geborenen Kinder ist unehelicher Geburt. (Hört! hört!) Die nachfolgenden statistischen Angaben konnten zwar nicht dem Staatskalender entnommen werden, aber sie stammen doch aus lauterer Quelle, nämlich aus dem ausgezeichneten und vorurteilsfreien Werke eines hochgestellten Mecklenburgischen Staatsbeamten über den Beitritt Mecklenburgs zum deutschen Zollverein. Darnach waren im Jahre 1851 in 260 Ortschaftender dritte Teil und mehr, in 209 Ortschaften die Hälfte und mehr aller Geburten unehelich und in 79 Ortschaften (54 ritterschaftlichen, 20 Domanialortschaften und 5 Klostergütern) waren überhaupt nur uneheliche Geburten. (Hört! hört!) Trotz aller Gesetze gegen die Unsittlichkeit und trotzdem das Land in religiöser Beziehung in gutem Rufe steht, haben sich solche Verhältnisse gebildet, ein Beweis, welchen Einfluss die materiellen Zustände auf die Sittlichkeit üben. Ich bedaure, dass ich bei dem Mangel einer Kriminalstatistik in unserem Lande Ihnen dies Thema nicht weiter mit einer Statistik über die Zunahme der Kindesmorde illustrieren kann. Im Jahre 1826 kam auf 10 1/5 Geburten 1 uneheliche und im Jahr 1796 erst auf 17 Geburten 1 uneheliche. In Preußen ist das Verhältnis der unehelichen Geburten zu den ehelichen von 1816 bis 1850 wie 1 : 13 und in Frankreich von 1846/49 wie 1 : 14 gewesen. — Eine Ehe kam auf folgende Einwohnerzahl:
im Jahr Domanium Ritterschaft Städte.
1841 137 145 115
1850 149 269 104
In den Städten vermehrte sich also während 1841/50 die Zahl der Ehen, im Domanium trat nur eine geringe Verminderung ein, aber in der Ritterschaft verminderten sich die Ehen fast um die Hälfte, wodurch nicht ein Rückgang der Bevölkerung, sondern nur eine Zunahme der Unsittlichkeit bewirkt ward. In den Jahren 1841-1850 kamen jährlich durchschnittlich 70 Selbstmorde vor, in den Jahren 1856-1858 88, während wir von 1811-1820 jährlich nur 21 Selbstmorde hatten. Einen großen Teil der begangenen Selbstmorde können wir unseren strengen Niederlassungsgesetzen in Rechnung stellen.
Meine Herren! Es schmerzt mich, dass ich Ihnen ein so trauriges Bild habe aufrollen müssen. Aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mir die Gelegenheit dazu gegeben haben, weil ich hoffe, dass das Urteil einer Versammlung von so erleuchteten Männern auch auf unser Land von Einfluss sein wird. Unsere Zustände sind der Art, dass es schwierig ist, vorwärts zu kommen, weil Politik und Wirtschaft bei uns eng zusammen hängen. Ich bezweifle deshalb, ob ein einziges Mecklenburgisches Blatt es wagen wird, die Ihnen von mir gemachten Mitteilungen ausführlich wiederzugeben. Dies hat mich aber nicht abgehalten, hierher zu reisen und Ihnen die volle reine Wahrheit zu sagen. Im Gegenteil, ich wollte gerade Ihr Urteil hören. Wenn Tausende und aber Tausende der tüchtigsten Kräfte aus dem Lande getrieben werden, während die minder Tatkräftigen daheim bleiben, wenn der fünfte Teil der gesamten Bevölkerung unehelich geboren ist, dann muss etwas faul im Staate sein. Hier haben Sie, m. H., einen Wirkungskreis für die großen Ideen, welche Sie vertreten, und ich bitte Sie, diese auch meinem Lande zu Gute kommen zu lassen. (Lebhafter Beifall.)
II.
Meine Herren! Zum vorigjährigen Kongress erhielt ich von Ihrer Deputation den Auftrag, über die agrarischen Zustände in Mecklenburg-Schwerin einen Bericht abzustatten. Aus verschiedenen Gründen war es mir lieb, mich diesem Auftrage unterziehen zu können. Es ist für die Wissenschaft und den Kongress von großem Interesse, zu erfahren, wie sich ein durch und durch auf anti-ökonomischen Prinzipien basierter Staat, wie Mecklenburg, in der Wirklichkeit ausnimmt. Eine unseren Bestrebungen feindselige Partei hat ihre Theorien auf die Zustände in Mecklenburg zu stützen beliebt und mit sichtlichem Wohlgefallen auf Mecklenburg als das Land verwiesen, wo die feudalen Zustände einen allgemeinen Wohlstand hervorgerufen hätten. Es kam darauf an, die Verkehrtheit dieser Anschauung nachzuweisen. Sodann hoffte ich, dass Ihr einsichtiges Urteil über unsere Zustände meinem Lande zu Gute kommen würde.
Das schwerin'sche Ministerium verschaffte mir nun auch durch Bewilligung eines, freilich nur auf acht Tage ausgestellten, Passes die Ehre, denjenigen Vortrag über unsere agrarischen Verhältnisse auf dem Volkswirtschaftlichen Kongress zu Frankfurt halten zu dürfen, welcher in dem stenographischen Bericht abgedruckt ist. Aber als ich in diesem Frühjahr als Mitglied der Kommission für landwirtschaftliche Angelegenheiten von Ihrer Deputation zu einer Konferenz nach Berlin berufen ward, in welcher dieser Kongress vorbereitet werden sollte, ward mir ein Pass nach Berlin verweigert. (Gelächter.) Meine Herren! Es ist an sich für den Kongress ein gleichgültiges Faktum, wenn eine deutsche Regierung einem ihrer Staatsangehörigen, und sei er auch ein Mitglied Ihres Kongresses, einen Pass verweigert. Höhere politische Rücksichten mögen eine solche Maßregel veranlasst haben, über deren Gerechtigkeit Ihnen kein kompetentes Urtheil zusteht. Aber in dem „Norddeutschen Correspondenten“, dem Organ der schwerin'schen Regierung, wird die geschehene Passverweigerung damit motiviert, dass ich in Frankfurt ein solches Bild von Mecklenburg entworfen hätte, dass kein Mecklenburger darin das Bild seines Landes wieder erkennen könnte. Wenn dieselbe also bei einem Urteil über meinen Vortrag nicht stehen bleibt, sondern denselben mit polizeilichen Maßregeln verfolgt, dann wird die Verteidigung für mich zur Pflicht und ich erhalte ein Recht, auf kurze Zeit Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Bei unseren Pressezuständen habe ich meine Verteidigung in der mecklenburgischen Presse nicht führen können. Um so mehr war ich darauf angewiesen, meinen Vortrag vor Ihnen zu rechtfertigen. Ich bin hierher gereist, ohne um einen Pass nachgesucht zu haben, weil ich im voraus wusste, dass ein solcher mir nicht gewährt werden würde, und im Vertrauen auf die Nachbarstaaten, dass sie unter solchen Umständen mich unbelästigt ohne Pass reisen lassen würden. Ich habe mich bisher in meinem Vertrauen nicht getäuscht. (Bravo!)
Meine Herren! Diejenigen unter Ihnen, welche meinen Vortrag mit angehört oder gelesen haben, werden mir zugeben, dass ich in ruhiger und objektiver Weise Tatsachen und Zahlen habe reden lassen. Es kann also nicht die Form sein, welche die schwerin'sche Regierung verletzt hat. Auch wird mir nicht ein Irrtum Seitens derselben zur Last gelegt sein. Denn einen Irrtum bestraft man nicht mit Passverweigerung. Die schwerin'sche Regierung wird mich also beschuldigen, dass ich absichtlich falsche Tatsachen und Zahlen referiert habe, um ein verkehrtes Urteil über die mecklenburgischen Zustände hervorzurufen.
Einen solchen Vorwurf weise ich mit Entrüstung zurück, und ich glaube nicht nötig zu haben, mich Ihnen gegenüber deshalb zu rechtfertigen. So sehr ich auch die wirtschaftlichen Zustände meines Landes beklage, so unfähig bin ich, durch absichtliche Unwahrheiten die öffentliche Meinung über dieselben irre zu führen. Schon die Achtung vor der Wissenschaft und dem Kongress würde mich davon zurückgehalten haben. Ich habe mich also nur dagegen zu verteidigen, dass ich irrtümlich ein unrichtiges Bild von Mecklenburg entworfen hätte.
Meine Herren! Kein mecklenburgisches Blatt hat es, wie ich im voraus prophezeit habe, gewagt, meinen Vortrag ausführlich wiederzugeben. Von der gesamten mecklenburgischen Presse ist nur der „Norddeutsche Correspondent“ gegen mich aufgetreten. Aber keine einzige der von mir angeführten Tatsachen und Zahlen ist von ihm widerlegt worden, sondern nur mit allgemeinen Phrasen und Verdächtigungen hat er mich bekämpft. Gegen solche Angriffe mich zu verteidigen, verbietet mir der Anstand, und so lange die angeführten Tatsachen und Zahlen nicht einzeln widerlegt sind, bin ich berechtigt, deren Richtigkeit aufrecht zu halten. Die gesummte übrige unabhängige Presse in Deutschland aber ist einstimmig mit mir in der Verurteilung unserer wirtschaftlichen Zustände. Ja sogar die eigenen Organe der feudalen Partei bekämpfen zum Teil unsere wirtschaftlichen Verhältnisse. Z. B. die in Frankfurt erscheinenden „Deutschen Blätter“, welche bekanntlich von den in Würzburg versammelten Bevollmächtigten verschiedener deutscher Regierungen, zu denen auch der schwerin'sche Ministerpräsident gehörte, seit Neujahr zu ihrem Organ gewählt wurden und, wie öffentliche Blätter berichteten, in 60 Exemplaren von unserem Gouvernement bestellt waren, enthielten eine Reihe eingehender Artikel, in welchen alle unsere wirtschaftlichen Zustände in ähnlicher Weise, wie dies von mir geschehen war, aber in viel schrofferer Form bekämpft wurden. „Solche Dinge“, heißt es unter Anderem in Nr. 3 jener Blätter in einem „Mecklenburg und die Reform“ überschriebenen Artikel, „gehören nicht zu den bloßen Unterlassungssünden; sie sind positive Angriffe auf Recht und Vernunft, wahre Herausforderungen zu Widerstand und Umwälzung“. Aber ich darf mich noch auf ein viel gewichtvolleres Zeugnis zu meinen Gunsten berufen. Vor Kurzem haben 82 Mitglieder der mecklenburgischen Ritterschaft einen Antrag auf Einführung einer Repräsentativverfassung hauptsächlich mit unseren wirtschaftlichen Missständen motiviert und sich ganz in derselben Weise über unsere wirtschaftlichen Zustände ausgesprochen, wie ich es im vorigen Jahre getan habe. Sie haben namentlich auch behauptet, dass nicht bloß die starken Auswanderungen, sondern auch die außerordentliche Masse unehelicher Geburten und selbst die zahlreichen Kindesmorde in unverkennbarem Zusammenhange mit unseren Heimats-, Niederlassungs- und Armenversorgungs-Gesetzen ständen. Meine Herren! So äußern sich 82 Mitglieder der mecklenburgischen Ritterschaft, fast der siebente Teil sämtlicher und mehr als der vierte Teil der bürgerlichen Rittergutsbesitzer, in einem offiziellen, an das ständige Organ der mecklenburgischen Ritter- und Landschaft, den sogenannten Engern Ausschuss, gerichteten Aktenstück. Das haben 82 patriotische Männer gesagt, welche kein persönliches Interesse bei ihrem Schritte geleitet haben kann, weil sie selbst gerade zu den Bevorrechteten gehören, denen die mecklenburgischen Verhältnisse zu Gute kommen, welche also nur von der Überzeugung bestimmt sind, dass es bei uns anders und besser werden müsse.
Unter diesen Umständen kann ich darauf verzichten, meine Verteidigung im Einzelnen weiter durchzuführen. Nur zur Vervollständigung meines vorigjährigen Vortrages habe ich noch ein Paar Punkte kurz zu berühren. Ich habe in demselben darauf hingewiesen, wie furchtbar die Ritter gegen unseren Bauernstand gehaust, dass sie den Bauern ihre Grundstücke geraubt haben und dass von den 12.000 ritterschaftlichen Bauern, welche im Jahr 1628 noch existierten, kaum 1.200 übrig geblieben sind. Diesmal kann ich den „Norddeutschen Correspondenten“ selbst zu meiner Verteidigung anführen, in dessen Spalten vor Kurzem ein harter Kampf zwischen den Regierungsanhängern und den Rittern über die Bauerneinziehungen ausgebrochen ist. Die Regierung beabsichtigt nämlich, die seit hundert Jahren ohne ihre Genehmigung eingezogenen ritterschaftlichen Bauernstellen wieder herzustellen. Zur Verteidigung ihres Verfahrens macht ihr Organ auf den Schaden aufmerksam, „der durch die widerrechtliche Beseitigung so mancher Bauern nicht nur diesen, sondern dem Wohle des ganzen Landes zugefügt ist“, und bringt noch höchst interessante geschichtliche und statistische Notizen über das Raubsystem, dessen man sich gegen die Bauern hat zu Schulden kommen lassen. Darnach waren mehr als zwanzig Jahre nach dem 30jährigen Kriege noch etwa 12.000 ritterschaftliche Bauerhufen vorhanden, im Jahre 1755 nur noch etwa 5.000. Von den 35 Millionen mecklenburgischen Quadratruthen (gleich circa 53 Millionen preußische Quadratruthen oder 300.000 preußische Morgen), Bauernländereien, welche seit 1755, teils mit, teils ohne Konsens der Regierung eingezogen und verschwunden sind, kommt nur der geringste Teil auf die Zeit des 7jährigen Krieges. Auch ohne alle äußeren Drangsale und Kriegsläufe sind noch in den letzten 30 Jahren allein mit Konsens der Regierung 3 1/2 Millionen, und bloß in den letzten zehn Jahren nach ungefährer Schätzung gegen 2 Millionen mecklenburgische Quadratruthen Bauernländereien eingezogen worden. (Bewegung!) Meine Herren! Ich kann das Verfahren, welches unsere Regierung einschlagen will, um das den Bauern zugefügte Unrecht wieder gut zu machen, nicht billigen: die Wiederherstellung der widerrechtlich eingezogenen Bauernhufen erfüllt ihren Zweck nicht, fügt ein neues Unrecht zu dem alten und schadet dem Kredit unseres Landes. Es gibt nur einen Weg der Buße für die alten Sünden, und der besteht darin, aus unseren Bauern freie Eigentümer zu machen und die Teilbarkeit des Grund und Bodens zu proklamieren. Aber ich nehme Akt von diesen offiziösen furchtbaren Enthüllungen, welche das bestätigen und vervollständigen, was ich Ihnen über diesen Gegenstand zu sagen die Ehre hatte.
Kürzlich hat die Kreuzzeitungspartei öffentlich zu behaupten gewagt, dass die Rüge über die unehelichen Kinder in Mecklenburg rein vom Zaune gebrochen wäre, und dass es mit den unehelichen Geburten bei uns nicht so schlimm stehe. Meine Herren! Um diesen Phrasen ein für allemal zu begegnen, habe ich mir die Mühe gemacht und dem schwerin'schen Staatskalender die zehnjährigen Durchschnittsverhältnisse der unehelichen zu den ehelichen Geburten seit 1808 bis auf die neueste Zeit entnommen. Von 1808 bis 1817 war das Verhältnis; wie 1 : 12, von 1818 bis 1827 wie 1 : 9,6, von 1828 bis 1837 wie 1 : 7,7, von 1838 bis 1847 wie 1 : 5,3 und von 1848 bis 1857 wie 1 : 4,02; im Jahr 1858 war das Verhältnis; wie 1 : 3,95 und im Jahr 1859 wie 1 : 3,87. In konstanter Folge haben sich also die unehelichen Geburten vermehrt und wenn dieselben in der bisherigen Proportion zunehmen, so ist die Zeit abzusehen, wo die Zahl der unehelichen Geburten die der ehelichen übertreffen wird. (Hört, Hört!)
Schließlich will ich hier noch die früher mir noch nicht bekannte Tatsache anführen, dass der Betrag der intabulierten Schulden der Rittergüter von 23.855.994 Rthlr. N.2/3 und Gold im Jahre 1834 auf 36.563.786 Rthlr. N. 2/3 und Gold im Jahre 1849 gestiegen ist, so dass die Zunahme der Verschuldung in 15 Jahren 53,25 Prozent betragen hat. Die Zunahme des Wertes jeder Hufe betrug aber nach einem 85jährigen Durchschnitt in 15 Jahren nur 17 Prozent, so dass die Verschuldung der Hufe beinahe dreimal so stark gewachsen ist als der Wert derselben. Es ist dies ein Beweis, dass die großen Privilegien unserer Rittergutsbesitzer ihnen nicht so große Vorteile gewähren, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist.
Meine Herren! Diejenigen, welche die mecklenburgischen Zustände in Wort und Schrift angreifen, sind von unserer Feudalpartei „entartete Söhne des Landes“ genannt. Mit gutem Gewissen kann ich einen solchen Vorwurf zurückweisen. Ich liebe auch mein engeres Vaterland wie nur Einer. Aber ich sehe klar, dass eine verkehrte Wirtschaftspolitik einen tüchtigen deutschen Volksstamm in seiner wirtschaftlichen Entwickelung vollständig hemmt. Darum halte ich es für meine, wenn auch schmerzliche, doch patriotische Pflicht, unsere wirtschaftlichen Zustande, wo immer sich für mich nur die Gelegenheit bietet, in ihrem wahren Lichte zu zeigen. Das Aussprechen der Wahrheit mag Einzelne verletzen, es frommt aber dem Ganzen. Das Erkennen der Krankheit wird auch die Heilung zur Folge haben. Könnte ich Ihnen doch erst berichten, dass Mecklenburg genesen ist! (Anhaltender Beifall.)
Präsident Dr. Braun: Ich glaube im Sinne der ganzen Versammlung zu sprechen, wenn ich dem geehrten Redner danke für die uns so eben gegebenen Mitteilungen, welche für die Abteilung der Agrar-Gesetzgebung von wissenschaftlichem, und fast möchte ich sagen, Pathologischem, Interesse sind. Er hat um so mehr diesen Dank verdient, als er sich durch die ihm widerfahrene Maßregelung nicht hat abhalten lassen, hier zu erscheinen und für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Durch Verweigerung eines Passes kann man die Wahrheit nicht unterdrücken und die Wissenschaft nicht zur Umkehr zwingen. Sie werden auch ohne Pass stets Ihren Weg finden zu dem Geiste und dem Heizen unseres Volkes! (Stürmischer Beifall.)