Über Polen. Abschnitt 6


Von den Bewohnern der preußisch-polnischen Städte will ich Ihnen nicht viel schreiben; es ist ein Mischvolk von preußischen Beamten, ausgewanderten Deutschen, Wasserpolen, Polen, Juden, Militär usw. Die preußischen deutschen Beamten fühlen sich von den polnischen Edelleuten nicht eben zuvorkommend behandelt. Viele deutsche Beamten werden oft, ohne ihren Willen, nach Polen versetzt, suchen aber so bald als möglich wieder herauszukommen; andere sind von häuslichen Verhältnissen in Polen festgehalten. Unter ihnen finden sich auch solche, die sich darin gefallen, daß sie von Deutschland isoliert sind; die sich bestreben, das bißchen Wissenschaftlichkeit, das sich ein Beamter, zum Behuf des Examens, erworben haben mußte, so schnell als möglich wieder auszugähnen; die ihre Lebensphilosophie auf eine gute Mahlzeit basiert haben und die, bei ihrer Kanne schlechten Bieres, geifern gegen die polnischen Edelleute, die alle Tage Ungarwein trinken und keine Aktenstöße durchzuarbeiten brauchen. Von dem preußi schen Militär, das in dieser Gegend liegt, brauche ich nicht viel zu sagen; dieses ist, wie überall, brav, wacker, höflich, treuherzig und ehrlich. Es wird von dem Polen geachtet, weil dieser selbst soldatischen Sinn hat und der Brave alles Brave schätzt; aber von einem näheren Gefühle ist noch nicht die Rede.

Posen, die Hauptstadt des Großherzogtums, hat ein trübsinniges, unerfreuliches Ansehen. Das einzige Anziehende ist, daß sie eine große Menge katholischer Kirchen hat. Aber keine einzige ist schön. Vergebens wallfahrte ich alle Morgen von einer Kirche zur andern, um schöne alte Bilder aufzusuchen. Die alten Gemälde finde ich hier nicht schön, und die einigermaßen schönen sind nicht alt. Die Polen haben die fatale Gewohnheit, ihre Kirchen zu renovieren. Im uralten Dom zu Gnesen, der ehemaligen Hauptstadt Polens, fand ich lauter neue Bilder und neue Verzierungen. Dort interessierte mich nur die figurenreiche, aus Eisen gegossene Kirchentür, die einst das Tor von Kiew war, welches der siegreiche Boguslaw erbeutete und worin noch sein Schwerthieb zu sehen ist. Der Kaiser Napoleon hat sich, als er in Gnesen war, ein Stückchen aus dieser Tür herausschneiden lassen, und diese hat, durch solche hohe Aufmerksamkeit, noch mehr an Wert gewonnen. In dem Gnesener Dom hörte ich auch, nach der ersten Messe, einen vierstimmigen Gesang, den der heilige Adalbert, der dort begraben liegt, selbst komponiert haben soll und der alle Sonntage gesungen wird. Der Dom hier in Posen ist neu, hat wenigstens ein neues Ansehen, und folglich gefiel er mir nicht. Neben demselben liegt der Palast des Erzbischofs, der auch zugleich Erzbischof von Gnesen und folglich zugleich römischer Kardinal ist und folglich rote Strümpfe trägt. Er ist ein sehr gebildeter, französisch-urbaner Mann, weißhaarig und klein. Der hohe Klerus in Polen gehört immer zu den vornehmsten adligen Familien; der niedere Klerus gehört zum Plebs, ist roh, unwissend und rauschliebend. – Ideenassoziation führt mich direkt auf das Theater. Ein schönes Gebäude haben die hiesigen Einwohner den Musen zur Wohnung angewiesen; aber die göttlichen Damen sind nicht eingezogen und schickten nach Posen bloß ihre Kammerjungfern, die sich mit der Garderobe ihrer Herrschaft putzen und auf den geduldigen Brettern ihr Wesen treiben. Die eine spreizt sich wie eine Pfau, die andere flattert wie eine Schnepfe, die dritte kollert wie ein Truthahn, und die vierte hüpft auf einem Beine wie ein Storch. Das entzückte Publikum aber sperrt ellenweit den Mund auf, der Epaulettmensch ruft: „Auf Ehre, Melpomene! Thalia! Polyhymnia! Terpsichore!“ – Auch einen Theaterrezensenten gibt es hier. Als wenn die unglückliche Stadt nicht genug hätte an dem bloßen Theater! Die trefflichen Rezensionen dieses trefflichen Rezensenten stehen bis jetzt nur in der Posener Stadtzeitung, werden aber bald als eine Fortsetzung der Lessingschen „Dramaturgie“ gesammelt erscheinen!! Doch mag sein, daß mir dieses Provinzialtheater so schlecht erscheint, weil ich just von Berlin komme und noch zuletzt die Schröck und die Stich sah. Nein, ich will nicht das ganze Posensche Theater verdammen; ich bekenne sogar, daß es ein ganz ausgezeichnetes Talent, zwei gute Subjekte und einige nicht ganz schlechte besitzt. Das ausgezeichnete Talent, wovon ich hier spreche, ist Demois. Paien. Ihre gewöhnliche Rolle ist die erste Liebhaberin. Da ist nicht das weinerliche Lamento und das zierliche Geträtsche jener Gefühlvollen, die sich für die Bühne berufen glauben, weil sie vielleicht im Leben die sentimentale oder kokette Rolle mit einigem Sukzeß gespielt, und die man von den Brettern fortpfeifen möchte, eben weil man sie im einsamen Klosett herzlich applaudieren würde. Demois. Paien spielt mit gleichem Glücke auch die heterogensten Rollen, eine Elisabeth so gut wie eine Maria. Am besten gefiel sie mir jedoch im Lustspiel, in Konversationsstücken, und da besonders in jovialen, neckenden Rollen. Sie ergötzte mich königlich als Pauline in „ Sorgen ohne Not und Not ohne Sorge“. Bei Demois. Paien fand ich ein freies Spielen von innen heraus, eine wohltuende Sicherheit, eine fortreißende Kühnheit, ja fast Verwegenheit des Spiels, wie wir es nur bei einem echten, großen Talente gewahren. Ich sah sie ebenfalls mit Entzücken in einigen Männerrollen, z.B. in der „Liebeserklärung“ und in Wolffs „Cäsario“; nur hätte ich hier eine etwas eckige Bewegung der Arme zu rügen, welchen Fehler ich aber auf Rechnung der Männer setze, die ihr zum Muster dienen. Demois. Paien ist zu gleicher Zeit Sängerin und Tänzerin, hat ein günstiges Äußere, und es wäre schade, wenn dieses kunstbegabte Mädchen in den Sümpfen herumziehender Truppen untergehen müßte.


Ein brauchbares Subjekt der Posener Bühne ist Herr Carlsen, er verdirbt keine Rolle; auch muß man Madame Paien eine gute Schauspielerin nennen. Sie glänzt in den Rollen lächerlicher Alten. Als Geliebte Schieberles gefiel sie mir besonders. Sie spielt ebenfalls keck und frei und hat nicht den gewöhnlichen Fehler derjenigen Schauspielerinnen, die zwar mit vieler Kunst solche Alteweiberrollen darstellen, uns aber doch gern merken lassen möchten, daß in der alten Schachtel noch immer eine aimable Frau stecke. Herr Oldenburg, ein schöner Mann, ist als Liebhaber im Lustspiel unerquicklich und ein Muster von Steifheit und Unbeholfenheit; als Heldliebhaber im Trauerspiel ist er ziemlich erträglich. Es ist nicht zu verkennen, daß er Anlage zum Tragischen hat; aber seinen langen Armen, die bei den Knien perpendikelartig hin- und herfliegen, muß ich alles Schauspielertalent durchaus absprechen. Als Richard in „Rosamunde“ gefiel er mir aber, und ich übersah manchmal den falschen Pathos, weil solcher im Stücke selbst liegt. In diesem Trauerspiel gefiel mir sogar Herr Munsch, als König, am Ende des zweiten Akts in der unübertrefflichen Knalleffektszene. Herr Munsch pflegt gewöhnlich, wenn er in Leidenschaft gerät, einem Gebell ähnliche Töne auszustoßen. Demois. Franz, ebenfalls erste Liebhaberin, spielt schlecht aus Bescheidenheit; sie hat etwas Sprechendes im Gesicht, nämlich einen Mund. Madame Fabrizius ist ein niedliches Figürchen und gewiß enchantierend außer dem Theater. Ihr Mann, Herr Fabrizius, hat in dem Lustspiel „Des Herzogs Befehl“ den großen Fritz so meisterhaft parodiert, daß sich die Polizei hätte dreinmischen sollen. Madame Carlsen ist die Frau von Herrn Carlsen. Aber Herr Vogt ist der Komiker: er sagt es ja selbst, denn er macht den Komödienzettel. Er ist der Liebling der Galerie, hat den Grundsatz, daß man eine Rolle wie die andere spielen müsse, und ich sah mit Bewunderung, daß er demselben getreu blieb als Fels von Felsenburg, als dummer Baron im „Alpenröschen“, als Spießbürgeranführer im „Vogelschießen“ usw. Es war immer ein und derselbe Herr Ernst Vogt mit seiner Fistelkomik. Einen andern Komiker hat Posen kürzlich gewonnen in Herrn Ackermann, von welchem ich den Staberle und die „Falsche Catalani“ mit vielem Vergnügen gesehen. Madame Leutner ist die Direktrice der Posener Bühne und findet nichts weniger als ihre Rechnung dabei. Vor ihr spielte hier die Köhlersche Truppe, die jetzt in Gnesen ist, und zwar im allerdesolatesten Zustande. Der Anblick dieser armen Waisenkinder der deutschen Kunst, die, ohne Brot und ohne aufmunternde Liebe, in dem fremden kalten Polen herumirren, erfüllte meine Seele mit Wehmut. Ich habe sie bei Gnesen, auf einem freien, mit hohen Eichen romantisch umzäunten Platze, genannt der Waldkrug, spielen sehen; sie führten ein Schauspiel auf, betitelt „Bianka von Toredo oder die Bestürmung von Castelnero“, ein großes Ritterschauspiel in fünf Aufzügen von Winkler; es wurde viel darin geschossen und gefochten und geritten, und innig rührten mich die armen, geängstigten Prinzessinnen, deren wirkliche Betrübnis merklich schimmerte durch ihre betrübte Deklamation, deren häusliche Dürftigkeit sichtbar hervorguckte aus ihrem fürstlichen Goldflitterstaate und auf deren Wangen das Elend nicht ganz von der Schminke bedeckt war. – Vor kurzem spielte hier auch eine polnische Gesellschaft aus Krakau. Für zweihundert Taler Abstandsgeld überließ ihr Madame Leutner die Benutzung des Schauspielhauses auf vierzehn Darstellungen. Die Polen gaben meistens Opern. An Parallelen zwischen ihnen und der deutschen Truppe konnte es nicht fehlen. Die Posener von deutscher Zunge gestanden zwar, daß die polnischen Schauspieler schöner spielten als die deutschen und schöner sangen und eine schönere Garderobe führten usw.; aber sie bemerkten doch, die Polen hätten keinen Anstand. Und das ist wahr; es fehlte ihnen jene traditionelle Theateretikette und pompöse, preziöse und graziöse Gravität deutscher Komödianten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Polen