Über Polen. Abschnitt 2


Es wäre zu wünschen, daß unsere Regierung, durch zweckmäßige Mittel, den Juden des Großherzogtums mehr Liebe zum Ackerbau einzuflößen suchte; denn jüdische Ackerbauer soll es hier nur sehr wenige geben. Im russischen Polen sind sie häufig. Die Abneigung gegen den Pflug soll bei den polnischen Juden daher entstanden sein, weil sie ehemals den leibeigenen Bauer in einem äußerlich so sehr traurigen Zustande sahen. Hebt sich jetzt der Bauernstand aus seiner Erniedrigung, so werden auch die Juden zum Pflug greifen. – Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Wirtshäuser Polens in den Händen der Juden, und ihre vielen Branntweinbrennereien werden dem Lande sehr schädlich, indem die Bauern dadurch zur Völlerei angereizt werden. Aber ich habe ja schon oben gezeigt, wie das Branntweintrinken zur Seligmachung der Bauern gehört. – Jeder Edelmann hat einen Juden im Dorf oder in der Stadt, den er Faktor nennt und der alle seine Kommissionen, Ein- und Verkäufe, Erkundigungen usw. ausführt. Eine originelle Einrichtung, welche ganz die Bequemlichkeitsliebe der polnischen Edelleute zeigt. Das Äußere des polnischen Juden ist schrecklich. Mich überläuft ein Schauder, wenn ich daran denke, wie ich hinter Meseritz zuerst ein polnisches Dorf sah, meistens von Juden bewohnt. Das W–cksche Wochenblatt, auch zu physischem Brei gekocht, hätte mich nicht so brechpulverisch anwidern können als der Anblick jener zerlumpten Schmutzgestalten; und die hochherzige Rede eines für Turnplatz und Vaterland begeisterten Tertianers hätte nicht so zerreißend meine Ohren martern können als der polnische Judenjargon. Dennoch wurde der Ekel bald verdrängt von Mitleid, nachdem ich den Zustand dieser Menschen näher betrachtete und die schweinestallartigen Löcher sah, worin sie wohnen, mauscheln, beten, schachern und – elend sind. Ihre Sprache ist ein mit Hebräisch durchwirktes und mit Polnisch fassoniertes Deutsch. Sie sind in sehr frühen Zeiten wegen Religionsverfolgung aus Deutschland nach Polen eingewandert; denn die Polen haben sich in solchen Fällen immer durch Toleranz ausgezeichnet. Als Frömmlinge einem polnischen Könige rieten, die polnischen Protestanten zum Katholizismus zurückzuzwingen, antwortete derselbe: „Sum rex populorum, sed non conscientiarum!“ – Die Juden brachten zuerst Gewerbe und Handel nach Polen und wurden unter Kasimir dem Großen mit bedeutenden Privilegien begünstigt. Sie scheinen dem Adel weit näher gestanden zu haben als den Bauern; denn nach einem alten Gesetze wurde der Jude durch seinen Übertritt zum Christentum eo ipso in den Adelstand erhoben. Ich weiß nicht, ob und warum dieses Gesetz untergegangen und was etwa mit Bestimmtheit im Werte gesunken ist. – In jenen frühern Zeiten standen indessen die Juden in Kultur und Geistesausbildung gewiß weit über dem Edelmann, der nur das rauhe Kriegshandwerk trieb und noch den französischen Firnis entbehrte. Jene aber beschäftigten sich wenigstens immer mit ihren hebräischen Wissenschaft- und Religionsbüchern, um derentwillen eben sie Vaterland und Lebensbehaglichkeit verlassen. Aber sie sind offenbar mit der europäischen Kultur nicht fortgeschritten, und ihre Geisteswelt versumpfte zu einem unerquicklichen Aberglauben, den eine spitzfindige Scholastik in tausenderlei wunderliche Formen hineinquetscht. Dennoch, trotz der barbarischen Pelzmütze, die seinen Kopf bedeckt, und der noch barbarischeren Ideen, die denselben füllen, schätze ich den polnischen Juden weit höher als so manchen deutschen Juden, der seinen Bolivar auf dem Kopf und seinen Jean Paul im Kopfe trägt. In der schroffen Abgeschlossenheit wurde der Charakter des polnischen Juden ein Ganzes; durch das Einatmen toleranter Luft bekam dieser Charakter den Stempel der Freiheit. Der innere Mensch wurde kein quodlibetarti ges Kompositum heterogener Gefühle und verkümmerte nicht durch die Einzwängung Frankfurter Judengaßmauern, hochweiser Stadtverordnungen und liebreicher Gesetzbeschränkungen. Der polnische Jude mit seinem schmutzigen Pelze, mit seinem bevölkerten Barte und Knoblauchgeruch und Gemauschel ist mir noch immer lieber als mancher in all seiner staatspapiernen Herrlichkeit.

Wie ich bereits oben bemerkt, dürfen Sie in diesem Briefe keine Schilderungen reizender Naturszenen, herrlicher Kunstwerke usw. erwarten; nur die Menschen, und zwar besonders die nobelste Sorte, die Edelleute, verdienen hier in Polen die Aufmerksamkeit des Reisenden. Und wahrlich, ich sollte denken, wenn man einen kräftigen, echten polnischen Edelmann oder eine schöne edle Polin in ihrem wahren Glanze sieht, so könnte dieses die Seele ebenso erfreuen wie etwa der Anblick einer romantischen Felsenburg oder einer marmornen Mediceerin. Ich lieferte Ihnen sehr gerne eine Charakterschilderung der polnischen Edelleute, und das gäbe eine sehr kostbare Mosaikarbeit von den Adjektiven: gastfrei, stolz, mutig, geschmeidig, falsch (dieses gelbe Steinchen darf nicht fehlen), reizbar, enthusiastisch, spielsüchtig, lebenslustig, edelmütig und übermütig. Aber ich selbst habe zu oft geeifert gegen unsre Broschürenskribler, die, wenn sie einen Pariser Tanzmeister hüpfen sehen, aus dem Stegreif die Charakteristik eines Volkes schreiben – – – – – – – und die, wenn sie einen dicken Liverpooler Baumwollnhändler jähnen sahen, auf der Stelle eine Beurteilung jenes Volkes liefern – – – – – – – Diese allgemeinen Charakteristiken sind die Quelle aller Übel. Es gehört mehr als ein Menschenalter dazu, um den Charakter eines einzigen Menschen zu begreifen: und aus Millionen einzelnen Menschen besteht eine Nation. Nur wenn wir die Geschichte eines Menschen, die Geschichte seiner Erziehung und seines Lebens, betrachten, wird es uns möglich, einzelne Hauptzüge seines Charakters aufzufassen. – Bei Menschenklassen, deren einzelne Glieder durch Erziehung und Leben eine gleiche Richtung gewinnen, müssen sich indessen einige hervortretende Charakterzüge bemerken lassen; dies ist bei den polnischen Edelleuten der Fall, und nur von diesem Standpunkte aus läßt sich etwas Allgemeines über ihren Charakter ausmitteln. Die Erziehung selbst wird überall und immer bedingt durch das Lokale und durch das Temporale, durch den Boden und durch die politische Geschichte. In Polen ist ersteres weit mehr der Fall als irgendwo. Polen liegt zwischen Rußland und – Frankreich. Das noch vor Frankreich liegende Deutschland will ich nicht rechnen, da ein großer Teil der Polen es ungerechterweise wie einen breiten Sumpf ansah, den man schnell überspringen müsse, um nach dem gebenedeiten Lande zu gelangen, wo die Sitten und die Pomaden am feinsten fabriziert werden. Den heterogensten Einflüssen war Polen dadurch ausgesetzt. Eindringende Barbarei von Osten, durch die feindlichen Berührungen mit Rußland; eindringende Überkultur von Westen, durch die freundschaftlichen Berührungen mit Frankreich: daher jene seltsamen Mischungen von Kultur und Barbarei im Charakter und im häuslichen Leben der Polen. Ich sage just nicht, daß alle Barbarei von Osten eingedrungen, ein sehr beträchtlicher Teil mag im Lande selbst vorrätig gewesen sein; aber in der neuern Zeit war dieses Eindrängen sehr sichtbar. Einen Haupteinfluß übt das Landleben auf den Charakter der polnischen Edelleute. Nur wenige derselben werden in den Städten erzogen; die meisten Knaben bleiben auf den Landgütern ihrer Angehörigen, bis sie erwachsen sind und durch die nicht gar zu großen Bemühungen eines Hofmeisters oder durch einen nicht gar zu langen Schulbesuch oder durch das bloße Walten der lieben Natur in den Stand gesetzt sind, Kriegsdienste zu nehmen oder eine Universität zu beziehen oder von der bärenleckenden Lutetia die Weihe der höchsten Ausbildung zu empfangen. Da nicht allen hierzu dieselben Mittel zu Gebot stehen, so ist es einleuchtend, daß man einen Unterschied machen muß zwischen armen Edelleuten, reichen Edelleuten und Magnaten. Erstere leben oft höchst jämmerlich, fast wie der Bauer, und machen keine besonderen Ansprüche an Kultur. Bei den reichen Edelleuten und den Magnaten ist die Unterscheidung nicht schroff, dem Fremden ist sie sogar sehr wenig bemerkbar. An und für sich selbst ist die Würde eines polnischen Edelmanns (civis polonus) bei dem ärmsten wie bei dem reichsten von demselben Umfange und demselben innern Werte. Aber an die Namen gewisser Familien, die sich immer durch großen Güterbesitz und durch Verdienste um den Staat ausgezeichnet, hat sich die Idee einer höhern Würde geknüpft, und man bezeichnet sie gemeiniglich mit dem Namen Magnaten. Die Czartoryskis, die Radziwills, die Zamoyskis, die Sapiehas, die Poniatowskis, die Potockis usw. werden zwar ebensogut als bloße polnische Edelleute betrachtet wie mancher arme Edelmann, der vielleicht hinterm Pflug geht; dennoch sind sie der höhere Adel de facto, wenn auch nicht de nomine. Ihr Ansehen ist sogar fester begründet als das von unserm hohen Adel, weil sie selbst sich ihre Würde gegeben und weil nicht bloß manches geschnürte alte Fräulein, sondern das ganze Volk ihren Stammbaum im Kopfe trägt. Die Benennung Starost findet man jetzt selten, und sie ist ein bloßer Titel geworden. Der Name Graf ist ebenfalls bei den Polen ein bloßer Titel, und es sind nur von Preußen und Österreich einige derselben verteilt. Von Adelstolz gegen Bürgerliche wissen die Polen nichts, und er kann sich nur in Ländern bilden, wo ein mächtiger und mit Ansprüchen hervortretender Bürgerstand sich erhebt. Erst dann, wenn der polnische Bauer Güter kaufen wird und der polnische Jude sich nicht mehr dem Edelmann zuvorkommend erzeigt, möchte sich bei diesem der Adelstolz regen, der also das Emporkommen des Landes beweisen würde. Weil hier die Juden höher als die Bauern gestellt sind, müssen sie zuerst mit diesem Adelstolze kollidieren; aber die Sache wird gewiß alsdann einen religiöseren Namen annehmen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Polen