In Paris angekommen. Der erste Eindruck keineswegs ein angenehmer.

In Paris angekommen. Der erste Eindruck keineswegs ein angenehmer. Die alten Straßen düster, schmutzig, erinnern sehr an die ähnlichen in Neapel. Unmittelbar vor der Stadt war der Kot so tief und so in Klumpen, daß man über geackertes Feld zu fahren schien. Auf der Post abgestiegen. Die Koffer noch einmal, nun zum drittenmal, visitiert. Mit vieler Mühe für Hermine einen Fiaker erhalten, in dem sie, mit meinem Segen und adieu pour jamais ihren tanzenden Verwandten in die Arme fuhr. Ich zu Fuß mit einem Träger durch die Stadt. Meine französischen Reisegesellschafter wohnten im Hotel de Bretagne. Ich wollte mich auch einmieten, aber, außer au quatrième, kein Zimmer zu haben. Wanderung nach Quartier. Ueberall alles besetzt. Endlich Rue Richelieu im Hotel de l'Europe ein eigentliches Dachstübchen gefunden, das ich vorderhand bezog, um nur des Weiterlaufens überhoben zu sein. Gewaschen, angekleidet, gefrühstückt, und so, ohne seit drei Nächten geschlafen zu haben, unmittelbar auf die Straße hinaus. Ich hatte keinen Plan der Stadt, keinen Guide des Voyageurs, nahm mir aber vor, bei dem nächsten Buchhändler im Vorbeigehen das alles zu kaufen und so meinen Lauf einzurichten. Es war aber Sonntag und viele Gewölbe, namentlich der Buchhändler, geschlossen. Ich ging denn so zu, die gerade Straße Richelieu hinab. Und es führte mich zum Glück. Auf einem unregelmäßigen Platz angekommen, sehe ich rechts ein großes Gebäude. Menschen, die sich an ein Gitter drängen; Trommeln. – Was ist hier? – Manœuvre des troupes, Monsieur. – Ich stand vor den Tuilerien. Der Triumphbogen Napoleons vor mir mit den modern gekleideten steinernen Grenadieren und Musketieren auf dem Simse, die gegen den antiken Stil des Ganzen gar zu sonderbar abstechen. Eine steinerne Bärenmütze ist nicht um ein Haar künstlicher als der marmorne Hosenträger des Andreas Hofer zu Innsbruck. Ich wollte nicht aus meiner Richtung kommen und ging wieder zurück in die Rue Richelieu, die für mich vorderhand die Lebensader dieses ungeheueren Körpers war. Ich wollte sehen, wohin sie am andern Ende führte. Ein düsteres Gebäude an der rechten Seite der Straße, Anschlagzettel dabei. Don Juan d'Autriche par Mr. Delavigne. Es war das Théâtre français, und ich wußte nun schon, was ich des Abends zu thun hatte. Gleich daneben ein Eingang, mit Haufen von Aus- und Einströmenden. Ich ging hinein, fest entschlossen, in derselben Richtung wieder zurückzukehren. Ein ungeheurer Hof, daran stoßend eine Art Garten, beide mit bedeckten Arkaden umgeben, die unzählige Buden enthielten.

Est-ce bien le Palais royal? Oui, Monsieur. Ich weiß nicht, wie es kam, daß dieses berühmte Gebäude mir anfangs kleinlicher vorkam, als ich erwartet hatte. Vielleicht trat ich zuerst in den kleineren Hof, und der erste Eindruck war somit verloren. Da waren denn, trotz des Sonntags, all die Hunderte der glänzenden Buden offen, und ich ließ mich zum guten Anfang mit einem Plan von Paris betrügen, an dem nichts neu war, als die Jahrzahl 1836, die man auf das veraltete Zeug eingekratzt hatte.


Am oberen Ende führte meine Rue Richelieu, (von der ich noch einen zweiten Seitenabstecher auf den Börsenplatz und zum Théâtre de l'opéra comique gemacht hatte) auf den Boulevard des Italiens, und nun sah ich denn, was man mit dem Namen Paris eigentlich für ein Ding bezeichnen will. Graben und Kohlmarkt, hundertmal aneinander gestückt und zwanzigmal in die Weite gedehnt und zehnfach bevölkert und tausendfach verschönert, würden ungefähr ein Bild dieser Boulevards geben. Die Kaffeehäuser weiß ich (die Größe abgerechnet) mit nichts zu vergleichen, als mit dem Staatswagen, in dem der Kaiser von Oestreich am Ostermontage nach St. Stephan fährt. So ging ich denn fort und fort, und ich sog den Eindruck der ungeheuern Stadt in mich ein. Endlich erinnerten mich meine Füße an die drei durchwachten Nächte und an die sechs andern meiner Reise, die von jenen nur durch eine Nacht Schlaf getrennt waren. Ich konnte nicht weiter. Ich schleppte mich in mein Gasthaus, wo ich bis zur Essenszeit (halb sechs Uhr) meinen plan de Paris studierte. Table d'hôte von wenigstens zwanzig Schüsseln, von einer Feinheit der Zurichtung, von der man in Wien, aber, die Wahrheit zu sagen, in diesem Grade auch in den meisten andern Pariser Gasthäusern keine Vorstellung hat. Uebrigens ennuyierte ich mich sehr und ließ gern das Dessert im Stiche, um, da es inzwischen dreiviertel auf sieben Uhr geworden war, ins Théâtre français zu gehen.

Das Stück wurde zum fünf- oder sechsundsiebenzigstenmale gegeben, und doch mußte man Queue machen, um zur Kasse zu gelangen. Glückliche Theater! Glückliche Autoren! – Ich bewundere die ungezwungene Grazie eines gemeinen Gendarmen, der mit dazwischen gehaltener Hand eine Barriere bildete und die Zuströmenden nur paarweise zur Kasse ließ. Keine petite maîtresse hätte das artiger thun können. Man respektierte aber auch die nachlässig ausgestreckte Hand, als ob es eine eiserne Barriere gewesen wäre. Endlich war ich im Innern. Ein junger Mann aus der Normandie zeigte mir den Eingang, und bald saßen wir auf den beiden letzten Plätzen, die auf den Bänken des Parterre noch zu haben waren. Das Haus ist groß und schön. Man hört und sieht auf der letzten Bank so gut als auf der ersten.

Der Vorhang ging auf, und – ein Gemälde lag vor mir da. Ein Zimmer mit einigen Bücherstellen, dunkel gehalten. Keine Coulissen, keine Soffiten, keine Seitenlampen, keine Einsicht zwischen die Wände; sondern eben ein Zimmer, wie man es in der Wirklichkeit sieht. Weit entfernt, daß man dasselbe von den Schauspielern sagen konnte. So spricht man nicht im Leben; aber man könnte allenfalls so sprechen. Gilt in der Oper Gesang zur Musik für Sprache der Leidenschaft, warum nicht auch Gesang ohne Musik oder kadenzierter Rhythmus ohne Gesang? Das ist alles schärfer und betonter als im Leben, aber man will eben Aufmerksamkeit erregen. Die Wirklichkeit drückt sich mit Recht gemäßigt aus, denn sie hat die Unbestreitbarkeit ihres Wesens für sich; soll die Fiktion nichts thun, um das, worin sie im Nachteil steht, auszugleichen? Dazu kommt die Genauigkeit der Schule, die macht, daß nichts vor dem andern hervortritt und alles, gesteigert, aber harmonisch sich fortbewegt. Es ist, als ob man eine Landschaft durch ein gefärbtes Glas betrachtete. Die Luft flammt, die Bäume röteln, alles spielt ins Feurige und Gelbe. Da der Ton aber allem gemeinschaftlich ist, so hat man wenig dagegen einzuwenden. Damit will ich dieser Schule nicht das Wort reden, sondern mir nur begreiflich machen, wie sie wirkt und wirken kann. So viel wenigstens ist gewiß, daß, indes bei unserer matten Natürlichkeit die Zuseher nach drei Stunden sich bang nach Thür und Ausgängen umsehen, die Leute hier von sieben Uhr bis Mitternacht in immer gesteigerter Erwartung saßen und die Teilnahme eher stieg als sank.

Die Individuen nicht eben bedeutend, bedeutend aber die allen gemeinschaftliche Schule. Der Beste vielleicht Firmin, der den Don Juan gab. Er legte etwas Bäurisches in den komischen Teil der Rolle, das kaum darin liegen dürfte, aber zur Individualisierung diente. Mad. Volays, oder wie sie hieß, vortreffliche Momente, aber von der Art, wie sie alle französische Schauspielerinnen haben. Die Armbewegungen mit dem ganzen Arme machen viele Wirkung. Einmal spuckt sie dem Könige ins Gesicht. Ja, wer das beschreiben könnte! Das ganze Schimpfliche der Handlung und nichts von dem Ekelhaften. Das Ganze lag bloß in der Bewegung des Kopfes, ohne daß die Lippen dabei etwas zu thun gehabt hätten. Ein einziges Mal machte sie einen jener eigentlichen Naturschreie, die ich so sehr hasse. König Philipp sang gar zu sehr, auch sonst nichts Bedeutendes. Don Juans Erzieher gegen das Ende zu immer besser. Der Schlechteste Karl V. Wie ein reduzierter Dragoneroffizier, der in einem Kloster das Gnadenbrot genießt et qui s'en moque. Ein junger Laienbruder, Mlle. Anais, recht gut, nur noch mehr hervortretend, als wohl der Dichter selbst wollte, und viel mehr, als die Sache erfordert. Das Stück ist in Prosa, die Schauspieler sprachen aber durchaus, als ob es Verse wären. Von den Dekorationen, dem Künstlerischen von Kostüme, Anordnung, Bewegung und Stellungen (immer mit Ausnahme Karls V.) läßt sich nicht genug Gutes sagen. Das Stück sah sich mitunter an, als ob es etwas Besonderes wäre, was es doch, bei Gott! nicht ist.

Die Aufmerksamkeit des Publikums bis ans Ende (halb eins nach Mitternacht) bewundernswürdig, aber ebenso merkwürdig die Unzahl von Streitigkeiten, vor allem wegen der Plätze. Hinter mir forderten sich ein Paar.

Nach Hause. Weniger gut geschlafen, als man nach so vielen durchwachten Nächten hätte glauben sollen.