30. März, abends sieben Uhr, Abfahrt von Wien.

30. März, abends sieben Uhr, Abfahrt von Wien. Freunde warten am Wagen: Bauernfeld, Nimbsch, nicht Auersperg. Tant mieux.

Im Wagen ein ältlicher Kaufmann, der den Linzer Markt besucht, auf dem Bocke ein hübscher, junger Mensch, sein Begleiter, ein Neffe des Großhändlers Wedl.


Mit völligerer Gleichgültigkeit hat wohl noch niemand eine Reise angetreten, und während der schlaflosen Nacht fand ich es höchst lächerlich, sich so vielen Beschwerlichkeiten auszusetzen, ohne daß der Zweck nur irgend einen Genuß verspreche. Ja es gibt Augenblicke, wo mich der Gedanke anwidert, in einer fernen Stadt unter fremdredenden Menschen mich herumzutreiben, ich, der ich mich überhaupt nicht gern herumtreibe. Aber alea jacta est. Es gilt eine homöopathische Kur. Wem die gewöhnlichen Widerwärtigkeiten zu schwer fallen, der kann nur durch ungewöhnliche kuriert werden.

Während der Nacht kam mir meine Reise eigentlich zwecklos vor. Als der Tag anbrach und Wiesen und, obzwar zur Zeit noch unbelaubte Bäume hervortraten, stellte sich doch eine Art Wohlgefallen ein, obwohl ohne Frühlingsempfindung, die sonst bei mir so mächtig ist.

Kein Ereignis. Mein Reisegefährte sprach mit mir über Tuch und Kaschmir, was mich wirklich unterhielt. Ich sprach dagegen von der Unsolidität und dem Aufwand der Kleinhändler, was ihn unterhielt. Der hübsche junge Mensch auf dem Kutschbocke war halb erfroren, Frühstück in Mölk.

Mittagsmahl in Strengberg. Die ehemals hübsche Postmeisterin recitierte eine unanständige Grabschrift, die sich auf dem dortigen Kirchhofe befindet und die ich vergessen hatte. Schon morgens hatte es geregnet, später aufgehört, jetzt fing es wieder stärker an, mit heftigem Winde begleitet. Aussicht auf eine unangenehme Nacht. Zurückkehrende Gedanken über das Zwecklose dieser Reise. Ankunft in Linz. Regen. Kann nicht einmal die Stadt ansehen, die ich zehnmal besehen und zehnmal wieder vergessen habe. Sitze im Gasthofe zum Stuck oder vielmehr modernisiert zur Kanone und schreibe diese Reisebemerkungen, während mir der Kellner versichert, daß meine neuen Reisegefährten zwei sehr angenehme Gesellschaftsdamen sein würden.

Widerwillig esse ich ein paar Bissen, füttere einen Hund mit dem schlechten Braten. Da schlägt die Stunde, und ich gehe querüber ins Posthaus, wo der Wagen schon bereit steht. Ich steige hinein, womit folgende
Novelle

beginnt; bloß Wahrheit, nicht Dichtung, weder der Form noch dem Inhalte nach.

Ich stieg in den Wagen, den der Kondukteur öffnete, und blieb ein paar Sekunden im Tritte stehen. Nicht weil ich mich mit dem Mantel verwickelt oder einen falschen Tritt gethan, oder daß mich meine Reise zu reuen angefangen hätte, vielmehr fing sie mich erst jetzt an zu interessieren; denn mir gegenüber, das Gesicht gegen die Pferde, saßen zwei der schönsten Frauenzimmer, die ich oder sonst jemand irgend erblickt. Die mir Untenansitzende zur Rechten, groß, hellblond, in gewähltem Anzuge, beinahe eine tadellose Schönheit zu nennen; die zweite kleiner, cendrée, mit nicht minder regelmäßigen, aber minder bestimmt geschnittenen Zügen, wog durch Beweglichkeit, Biegsamkeit, weiche, dialektlose Sprache, kurz durch all das, was man Annehmlichkeit nennt, die Vorzüge ihrer Nachbarin mehr als vollkommen auf. Sie standen augenscheinlich in keinem nähern Verhältnis zu einander, sondern waren, wie sich später zeigte, nur durch die gemeinschaftliche Reise auf dem Eilwagen von Wien nach Linz zusammengebracht worden. Die beiden Hintersitze des Wagens nahmen ein physiognomieloser Student und eine Art Ungar ein, ein dienstfertiger, schweigsamer Mann, an oder in den Fünfzig, mit großem Schnurrbart, dünn behaartem Haupte, polnischem Rock, ungarischer Weste und einem sehr baufälligen weißen Hut, der mit dem Winterpelze seltsam kontrastierte und der ganzen Garderobe ein etwas trödelhaftes Ansehen gab. Sonst war an dem Manne nichts Häßliches, sein Körperbau stämmig, er dürfte ein vom Husaren oder Jäger avancierter herrschaftlicher Hausoffiziant gewesen sein.

Ich wandte meine Worte vorzugsweise an die Kleinere, die mir höchst schnell entgegenkam, mit einer verzärtelten Mattigkeit gar nicht übel sprach, indes die Blonde, als ob über den ihrer Gefährtin gegebenen Vorzug grollend, hartnäckig schwieg.

Das Gespräch ward lebhaft, obgleich nicht interessant, über die Gegend an der Donau, in der wir hinrollten, die doch alles übertreffe u. s. w. Es heißt der Linzer Weg, unterbrach die Blonde ihr Schweigen, und es gibt eine Menge Spitzbuben da, die die Leute umbringen oder sonst beschädigen. Wir zweifelten, sie beharrte aber auf ihren Spitzbuben, wobei ihr Organ und ihr Dialekt sich nicht auf die vorteilhafteste Art zeigten. Fortsetzung folgt.
Schluß der Novelle.

Es war fünf Uhr morgens, als wir in München ankamen. Die Schöne erfuhr, daß die Post nach Lindau um neun Uhr abgehen werde. Sie war in Verlegenheit, wo die paar Stunden hinbringen. Der Doktor empfahl sich, trotz des bedeutenden Blickes, den sie ihm zuwarf. Ich erbot mich ganz kalt, so lange bei ihr zu bleiben, bis ihre Sachen abgepackt sein würden. Da trat der Schnurrbart hervor und erklärte, diesen Dienst wolle er der Schönen leisten, eine Unterkunft im nächsten Gasthofe nehme er auf sich. Da empfahl ich mich und der Abgeschabte führte zum Lohn seines Ausharrens die Braut nach Hause.

In München ein paar Stunden nach drei nächtigen Wachen geruht. Darauf ausgegangen. München ist seit dem Jahre 1827, wo ich es zuletzt sah, nicht mehr zu erkennen. Daß es mir besonders gefallen hätte, kann ich nicht sagen. Die neuen Gebäude sind wie eine Musterkarte von allen Geschmäcken, von denen keiner der gute, vor allem aber nicht der meinige ist. Nirgends ein heiterer Anblick, überall schießschartenartige Fenster, die groß sein mögen, aber klein scheinen, oben abgerundet, was der Helle Schaden thun muß. Nirgends freier Trieb, überall das Angeordnete. Die Bilder in den Arkaden meistens höchst mittelmäßig. Die Statue König Max' auf zu niedrigem Fußgestelle und dadurch dem Beschauer so nahe, daß sie eine lebenlügende, wachsfigurenartige Wirkung macht. Den in Rußland Gefallenen eine Säule zu errichten, heißt seine eigene Schande ausposaunen. Das Bibliothekgebäude wird schön, macht aber einen finstern Eindruck, indes die Wissenschaften hell machen sollen. Die Dreifaltigkeitskirche byzantinisch wunderlich. Die Ludwigskirche kündigt sich schon in dem Gerüste herrlich an. Der königliche Palast trüb wie alles. Zudem trägt das Ganze den Keim der Vernichtung in sich, da es München an Gewerb und Verkehr fehlt, um sich je als Stadt zu der Stufe aufzuschwingen, zu der diese Voranstalten sie heben möchten. Das alte München gefällt mir in seiner Regsamkeit, das neue sind von vornherein angelegte Ruinen.

Im Packhofe zu München abreisefertig angekommen, erblicke ich die Tänzerin Hermine Elßler, die sich anschickt, ihre berühmten Muhmen in Paris zu besuchen, und froh ist, einen Landsmann zum Reisegefährten zu haben. Sonst zur Gesellschaft ein widerlicher Professor, der nach Zürich geht mit einem nicht übeln jungen Menschen, seinem Verehrer und Akoluthen, und einer Schwester, bei sonst ganz hübschen Zügen, talgig und fett, den Eindruck einer gerupften ungebratenen Gans machend, die die Wage zwischen Schiller und Goethe handhabt und von Rückert und einem ihrer Bekannten, sonst aber Ungenannten die Wiederherstellung des Geschmackes erwartet.