Abschnitt 3

Ancona


Im Theater gab man die alte Posse Der lustige Schuster gar nicht übel, und das italienische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vorteilhaft. Ich konnte nicht umhin, Dir hier einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, daß sie etwas von der Delikatesse der Welschen hierin hätten oder lernten. Das ist bei uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den Brettern bei jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, daß dieses eine schöne, ästhetische Wirkung tun müsse, so irrt man sich vermutlich; wenigstens für mich muß ich bekennen, daß mir nichts langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärtlichkeitsszene. Ein Kuß ist alles, und ein Kuß ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung ver liert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiß die Einwürfe, aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiener weiß durch die feinen Nuancen der Umarmung mehr zu wirken als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daß seltene Ausnahmen stattfinden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung und sollte füglich wegfallen. Es ist, als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers Magens zu beweisen, und der Gebrauch der Teemaschine und der Serviette gehört bei mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumal wenn man eine Teekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, daß ich da in dramaturgischen Eifer gerate! Es wirkt nicht angenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.


Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo es so teuer wäre wie in Ancona; selbst nicht das teure Triest. Ich habe hier täglich im Wirtshause einen Kaiserdukaten bezahlen müssen und war für dieses Geld schlecht genug bewirtet. Man schiebt noch alles auf den Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zustatten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paoli; dafür wollte er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit Sonnenuntergang fortgehen und machte gewaltige Extraforderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht nicht leicht wiederzufinden glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen Impertinenzen, und dafür mußte ich ihm die Entrée bezahlen und zwei Paoli Nachschuß für die Nachtstunden. Die Barbiere bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehrling, der das Becken trägt und die Kunst des Bartscherens von dem großen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der Tat so geräumig, daß man bequem einige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr, daß die erhitzte Phantasie Don Quixottes so etwas für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ordnung gelegt hat, und fordert etwas della buona mano, della buona grazia und macht zu einer Kleinigkeit eben kein sehr freund liches Gesicht. Mein Bart hat mich bei den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und wenn ich länger hier bleibe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der Kapuziner halten.

Die Leute klagten über Not und hielten bei hellem Tage durch die ganze Stadt Faschingsmummereien, daß die Franzosen die Polizeiwache verdoppeln mußten, damit das Volk einander nur nicht tot trat: so voll waren die Gassen gepfropft. Da gab es denn possierliche Auftritte wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz vorbeizog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen weitgehörnten Tieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben hatte, und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den Fässern hertrollte, nicht vorbei konnte, mit Ungeduld ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten und mit den handfesten Fuhrleuten in ernsthafte Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche, zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuren Menge Mais, den man in Körben als Ammunition zu dieser Neckerei dort zum Verkauf trug. Mich deucht, man hätte nachher wohl zehn Scheffel sammeln können. Freilich lesen den an dern Tag die Armen auf, was nicht im Kot zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr närrisch lustige Art, Almosen auszuteilen.

Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet, und man trifft daselbst immer sehr angenehme, unterhaltende Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare Erscheinung muß die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, Österreicher, Engländer, Russen, Italiener und Türken, gegen die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren doch darin behaupteten, und die nun bloß durch die gewaltige Frömmigkeit ihres Machthabers daraus vertrieben werden. Ancona ist gewiß in jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen Posten an dieser Seite und nächst Tarent der wichtigste am ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ancona lautete mein Paß von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italienischen Kanzlei ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber hier machte man mir gar keine Schwierigkeit, mir einen Paß zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen besorgt, ich möchte dem Tode entgegengehen. Dawider ließ sich nun freilich kein mathematischer Beweis führen, ich machte den guten, freundschaftlichen Leuten aber deutlich, daß meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die sicherste sei. Wer würde Reichtümer in meinem Reisesacke suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend, und um nichts schlägt man doch nirgends die Leute tot.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802