Abschnitt 2

Ancona


In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz mißtrauisch, schaute nach meinem Hute, und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein Ansehen etwas grimmig, und er schickte mich mit der höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war die Kehrseite von Cesena. So gehts zu Revolutionszeiten, für das nämliche wirst Du hier gepflegt, dort beschimpft; glücklich, wenns nicht weiter geht.


In Rimini schlief ich gewiß ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem Übergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze dessa Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der größten Wohltaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohltätige Wasserleitung baut, kann man ihm fast vergeben, daß er Papst ist. Auf dem andern Platze stand der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L’union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! Das mag der heilige Bartholomäus in Mailand sagen.

Wenn ich nun ein ordentlicher, systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu besuchen; zumal da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie auch nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Cattolica und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Konzilium zu Rimini den Meister gespielt, deshalb gingen die rechtgläubigen Bischöfe mit Protest herüber nach Cattolica und verewigten ihre mutige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer großen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu Cattolica, ich nehme mir aber selten die Mühe, etwas abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereien. In Pesaro, wo ich beiläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? „Bei mir“, antwortete er. „Sehr wohl!“ sagte ich und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespeare zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu sein. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er tat sein Möglichstes, mich zufriedenzustellen, ging aus und brachte Viktualien, machte selbst den Koch und holte zweierlei Wein. Das war von nun an oft der Fall, daß der Wirt sich hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete, und ich ihm hilfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daß die gottlosen Franzosen vier der schönsten Gemälde von hier mir weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saß und mein Frühstück verzehrte, ließen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein echter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoßgebetchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre, solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequenteste halten, denn solche Seelen können nicht fortleben.

Vor Pesaro und noch mehr bei Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse, welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluß und hat ebensowenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden sein soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist gewiß, daß sie hier in der Gegend und am Flusse vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte es vielleicht nicht schwer sein, den Platz genau aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italien kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen Konsuln selig! Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage, vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gärten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen. Ich hatte zum ersten Male das Vergnügen, ein italienisches Stiergefecht zu sehen, wo die Hunde ziemlich hochgeworfen wurden und ziemlich blutig wegkamen, und woran halb Sinigaglia sich sehr zu ergötzen schien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ancona, da ich einmal in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war. Die See ging hoch, und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungem Weizen und Ölbäumen geschmückt. Vor Ancona blühten den neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Täler und Berge rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Öl und Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ancona mag für die Alten außerordentlich gut gewesen sein, für die Neuern ist er es nicht mehr in demselben Grade; und wenn nicht der Molo viel weiter hinausgeführt worden wäre, würde er wenig mehr brauchbar sein. Es können nur wenig große Schiffe sicher darin liegen. Am Anfange des alten Molo steht der sogenannte Triumphbogen Trajans von weißem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt nun an, ziemlich zu verwittern, und man muß schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es müßte denn nur mir so gegangen sein, der ich im Lesen der Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Vanvitelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demütig da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachturm, und vor demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke decken oder wehren bloß den Eingang von der Seite von Loretto. Am Turme stand eine französische Wache, deren man in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die Besatzung ziemlich stark ist. „Est-ce qu’il est permis de monter la tour pour voir la contrée?“ fragte ich. „Non“, war die Antwort, ich mußte also zurückgehen und die Berge rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht teilweise haben wollte, die ich hier hätte ganz haben können. Es mag freilich wohl der beste militärische Augenpunkt sein, so daß man billig Bedenken trägt, jedermann sich auf demselben umsehen zu lassen. Das Seelazarett an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein sehr schönes Gebäude ganz am Meere, so daß eine Brücke hinüberführt. Es hat rund herum eine Menge schöner, bequemer Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch Röhren vom Berge und ein ziemlich großes Warenhaus. Auch das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes, weitläufiges Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde, und die Handlung hebt sich nur sehr langsam durch die Maßregel des römischen Hofes, daß man Ancona zu einem Freihafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte Kathedralkirche, wo außer dem unverweslichen heiligen Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne, prächtige, funkelnagelneue Inskription, daß Pius der Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark Ancona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden. O Sancta! Die Börse ist ein großer, schöner, gewölbter Saal mitten in der Stadt, mit interessanten, gut gearbeiteten Gemälden und Statuen, welche moralische und bürgerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von Perugino sein, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802