St. Thomas

Nun war ich ohne jede Übergangsperiode mit einem Male in einer fremden Welt. Denn Himmel und Wasser während der Reise sahen zwar anders aus, als bei uns zu Lande, aber der Unterschied war nicht so mit Händen zu greifen, als die große Verschiedenheit mit dem Gewohnten, die jetzt plötzlich überall hervortrat. Es ist auch etwas ganz anders ob man schwarze und gelbe Menschen, Kokospalmen, Zackerplantagen, grüne Berge mit weißen Häusern besäet, kleine Böte mit Apfelsinen und nackten Eingeborenenkindern, in Bilderbüchern oder leibhaftig vor sich sieht. Es gab immer so viel zu gucken dass ich manchen Rippenstoß dabei erhielt. Schon die vielen bereits im Hafen liegenden Schiffe, wovon die meisten bis auf die Untermasten und die gestrichenen Stängen abgetakelt, alle aber von vorne bis hinten gegen die Sonnenstrahlen durch Kuhbrücken und Sonnensegel geschützt waren; dann das Dänische Kriegsschiff und das Abfahren und Zurückkommen seiner Boote, endlich die fast täglich ankommenden größeren Schiffe, und die vielen von den Spanischen Inseln anlangenden Fahrzeuge, auch wohl dann und wann die Ankunft eines niedrigen langen schwarzen Schooners zuweilen mit runden wie von Kugeln herrührenden Löchern in den Segeln, wie nicht minder die vorbeifahrenden Boote, mit welchen die Ladung von und an Bord gebracht wurde, die vielen an Bord kommenden Herren vom Lande, die alle fein weiß gekleidet waren, alles dies war eine unverwüstliche Augenweide.

Der Dienst war bei der Hitze manchmal etwas beschwerlich, denn es gab bei den häufigen Besuchen viele Teller und Gläser zu spülen, in der Kajüte musste immer alles blitzen und schimmern, und Abends musste ich in den ersten Wochen, so lange die Verkäufe von Schinken, Mettwurst, Käse und leinenen Hosen dauerten, die Rechnungen darüber ausschreiben. Wenn aber der Alte am Lande war, gewöhnlich fuhr er gegen Sonnenuntergang zum Mittagessen zu unserm Kaufmann, oder zu sonstigen alten Freunden, denn er war schon lange in der Fahrt nach dieser Insel, und erst nach acht Uhr wurde er wieder abgeholt, dann fiel manchmal ein Viertelstündchen ab um mit den Matrosen und den andern plaudern zu können.


Gewöhnlich wollten sie dem Neuling allerlei Mährchen und Fabeln aufbinden; bisweilen glückte es ihnen, es kam aber auch vor dass ich wahren Geschichten keinen Glauben schenkte; dann betraf es Sachen die wir in der Schule nicht gehabt hatten. Dass es Wasser geben sollte, worin der Reis rot koche, dass es Fische gebe die man alte Weiber nenne, dass der Mond dem auf dem Deck Schlafenden das Gesicht schief scheinen könne, das glaubte ich natürlich nicht. Am Interessantesten waren mir die Erzählungen unseres Bootsmanns der mal auf einem von Seeräubern angefallenen Schiffe gewesen war; der Kapitän habe weder Kanonen noch Säbel an Bord gehabt; der Koch aber sei ihr Retter gewesen, der hatte in das bereits anlegende offene Fahrzeug einen gerade zur Hand liegenden Werpanker geworfen, der sofort ein großes Loch in den Boden gemacht habe, so dass die Räuber von denen gewiss ein guter Teil ersoffen sei, an ihre Rettung hätten denken müssen und das mit frischem Winde fortsegelnde Schiff nicht hätten einholen können. Auch hatte er mit einem Holländer auf einem Schiffe gedient der mehrere Male nach der Küste von Guinea auf den Sklavenhandel gewesen war.

Da werde der Verdienst statt nach Thalern nach Doublonen gerechnet und die Matrosen hätten goldene Knöpfe auf ihren blauen Jacken. Ein Mal hatte ich Erlaubnis bekommen Sonntags Nachmittags mit dem alten Russen, dem Koch und Gustav ans Land zu gehen. War das aber ein Vergnügen! Wir kletterten einen der Hügel an welchen die Stadt hinaufgebaut ist, eine Strecke hinan, dort stand eine von Deutschen Matrosen viel besuchte kleine Schenke in einer Art von Garten, eine Laube war wenigstens darin, und dann ließen wir uns alte Weiber backen, die wirklich sehr gut schmeckten; dass die Eidechsen ganz zutraulich bei uns umher schlüpften war mir zwar widerlich aber doch merkwürdig. Als wir dann später durch die Straßen schlenderten, wobei die Andern allerlei notwendige Einkäufe an Trinkgeschirren, den sogenannten Bowls (Mugs gab es damals noch nicht,) und Tabak, wozu denn gegen die Zeit der Abreise noch Fässchen mit Tamarinden und Krüge mit Guayavagelen und Flaschen mit Lemonensaft so wie einige Pfund Kaffe und Zucker sich gesellten, in den ihnen von früheren Reisen bekannten Lokalen machten, da spähte ich umher, ob ich nicht einen wettergebräunten bärtigen Küste-Guinea-Mann mit goldenen Knöpfen und weißer Weste, oder einen Orlogsgast mit dem Namen seines Schiffs am blanken schwarzen Hut erblicken könnte. Ein Hauptspaß war aber eine Tour mit unserer Schaluppe nach Buck-Eiland um „Seltenheiten“ zu holen. Da wurde denn schon vor Sonnenaufgang gerüstet und alles segelfertig gemacht. Die Fässer mit Wasser als Ballast durften nicht fehlen, sie mussten sachverständig festgestaut werden, der Alte sah selbst darnach ob Alles in Ordnung gebracht worden sei, denn mit dem Leben seiner Untergebenen ging er sehr vorsichtig um, und der Obersteuermann nahm dann als wir mit dem frischen Passatwinde abfuhren, selbst den Platz am Ruder ein. Der Alte stand auf dem Hinterdeck unter dem Sonnensegel über die Reling gelehnt, schaute um nach und gab uns allerlei gute Lehren mit auf den Weg, hatte auch noch etwas an dem Stehen der Segel auszusetzen, was denn sogleich abgeändert wurde. Er war so splendid gewesen uns sechs Personen einen ganzen Schinken und ein paar Flaschen Rotwein mitzugeben, außerdem hatten wir kaltes Fleisch und Brod genug, auch einen Demijohn mit Wasser, so dass wir vor Hunger und Durst genügend geschützt waren.

Die Schaluppe schoss wie ein Pfeil dahin und es ging mir fast zu rasch, denn ehe ich es mir versah waren wir am Ziel unserer Reise angelangt. Hier wurde in einer geschützten Bucht. die Schaluppe auf den flachen sandigen Strand gezogen, und wir machten uns fertig die im Wasser wachsenden und liegenden Seegewächse und Muscheln einzuernten. Jene bestanden vornehmlich aus „Seebäumen“ und „Seeblättern“ diese aus „Konkschellen“ und „Seesternen.“ Die lateinischen Namen kannte ich damals selbst nicht, aber wäre dies auch der Fall gewesen, ich hatte damals schon soviel von der Schilfsordnung gelernt, dass ich mich wohl gehütet haben würde mit meiner Weisheit hervorzutreten. Das war mir mal schlecht bekommen, als ich den Koch belehren wollte, die Spanische See heiße eigentlich der Atlantische Ocean. Da er auf einem Schiffe gefahren, das Ocean geheißen, so glaubte er ich wolle ihm was weiß machen, und versetzte mir eine so derbe Ohrfeige dass mir die Lust verging nachzufragen was er denn mit der Bezeichnung atlantisch für einen Nebenbegriff verknüpfe. — Das Einsammeln der Seegewächse war eine lustige Arbeit. Mau tauchte unter, fasste den „Baum“ oder das „Blatt“ an der Wurzel, und hielt sich daran fest bis die Dünung wieder auflief und den Kerl mit samt der Beute an die Oberfläche brachte. Es war das erstemal dass ich auf salzigem Wasser schwamm, und ich konnte die große Erleichterung welche diese Spezies des nassen Elements darbot in auffallender Weise merken. Mit Beute reich beladen, nach unzähligen „Sarabetas,“ den Flüchen des kleinen Obersteuermanns, vielen spaßhaften Geschichten des Bootsmanns und Gustavs welchen der junge Russe, Speckesser und ich andächtig zuhörten worüber der Steuermann aber mitunter das bereits ergrauende Haupt schüttelte, kamen wir Nachmittags zurück. Die Andern für die wir Seltenheiten und auch „Quesenköpfe“ mitgebracht hatten, mussten dafür die Schaluppe abtakeln, der Alte war noch an Bord, er rüstete aber schon um ans Land zu fahren, und ich kam noch gerade zu rechter Zeit ihm seinen weißen Anzug zurecht zu legen. Darüber hatte ich Anfangs mein blaues Wunder, dass ein solches Habit nur einen Tag vorhielt; aber alle Paar Tage kam auch die dicke Mulattin mit ihrem Bumboot und brachte reine Wäsche. Ich musste dem Alten von der Fahrt erzählen, was ihm Spaß zu machen schien; als ich aber bei den Quesenköpfen anlangte lachte er laut auf und meinte ein Sohn gebildeter Eltern der das Gymnasium besucht habe, müsse doch Wissen, dass diese zu den Kakteen gehören.

Zu den Abendvergnügungen der Leute gehört das Besuchen der Landsleute am Bord ihrer Schiffe. Nach Sonnenuntergang durfte nämlich kein Boot am Lande anlegen; wenn der Alte abgeholt wurde, was immer nur an einer Stelle, dem Königswharf geschehen durfte, dann musste das Boot auf Riemen in einiger Entfernung vom Lande gehalten werden, bis er kam. Dadurch war wohl die Sitte der gegenseitigen Besuche entstanden. Die Gäste wurden dann gewöhnlich mit kaltem Punsch traktiert, Rum, Zucker und Lemonen waren ja ziemlich wohlfeil, gewöhnlich wurde mehr getrunken als nötig war, und dann pflegte es im Logis sehr bunt herzugehen, bisweilen selbst zu Schlägereien zu kommen, wie wir Jungen aus den Spuren solcher Klopfereien abnehmen konnten, denn bei den Trinkgelagen hieß es Hunde und Jungens auf Deck! kam es zur Schlägerei so war das erste das Ausblasen der Lampe ein seltsamer Gebrauch, denn Freund und Feind konnten sich in der Ägyptischen Finsternis dann nicht mehr erkennen und die Prügelei wurde ohne allen Schlachtplan betrieben. Wenn es zu arg wurde dann kam der kleine Steuermann herbeigerannt, stürzte sich wenn auf seinen ersten Machtspruch nicht unmittelbare Ruhe erfolgte, mit einem Dreher in der Hand in die Dunkelheit hinein, teilte rechts und links aufs Geratewohl Hiebe aus und dann erst beruhigten sich die vom jungen Rum aufgeregten Gemüter. Dergleichen Intermezzos fielen aber nie vor, wenn der Alte an Bord war. Vor dem hatten sie einen heillosen Respekt. Vor Jahren hatte er einen baumlangen Kerl der Widerworte hatte, über Spill und Nagelbank geworfen, dass er im Schaafhock wie ein Sack mit Knochen hingefallen war. Diese Geschichte war im Wege der Tradition fortgepflanzt und wenn der Alte auch bereits zu altern begann, seine herkulische Gestalt ließ doch noch immer auf nicht gewöhnliche Kräfte schließen.

Zu jener Zeit lagen die Schiffe noch lange Zeit, meist mehrere Monate in St. Thomas. Das Löschen und Laden wurde mit dem eigenen Schiffsboot besorgt, und damit konnte nicht viel auf einmal beschafft werden. Während des langen Liegens wurde dann die erst vor der Abfahrt von Haus nachgesehene Takelage wieder nachgesehen und so wie die Ladung allmählich ins Schiff kam, wurden auch allmählich die Stängen und Raaen wieder aufgebracht. Endlich musste ja Alles fertig werden, und so war denn auch unser Triton eines Sonntags segelfertig. Die Boote der befreundeten Schiffe gaben das Geleite, viele Herren von dem Comptoir kamen noch zum letzten Frühstück an Bord. Der Wind war ziemlich nördlich gewesen, jetzt schauerte es noch aus Osten; einer der Herren meinte es sei ein recht Europäisches Wetter. Da fiel es mir ein, dass wir ja in einem andern Weltteile waren, was ich in den vier Monaten fast vergessen hatte. — Also: auf nach Europia!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Seebilder