Schutz- und Trutzbündnisse im Reich der Natur

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Dr. Kurt Floericke, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Symbiose, Tierreich, Ameisen, Blattläuse, Hummer, Nashörner, Madenhacker, Vögel, Zecken, Bitterling, Muscheln, Krebse, Seenelken, Einsiedlerkrebs,
Das bekannteste Beispiel für Symbiose, das heißt für das Zusammenleben und Aufeinanderangewiesensein zweier ganz verschiedener Tiergattungen, ist das innige Bündnis zwischen Einsiedlerkrebs und Aktinien (Seerosen, Seenelken). Jener ist ja überhaupt ein schnurriger Kerl und dadurch merkwürdig, dass seinem Hinterleib der schützende Panzer fehlt. Es wirkt geradezu komisch, mit welcher Ängstlichkeit und Hast er immer bemüht ist, sein weiches Hinterteil zu verstecken. Ein bequemer Ausweg bietet sich ihm nun, wenn er die Schale einer Wellhornschnecke erwischen kann, die in der Nordsee sehr häufig ist; dann birgt er in ihr den empfindlichen Hinterleib und schaut nur mit dem Vorderkörper aus seiner Wohnung heraus, sie auf Schritt und Tritt mit sich schleppend wie eine Schnecke ihr Haus. Auf dem Dache dieser Behausung siedelt sich aber sehr häufig auch noch eine Aktinie an, also ein zylindrisch gebautes Hohltier mit Tentakelkranz, das sonst auf eine festsitzende Lebensweise angewiesen wäre, da sein Fortbewegungsvermögen ganz gering ist. Nun lässt es sich von dem munteren Krebseremiten vergnüglich umherkutschieren und hat dadurch eine so viel günstigere Ernährungsmöglichkeit, dass es ordentlich feist und prall wird. Aber auch der Krebs kommt auf seine Rechnung, denn das Hohltier besitzt in seinen Nesselbatterien sehr wirksame Waffen und zögert nicht, nachdrücklichen Gebrauch davon zu machen, wenn ein gemeinsamer Feind sich naht. Dem Einsiedler wird seine Bundesgenossin dadurch so wertvoll, dass er sich zeitlebens nicht von ihr trennt. Zwingt ihn zunehmender Leibesumfang zum Umzug in eine größere Wohnung, so hebt er mit seinen Scheren die Seenelke, die sich das ruhig gefallen lässt, behutsam von dem alten Hause ab und setzt sie auf das neue. Auch von seinen Mahlzeiten fällt mancher Bissen für die farbenschöne Freundin ab, oder er reicht ihn gar mit der Schere nach oben.

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Zusammenleben eines Hummers mit einer Seenelke. (Aufgenommen von Hofphotograph Schensky in Helgoland)



Dass aber Seenelken auch auf dem Rücken freilebender Krebse bisweilen sich ansiedeln, zeigt unsere Aufnahme aus dem Aquarium der Biologischen Anstalt in Helgoland. Hier schreckte eine Seenelke nicht einmal vor dem mächtigen Hummer zurück, der doch sonst ein recht gewalttätiger und räuberischer Bursche ist. Ein anderes rundliches Krebschen aus der Sippe der Krabben wohnt sogar in lebenden Weichtieren, den großen Steckmuscheln. Ist ringsum alles ruhig, so spaziert der Muschelwächter, wie man ihn genannt hat, aus seiner Zufluchtsstätte heraus und geht auf dem Meeresgrunde seinem Nahrungserwerb nach. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr flüchtet er schleunigst in die Muschel zurück, die sofort ihre dicken Schalen schließt und so ihren Gast vor allem Ungemach behütet.

Einer unserer kleinen Süßwasserfische, der karpfenähnlich gebaute Bitterling, ist zu seinem Bestehen ganz auf die Teich- und Malermuscheln angewiesen, obwohl er sie nur zur Fortpflanzungszeit benutzt. Dann nähert sich das mit einer langen Legeröhre ausgerüstete Weibchen in Begleitung seines farbenschimmernden Männchens einer solchen Muschel, schiebt ihr mit plötzlichem Ruck die sich versteifende Legeröhre in den Kiemenschlitz und lässt dabei einige wenige Eier austreten, die von dem Männchen sofort befruchtet werden.

Selbst bei hoch entwickelten Vögeln finden wir symbioseartige Erscheinungen. So sitzen aus dem Großwild der afrikanischen Steppe, insbesondere den Nashörnern, gerne starenartige Vögel, die Madenhacker. Sie befreien die runzelige Haut ihrer Gastfreunde von Zecken und anderem Ungeziefer. Das Nashorn hingegen kann sich der Ruhe hingeben, da die Vögel durch Aufflattern und Schreien jeden Feind rechtzeitig verraten.

Nirgends aber findet man so zahlreiche und wunderbare Symbiosen wie in den Ameisennestern. Es sei nur an das Verhältnis der Ameisen zu den Blattläusen erinnert, die von ihnen ihrer zuckersüßen Körperausscheidungen wegen geradezu als Milchkühe benutzt, regelrecht gemolken und bisweilen sogar in besonderen „Kuhställen“ untergebracht werden.

Zusammenleben eines Hummers mit einer Seenelke. (Ausgenommen von Hofphotograph Schensky in Helgoland)

Zusammenleben eines Hummers mit einer Seenelke. (Ausgenommen von Hofphotograph Schensky in Helgoland)