Schiller in der Hohen Karlsschule.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1878
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schiller, Herzog Karl Eugen von Württemberg, Lustschloss Solitude, Dichtung, Lyrik, Bildung, Kunst, militärischer Zwang, Charakter, Geist, Talent, Neigung
Die Lieblingsschöpfung des Herzogs Karl Eugen von Württemberg war bekanntlich die 1770 von ihm auf seinem bei Stuttgart gelegenen Lustschlosse Solitude als eine militärische Pflanzschule, hauptsächlich für die Söhne von Militärpersonen bestimmt, gegründete Hohe Karlsschule, die spätere Karlsakademie. Diesem Institut haben unser großer Dichter Friedrich Schiller und eine Anzahl anderer ausgezeichneter Männer gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ihre Erziehung verdankt und dadurch einen Ruhm verliehen, welcher diese Anstalt und deren wirkliche Bedeutung weit überlebt hat.

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Herzog Karl Eugen (1728—1793), ein begabter aber seicht gebildeter Fürst von wilden Leidenschaften und zügelloser Herrschsucht, hatte als Gegengewicht gegen die Universität Tübingen eine hohe Schule gründen wollen, um sich aus derselben abhängige und willfährige Werkzeuge seines Willens für die Ämter seiner Regierung zu erziehen. Sie wurde 1775 nach Stuttgart verlegt und gleichzeitig erweitert, dann im Jahre 1781 zur Universität, jedoch ohne theologische Fakultät, umgeschaffen, aber schon 1794 aufgehoben.

Dieser Erziehungsanstalt voll militärischen Zwanges und Einseitigkeit gehörte unser Schiller vom 17. Januar 1773 bis zum 15. Dezember 1780 an, und es ist ein Beweis der unverwüstlich edlen und großartig angelegten Natur unseres Dichters, dass er an seinem Charakter unverfälscht aus dieser Zwangsjacke des Geistes und diesem akademischen Kerker hervorging, worin nicht die eigene Wahl oder Anlage den künftigen Lebensberuf des Zöglings bestimmte, sondern lediglich der unumschränkte Wille und die Laune des Herzogs. Dieser ertrug durchaus keinen Widerspruch und behandelte die Zöglinge oft wie Spielzeuge, indem er den Einen zum Maler oder Bildhauer, den Andern zum Musiker bestimmte, selbst wenn nur ein Minimum von Anlage für diese besondere Kunst bei demselben vorhanden war, weshalb denn auch so viele verfehlte Existenzen aus dieser Akademie hervorgingen. So opferte denn auch Schiller, der ursprünglich Theologie studieren wollte, diese Neigung dem Willen des Herzogs und den Verhältnissen seiner Eltern — sein Vater war bekanntlich damals Garteninspektor auf der Solitude und später Major — und trat als Student der Rechte in die Akademie ein. Er machte in der ihm aufgezwungenen Jurisprudenz jedoch wenig Fortschritte und vertauschte sie daher 1775 mit der Medizin.

Der Geist ward in dieser Anstalt in spanische Stiefeln geschnürt und selbst der Unterricht wurde einseitig nach des Herzogs Anweisung und Gutdünken erteilt, und wäre nicht unter den Lehrern selbst in Folge dieser drückenden Bevormundung durch den Herzog ein innigeres Mitgefühl für die Begabtesten, unter den Zöglingen entstanden, welches beide Teile häufig in herzlicher Freundschaft vereinigte, so würden trotz aller äußeren Zwangsmittel wohl die wenigsten Schüler etwas Tüchtiges gelernt haben. Schillers reicher Geist ward von Lehrern und Mitschülern anerkannt, umso mehr als er zu den besten Schülern der Akademie gehörte. An dieser wie in dem damaligen theologischen Seminar in Tübingen war zwar den Zöglingen Beschäftigung mit Poesie streng verboten, allein wer vermag in einem geborenen Dichter diesen göttlichen Drang zu hemmen oder zu unterdrücken! Künstlich zurückgedämmt durch die Statuten und Führung der Anstalt, machte sich bei Schiller dieser Drang nur desto gewaltsamer Luft, und wie er von Jugend auf am Theater eine unbeschreibliche Freude gehabt, so war es auch die dramatische Dichtung, welche ihn am gewaltigsten anzog. Die lyrischen und anderen Gedichte, in denen er sich damals versuchte, neben den Aufsätzen und Aufgaben, welche ihm die Akademie auferlegte, genügten seinem gärenden Geiste nicht, um den Sturm und Drang seiner ahnungsvollen Seele los zu werden.

Die neueren dramatischen Dichtungen jener Zeit: Gerstenbergs Ugolino, Leisewitzs Julius von Tarent, Klingers Werke und vor Allem Goethes Götz von Berlichingen warfen zündende Funken in sein Dichtergemüt, und so entstand in den spärlichen Mußestunden seiner Studienjahre in der Karlsschule, unter dem Einfluss der Schriften von Voltaire, Jean Jacques Rousseau und der französischen Philosophen und unter den Eindrücken, welche der nordamerikanische Befreiungskampf und die Bekanntschaft mit den alten Klassikern und Shakespeare in dem feurigen Jüngling hervorrief, jene formlose und wilde Jugenddichtung Schillers: „Die Räuber“, an deren Entstehung und Erfolg seine vertrauteren Mitschüler und Freunde den innigsten Anteil nahmen. Schiller dichtete seine „Räuber“ heimlich, neben der Bewältigung aller der Aufgaben, welche ihm als Zögling der Karlsschule gestellt waren, und vielleicht rühren daher zum Teil neben der mangelhaften Form auch der düstere Groll, die wilde Kraftgenialität, die lodernde Glut her, welche sie atmen.

Seit 1777 arbeitete er beinahe jeden Tag einige Zeit daran, aber erst im Jahr 1780 wurden sie vollendet nach fast zehnfacher Abänderung. Jede vollendete oder umgemodelte Scene ward da und dort, in irgendwelchen Räumen des großen Kasernengebäudes hinter dem Stuttgarter Residenzschloss, in welcher die Akademie, wie bereits erwähnt, seit 1775 untergebracht war, den Vertrauten vorgelesen, wenn man sich unbeobachtet zusammenfinden konnte, und jede dieser Szenen wurde mit umso größerem Jubel ausgenommen, je leidenschaftlicher sie die Entrüstung aussprach, welche alle diese Zöglinge durchglühte und in welcher sie sich gegenseitig bestärkten. Eine solche Scene schildert unser Bild Seite 221, welches die vertrauteren Freunde des jungen Dichters vorführt, die sich in den Rollen eines Schweizer, Roller, Grimm, Kosinski re. ebenso porträtiert sahen, wie Schiller sich selber in Karl Moor darstellen wollte.

Schiller seinen Mitschülern in der Karlsschule die Räuber vorlesend

Schiller seinen Mitschülern in der Karlsschule die Räuber vorlesend

Schiller seinen Mitschülern in der Karlsschule die Räuber vorlesend_

Schiller seinen Mitschülern in der Karlsschule die Räuber vorlesend_