11tens Nachlese. - Ich will noch von einigen Gegenständen sprechen, die ich in ihre Ordnung zu bringen teils vergessen, teils nicht verstanden habe. ...

11. Nachlese

Ich will noch von einigen Gegenständen sprechen, die ich in ihre Ordnung zu bringen teils vergessen, teils nicht verstanden habe. Gar mannigfaltig sind die Bedürfnisse und Neigungen der Menschen. Nicht alle haben sich bestimmte Organe zu fester Wohnstätte gewählt; sondern viele ihrer halten sich nach Landstreicherart an den Sinnesgrenzen auf. – Die Fächer, die schon längst mit dem Erröten abgekommen, sind seit dem vorigen Sommer in Paris wieder Mode geworden. Die Mode zu erhalten, gab es ein unfehlbares Mittel; man machte die Fächer teuer. In der Ausstellung sah man deren von Schildkröte, die 700 Fr. kosteten. In heißen Sommertagen eine Reise nach Havre oder Dieppe, sich an der Seeluft zu erfrischen, käme viel wohlfeiler zu stehen. Polichinel-Vampyre sah man oft auf Fächern abgemalt. Dieser beliebte Hanswurst wird auf alle mögliche Art bildlich dargestellt. Battisttaschentücher wurden verkauft, in deren Zipfel Polichinel gestickt war. Andere Arten von Taschentüchern wurden unter dem Namen Andrinoples und Aladins in die große Welt eingeführt ... Von einer neuerfundenen Komposition werden falsche Edelsteine (pierres adamantoides) verfertigt, die sehr schon sind. Man muß ein Kenner sein und sie in die Hand nehmen, um sie von den echten zu unterscheiden. Sie werden nur darum nicht zu allgemeinem Gebrauche kommen, weil man im Pfandhause nicht damit erscheinen darf – ein Versammlungsort, den in Paris Frauen von den höchsten Ständen in ihrem reichsten Schmucke besuchen ... die guten Seelen, wie leicht sie zu befriedigen sind! Eine beliebte Bandschleife, die eine Zauberhand im letzten Sommer geschlungen, nennen sie „parfait contentement“ ... Poupart de Neuflige, ein Tuchfabrikant, hatte zwischen seinen Waren sechs Gemälde aufgestellt, die sechs Fabrikgebäude nebst ländlichen Umgebungen, welche er in verschiedenen Departementen besitzt, vorstellten. Der König, dem diese Gemälde wohlgefielen, hat sie von dem Eigentümer zum Geschenk angenommen ... Eine Vorrichtung, Kranken in ihren Betten Dampfbäder zu machen, ist ein nützliches Werk ... Unter dem Namen „Caecographe“ wurde eine Maschine gezeigt, vermittelst welcher Blinde in ganz geraden Linien schreiben können. Der einfache Apparat ist sehr zweckmäßig ... Vermittelst der Glactomètres und der Caséomètres kann man den Grad der Spitzbüberei der Milchmädchen und Kaffeeköchinnen auf das Genaueste bestimmen. Aber Frauen von Gemüt werden sich wenigstens der letzteren nicht bedienen; denn die heilige Schrift sagt: du sollst dem Ochsen das Maul nicht verbinden, wenn er drischt ... Allerlei Komestibilien, auf eine neue Art behandelt, waren von größerm oder geringerm Nutzen. 5 Pfund frisches Fleisch durch Austrocknen auf 1 Pfund 8 Lot reduziert, sowie auch gekochtes Rindfleisch, in einer hermetisch verschlossenen Flasche aufbewahrt, soll sich lange erhalten. Mehl von Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und Nudeln davon, wurden zu Sparsuppen empfohlen ... Die Fabrikation des Runkelrübenzuckers hat mit Napoleons Herrschaft in Frankreich nicht aufgehört. Besonders wird der Zucker gelobt, der aus der Fabrik des Herzogs von Ragusa kommt, so daß der Sturz Napoleons dem Marschalle Marmont keinen Schaden gebracht. Das Geheimnis der berühmten Confitures de Bar, die man nirgends in Frankreich nachzuahmen weiß, soll nur darin bestehen, daß diese Konfitüren mit Runkelrübensirop bereitet werden ... Bäcker hatten neue Versuche mit Brotarten zur Prüfung aufgestellt; man hat in Paris das beste Brot, aber kein gutes ... Ein sehr schönes Schmuckkästchen von natürlichen Zähnen, zur Nachtherberge für künstliche bestimmt, zeigte der Zahnarzt Desirabode. Das ist der kühne Humorist, der sich im vorigen Jahre mit dem Galgen geneckt, indem er, um Aufmerksamkeit zu erregen, Adressen, ganz in Form von Bankzetteln, verteilte. Er hat bewiesen, daß ihm die Weisheitszähne fehlen, und das hat ihm herausgeholfen ... Von dem vor kurzem entdeckten neuen Metalle, Palladium genannt, wie auch von Platina, waren schöne Medaillen zu sehen. Auch in Kristall hat man Medaillen gegraben, die das Ansehen von Perlmutter haben ... Eine sehr nützliche Erfindung sind die Längemaße von seidenen Bändern, welche seit einiger Zeit in Paris allgemein gebraucht werden. Auf der einen Seite des Bandes ist das übliche metrische Maß in seinen kleinsten Abteilungen, auf der andern Seite sind die verschiedenen ausländischen Maße gezeichnet, so daß man beide auf das bequemste miteinander vergleichen kann. Nicht bloß Schneider, Schuster, Warenhändler bedienen sich dieser Maße, sondern auch Tischler, Zimmerleute, Maurer und andere Handwerker, die im Großen messen. Die Pariser Schneider, wenn sie das Maß zu einem Kleide nehmen, bedienen sich also nicht der in Deutschland üblichen knisternden Papierstreifen, in welche man mit der Schere rätselhafte Zeichen schneidet, sondern gebrauchen dazu jene viel genaueren Bänder und tragen die gefundenen Größenverhältnisse in ein eigens dazu bestimmtes Buch unter dem Namen des Kunden ein. Dieses Buch ist ganz eingerichtet wie ein Paßregister. Es muß bei dieser Gelegenheit erwähnt werden, daß die französische Polizei, welcher das scharfe Augenmaß der deutschen abgeht, den Reisenden, der einen Paß fordert, an einer Art Rekrutenmaß abmißt. An der Grenze, wo man seinen vaterländischen Paß gegen einen französischen vertauscht, wird das heimatliche Maß in das metrische gebracht, und, ich habe in Straßburg die unschuldigsten deutschen Frauenzimmer schamrot am metrischen Pranger stehen sehen. Und der alte Vater Rhein (so hieß er, glaube ich, im Jahre 1814) schweigt zu solchen frevelhaften Tun! Aber was tut die Polizei nicht allerorten! Gleich der pythagoräischen Schule bringt sie alle Verhältnisse in Größen und Zahlen. Personen und Völker werden mit ihren Tugenden und Mängeln, mit ihrem Werte und ihrem Preise addiert, numeriert, subtrahiert, dividiert, einregistriert, protokolliert, inventiert – als wäre der Herr der Erde gestorben und die hinterlassene Menschheit sollte versteigert werden!


Fußnote

1 Später erfuhr ich, daß es doch wirklich so sei und es in Deutschland an feinen, vornehmen Lumpen fehle – worüber ich mich sehr wunderte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.